Max Kommerell: Das letzte Lied


Das Gericht

 

Richttag ist — doch wo der Richter?

Stumm wie ewig funkeln Lichter.

Darum Erde richte du!

Knabe schnitt mit goldner Schneide

Schon die Mistel. Alte Eide

Eigneten das Opfer zu.

 

Ich bin schuldig. Das Geliehne

Wuchs in mir mit Leib und Miene.

Der Vollendete löst ein.

Komm ich, Erde! dir erbeten,

Laß die grüne Flamme treten

In den Cromlech aus Gestein!

 

Mir wühlt Gier in jedem Gliede

Nach dem Stahl, den der Druide

Jetzt auf meinen Nacken zückt.

Ich, der noch ihm Untertane,

Werde Zuruf im Orkane,

Dem er sich erknirschend bückt.

 

Erde, der in goldnen Eutern

Sich für uns die Säfte läutern —

Daß du selbst nicht dürstetest,

Hast du dir an wilder Kelter

Aus dem Leibe frisch gefällter

Jugend deinen Trank gepreßt.

 

Trink dich trunken! Sieh ich dampfe!

Weiße Hände sieh im Krampfe

In mich tauchen statt des Schwerts!

Von dem roh behauenen Quader

Rinn’ ich durch gerechte Ader

Ins unbändig reine Herz.

 

Ich bin reif. Mich drängt die Stunde

Wo ich deinem Mund noch munde.

Darum Erde richte du!

Wenn Vulkane Lava speien,

Adler über Klüften schreien,

Juble ich mir selber zu.