ODE AUF DIE MÄNNLICHE LEBENSZEIT
Ich weiß nicht, wo du gereift bist
An roter Klippe in grellem Duft,
Durchsonnter Tiroler,
Der du mich anblinkst
Aus kleinem Glas!
Und steigt aus dir nicht ein Licht auf,
Ein rosenrotes, indessen der Tag schon wegsank
Ums Gartenhaus, das mitten ins Hochtal gestellt ist
Am Ufer des Sees —
Im Gehen der Winde
Durch vier geöffnete Seiten
Fernöstlich fast
Anmutend? Auch mute ich selbst vielleicht
So an, mit der Miene diebischen Glücks,
Das Schönheit saugt aus den Dingen
Und Schönheit in Weisheit wandelt
Und blinzelt und hehlt.
So winkt mir die Welt in die Hütte, und ich
Schaue und sinne.
Und trinke. Noch blinkst du im Glase;
Bald in mir mächtig winkst du dem Geist
Mit purpurnem Flügel,
Als kennt’ ich dich langher.
So bist du’s — bist
Mein Schutzgeist? Der mich von Kind auf
Hinwegnahm von dem, was nicht für mich war; und sie nannten
Mich weltfremd, der ich so gerne, so sehr auf der Welt bin!
So hast du auch jetzt
In Gestalt mich des Weines
Versetzt, bevor es zu spät ist,
Hieher, wo mir,
Zum Sterben schön, das Traumgrün des Sees
Durch Stäbe dunkelt, und Hütten halb,
Wie meine, im Schilf sich bergen. Land
Verliert in den See sich, gesättigt
Mit Feuchte, und weich;
Doch er, mit Gedanken von Silber,
Erwartet die Sterne.
Hat nicht der Knabe,
Wenn Donner schlugen,
Erklettert junge Eichen,
Damit der Sturm
Mit dem Wipfel ihn
Ab zur Erde böge?
Aber heut,
Knabe nicht mehr,
Hab’ ich alles im Engen:
Zwischen Mohnfeld und Maisfeld den Weg auf der halben
Höh’, nach vorn, zur Brüstung des Rasens, wo dieser
Fällt in den See; und wo schmal der See wird, die Brücke,
Die am Abend die Dinge zu ziehenden Schatten macht —
Fohlen hinter der Mutter, und Wagen und Menschen —
Seh ich hier, auch seh’ ich
Das geschwungne Joch,
Droben, wo
Ich des Lichts verehre Abschied und Heraufkunft.
Wie ward ich so still auf einmal?
Spät, nach der Jugend Vergeblichkeit,
Die, was sie bildet,
Aus eignem Blut, statt
Von draußen nimmt,
Ward jedem Wunsch seine Reife.
Mir kam die Freundschaft, nicht linkisch verhalten, nein, frei und
Bacchantisch, ein Adlermahl und ein Adlergesang.
Dem Volkslied gleich,
Süß und voll Schrecknis,
Kam Liebe, ein Raub und ein Abschied,
Und Wunder ward
Dem andern eines, und jedes sich.
Mir kam im unzugänglichen Zelt,
Den Menschen verschollen, die Weihe
Durch Einen, der war wie geschnitzt aus
Porphyr. Ja, mir kam
All dies, und hatte sein Jahr... und ich
Könnte nun gehen.
Doch nennt mich mit Namen ein Leben
Aus vielen Leben, und ruft mich, gestuft
In Jahren und Stimmen,
Und schließt, mir mit Bitten
Befehlend, mich ein
Im Ganzen; auch ich bin ihm Stimme,
Und hör’ mich zugleich, und lächle, wenn Nachdruck
Und Mark ich mir gebe, den andern zulieb — und blieb doch
Mir selber das Kind,
Jahrzehnte verleugnend;
Nicht Scham ist’s, nein, Freude. Ach immer
Begann ich mir neu,
Und Eile des Werdens stieß mich, verstieß
Mich selbst aus mir selbst, und kaum das Gefühl,
Das «ich» sagt in Freude und Schauer,
Enträtselt mich mir im Gewesnen!
Herauf nicht, nein,
Ich muß hinab, muß tiefer hinab,
Hinab zu mir selber!
Noch tönt die Sehne,
Da wird der Pfeil,
Der das Herz der Höhe
Suchte, müd,
Zögert und kehrt um,
Fällt. Kommt so die Zeit des
Mannes mir,
Die doch, so heißt’s,
Stark sei zu vollem Gelingen?
Heißt mir Mannheit, der Jugend Entwurf zu verleugnen?
Sei’s! Wenn ich nur, was ich leider im Werden verlernte,
Als Gewordner zurück mich fühle zum Anfang!
Nie versiege, nur diene zu anderem fürder die Kraft
Mir des Gebets! Denn war es seither mir Bitte,
Die erfüllt ward, sei es
Nicht mehr Bitte, sei
Antwort jetzt
Auf der Welt Wort, auf des Geists Wort, fromm, ergriffen.
Ich weiß, der Zerbrochene hat erst
Die Demut, den Einklang zu denken der Welt;
Ihm lechzt erst die Seele
Vollkommnem entgegen,
Worin die Natur
Ihr Auge aufschlägt zum Menschen.
Sang heut mir die Glocke des Dorfs nicht bedächtig den Mittag,
Und war’s nicht erst heute, daß ich im Gras lag, ein Knabe,
Und staunte, weil
Sich über dem Klang
Die Stille wieder, die blaue,
Unendliche, schloß —
Wie heut? Und war mir nicht damals, wie heut,
Als schlösse mich auf dies Schweigen, indem
Die Stimmen der Menschen vergingen;
Als wüchs’ ich, ein Leib, aus der Erde
Und reifte im Gang
Des Tags und im Klange der Nacht? So war
Ich einst, und so bin ich.
Nicht Held bin ich, singe nicht Helden.
Doch wie von Glocken im Herzen lebt
Ein Klang, unverlierbar,
Das Tagwerk begleitend,
So ist mir, und wie
Ein Himmel am Abend, der alles
Als einzig, als unwiederbringlich vom Leben gedichtet
Hervorhebt, bewußt nun das langsame Gehen zum Tod hin.
Ach, denken wir ihn
Nicht mit in den Dingen,
Die schön sind? Und sind sie nicht einmal
Am schönsten? Und wär’
Dies Einmal ohne den Tod?... Ich leb’
Mit Sorgfalt, als trüg’ ich ein Edelstes,
Und bin gestimmt. Denn für jeden
Hat jede Stunde ein Eignes,
Ein Reines bereit.
Gestimmt ist alles. Zum Feste des Lichts
Eilt dort die Wolke.
Da ich, o Landschaft!
Im Busen ein
Unheilbar Jahrhundert
Zu dir kam,
Tröstetest du nicht
Wie die Mutter, welche
Alles weiß.
Sondern dein Trost
War: nichts wissen von alldem.
Ich genas mit dem Wild auf den frischesten Matten
Deiner Höhn einheimisch — ein Zeuge der Spiele,
Die du spielst mit dir selbst. Doch spielst ohne Zeugen
Andre, unzählbare du, seit je mit der Erde das Licht
In Begegnungen lebt. Und sind wir ein Zerrbild —
Du bewahrst das Beßre.
Was ich denke, ist.
Und was ist,
Ist schön. Gern scheidet, wer da wiederfand den Anfang.