Das Lied des Zentauren
Übrig sein ist solche Scham
Daß der tiefste Wald der Erde
Mich in sein Geheimnis nahm.
In nachdenklicher Gebärde
Der verwichnen Meinesgleichen
Tröst’ ich mich, zu also tiefen
Frühlingen zurückzureichen
Daß die Zeiten mir entliefen
Und sogar die Sagen mich verlernen.
Denn ich lebe unter falschen Sternen.
Mit dem Auge mild und weit
Blick’ ich wie ein Geist hernieder
Auf die erdbraun, auf die breit
Ruhende Gewalt der Glieder.
Der ich mich mit Urgesängen
Und mit Waldgerüchen salbe
Zu gewitterlichen Gängen:
Ich bin ganz und ihr seid Halbe,
Da ich von den Ahnen: Sturm und Stute
Stern- und Erdkraft einige im Blute.
Ach wie waren wir zu zwein
Mit manch feinem Heldenkinde!
Lehrten es die Arzenein
Aus den Kräutern ziehn und linde
Meere Wohllauts wachzuspielen,
Meere in schildkrötner Schale...
Ach wie waren wir zu vielen
Als der Halbgott kam zum Mahle:
Scharenweis aus Höhlen vorgebrochen
Weil wir Weinduft durch die Wildnis rochen!
Unsrer riesenhaften Wut
War Erfüllung zugeschworen.
Aus Geklüft und Laub und Flut
Wurde jählings uns geboren
Ein mit dumpfem Ruf gepacktes
Rehgleich zitterndes, im sausend
Reinen Strom der Lüfte Nacktes..
Wurde Eines uns zu tausend!
Jetzt ist alle Heirat mir verboten
Und mein Huf pocht ans Gewölb der Toten.
Statt lebendiger Leiber schickt
Sie gedämpfte Klagelaute.
Ich erschrecke. Es erschrickt
Drunten, drinnen die Vertraute
Meiner einsam späten Weihe.
Lebst du, liebst du? «Nicht mehr lange»
Bin ich reif, daß ich dich freie?
«Ja, mit deinem Untergange»
Bleibst du bei mir, wenn ich untergehe?
«Tot beim Toten in geheimer Ehe.»
Wem dies Fühlen ich beschriebe
Den verdrösse Wein und Brod.
Denn das Leben will die Liebe
Und die Liebe will den Tod.
Liebe kennt allein den alten
Einklang. Schmerz ist, ihn zu kennen.
Liebe blutet aus den Spalten
Die das All in Dinge trennen.
Eine Wahl nur haben, die ihr dienen:
Sterben sie nicht, stirbt der Gott in ihnen.
Letzter sein ist eine Scham
Und ein Übermaß an Wehe.
Eil’ ich denn hinunter, ehe
Bei den Menschen man vernahm,
Seltsam wie ein Vorwelt-Schatte
Hause noch ein Ding in Forsten!..
Wo ich sonst das Lager hatte
Warst du, Erde, heut geborsten,
Legtest eine Schlange mir als Knoten
Um den Fuß. Ich grüße deinen Boten.
Ein ganz Reiner kommt und muß
Noch dem Lied des Abschieds lauschen.
Tödlich wird es ihn berauschen.
Nieder treibt er mit dem Fluß.
Und ein andrer, der zum Bunde
Mit ihm tauschte Blut und Wesen,
Wird von seinem starren Munde
Die verschwiegne Botschaft lesen.
Stirbt ein Mensch, so weinen Menschen — nicht
Einer, wenn das Herz der Erde bricht.