nach_oben

Max Kommerell: Dichterisches Tagebuch


Ein vom Blitz getroffener Jüngling erzählt Gott von der Erde

 

Was von der Welt geträumt ich hab,

Nicht Abdruck blieb in mir von dem noch Merkmal.

Doch wo ich selber ward ein Traum der Welt,

Davon, Vater, verblieb

Musik und Fabel der Seele

Mir frisch, wie die Dinge um dich...

Pfeilschnell und quellkühl

Durchschoß ein Wasser blaues Grottengrün.

Von allem, was ich weiß, ist dies das erste.

Die Seele noch groß von der Weihe,

Die Fels und Fels um heilige Ader schart,

Ein rücklings Ruhender, trieb ich stromabwärts zur Ebne.

Das Obre besonnte mich mächtig und mütterlich,

Kühl küssend umquoll mich

Das Untre, und beides ward in mir ein Herz,

Indeß mein Leib mir getönt schien

Flutgrün nach Meerwesenart.

Von Gras und Wolke und Baum,

Der Sterne zu Häupten rundwölbiger Fahrt,

Nahm in sich die Bilder,

Einfältig wie Wasser, mein offen Gemüt.

 

Und da um Schenkel mir und Haupt

Sich Schlingkraut legte und zerging, und surrend

Dicht überm Wasser Nadeln von Smaragd

Hastvoll strickten ein Netz

Von Wollust, so schien ich geschaffen

Zur Orgel des Stroms und erscholl

Wortlos und begrifflos.

Wo aber krumm hinsausend sich der Fluß

Fraß in die Prallwand, und der Leib der Erde,

Der sonst verborgene, nackt war,

Betraten die Kuppe, mich Schwimmer, mich Rufer zu schaun,

Zwölf Knaben und rissen vom Haupt sich das Bunte der Wiesen

Und winkten und warfens, als wäre der Stromgott ich,

Herab mir und hielten

Wie Statuen Kupfers gegen das Blau

Und flogen, wer erst mich empfinge,

Hangabwärts: Willkommen Gespiel!

Und schwangen mich um, daß ich Tau

Im Wirbel verstob, und waren hinweg

Und waren zurück schon

Windraschen, Wild haschenden Laufes und Sprungs

 

Mit Rebhuhn, mit Eichhorn, mit Hermelin..

Dem füllte ein Reh, noch nicht jährig,

Und jenem Fasanengefieder den Schooß,

Der fischte aus Gräsern die Schlange

Und der aus der Flut die Forelle und griff

Und ließ sie, die blitzend entschnellt war,

Und jeder verhielt,

Und jauchzte vor Lust,

Ein Huschendes zwischen den Gliedern..

Und Leben all all

Trat über den Rand..

Und nackt auf unbändigen Fohlen

Davongestoben sie all..

Urplötzlich.

 

Nur einen sah ich noch, der vorher lang

Der Spiegelung sich freuend

Sein Haar ließ hängen nach des Baches Mündung,

Nun von der Kuppe her

Mir nicht mißgönnte eines Abschieds langsam

Sich lösend scheuen Blick.

Noch einmal lauschte ich mich satt am Dreiklang,

Von dem die Mitte war

Das Braun des Bodens, lichter wiederholt

Im Braun des jungen Leibs,

Der scharf die Formen in den Himmel schnitt

Tiefreinen Blaus: Urfarben

Der Erde, die du Vater dichtetest.

 

...ich jählings gepackt. Ein nachtlanger Ritt,

Schwarzmähnenumflogen, umflüstert

Von grauser Ansage. Dann vor mir ein Berg

Gleich einem aufrecht ins Erdreich

Bis über die Nabe gerammelten Rad.

Ein Anstieg durch bleiche Robinien.

«Der Meister des Monds,

Hier befragt er dich, wirft,

So du Antwort nicht weißt, auf den Knauf des

Altars dich und holt

Dir noch zuckend das Herz

Aus dem Leib mit der zinnernen Schürfe.»

Und einsam stand ich, vor Furcht

Festwurzelnd.

 

Schritte wie wenn eine Flut ansteigt.

Schon wuchs aus dem Boden ein Haupt: Das Verhängnis des Wegs

Darein er biegt: Gebuckeltes Schnitzwerk, den ewigen Prägern

Nur nahbar, dem Meißel des Sturms und faltendem Prall aus den Essen der Welt.

Die Hand auf dem Rücken verschränkt

Aufwuchs die Gestalt, und wie Tropfenfall in der Grotte

Kam Stimme aus ihm: «Wer warst du?».. Der

Halbe! versetzte ich. «Wer

Bist du?» Dein Raub!

«Worein wandelst du dich?».. Ich verzog,

Dann schrie ich und riß vom Leib mir den Mantel: in dich!

Sein Haupt ward funkelnd vor Macht. Er winkte. Herab stieß ein Adler

Aus Kreisen hoch über ihm und hieb nach mir mit dem Schnabel, und er..

Mich rüttelte riesige Lust..

Hielt unter die Schale und schlürfte, der Übergeheure!

Und wie ich die steinernen Kiefer leismurmelnd bewegen ihn sah,

Ahmte ich nach

 

Maaß, Klang und Laut, und wir sprachen zu zweit:

Es werfen die Wasser sich silbern in grundlose Nacht.

Wo Leben zum Abschied sich rüstet, nur wagt es die echte Geberde.

Den hilflos Verwandelten hauche, wie jetzt er sich formt, mit Verewigung an,

Schreck in der Klaue des Geists!..

Ich fühlte, sein Schatte trat in mich über, und schweigsam

Die Nacht am schweigsamen Busen ihm lag ich, worauf er mich stieß

In sein Gefolg.

 

*

 

Verschränkter Eiben Wall verbot

Uns einen Felstisch, der den Steilhang krönte.

Und er, deß Nachblick von der Kuppe her

Wie Lied noch und Heimweh mir war,

Der lenkte mich hin mit den Armen,

Die Rast meines Hauptes ich hieß.

Laubkronen sahn wir

In ihr Geheimnis: schlanker Reiher Horst,

Wo durch der Linden Wölbdach Lebensbäume

Schwarzleuchtend stachen. Darunter

Entschlief ein veilchenes Meer, und wo es sich müdwogt’

Stieg an ein Riesengebirge, gelassen gürtend

Dies Atemlose zwischen Schimmer und Nacht.

Es waren die Schweifen

In denen es stufig den Hochsitz erschwang

Vollkommene Bahnen der Sehnsucht.

Was aber im Busen ihm

Erdämmerte, blieb geheim,

Nur trat auf der höchsten Häupter Stirn

Und sprach von des Abgrunds

Begeisterungen ein hohes Rot.

 

Da er die Dinge so begriff

In dem Verein von Lauschen und Erklingen,

Schön wie die Pause eines Saitenspiels,

Rang er die Hände und rief:

«Warum muß allein von den Brüdern

Hier schluchzen, hier schluchzen ich?»

Nicht hier zu schluchzen

Ist ärmste Armut! sagte ich und schrak

Und fühlte, daß den Kreis der Sondrung ziehe

Dies Wort, und daß es für Zweie

Ein Schicksal sei, wenn einer statt weiterzusprechen

Dem andern durchs Haar streicht und so dem Stummen Gewalt gibt.

Da brach ein Bann und wir wanderten, wanderten weit,

Verehrt von den Hirten,

Die Flügel ihm sagten ums schwanke Haupt,

Und über der Fichten letzte,

Der Wolken hingen im Haar

Wie Weissagungen, hinauf,

Bis uns die Sterne so übernah

Anblinkten, als einer

Im Wandern fühlte des andern Arm.

 

Er kor zur entrückten Behausung des Paars

Geheimnishütender Höhle

Vielklüftigen Windegang, lehrte zum Brauch,

Das Herz erbeuteten Wildes

Gemeinsam zu essen als heiliges Mahl,

Mich rasende Opfergesänge:

«Iß mit mir dies Herz

Und es brechen aus ihm

Zwei Schauer und schlagen das Blut uns.

Einst zehrt unser Herz

Ein Geier und schreit:

Dann sind wir der Schrei eines Geiers».

Gemiedenheit legten um uns

Urweihen.

 

Die aber drunten wohnten nannten ihn

Den Schutzherrn der Gazelle

Und Kräuter die sie wundem Tier auflegten

Benannten sie nach ihm.

Und wer im Traum ihn sah, galt für gefeit

Den Tag darnach. War aber

Jemand und fing in Gruben den Berglöwen,

Der wagte sich herauf

Und legte still das Haupt in seinen Schooß.

Drei denen er gelächelt

Behielten auf der rauhen Brust verwahrt

Im Bernstein-Halsgehenk

Von ihm für immer einer Strähne Gold.

 

Wenn heim wir abends vom Schweifen gekehrt

Uns selber die Beute der Beuten

Auf Steinen saßen vorm Höhlentor

Und ringsum drunten die Feuer

Aufglommen, drang zu uns mit brandigem Dunst

Manch Lied, das auf ihn sie sich sangen:

«Er ist unser Herr.

Er ist nicht wie wir.

Ein Vogel flog einmal zu nisten

Ihm her auf die Hand.»

Da lächelten wir.

Ich sah auf das Licht dieser Hände

Und all mein Wesen um ihn

War Demut.

 

«Weißt du was Opfer ist?» sprach er einmal.

«Wir schlachteten Tiere. Heut aber nahte von selbst,

So angetan mit Bereitschaft, daß wären ihm Hände, so weiß ich,

Er hätte sich selbst des Kranzes Weihe gerichtet, ein weißer Hirsch.

Nur mir, den er antrat, damit ich

Das Letzte ihm tue, war ihn zu berühren erlaubt.

Und als ich ihn schlug und von ihm das Vorgeschriebne genoß,

Siehe: verstand

 

Ich das fallende Wasser, das diest [?]

Im hintersten Bauch der Höhle, die Hausung uns ist.

Es sagte: von Paaren die tun wie wir taten muß einer hinab meist.

Nur dieses verriet sich mir Wachem. Als Schläfer aber, so ist es gesetzt,

Verstehen werd ich das Weitre.

Mich geb ich heiligem Schlaf dort, und wenn ich, so fügt’ er

Hinzu und lächelte seltsam, zu lange dir weile, so sich

Ob du mich weckst».

 

Als ich hinging, fand liegen ich ihn

Wie einen der es gewollt hat und von uns entfernt

Unmeßbar um deren Wissen, die unter Erde wir legen,

Zu Füßen dem fallenden Wasser, im Ausdruck des Lauschenden, blaß und verklärt.

Und als ich begriff und die Hand ihm,

Die schlaffe, geküßt noch hatte, war ganz unverrückbar

Dies zwischen uns befestigt für ein und abermal: er

König ich Knecht.

 

*

 

Umsungen vom Befehl des Winds

«Vergiß und leb! Verbots und Eides lächle!»

Schritt ich hinab die Staffel des Gebirgs

Bis eine Tenne, die weit

Ins Flachland reichte, mich hinschob

Durch mannshoh samtsterniger, durch

Den Engpaß von Blumen

Zu einer unter Lilien im Schlaf

Hintastenden Jungfrauenhand. Betäubt noch

Hob ein Haupt sich und sang mir:

«Mir hat geträumt, in seine Fläume begrüb mich

Der Vogel des Himmels und trüge indeß sie sich röten

Süß-schwankend in niedrigem Flug mich über das Tal.

Bist dus der mir träumte?

Gewaltsamer Dinge scheinst du ein End..

Nun lausche mit mir auf das Weltlied.

Laß trinken das süßeste uns,

Das Feuer des Abends. Wir sind

Wie Himmel und Erde und dichten die Nacht».

Was ist dies: das Weltlied?

So fragte ich zaghaft vor Glück.

 

«Wenn farblos etwa zwischen Nacht

Und Tag der Himmel über schwarzer Scholle

Gespannt ist und ein Geist, der leise murrt,

Streicht durch ihr Laub und mein Haar,

Scheint es daß die Erde in leiser

Beklemmung um Laute ringt.

Und wenn sie zu finden

Mir gönnt die Stunde, löst sich wie in Dank

Ihr Atem wieder». Eine neue Ehrfurcht

Lernend fragt ich: wer bist du?

Da summte sie halb nur vernehmbar: «Ich heiße Jasmin,

Ich heiße Schlaf, ich heiße Echo der Erde».

Und da wir küssend durchschritten den Garten nach vorn

Bis wo gleich den Spitzen

Von Flammen ragten vorm Ebenen-Dunst

Die Blumen, die Worte sie nannte

Die einst in die Erde sie sang:

Da wurde uns wunderbar leicht

Als schiffte anlegend beim äußersten Kelch

Die goldene Gondel

Des Abends ein uns erstaunende zwei.

 

Und Sternlicht rann durch den Tulpenbaum.

Vom über mir lispelnden Haupte

Rann träumerisch Kunde, wo ich, bevor

Gedenken ichs kann, ich gewesen.

Da fragt ich: wie lang ist zu weilen bei dir

Mir Schicksal? Da sann sie und sang sie:

«Sagt jemand: ein Nu

Sagt jemand: ein Jahr

Ist es eines und lächeln die Götter.

Sagt jemand: o Leben

Sagt jemand: nein Tod

Ist es eines und lächeln die Götter.

Nur ein Wort hören sie ernst:

Verwandlung.

 

Du aber sollst (und Wolken warfen als

Sie redete sehnsüchtig

Ein schwankes Netz nach Deneb aus und Wega,

Die blaßten über uns)

Du aber sollst erfinden die Geberde

Zu meinem Liede, daß

In ihr die Menschen trunken sind von Schicksal

Und Erde trunken ist

Von Kraft der Toten welche in sie rann

Von urlängst her, daß horchend

Sie all die hohen Bilder wieder weiß

Und eingibt einem Mann

Daß er das Spiel der Trauer mit ihr spielt» .

 

Wir schwiegen wir sahn wir geschahen. Da warf

Der Blitz um unser Verlöbnis

Ein Lasso von Licht. Erschrocken und froh:

Gib mir (so rief ich) zum Opfer

Der steigenden Sonne, Entzückende, gib

Die morgengeflammte Granatfrucht!..

Sie seltsam versteckt

Anlächelte mich

«O Kind du verwechselst die Zeichen»

Und gab wie ich bat

Und wandte sich weg

Das End jenes Lieds auf der Lippe:

«Nur ein Wort hören sie ernst:

Verwandlung».

 

Weissagend schwamm die Erde in Rot

Sich scheuchender Blitze oder der Sonne die ernst

Die Wolken tränkte mit blutigem Licht. Und lila durchschrägte

Ein Schatte die Blumengelände. Ergeben zuckend nach Osten bog

Sich alles Laubwerk der Höh,

Indeß überhöhlt von Clematis das Loblied der Jungfrau

Ausklingend am Himmel schluchzende Glocken zu läuten mir schien.

 

Plötzlich bewegt

Alles Gezweig in melodischer Angst

Mein Baum und Düfte weint er, weil das Brausen mich schilt:

«Was lebst du in solcher Unrast der Welt und bist nicht verwandelt?»

Und Aderwerk, ein riesig von eilenden Feuern durchjagtes, glomm auf

Und zwischen zwei Flügeln die krumm

Auffalteten nach dem Zenith ihre schwarzblauen Spitzen,

Regierte ein zornrotes Haupt und hackte, als säh ich zuviel,

Dreimal nach mir.

 

Mit einmal war in mir versammelt der Ton

Vom Gang aller Ströme, Waldes und Meeres Choral

Und Brunstruf von Wild und von Vögeln und Dumpflaut geopferter Stiere

Und Meerbodendonner und Schrei der Mänade und Heimweh des Seefahrerlieds

Und Geigen durch südliche Nacht.

Und wie zum Rufe letzter Inbrunst ich auftat

Den Mund, verschlang ich bläulich rinnendes

Feuer... und dann

War ich bei dir!