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Max Kommerell: Die Lebenszeiten


ODE AUF DIE MÄNNLICHE LEBENSZEIT

 

Ich weiß nicht, wo du gereift bist

An roter Klippe in grellem Duft,

Durchsonnter Tiroler,

Der du mich anblinkst

Aus kleinem Glas!

Und steigt aus dir nicht ein Licht auf,

Ein rosenrotes, indessen der Tag schon wegsank

Ums Gartenhaus, das mitten ins Hochtal gestellt ist

Am Ufer des Sees —

Im Gehen der Winde

Durch vier geöffnete Seiten

Fernöstlich fast

Anmutend? Auch mute ich selbst vielleicht

So an, mit der Miene diebischen Glücks,

Das Schönheit saugt aus den Dingen

Und Schönheit in Weisheit wandelt

Und blinzelt und hehlt.

So winkt mir die Welt in die Hütte, und ich

Schaue und sinne.

 

Und trinke. Noch blinkst du im Glase;

Bald in mir mächtig winkst du dem Geist

Mit purpurnem Flügel,

Als kennt’ ich dich langher.

So bist du’s — bist

Mein Schutzgeist? Der mich von Kind auf

Hinwegnahm von dem, was nicht für mich war; und sie nannten

Mich weltfremd, der ich so gerne, so sehr auf der Welt bin!

So hast du auch jetzt

In Gestalt mich des Weines

Versetzt, bevor es zu spät ist,

Hieher, wo mir,

Zum Sterben schön, das Traumgrün des Sees

Durch Stäbe dunkelt, und Hütten halb,

Wie meine, im Schilf sich bergen. Land

Verliert in den See sich, gesättigt

Mit Feuchte, und weich;

Doch er, mit Gedanken von Silber,

Erwartet die Sterne.

 

Hat nicht der Knabe,

Wenn Donner schlugen,

Erklettert junge Eichen,

Damit der Sturm

Mit dem Wipfel ihn

Ab zur Erde böge?

Aber heut,

Knabe nicht mehr,

Hab’ ich alles im Engen:

Zwischen Mohnfeld und Maisfeld den Weg auf der halben

Höh’, nach vorn, zur Brüstung des Rasens, wo dieser

Fällt in den See; und wo schmal der See wird, die Brücke,

Die am Abend die Dinge zu ziehenden Schatten macht —

Fohlen hinter der Mutter, und Wagen und Menschen —

Seh ich hier, auch seh’ ich

Das geschwungne Joch,

Droben, wo

Ich des Lichts verehre Abschied und Heraufkunft.

 

Wie ward ich so still auf einmal?

Spät, nach der Jugend Vergeblichkeit,

Die, was sie bildet,

Aus eignem Blut, statt

Von draußen nimmt,

Ward jedem Wunsch seine Reife.

Mir kam die Freundschaft, nicht linkisch verhalten, nein, frei und

Bacchantisch, ein Adlermahl und ein Adlergesang.

Dem Volkslied gleich,

Süß und voll Schrecknis,

Kam Liebe, ein Raub und ein Abschied,

Und Wunder ward

Dem andern eines, und jedes sich.

Mir kam im unzugänglichen Zelt,

Den Menschen verschollen, die Weihe

Durch Einen, der war wie geschnitzt aus

Porphyr. Ja, mir kam

All dies, und hatte sein Jahr... und ich

Könnte nun gehen.

 

Doch nennt mich mit Namen ein Leben

Aus vielen Leben, und ruft mich, gestuft

In Jahren und Stimmen,

Und schließt, mir mit Bitten

Befehlend, mich ein

Im Ganzen; auch ich bin ihm Stimme,

Und hör’ mich zugleich, und lächle, wenn Nachdruck

Und Mark ich mir gebe, den andern zulieb — und blieb doch

Mir selber das Kind,

Jahrzehnte verleugnend;

Nicht Scham ist’s, nein, Freude. Ach immer

Begann ich mir neu,

Und Eile des Werdens stieß mich, verstieß

Mich selbst aus mir selbst, und kaum das Gefühl,

Das «ich» sagt in Freude und Schauer,

Enträtselt mich mir im Gewesnen!

Herauf nicht, nein,

Ich muß hinab, muß tiefer hinab,

Hinab zu mir selber!

 

Noch tönt die Sehne,

Da wird der Pfeil,

Der das Herz der Höhe

Suchte, müd,

Zögert und kehrt um,

Fällt. Kommt so die Zeit des

Mannes mir,

Die doch, so heißt’s,

Stark sei zu vollem Gelingen?

Heißt mir Mannheit, der Jugend Entwurf zu verleugnen?

Sei’s! Wenn ich nur, was ich leider im Werden verlernte,

Als Gewordner zurück mich fühle zum Anfang!

Nie versiege, nur diene zu anderem fürder die Kraft

Mir des Gebets! Denn war es seither mir Bitte,

Die erfüllt ward, sei es

Nicht mehr Bitte, sei

Antwort jetzt

Auf der Welt Wort, auf des Geists Wort, fromm, ergriffen.

Ich weiß, der Zerbrochene hat erst

Die Demut, den Einklang zu denken der Welt;

Ihm lechzt erst die Seele

Vollkommnem entgegen,

Worin die Natur

Ihr Auge aufschlägt zum Menschen.

Sang heut mir die Glocke des Dorfs nicht bedächtig den Mittag,

Und war’s nicht erst heute, daß ich im Gras lag, ein Knabe,

Und staunte, weil

Sich über dem Klang

Die Stille wieder, die blaue,

Unendliche, schloß —

Wie heut? Und war mir nicht damals, wie heut,

Als schlösse mich auf dies Schweigen, indem

Die Stimmen der Menschen vergingen;

Als wüchs’ ich, ein Leib, aus der Erde

Und reifte im Gang

Des Tags und im Klange der Nacht? So war

Ich einst, und so bin ich.

 

Nicht Held bin ich, singe nicht Helden.

Doch wie von Glocken im Herzen lebt

Ein Klang, unverlierbar,

Das Tagwerk begleitend,

So ist mir, und wie

Ein Himmel am Abend, der alles

Als einzig, als unwiederbringlich vom Leben gedichtet

Hervorhebt, bewußt nun das langsame Gehen zum Tod hin.

Ach, denken wir ihn

Nicht mit in den Dingen,

Die schön sind? Und sind sie nicht einmal

Am schönsten? Und wär’

Dies Einmal ohne den Tod?... Ich leb’

Mit Sorgfalt, als trüg’ ich ein Edelstes,

Und bin gestimmt. Denn für jeden

Hat jede Stunde ein Eignes,

Ein Reines bereit.

Gestimmt ist alles. Zum Feste des Lichts

Eilt dort die Wolke.

 

Da ich, o Landschaft!

Im Busen ein

Unheilbar Jahrhundert

Zu dir kam,

Tröstetest du nicht

Wie die Mutter, welche

Alles weiß.

Sondern dein Trost

War: nichts wissen von alldem.

Ich genas mit dem Wild auf den frischesten Matten

Deiner Höhn einheimisch — ein Zeuge der Spiele,

Die du spielst mit dir selbst. Doch spielst ohne Zeugen

Andre, unzählbare du, seit je mit der Erde das Licht

In Begegnungen lebt. Und sind wir ein Zerrbild —

Du bewahrst das Beßre.

Was ich denke, ist.

Und was ist,

Ist schön. Gern scheidet, wer da wiederfand den Anfang.