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Max Kommerell: Dichterisches Tagebuch


Der Allzubereite

Elegie

 

Wenn von den Spielen

Welche die Erde den Menschen erregt,

Daß in den Stier den Gott ruft ein Tanz,

Frauen auf nacktem

Berghorn nach fröstelndem Wachsein entgegen sich jauchzen das Urwort,

Hand in Hand im Tempel ein Held verwächst und ein Knabe,

Ernsthaft ein Kind das unschuldige Feuer der Erde umherträgt,

Bis ihr Gedanke, ein Adler, herabblickt vom Felsen des Todes...

Wenn von den Spielen,

Welche die Erde den Menschen erregt,

Stumm ward das eine und andre und wenn

Selbergesprochenes

Selber zu hören

Müd sie wurde im eigenen Laub,

Weil aus sich nur, soviel er beginnt,

Alles der Mensch hat:

Dann entsendet sie dessen was schwand, einen Schatten herauf in

Häupter, denen Gesicht und Gehör und aufstehendes Haar

Nur für das Kommen und Gehen des Unnennbaren Geleit ist,

Daß ihre Seele den Finger legt an den Buchstab der Landschaft...

Häupter die einsam,

Häupter die schwerer von solchem Geschenk

Sind als vom Safte des Mohnes und die

Nur noch den Feldstein,

Aber kein menschlich

Lager zur Ruh mehr erbitten — damit

Einst mit entlaubtem Wintergezweig

Nieder sich bückend

Wie auf ein Heiliges, zeuge der Birnbaum, wohin sich am Abend

Legen gewollt hat der Eigengesinnte — auch solchen, die nicht

Wissen wofür, ein Merkmal, soweit man die Linie des Ackers

Sieht. In Verkehr, den der Gipfel nicht weiß, belauscht seine Wurzel

Das von der Erde

Dir, von dir der Erde zurück

Jetzt geflüsterte: dein und ihr

Liebesgeheimnis.

 

«Ihr o in jeder

Trauer der Seele Geübte, was wißt

Ihr von der dunkleren Trauer des Bluts»

Schienst du zu sagen,

Da du Herdflamme uns warst, allgeschmeidige, jedem weissagend

Sein in Sehnen Gelebtes: «ist der des Geliebten nicht Mörder

Der von ihm nur zu wissen begehrt, daß er schön ist? Saß etwa

Ich, ihr Schaalen! am Quellrand, den eigenen Liebreiz erschmachtend?»

So war dein Abend,

Abend des Tags, dem der Eifer um dich

Klang gab, wohl süß, doch viel falscher als süß...

Ach daß die blaue

Nacht durch das Fenster

Sich, mit Ambra getränkt und Musik,

Dir um den Leib schlug — wie anders erriet

Die deine Seele!

Schlafen glaubtest du mich. Doch hörte ich wohl, wie du schluchztest

Waffenlos vor Gerüchten der Luft. «Jetzt formt aus den Nacken

Singender Fischer, die einziehn ihr Netz, der Mond irgendwo

Meiner Seele Gedicht in Bronze, am Indus vielleicht...

Grüßt mich aus Serbien,

Wo in Schlüften des Aufruhrs manch

Paar sich verbrüdert von Schwörenden, die

Einsaitengeige

Dessen der selber

Tat was er singt.» Du kennest dies wohl.

Denn wo die Schönheit Knabe ward,

Lebt auch die Sage.

Darf deinen Namen ich rufen? O Name, Griff des Besitzes

Auf Unbesitzbares! Rafften wir nicht dein Schwanengewand

Weg in die Truhe? Was heißt es uns andern denn, nachtlang zu liegen,

Unversehrbar durch saugende Fernen? Indessen von tausend

Küssen der Nacht, den

Dir gewordenen, einer genügt,

Um für immer dein goldenes Haupt

Ihr zu verloben!

 

Redetest du mit

Einem, dem keine der Sprachen vom

Pfeifen des Birkhahns zum Unkengeläut

Abging — stets huschte

Dem vor der Antwort ein Zögern durchs Aug, wie es mich überraschte,

Jüngst, als aus hüfthohem Gras mit dem Ausdruck unfehlbaren Wissens

Mich anäugte ein Reh. Vorbei sind die Märchen. Schon floh es —

Tot sind, auch deine ist tot, die Verständigungen des Weltalls.

Damals erriet ich: gejagt warst

Du — von welchem Gedanken gejagt!

Denn viel weiser als Weisheit scheint

Heut es, zu rasen.

«Bettler um Blut» ist

Dies das Schicksal der Könige jetzt,

Die, was die Dienenden dumpf-

Lebend ersehnten,

Heiter auf Thronen und funkelnden Böden jahrtausendelang

Spielten mit weithin nickenden Häuptern, daß froh seines Anteils

Ward der Pflügende und der Befahrer des Meers, weil ihr Fest,

Weil ihres Daseins geheime Ergänzung war und geschah

O Weltalter des Abschieds!

Wo nicht einer sein Tagwerk liebt,

Weil die Geberden ihm lügen und wahr

Nur noch er selbst ist:

Daß wenn des Morgens

Er von der Schwelle den Schnee fegt, ein Hirt

Finde statt Bettlers dich Königsgeschöpf,

Formend die Hand zu

Bittender Schale: «gib Blut mir. Erlesen und an Wiederholung

Ältester Feste bin reich ich, doch reich nicht vorm Braun deiner Schultern

Schlafend nur halb aus der Rinde der Erde geschälter Geschlechter.

Nimm die Pracht meiner Seele. Und heißest den andern ein Knecht du,

Mir heiße Mischkrug

Singender Kräfte, welchem anheim-

Fällt der Vollendungen müdes Zuviel.

Trinke zurück mich!»

 

Jeglicher Liebe

Sagt am Himmel ein Zeichen wahr.

«Welches denn mir?» So fragtest du und

Wußtest: dir keines!

Nicht unwirscher als einer die Hand legt beschwichtigend

Auf aussummende Saiten, damit sie verstummen und nichts mehr

Menschlich den Wäldern ins Wort fällt, tatest an dir du ein Gleiches:

Freilich mich treffend, o Nachtflutgetränkter am Brunnengrund,

Mit der zwei Eimer

Unwiderruflichem Wechselbezug,

Da des Tags, da zur Welt ich kam,

Du dich hinwegnahmst:

Daß gleich dem Träger,

Der an Geister verschuldet, wohin

Immer er schritt, auf dem Rücken die Last

Trug eines Toten,

Denken ich muß bei der Jährung Gedanken, die damals dich dachten

Vor der Stunde der Tat, wo kein Sein an dein Sein mehr heranreicht,

Jedes Du dir sterben erst mußte eh selbst du vergingest,

Als dein nicht mehr menschlicher, vielmehr zentaurischer Geist,

Dem schon die Hüfte

Netzte das Chaos, die Landschaft noch

Ansah, wo gleich zwein Schlafenden einst,

Deren ein jedes

Mit seinem Hauche das andre erweckt,

Uns ein Leben vor Jahr und Jahr

Anhub der Liebe.

Hätte ich Stimme (kein Linoslied klang dir entfesselter Frauen,

Aber heidnisch mit dir mich vereinender Weihen ein Beispiel

Schien mir die Hand deiner sterblichen Mutter, die Erde dir nachwarf

Wie der Gruß der Natur an dich!) Ja, hätte ich Stimme,

Dann, wie dem Ruf des

Löwen die Wüste gehört und die Nacht,

Müßte die Zeit gehören dem dich

Rufenden Wehruf.