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Max Kommerell: Dichterisches Tagebuch


Die Herrin Lindabridis und der Flötenbläser Malandrin

 

LINDABRIDIS:

Flötenspieler! Sag: Warum

Bin ich oft so laut mit Vielen

Aber gleich bei deinem Spielen

Mit mir selbst so tief allein,

Ja als wäre ich zu Zwein,

Mit mir selbst so selig stumm?

 

MALANDRIN:

Zwar ist meine Flöte klein

Doch von mächtigen Gewalten.

Wie die Luft nicht wehren kann,

Daß der Südwind in ihr wühlt,

Werden, kaum daß ich begann,

Aus dir selber schon die alten

Rätsel tief heraufgespült,

Und der von sich selbst vergessne

Abgrund deiner Seele fühlt

Sich hinab ins Unermessne,

Bis ein schöneres Gesicht

Dir wie eine Abendröte

Aus gewohnten Zügen bricht;

Und dir winkt sein Widerschein

Aus den Tönen meiner Flöte

Wie aus einem Becher Wein.

 

LINDABRIDIS:

Aber wie, wenn ich dich töte,

Weil du zuviel von mir weißt?

 

MALANDRIN:

In dir sänge fort die Flöte!

Statt mit einverstandnem Spiel,

Dem du horchest, deinen Geist

Flügelhaft aus sich zu lösen,

Wirkt sie dann in dir zum Bösen.

Denn dies ist der Flöte List,

Daß sie in der Seele viel

Heimlicher zu Hause ist

Als du selbst. Dir wird als tränkest

Du die Düfte von Salbei

Ein und welken Margeriten,

Ja — und deine Hände glitten

Durch die Luft noch so wie zwei

Irre Vögel — und du sänkest

Hin mit einem leisen Schrei...