Max Kommerell: Aus dem Nachlaß


Vogel halt ein!

 

Mitwissender Vogel, du singst...

Und ich, mit geschlossenen Lidern,

Seh ich am hellgrauen niedern

Gewölk einen zögernden Schimmer

Dem Lila des Flieders erwidern,

Derweil nach immer und immer

Verliebteren Lauten du ringst!

Bist du allein? Was lockst du?

Bist du zu selig? Was stockst du?

Halt ein! Ich vergeh!

Verlangen wird Weh,

Wenn es nur ein Glück gibt, ein Glück gibt,

Und doch meinem Munde — wer weiß

Nach wem er so wund ist und heiß? —

Kein Mund sein Schmachten zurückgibt!

Mitwissender Vogel, halt ein,

Sonst wein’ ich vor Sehnsucht mich blind.

Denn singst du, o Vogel, so fühlt

Die Liebe sich doppelt allein,

Jetzt wo der wollüstige Wind

So weich in den Flieder sich wühlt.