Die Legende von den vier Teilen des Tages
In uralten Zeiten war ein Dorf,
Hieß das Dorf der klugen Weberinnen.
In uralter Zeit war eine Stadt,
Hieß die Stadt der feinen Herrenkinder.
Zwischen jener Stadt und diesem Dorfe
Legte sich ein Vorgebirg als Stufe
An die Säule, die den Himmel trägt,
Und erlaubte einem Pfad, in fünf
Kehren Ort dem Orte zu benachbarn,
Die das Bergjoch schied. Beglücktes Dorf,
Dem von Widders Frist zur Frist der Waage
Solches Bild und solches Wort den Taglauf
Maß, als gingen die Gestirne selber
Menschgestaltet übers Joch gen Westen,
Und als gössen aus Gefäßen Kupfers
Sie ein funkelnd Licht, ein schallend Wasser.
Wenn der Ostberg zwischen seine Hörner
Eine junge Sonne nimmt und betend
Riesen stehen gegen ein Kristallmeer,
Dann trittst du, o jugendlicher Hirte,
Mächtig atmend auf die freie Alpe,
Die das Braun verwelkter Farne färbt
Mit der Farbe deines Lendenschurzes.
Derbgebuckelt ist die Stirn, das Haupthaar
Legt sich über sie in scharfer Krümmung,
Schaumleicht, mattes Gold. Der ungefüge
Mund ist mit dem Rand vertraut von Brunnen,
Aber noch mit keinem Menschenmund.
Vor ihm liegt der heilige See, der Licht hat
In sich selber. Er umschreitet ihn,
Während sich die Formen seiner Rinder
Violettgerändert gegen Helles
Ineinanderschieben und die erste
Sonne seinem Nacken kost, der gestern
Ein verletztes Kalb zur Hürde trug.
Und desselben Steins, in dessen Becken
Sich dies glänzend Edle fassen läßt,
Gehen Platten mit dem Wasserfaden
Bis zum Ursprung. Ihn, in tuffner Grotte,
Schirmt ein Bild, vor dem der Hirt sich segnet:
Eine Göttin wiegt sich auf gehorsam
Hingeknietem Büffel. Mit dem Ballen
Der gespreizten Füße wächst sie fest
Auf der Stirn des Tiers und auf der Lende.
Brüste sprengen quellenstark den Panzer.
Ihre Rechte faßt den Schwanz des Büffels,
Eines kindgestalten Dämons Haare
Faßt die Linke. Zwischen Huf und Huf
Sproßt ein Lotus, der ihr das Gesicht gibt
Einer Kämpfenden zugleich und einer
Rückgelehnten, schwer von Duft Betäubten.
Er verehrt dies, doch begreift es nicht.
Farne sprossen drum, der Glocken-Enzian
Hängt herab, und eine fromme Spinne
Wirkt ihr schwankendes Geweb davor.
Hohl von unvordenklich hier Geknieten
Ist der Stein, auf den auch er jetzt hinkniet.
Aber Silberblatt und Judenkirsche
Stehn vorm Terra-cotta-bild als Widmung
Der Lebendigen. Er taucht die Hand ein,
Netzt die Stirn, und neigt sich tief und ernsthaft.
So bereitet steigt er in den See,
Bis er über ihm sich schließt, und funkelnd,
Gleich gewölbtem Erz, ein stiller Ruhm,
Brust ihm träuft und Schulter. Ist das Nasse
Und das Licht auf seinem Leib beisammen,
So erbebt der See von der Berührung
Ersten Strahls. Der Kuhhirt blickt erfrischt
Nach der Borte fetten Grüns, der schmalen,
Die, gerühmter Kräuter voll, hinaufzieht
Bis zum Sattel. Rechts der nackte Fels.
Dorthin wird er seine Herde treiben.
Und auf seinen Mund tritt ein Gesang,
Den der Hirt hier oben lehrt den Hirten.
«Weg, o wunderbarer Weg des Wassers!
Wenn der Stein im harten Schlafe spricht,
Steigst du auf und quillst, und aus der Hohlhand
Schöpft ein Mensch dich, und sein Sinn wird lauter.
Weg, o wunderbarer Weg des Lichts!
Das vom westlichen zum Rot des Ostens
Du zurückfährst im geheimnisvollen
Meer, und ihm entsteigst wie ich dem Teiche.
Weg, o wunderbarer Weg der Seele!
Die fortgeht des Nachts und wo im Fernen
Ein Geschick hat, und ich lieg’ und liege,
Bis in meinen Leib sie wieder eingeht!»
So sein Lied. Manch einer hört’s im Dorfe.
Er jauchzt auf und treibt die Herde an,
Und der Morgen flutet durch die Täler.
Wenn die Sonne hoch am Himmel zögert
Und der Hirt das Haupt im Arme birgt,
Steigt die Weberin hochaufgerichtet
In gelassnem Gange nach dem See.
Von der Trage aus geflochtnem Bast,
Deren Druck ein Arm, ein stützend-nackter,
Und ein Ballen Tuchs dem Haupte sanft macht,
Hängen Säume von Gewobenem,
Ohr und Wange streifend. Ihre Traglast
Setzt sie nieder, löst sich die Sandalen;
Bläulich scheint der Knöchel durch das Wasser.
Auseinanderfaltend die Gewebe
Sagt sie Namen vor sich hin und denkt
Der Gespielinnen, die sie gelehrt hat:
Schnüre hoch nach tief gar straff zu spannen,
Die, obschon verdeckt, des Ganzen Halt sind,
Schiffchen schnell zu schleudern, daß am Faden
Lenksam es den Weg der Durchfahrt tanzt,
Einschlag mit dem Kamm heranzuraffen,
Rechtes Tretholz mit dem Fuß zu regen,
Innen des Gewebes Urbild denkend:
Damit Hand und Fuß an solcher Orgel
Dröhnen läßt in dunkelsatten Farben
Die Legende, die sie vorsprach, wenn sie
Auf und ab die Webgestühle schritt.
So wie jetzt es in der Sonne glitzert,
Wird es bald, gebreitet auf die Glieder
Einer jungen Frau, die in der Stadt
Schläft, in deren unbedachtem Schlaf sein,
Wird es im Gemach, wo Kinder spielen,
Von der Wand auf Spielende sich senken,
Jenes im Geweb verfangne Fremde:
Eine Mär war so. Ein Landmann hatte
Eine Himmelsfrau zu seinem Weib.
Kam zum Hof ein Stier mit goldnen Hörnern.
Jene warnte. Doch der Landmann warf
Über Hals und Horn ein Seil ihm, spannte
Ihn vorn Pflug und ackerte sein Feld.
Es war Nacht. Sie ruhte bei dem Landmann
In der Kammer. Aber vor dem Fenster
Stand der Stier und warf mit goldnen Hörnern
Schwarze Erde auf und hauchte Feuer,
Daß die Kammer purpurn widerschien.
Sie war wach. Er schlief. Sie glitt vom Lager
Schwang sich auf den Stier und lachte schrill.
Er fuhr auf. Ihn traf ein Blick des Stierhaupts.
Staunend sah er drein. Der aber trug sie
Fort. Sie hielt sich fest bei seinen Hörnern.
Des Gewebes andre Mär war diese:
«Leben» heißt ein Gott aus Stein und steht am
End der Erde. An dem andern Ende
Steht ein Gott aus Stein und heißt «der Tod».
Flamme, die vor beiden brennt, ernährt sie.
Einem guten Könige zu lieb
War Tod ungehorsam. Niemand starb mehr.
Niemand liebte niemand. Alles rang
Nach dem Tod die Hände. Ward der König
Irr, und ward zur Strafe Bruder Tod
Ohne Flamme. Seine Seele dorrte
Ab im Stein. Vom Brüllen seines Hungers
Dröhnte nachts die atemlose Luft.
Fügsam ward er da. Es starb der König
Dies weissagend: «Tod bringt Liebe wieder».
Bruder Leben, ihn erbarmt des Todes,
Sandte er zwei Kinder mit der Flamme
Durch die Öde, die der Erde Enden
Trennte: einen Knaben und ein Mädchen.
Jedes hob die innere Hand: so trugen
Einen Teller sie aus Ton, zu zwein,
Singend. Darauf stand die Flamme. Still
Stand sie wie ein grünes Schwert im Abend.
Nachts verscheuchte sie Getier. Doch welches
Schlief von beiden, dem blies in den Nacken
Eine schwarze Schwinge schlimmen Zuspruch,
Daß es in die Flamme griff dem Wachen
Und sie löschen wollt’. Und welches wach war,
Barg sie dann im Bausch des Kleides. Außen
Losch sie, aber brannte fort im Busen,
Daß es langsam lächelte vor Schmerz.
Und sie gingen, gingen. Endlich waren
Sie beim Tod. «Da, Tod, hast du die Flamme.
Laß uns wieder heim an unsre Spiele.»
Lachte Tod und sprach: «Ihr seid gegangen
Einen Weg, der tausend Jahre braucht.
Seht euch an, wie seid ihr groß geworden.»
Und sie sahn sich an und wußten viel,
Sanken hin an diesem Blick zu Asche.
Damals sangen sich die steinernen
Brüder zu ein wunderbares Lied und
Damals trat der Geist des guten Königs
An den Himmel als der Stern der Liebe.
Doch die dritte der Geschichten war:
Über ein tiefblaues Meer vor alters
Schwamm ein Haupt und sang. Und graue Fischer
Zogen es im Netz an eine Insel.
Mädchen setzten es auf eine Säule.
Aber die es ansahn, wurden irr,
Sie zerstreuten sich und alle schlugen
An den Boden wild mit ihren Häuptern.
Eine nur, die blieb. Gerad und leichthin
Über reinem Rasen weißgewandet
Schritt sie jenem Haupte zu. Leis wiegte
Sie den Leib vor ihm, dann zärtlich wilder,
Sang dazu und ward den Tag nicht müd,
Bis in ihre Töne sich die Töne
Mischten jenes Hauptes, so wie dröhnend
Sie meerüberwärts gezogen waren.
Sie sank hin, ein Schlaf befiel die andern.
Morgens fanden sie die Tote, fanden
Die Entblößte, die noch Lächelnde.
Nur ein Mohn, ein großer, dunkel roter,
Hüllte ihren Schoß als Zeichen des
Ihr Genahten. Weißen Segels, lautlos,
Glitt ein Schiff, das auslief in geschnitzte
Vogelköpfe, und in Pausen kamen
Laute, schneidende, so schien’s, von denen,
Und ein Haupt mit grellen Höhlen blickte
Maskenhaft herüber nach der Insel.
Sie begruben ihre Freundin, sangen
Lieder auf den Gott und sie, solange
Bis vom Lied umduftet jene Insel
«Haupt des Gottes» hieß, das übers Meer schwimmt.
Doch wer ist sie selbst? wie kam dies in sie?
Von der Mädchen jedem weiß sie jedes,
Aber keines weiß von ihr. Ihr Leben
Ist geräuschlos wie die Glockenblume.
In sie rann dies alles, aus ihr rann es,
Rann in andre, und ist jetzt gefahrlos
Eingefangen in der Haft der Fäden.
Sie besieht es, sinnt darob und singt:
«Weg, o wunderbarer Weg des Fadens!
Durch die lotrecht aufgespannten Schnüre,
Wie du mußt und wie die Bilder wollen,
Schiffgeschleudert-formenzeugender!
Weg, o wunderbarer Weg der Sage!
Aus verwestem Mund durch mich in junge
Hände, bis als Bild bei uns den Ort hat
Dies: woher man kommt, wohin man gehn wird.
Weg, o wunderbarer Weg des Blutes!
Der das Spiel umsonst gewünschter Wünsche
Neu anhebt im Lachen eines Kindes.
Stirbt ein Mensch, so lacht ein Kind den Tod aus.»
Also singt sie, und man weiß: ’s ist Mittag.
In der Sonne blitzen die Gewebe
Und der hyacinthne Geist der Farbe
Übt Gewalt an ihr und ist so anders,
So bedenklich anders als die Landschaft.
«Bin ich etwa diese Frau im Teppich?
Hat sie mich ersonnen und gewoben?»
Müde neigt ihr Haupt sich nach der Schulter,
Wie um Rettung beugt sie sich aufs Wasser.
Seidig flimmert es, ein andrer Teppich,
Diesem auch ihr Abbild einverwebt —
Weggeschwunden, wie sie sich zurückbeugt.
Schwand sie selbst? Ist sie ein Bild? Besitzend
Rührt der See an ihren Fuß. Sie zieht ihn
Jäh zurück. — Nun geh hinab o Frau!
Niemals sinnst du, niemals dies zu Ende.
Auf dem First des Berges jauchzt der Kuhhirt
Und in seinen Händen blitzt der Diskus,
So als schleudre er die Sonnenscheibe.
Als die Traglast auf ihr Haupt sie nahm,
Hob er aus dem See die Schulter. Niemals
Wird sie ihm — und nie ihr der begegnen,
Der den Pfad anschreitet jetzt — tief unten.
Denn so will es das Gesetz der Fristen.
Noch hinauf zum Hirten blickt sie, nimmt dann
Ballen auf und Last und schreitet fort,
Aber nicht wie vorher. Ihrem Fuße
Strebt die Erde zu im Gegendrucke,
Freier regt die Schulter sie, ihr Arm
Schwingt vom Leibe weiter ab, es endet
Der Gesang des Ganges in halboffnen
Händen wie in einer langgedehnten
Frage. Auf der Linie des Joches
Säumt sie, riesig, wandellos, ein Bildwerk,
Und das Drüben nimmt, das unsichtbare,
Ihre Füße erst, dann Hand und Hüfte,
Dann die Schulter, deren edle Biegung
In den Nacken sich verliert, den Scheitel
Mit der Traglast nun, und nun die ganze
Unvergeßliche Gestalt hinunter.
Wenn die Weberin am Joch hinabschwand,
Tut ein Mann den ersten Schritt bergan.
Wenn er ohne umzusehn der Obhut
Alter Ahorne entwandert — einer
Der nie lächelt und nur weitergeht,
Dann erbräunt das Licht gleich einem Weine.
Wenn er auf das Wasser sich hinabbeugt,
So als ob er selbst der Abend wäre,
Sagt sein Antlitz zu dem See: o Zeit,
Und der See antwortet: o Gedächtnis.
Er ist schmal und klein, sein Gang ist schwingend;
Häute decken ihn hellgrauer Schlangen,
Streif an Streif genäht. Kastanienfarben
Setzt sich Hals dagegen ab und Schulter.
Auf die Brust hängt ihm ein roher Kiesel,
Ein durchlöcherter, an Frauenhaar.
Während er den Riemen vom Genick streift
Mit dem Lederbeutel voll Geräts,
Wie man es aus Zahn und Horn verfertigt,
Würfel, Spangen, Kämme und Trinkhörner,
Gürtelschnallen, Schmuck um Hals und Arm,
Sieht er seiner Hand noch feine Fessel
An. Sie ist, als schliefe sie. Entwich ihr
In die Stirn die Tat, die Tat ins Auge,
Woraus Gier des Lebens nicht, woraus nur
Selbst das Leben blickt? Muß nicht sein Wort drum
Wie das Feuer sein im Mund der Gaukler?
Während sein Gefertigtes beschaulich
Mit den Händen er betastet, denkt er
Knaben in der Stadt, auf glatten Fließen
Liegend- oder kauernde, ganz nackte,
Mittags, wenn im Hof der Brunnen schallt.
Becher machen sie aus ihren schlanken
Händen, um die Saat der Würfelaugen
Immer wieder auszusä’n: denn Würfel
Sind es, die er eben in der Hand hat.
Jetzt ein Trinkhorn wägend, das er reich
Mit Geschnitztem ausgeziert hat, singt er:
«Weg, o wunderbarer Weg des Zahns!
Vom verheerenden Gebiß, woraus dich
Bricht ein Mann, und dich aufreiht am Faden,
An den Busen einer schönen Frau.
Weg, o wunderbarer Weg des Schicksals!
Das aus Augen horngeschnitzter Würfel
Blickend dich bequemst in Knabenhände,
Daß sie würfeln mit dir Sternenhaftem.
Weg, o wunderbarer Weg der Bilder!
Von dem Wisent-Horn, darein ich schnitt,
In die Geister der draus Trinkenden,
Bis ihr Tat seid, wie aus Tat ihr wurdet.»
Also singt er, und dies ist der Abend.
Ja das Trinkhorn, ja die Bilder drauf.
Hier das Tier, dem einst das Horn gehört hat.
Wie es stampfte, tief das Haupt, gleich einer
Schwärzlich aufs Gebirg herabgebognen
Wolke, welche es zu pflügen scheint,
Funkelnd mit dem stieren Sonnenauge —
So das Tier. Der andere ist er,
Wie er’s traf am Bergstrom. Noch gedenkt’s ihm.
Als auf Tod sich ansahn Mensch- und Tieraug,
Eh die Streitaxt vor den Hörnern saß,
Dachte er gelassen zwei Gedanken:
Wie das Horn, nun einer Stirne Zorn,
Einst voll Goldweins unter Gästen kreist,
Und dies atemlose Jetzt Gespräch wird.
Ferner dachte er zugleich mit dem:
Ob dem umgewälzten, tief in Höhlen
Unter steilen Buckeln umgewälzten,
Unterlaufnen Aug des Wisents ähnlich
Irgendwo in eines Kaufmanns Bazar
Ein Sardonyx läg’: den er aufspüren,
Er heimbringen würd’ und Einer schenken
Von viel drohenderer Macht für ihn
Als dies Tier hat. So geschah’s. Denn solch ein
Ewig offnes Auge aus Gestein
Liegt verborgen jetzt in einer Truhe.
Wenn er kommt, schrickt sie nicht mehr zusammen,
Sondern kauft von ihm mit Lust, bewillkommt
Ihn mit Salz und Brot und leert mit ihm
Einen Becher edelsten Getränkes,
Fragt vertraulich ihn nach Abenteuern,
Zeigt mit Stolz ihm ihre großen Söhne.
Sie nur weiß, seit wann er nicht mehr Held ist.
Damals winkte sie ihm selbst als Beute,
Wenn er einen andern schlug im Zweikampf.
Ihn erschütterte der Blick des Schwächern,
Wissentlich als schwächer ihm Verfallnen,
Daß er ließ vom Kampf. Sie ward des andern.
Dem fraß Scham das Herz. Zehn Jahre später
Starb er hin, ganz namenlos. Sie blüht.
Ihr blühn Söhne. Und es wuchs von nun an
Wunderbar in ihm das Wort. Zuerst als
Eines Tales er, das sie nicht kannten,
Austritt in das Meer beschrieb, und Knochen,
Die dort bleichten im verdorrten Flußbett,
Ausgestorbener, unförmlich großer
Meereidechsen. Seit dem Tag umdrängt ihn
Alt und Jung, wo er erscheint. Man nötigt
Ihn zur Bank. Und wenn er einhält, sagen
Alle nach sein letztgesprochnes Wort,
Hand und Haupt bewegend. Seine Nähe
Ist gleich der des Feuers im Kamine,
Das, wohin sein Schein fällt, die Gesichter
Ändert: was des Mannes ist, erscheint am
Jüngling, was des Jünglings ist, am Mann.
Frauen, die am Hallenpfeiler lehnen,
Werden groß und fast vor Schönheit drohend.
Daran denkt er, und worin er klein ward,
Worin größer. Aber wenn der goldne
Strahl zu müde wird, um durch der Spinne
Zartes Werk die Göttin-Stirn im Grotten-
Innern anzurühren, nimmt er wieder
Auf so Weg als Last. Warum nur traf es
Ihn gerad, daß er sich Rätsel wurde,
Er, der anderen die Deutung ist —
Er, aus dem die Bilder alle stammen
In den Seelen, doch in welchem selber
Dunkel worden ist das Bild der Erde.
Manchmal gegen Mitternacht und manchmal
Um die erste Stunde, wenn des Mondes
Hörner wieder sich zur Scheibe füllen,
Hört ein Waches diese beiden Zeichen:
Erst die dumpfen Halle eines Gongs,
Dann ein Brüllen, fremd, wie wenn das Schrein
Eines alten Elchs zusammenklänge
Mit dem Murren zögernder Gewitter,
Fern — doch schüttert leis das Weltgewölbe.
«Nachtgeheimnis» nennen sie dies ungern
Nur Gehörte. Besser dient’s zu schlafen.
Liebende allein, die gerne wachen,
Freut es. Wenn sie eines werden, dünkt sie,
Als ob dieser Laut aus ihnen dränge.
Und sehr Kranke, die den Tod erwarten,
Rührt das reizend-Schreckliche, wovon sie
Abschied nehmen, an in diesem Laute.
Manches geht von Mund zu Mund darüber.
Einer suchte sein verirrtes Söhnlein,
Dachte: ist des Nachts im See ertrunken.
Dieser sah (und er ward stumm, sobald er
Ausgesprochen hatte das Gesehne):
In Nachthimmelblau gekleidet, schwarz
Angeweht von ruhelosen Schleiern,
Nackten Fußes habe eine Frau
Nachts den See umtanzt. Zuweilen habe
Sie ein Gong im Tanz gerührt, zuweilen
Einen Schmuck, der ihr im offnen Haar hing,
An Gestalt gleich den zwei Mondeshörnern,
Durch die dünnen Schleier gleiten lassen,
Sich wild-atmend auf den See gebückt,
Mit des Gonges Schlag ihn aufzuwecken,
Mit dem Licht der Hörner ihn zu reizen,
Dann in ihn den Schmuck hinabgeworfen,
Daß er aus dem Wasser feucht heraufschien,
Und mit einem unvergeßlich wilden
Schrei die Schultern vom Gewand befreiend
Sei sie in das Wasser hingeglitten,
Das sich sogleich teilte. Aus dem blauen,
Wie ihr Kleid so dunkelblauen Wasser
Sei ein schwarzer, wie ihr Schleier schwarzer
Stier mit goldenem, mit wie ihr Schmuck
Mondesgoldnem Hörnerpaar gestiegen,
Und die Triefende, die glänzend Nackte
Habe er geschwinder als ein Sturm
Trabend weggetragen durch die Nachtluft,
Während seine Nüstern Feuer schnoben
Und die Rippen des Gebirgs geschlagen
Dröhnten von dem ehernen dem Stierfuß
Fern und ferner; niemand weiß wohin.
Als eins fragte, welcher Art die Frau war,
Sagte er: von Art der Menschenfrauen,
Aber größer. Und als letztes sagte
Der Verstummende: sie habe ganz
Wunderbar der Spinnerin geähnelt.
Hier bricht ab die Mär. Wie kam sie zu mir?
Nicht von Menschen. Denn so alt lebt keiner
Ringsum, daß er so ein Ding vom Urahn
Hören konnte. Nicht der Stadt, des Dorfs nicht
Steht noch eine Spur. Zwar wie vor alters
Schwillt das Joch und stützt der Berg den Himmel,
Doch verwischt ist aller Pfad und statt
Göttin, Kind und hingeknietem Büffel,
Zwischen dessen Klauen Lotus wächst,
Schmückt ein Muttergottesbild die Nische.
Aber uralt sproßt ein ewig junges
Wasser dort. Vielleicht erzählte dieses
Mir die Sage, als ich Mittags einschlief.
Denn es wohnt ihm inne dies Gesetz,
Daß es des, was ist, die Bilder alle
In den Busen nimmt und dennoch selber
Gleich durchsichtig bleibt und gleich gestaltlos.
Und es wohnt ihm inne diese Treue,
Daß es rastlos wandernd bleibt am Ursprung,
Niemals sprudelt mit der gleichen Welle
Und dasselbe war vor tausend Jahren.