Max Kommerell: Das letzte Lied


Die sonderbare Heilige

 

Euch Gerechte laß ich ziehn

Übers Joch den sichren Pfad.

Nur euch überschöne Böse

Singe ich ins Haus und löse

Die Sandalen euch zum Bad

In Meiran und Rosmarin.

Wälderhaftes heidnisch Weises

Flüstre ich dem eine Nacht

Mir Gewidmeten. Verweises

Zuruf stockt ihm. Denn was glaubt er

Für ein Wesen in bestaubter

Bläulicher Hirtinnentracht!

 

Mit dem Monde läuft die Frist

Meiner Nähe. Wen ich maß

Mit dem ewig letzten Blicke,

Geht, ob er im Tal ersticke

Seine Schwermut. Ich besaß

Jeden. Keiner mich. Dies wißt.

Aber welch ein Morgen! Schnellend

Trägt der Boden euch. Ihr spürt

Kühle Ströme in euch quellend

Riesenhafter Ungebärde

So als hättet ihr der Erde

Feuchte Hüfte angerührt.

 

Was euch wurde, saget an,

Wenn euch eine mit dem Glanz

Mahnen wird an mich der Schulter!

Ein von solcher Mär gelullter

Sproß empfängt es, daß als Mann

Jede Tat er tut im Tanz.

Glaubt in jener mich zu freien,

Um von Jungfrau oder Stier

Mit gestirnter Kraft zu feien

Alle, die ins Leben küßte

Unermeßliches Gelüste

Eurer einen Nacht mit mir!