Max Kommerell: Das letzte Lied


Nach dem Serbischen

 

Fremdling! Wie weit zur Stadt noch hab ich von da?

«Weit hast du zur Stadt noch. Zur Liebe hast du nah.»

 

Ist dies der Weg zur Linken, o Fremdling, sprich?

«Weg ist, wo Zweie gehn — Wüste, wo eins geht für sich.»

 

Ging ich recht bis hieher? «Ja recht, bevor

Mein Blick in deinen sich verlor.»

 

Geht übern Strom wohl irgendwo eine Brück?

«Liebe baut Brücken — doch unten fließt das Glück.»

 

Ich irre vom Weg. Die Sonne ist hinab.

«Der Weg ist Irrweg. Vom Irrweg irrst du nicht ab.»

 

Ich muß durch den Wald. Der Wald ist voll Graus.

«Der Wald ist Irrwald. Niemals verirrst du aus ihm dich hinaus.»

 

Arglos frag ich, arg antwortet dein Reim.

«Je tiefer du irrst, je heimlicher findest du heim.»

 

Fremdling! Ich finde den Weg nicht allein. Fremdling, komm mit!

«In Liebe jede Rast. Um Liebe jeder Blick. Zur Liebe jeder Schritt.»

 

Zur Stadt! Dort ist mir ein Lager bestellt.

«Die Stadt ist versunken. Auf ging die Welt.»

 

O Fremdling, ich glaube, ich fragte dich fast zu viel.

«Weißt du vom Stein, der in einen Brunnen fiel?»

 

Wollte der Stein zum Brunnen? Rief der Brunnen den Stein?

«Frage fort! Du fragst dich nur tiefer in mich hinein.»

 

Fremdling! Wie lang währt Liebe? «Horch und erschrick:

Wie Gott auf Erden — einen Augenblick!»

 

(Beide)

Um unsere Füße legt sich Staub

Und Stern an Stern um unser Haupt.

 

Wir sind unterwegs. Wir sind nur ein Wechselgesang.

Du bist mein Ort. Ich bin dein Gang.

 

Dein Gang, der sich selber das Ziel ist. Mein Ort

Zu dem jeder Weg führt und keiner mehr fort.