Max Kommerell: Dichterisches Tagebuch


Wenn wir uns so nahe sind

Daß wir vor Entzücken bleich

Bei den Händen uns ergreifen,

Scheint die Seele dir ein Teich,

Den kein noch so leiser Wind,

Den des Engels Sohlen streifen!

 

Wenn wir uns so nahe sind

Daß vor Nähe wir erzittern

Wird dein Auge plötzlich blind

Weil die Tränen es vergittern,

Und der Bruder, den dein Mund

Eben noch getröstet hatte,

Scheint dir plötzlich ferne und

Unerreichbar wie ein Schatte.

 

Wenn wir uns so nahe sind

Daß vor Nähe ich vergehe,

Trennt im Wandern Kind und Kind

Da den Nebel noch vom Schnee?

Doch das Wallende gerann

Rettend fest um unsre Füße

Und in namenloser Süße

Lächeln wir uns wieder an.