DER GEFANGENE. EINE TRILOGIE
I: Der Gefangene und seine Dinge
Ihr Dinge, die ich sah, nachdem sich stählern
Ein Ring mir legte ums Gelenk der Hand —
Ein Ring, der unwirsch mich bestraft mit Mälern,
Wenn ich die Kette spanne bis zum Rand
Des Viertelkreises zwischen Wand und Wand...
Ja, und nachdem der Riegel mir versperrte
Die Tür, die schwer ins Schloß fiel, und nachdem
Der erste Schreck mir das Gesicht verzerrte,
Ob jenes Klanges, den ich noch vernehm’
Als rauh mir zugerufnes Anathem,
Das mir unwiederbringlich dieses Zimmer
Von allem Draußen: See, Gebirge, Ried,
Wind, Schimmer, Laut — und dieses mein «für immer»
Vom Ehemals, dem schönbewegten, schied,
Wie Welt und Auge trennt ein Augenlid:
Ihr Dinge, die ich damals sah (erlitten
Mehr als gesehn) — wie unerbittlich scharf
Seid ihr mir in die Seele eingeschnitten,
Ihr Dinge, deren sie allein bedarf,
Damit sie fühle, daß man sie verwarf!
O Spreite Stroh! O Fensterluke — nicht
Ein weites Fensteraug, durch welches stille
Der Welt man sieht ins offene Gesicht,
Nein, eines Tiers spaltförmige Pupille,
Ein unenträtselter, doch schlimmer Wille!
Mitten im Raum o Hocker ohne Lehne,
Für Sitz und Ruh und Stand und eitlen Schritt
Das nie vom Auge eines Freunds gesehne
Allunveränderliche Requisit
Der immer neuen, schon uralten Szene!
Des Hingekauerten mutlos zur Erde
Gerichtete, das Antlitz überreizt
Auf schwere Fäuste stützende Gebärde
Weiß und verschweigt der Stuhl, der braungebeizt
Die Beine derb auf grauen Fliesen spreizt.
Und gar das Stroh, mein Lager... o Erwachen,
Das darin schläft, o Schlaf, der darin wacht,
Voll Wunschgesichten, die wahnsinnig machen;
Erwachen mit dem folternden Verdacht,
Dies alles sei! Es ist, und es verlacht.
Der Raum so geisterhaft vom Spuke stier
Ins Nichts geblickter Blicke... vom Gelichter
Sich denkender Gedanken... ja von mir!
Um mich, indem ich altre, immer dichter
Gesättigt mit dem Alp der Ich-Gesichter!
Ich lerne. Heißt denn diese, so umhegte —
Heißt diese ohne jede Wahl im Bann
Allzu bekannter Dinge festgelegte
Ohnmacht, die das Gemußte freilich kann —
Heißt diese Ohnmacht etwa: Ich bin Mann?
Ich lerne noch. Ich, so hineingestoßen
In dies Genaue, gegen das man murrt
Und das man erst erfährt als scheinbar losen,
Dann seelenwürgend immer engern Gurt:
Erfahr ich so erst wirklich — die Geburt?
II: Die Schale mit Früchten
Nach tausend Tagen, wo, statt auf die Dinge,
Das Ich auf sich nur reimte leeren Reimes,
Ist dies nun da, dies ach so andre, ach
Wie Hergeflüsterte durch ein geheimes
Gebet, von dem ich unbewußt erklinge —
Wie hingesetzt von Engelshand! Bestach
Ein Mächtiger Geringe
Mit einem Griff, auf den
Kein Einspruch gilt? Und lebt in seiner Gabe
Ein Freund um mich, unkenntlich? Oder habe
Ich ihn noch nie gesehn,
Den Fremden, der in den Begriff «Verlies»
Einbildisch sich zum Spiel hinabverstieß —
Grausam, wie Feinde sind —
Der dann dazu das Fernste fand und dies
Mir ließ als Angebind —
Ein Schmerz, der leise und wie Wollust trifft,
So süß wie Leben und so schnell wie Gift.
O Früchte und o Demut dieser Schale,
Vom Geber dichterisch hinzugedacht,
Damit mich eins durchs andere erschüttre
Und mir die Seele, die vor Hunger wacht
In ihrem Käfig, vorm Erliegen füttre
Mit einem fast schon geisterhaften Mahle!
Ist etwa dieses kahle
Gewänd der Raum vielleicht,
Wo, wie in einem liebenden Gemüte
Ein Lied, das vielen süß zu sein sich mühte,
Erst seine ganze Süßigkeit erreicht
In dem verstehenderen Gegenklange —
Ist dies Gewänd und ich in seiner Zange
(Dort Welt, hier ich und kaum
Ein Laut noch, der von dort zu mir verlange),
Ist dies vielleicht der Raum,
Wo einmal einer Seele zum Gerüchte
Der Erde werden konnten diese Früchte?
Glatthäutig schlankgewachsene Oliven,
Das Fleisch der Feigen, quellend durch die Narben,
Und Pfirsiche, die durch den Übergang
Gehauchten Purpurs in ein dunkelfarben
Verbrämtes Violett ihr Gelb vertiefen
Und jener Röten, die sie schnell und hang
Wie Lüste überliefen,
Sich schämend sie verringern
Mit weichem, silbergrauem Flaum; und runder
Orangen jauchzendes und junges Wunder,
Beinah zu groß den Fingern,
Die oft wie Stein auf meinen Knieen lagen,
Bis klagend sie an meine Brust zu schlagen
Ich ihrer innewerde,
Und die euch Goldene zu wiegen wagen,
Als stünd’ am Rand der Erde
Der Tod und ließe sich die Frucht der vollen
Und reifen Sonne in die Hände rollen...
Und Trauben! Wo in eurer Beeren klares
Geheimnis sich das Licht verlor, da blutet
Es unter euren Häuten euch wie Wein:
Die bis zur letzten Reife ihr des Jahres
Am grünen mütterlichen Laube ruhtet,
Das, um euch gleich zu sein,
Zuletzt von euren satten Tönen glutet...
Ihr hörtet die Legende
Des Lichtes aus, die es im Scheiden sagt,
An der sich keine Frucht zu weiden wagt,
Und zeitigtet die Spende,
Die in den Trinkenden anheben läßt
Das mächtige, begreifende, das Fest
Der Seele, die noch eben
Gebändigt schön, doch einen Rest
Von Schwere merkend im entzückten Schweben,
Sich zu entgürten grenzenlos bereit ist,
Da durch sie selber sie zum Tod geweiht ist.
Nur euch erblickend erst, noch nicht euch schmeckend,
Die einen Herbst ihr abgebt im Gemisch
Von Farb’ und Süße, jede ganz und eigen,
Antwortet euch das Blut, aufwieglerisch
Sich selbst mit wilden Ähnlichkeiten neckend:
«Sind unsre Lippen nicht wie Fleisch der Feigen?»
So ahnt das Blut erschreckend
In euch sein Spiel und weiß nicht, ob
So Locken ringeln oder Ranken hadern,
Ob Saft in Früchten oder Blut in Adern
So zarte Netze wob,
Ob Beere dies, ob unter schweren Lidern
Ein Blick, ob dies das Licht von jungen Gliedern,
Ob Frucht dies ist, die lockt zum Brechen —
So fragt das Blut, geschäftig zu erwidern,
Was von euch her in Bächen
Von Wollust bricht: In eurem Rand verhalten
Tausender Sonnen taumelnde Gewalten!
Denn war, damit ihr wurdet, eh gediegen
In Ganzheit euch ihr Früchte für mich löstet,
Des Stamms, des Stocks — war nicht der Wurzel Walten
Vonnöten und des Laubs, von dem getröstet
Der junge Zweig verschmerzte das Entfliegen
Geliebter Blüten? Euch hinauszuhalten,
Euch sommerlang zu wiegen,
Bis alles Köstliche der Erde
Durch Aderwerk zu euch hinaufgeronnen
Sich darbot der Liebkosung starker Sonnen —
War dies nicht die Beschwerde,
Die liebe, eines Baumes? Also schafft
Natur das Schöne so, daß sie die Kraft
Des Elements kredenzend
Im Fleische einer Frucht zusammenrafft?
Sagt, dichte ich ergänzend —
Haucht ihr im Zauber des Darüberstreifens
Um mich die Landschaft eures trunkenen Reifens?
Aus eines Ölwalds silbergrauer Hege
Seh ich, dem Himmel, der sich zärtlich tönt
Mit rosa Streifen, sich entgegenhebend,
Die Anmut eines Hügels. Ihn bekrönt —
O Wort, in das ich alle Sehnsucht lege! —
Ein Feigenbaum. In schmalen Blättern webend
Ist schon das Leben rege
Des Haines. Von Narzissen
Erglänzt der Rasen, aber aus dem hohlen
Laubwerk, das noch die Nacht hält, glänzt verstohlen
Frucht neben Frucht. Sie wissen
Noch nichts von Lippen, die sie kühlen, nichts
Vom Ausdruck heftig atmenden Gesichts.
Ein Meer schläft irgendwo.
Und wie die Ahnungen des ersten Lichts
Darüberhuschen, so
Huscht über Gräser jetzt, die ihn betauen,
Der elfenbeinerne, der Fuß von Frauen.
Und Hände sind von Freundinnen verschlungen,
Und andre deuten nach der Sonnenscheibe:
Sie, die ein Chor von Jünglingen soeben
Heraufsingt. O, wie steht es jenem Leibe
Schön, sich zu kränzen; dem, wie ungezwungen,
Die Frucht zu pflücken; dem das Geben
Und dem die Danksagungen
Des offenen Lächelns, das da nahm!
Das Ganze seh’ ich, seh’ zugleich das Kleinste:
Die Blüte, die juwelene, die reinste
Seh’ ich so wundersam
Der Frucht benachbart auf demselben Ast.
Welch ein Gedicht, in Ewigkeit gefaßt
Vom Blauen des Gezelts!
Und sehe nah des Astes schöner Last
Ein Auge, dessen Schmelz
Wimpern, langüberschattende, beragen,
Zur aufgeschlagnen Blüte aufgeschlagen.
O Winde, die im Laub nach Früchten wühlen,
Nach warmen Leibern fühlen in Gewändern!
O Licht, das niederfließt, um die im Fliehen
Dort Zaudernde zur Göttin zu verändern;
Doch eine, dort am Strand, läßt von dem kühlen
Und scharfen Licht an Lende, Brust und Knieen
Sich hüllenlos bespülen,
Sie, die von einem kecken
Strahl, der die Kronen hohen Laubes teilt,
Im Nacken angerührt, ein Wild, enteilt,
Indessen zarte Flecken
Von lila Schatten ihr im schnellen Schreiten
Den weichgeformten Rücken niedergleiten:
Ein rieselndes Geschmeide
Von leichten luftgeborenen Kostbarkeiten,
Auf daß sich an ihr weide
Das All, das betende, das unversehens
Erklingende im Hauche leichten Wehens.
Und andere sind anderswo abseits:
Ein Paar, und Mulde ist und Busch und Ranke
Für ihr Wegsinken da, hegt und verhängt sie.
Je enger, je umschlingender die Schranke,
Das All ausschließend, sich um ihren Geiz
Der Liebe legt, je mehr an All umfängt sie.
Ein Vogelruf wird Reiz,
Wie nie und ohne Wort
Sich ins Gesicht zu sehn und die darinnen
Gelesne Ewigkeit kühn zu beginnen.
Und nachts vergißt der Ort
Sich selbst und wird im Mond zu ihrer Mythe,
Wenn sie ihn suchen. O wie ist die Blüte
Dem Sterne neben ihr
Für Liebende so nah! Und Blühens Güte
Ist Stern und Herz und hier!
Jetzt aber würgt mich Sehnsucht, mit Gebeten
Die Riegel sprengend unter euch zu treten,
Euch kundzutun, was Liebe ist: Von allen
Des Herzens Dichtungen die selig freiste
(Ich, der Gefangene, sag’s). O wißt es, wißt es,
Damit ich williger mein Elend leiste,
Mir sagend: Dort ist Leben. Und das Wallen
Des Kleides um die Schreitenden, was ist es,
Und was, wenn so kristallen
Der Himmel und so denkend
Die Blüte wird und Wort und Stille reiner?
Was ist die Hand, die Früchte reicht, von einer,
Die fast die Erde scheint, so schenkend...?
So wie mir keine diese Niemandsgabe
Mich meinend reicht in mein Verlies! Ich habe
Gegriffen jetzt nach dieser Frucht,
Wie ein Begrabener vom Grabe
Wegwälzt des Grabsteins Wucht.
Ihr werdet habend, was ihr habt, nicht wissen,
Ich wissen, was ihr habt, und es vermissen.
So aß ich etwa, machte mich durch Essen
Zum Sehnsucht- gar und Wunschgenossen dieser
Fruchtpflückenden? Verfallen durch Verführung
Und doch hier festgeschmiedet?... Sei dem Schließer
Geschenkt, wovon ich noch nicht aß, und wessen
Beschau, Geruch, Berührung
Mich eine Welt von Rätseln ließ durchmessen,
Die erst sich im Gelingen
Von Schönem auslegt. Ach, des niemals Meinen
Welch Abbild, rein genug, mich durch Verneinen
Nur strenger zu bedingen!
Denn meine erst entworfnen Mienen fuhr
Das Schicksal nach; austilgend jede Spur,
Die noch mit lieber Lüge
Ein Draußen lügt, vollendet es das Ur-
Gegebene. Ich füge
Mir alles zu, verhänge diese Enge
Mir selbst, wie ich zerspringend selbst sie sprenge.
III: Der Gefangene an seinen Stern
Stern, du allein
Mir scheinender!
Der Erde nah genug!
Ich meine Pein
Beweinender,
Bis ich dich sah und frug!
Bist du mein ach!
So strenges Los
Mir zu ergänzen da,
Der ich so groß,
So tausendfach
Die Nacht sonst glänzen sah?
Mein Raum, so schaal,
Wenn du im Spalt
Des schmalen Fensters fehlst,
Wird Aufenthalt
Der eignen Wahl,
Sobald du ihn beseelst.
Du, der mir statt
Der andern scheint,
Empfängst den Widerhall,
Der tausend meint
Und dich nur hat,
Du all der Seele All!
Auch du bescherst
Dich ihr so ganz,
Wie du sie knieen siehst,
Und endigst erst,
Wenn sie von Glanz
Gesättigt überfließt.
O Not! O Gang
Der Stunden, so
Verloren — nichts um nichts.
O Warten, lang
Und bang und o —
Dies Trinken deines Lichts!
Dies Kommen, dies
Großmütig still
An mir Vorübergehn!
Dann im Verlies
Nur ich — ich will
Dich denken bis zum Sehn.
Wer war des Schreis
Der Einsamkeit
Gewärtig je? Du glimmst,
Ich aber weiß
Mich im Geleit,
Da du mein Leben stimmst.
Muß ich vielleicht
Gefangen sein,
Damit so unentwegt
Dein lieber Schein
Mich hier erreicht:
So hegend, so gehegt?
Und gehst du fort,
So dünkt es mich,
Du gingst in mir zur Ruh
Und waltest dort;
Und schließe ich
Die Augen, bin ich du.