Max Kommerell: Dichterisches Tagebuch


Sinnbilder

 

Will jenes Taubenpaar, das aus der Krone

Des Ahornes in flacher Bahn

Herniederfuhr, sich nur in heller

Windstiller Mittagsluft liebkosen?

Gehorcht es nicht dem klaren Tone

Der Göttin, die weiß angetan

Und doch umwölkt mit einem Schein von Rosen

Im heiligen Hof steht und aus goldnem Teller

Der Hirse nährend Korn beschert,

Die nie das fromme Paar umsonst begehrt?

 

*

 

So tun die Keime in gemeiner Flur:

Sobald der starke Strahl bewegend

Hinabdringt zu geheimern Schlüpfen

Und alles locker wird und feucht

Und anders als zuvor: So deucht

Es ihnen Zeit, das Feld zu lüpfen

Mit eingefaltet gelbem Blatt.

 

So tun die Keime in geweihter Flur:

Sie harren, bis die frühe Gegend

Erschwingt vom Tritte schmaler Sohlen,

Und bis das wunderbare Kind

Mit Saiten, die geschaffen sind,

Das Untere heraufzuholen,

Sie in das Licht befohlen hat.

 

*

 

Jüngst saß ich auf der Brücke, saß,

Ich Reicher auf der Brücke — ja,

Und bettelte. Und jeder sah

Und ging vorüber und vergaß.

Leer blieb der Hut in meinen Knieen.

Leer war die Brücke. Da geschahs.

Da kam ein Toter. Zwischen Zahn

Und Zahn hielt er den Obolus,

Den man ihm mitgab in den Kahn,

Ihm mitgab auf den Totenfluß.

Der sah mich an im Weiterziehn

Und gab mir ihn.