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Max Kommerell: Die Lebenszeiten


DER GEFANGENE. EINE TRILOGIE

I: Der Gefangene und seine Dinge

 

Ihr Dinge, die ich sah, nachdem sich stählern

Ein Ring mir legte ums Gelenk der Hand —

Ein Ring, der unwirsch mich bestraft mit Mälern,

Wenn ich die Kette spanne bis zum Rand

Des Viertelkreises zwischen Wand und Wand...

 

Ja, und nachdem der Riegel mir versperrte

Die Tür, die schwer ins Schloß fiel, und nachdem

Der erste Schreck mir das Gesicht verzerrte,

Ob jenes Klanges, den ich noch vernehm’

Als rauh mir zugerufnes Anathem,

 

Das mir unwiederbringlich dieses Zimmer

Von allem Draußen: See, Gebirge, Ried,

Wind, Schimmer, Laut — und dieses mein «für immer»

Vom Ehemals, dem schönbewegten, schied,

Wie Welt und Auge trennt ein Augenlid:

 

Ihr Dinge, die ich damals sah (erlitten

Mehr als gesehn) — wie unerbittlich scharf

Seid ihr mir in die Seele eingeschnitten,

Ihr Dinge, deren sie allein bedarf,

Damit sie fühle, daß man sie verwarf!

 

O Spreite Stroh! O Fensterluke — nicht

Ein weites Fensteraug, durch welches stille

Der Welt man sieht ins offene Gesicht,

Nein, eines Tiers spaltförmige Pupille,

Ein unenträtselter, doch schlimmer Wille!

 

Mitten im Raum o Hocker ohne Lehne,

Für Sitz und Ruh und Stand und eitlen Schritt

Das nie vom Auge eines Freunds gesehne

Allunveränderliche Requisit

Der immer neuen, schon uralten Szene!

 

Des Hingekauerten mutlos zur Erde

Gerichtete, das Antlitz überreizt

Auf schwere Fäuste stützende Gebärde

Weiß und verschweigt der Stuhl, der braungebeizt

Die Beine derb auf grauen Fliesen spreizt.

 

Und gar das Stroh, mein Lager... o Erwachen,

Das darin schläft, o Schlaf, der darin wacht,

Voll Wunschgesichten, die wahnsinnig machen;

Erwachen mit dem folternden Verdacht,

Dies alles sei! Es ist, und es verlacht.

 

Der Raum so geisterhaft vom Spuke stier

Ins Nichts geblickter Blicke... vom Gelichter

Sich denkender Gedanken... ja von mir!

Um mich, indem ich altre, immer dichter

Gesättigt mit dem Alp der Ich-Gesichter!

 

Ich lerne. Heißt denn diese, so umhegte —

Heißt diese ohne jede Wahl im Bann

Allzu bekannter Dinge festgelegte

Ohnmacht, die das Gemußte freilich kann —

Heißt diese Ohnmacht etwa: Ich bin Mann?

 

Ich lerne noch. Ich, so hineingestoßen

In dies Genaue, gegen das man murrt

Und das man erst erfährt als scheinbar losen,

Dann seelenwürgend immer engern Gurt:

Erfahr ich so erst wirklich — die Geburt?

 

 

II: Die Schale mit Früchten

 

Nach tausend Tagen, wo, statt auf die Dinge,

Das Ich auf sich nur reimte leeren Reimes,

Ist dies nun da, dies ach so andre, ach

Wie Hergeflüsterte durch ein geheimes

Gebet, von dem ich unbewußt erklinge —

Wie hingesetzt von Engelshand! Bestach

Ein Mächtiger Geringe

Mit einem Griff, auf den

Kein Einspruch gilt? Und lebt in seiner Gabe

Ein Freund um mich, unkenntlich? Oder habe

Ich ihn noch nie gesehn,

Den Fremden, der in den Begriff «Verlies»

Einbildisch sich zum Spiel hinabverstieß —

Grausam, wie Feinde sind —

Der dann dazu das Fernste fand und dies

Mir ließ als Angebind —

Ein Schmerz, der leise und wie Wollust trifft,

So süß wie Leben und so schnell wie Gift.

 

O Früchte und o Demut dieser Schale,

Vom Geber dichterisch hinzugedacht,

Damit mich eins durchs andere erschüttre

Und mir die Seele, die vor Hunger wacht

In ihrem Käfig, vorm Erliegen füttre

Mit einem fast schon geisterhaften Mahle!

Ist etwa dieses kahle

Gewänd der Raum vielleicht,

Wo, wie in einem liebenden Gemüte

Ein Lied, das vielen süß zu sein sich mühte,

Erst seine ganze Süßigkeit erreicht

In dem verstehenderen Gegenklange —

Ist dies Gewänd und ich in seiner Zange

(Dort Welt, hier ich und kaum

Ein Laut noch, der von dort zu mir verlange),

Ist dies vielleicht der Raum,

Wo einmal einer Seele zum Gerüchte

Der Erde werden konnten diese Früchte?

 

Glatthäutig schlankgewachsene Oliven,

Das Fleisch der Feigen, quellend durch die Narben,

Und Pfirsiche, die durch den Übergang

Gehauchten Purpurs in ein dunkelfarben

Verbrämtes Violett ihr Gelb vertiefen

Und jener Röten, die sie schnell und hang

Wie Lüste überliefen,

Sich schämend sie verringern

Mit weichem, silbergrauem Flaum; und runder

Orangen jauchzendes und junges Wunder,

Beinah zu groß den Fingern,

Die oft wie Stein auf meinen Knieen lagen,

Bis klagend sie an meine Brust zu schlagen

Ich ihrer innewerde,

Und die euch Goldene zu wiegen wagen,

Als stünd’ am Rand der Erde

Der Tod und ließe sich die Frucht der vollen

Und reifen Sonne in die Hände rollen...

Und Trauben! Wo in eurer Beeren klares

Geheimnis sich das Licht verlor, da blutet

Es unter euren Häuten euch wie Wein:

Die bis zur letzten Reife ihr des Jahres

Am grünen mütterlichen Laube ruhtet,

Das, um euch gleich zu sein,

Zuletzt von euren satten Tönen glutet...

Ihr hörtet die Legende

Des Lichtes aus, die es im Scheiden sagt,

An der sich keine Frucht zu weiden wagt,

Und zeitigtet die Spende,

Die in den Trinkenden anheben läßt

Das mächtige, begreifende, das Fest

Der Seele, die noch eben

Gebändigt schön, doch einen Rest

Von Schwere merkend im entzückten Schweben,

Sich zu entgürten grenzenlos bereit ist,

Da durch sie selber sie zum Tod geweiht ist.

 

Nur euch erblickend erst, noch nicht euch schmeckend,

Die einen Herbst ihr abgebt im Gemisch

Von Farb’ und Süße, jede ganz und eigen,

Antwortet euch das Blut, aufwieglerisch

Sich selbst mit wilden Ähnlichkeiten neckend:

«Sind unsre Lippen nicht wie Fleisch der Feigen?»

So ahnt das Blut erschreckend

In euch sein Spiel und weiß nicht, ob

So Locken ringeln oder Ranken hadern,

Ob Saft in Früchten oder Blut in Adern

So zarte Netze wob,

Ob Beere dies, ob unter schweren Lidern

Ein Blick, ob dies das Licht von jungen Gliedern,

Ob Frucht dies ist, die lockt zum Brechen —

So fragt das Blut, geschäftig zu erwidern,

Was von euch her in Bächen

Von Wollust bricht: In eurem Rand verhalten

Tausender Sonnen taumelnde Gewalten!

 

Denn war, damit ihr wurdet, eh gediegen

In Ganzheit euch ihr Früchte für mich löstet,

Des Stamms, des Stocks — war nicht der Wurzel Walten

Vonnöten und des Laubs, von dem getröstet

Der junge Zweig verschmerzte das Entfliegen

Geliebter Blüten? Euch hinauszuhalten,

Euch sommerlang zu wiegen,

Bis alles Köstliche der Erde

Durch Aderwerk zu euch hinaufgeronnen

Sich darbot der Liebkosung starker Sonnen —

War dies nicht die Beschwerde,

Die liebe, eines Baumes? Also schafft

Natur das Schöne so, daß sie die Kraft

Des Elements kredenzend

Im Fleische einer Frucht zusammenrafft?

Sagt, dichte ich ergänzend —

Haucht ihr im Zauber des Darüberstreifens

Um mich die Landschaft eures trunkenen Reifens?

 

Aus eines Ölwalds silbergrauer Hege

Seh ich, dem Himmel, der sich zärtlich tönt

Mit rosa Streifen, sich entgegenhebend,

Die Anmut eines Hügels. Ihn bekrönt —

O Wort, in das ich alle Sehnsucht lege! —

Ein Feigenbaum. In schmalen Blättern webend

Ist schon das Leben rege

Des Haines. Von Narzissen

Erglänzt der Rasen, aber aus dem hohlen

Laubwerk, das noch die Nacht hält, glänzt verstohlen

Frucht neben Frucht. Sie wissen

Noch nichts von Lippen, die sie kühlen, nichts

Vom Ausdruck heftig atmenden Gesichts.

Ein Meer schläft irgendwo.

Und wie die Ahnungen des ersten Lichts

Darüberhuschen, so

Huscht über Gräser jetzt, die ihn betauen,

Der elfenbeinerne, der Fuß von Frauen.

 

Und Hände sind von Freundinnen verschlungen,

Und andre deuten nach der Sonnenscheibe:

Sie, die ein Chor von Jünglingen soeben

Heraufsingt. O, wie steht es jenem Leibe

Schön, sich zu kränzen; dem, wie ungezwungen,

Die Frucht zu pflücken; dem das Geben

Und dem die Danksagungen

Des offenen Lächelns, das da nahm!

Das Ganze seh’ ich, seh’ zugleich das Kleinste:

Die Blüte, die juwelene, die reinste

Seh’ ich so wundersam

Der Frucht benachbart auf demselben Ast.

Welch ein Gedicht, in Ewigkeit gefaßt

Vom Blauen des Gezelts!

Und sehe nah des Astes schöner Last

Ein Auge, dessen Schmelz

Wimpern, langüberschattende, beragen,

Zur aufgeschlagnen Blüte aufgeschlagen.

 

O Winde, die im Laub nach Früchten wühlen,

Nach warmen Leibern fühlen in Gewändern!

O Licht, das niederfließt, um die im Fliehen

Dort Zaudernde zur Göttin zu verändern;

Doch eine, dort am Strand, läßt von dem kühlen

Und scharfen Licht an Lende, Brust und Knieen

Sich hüllenlos bespülen,

Sie, die von einem kecken

Strahl, der die Kronen hohen Laubes teilt,

Im Nacken angerührt, ein Wild, enteilt,

Indessen zarte Flecken

Von lila Schatten ihr im schnellen Schreiten

Den weichgeformten Rücken niedergleiten:

Ein rieselndes Geschmeide

Von leichten luftgeborenen Kostbarkeiten,

Auf daß sich an ihr weide

Das All, das betende, das unversehens

Erklingende im Hauche leichten Wehens.

 

Und andere sind anderswo abseits:

Ein Paar, und Mulde ist und Busch und Ranke

Für ihr Wegsinken da, hegt und verhängt sie.

Je enger, je umschlingender die Schranke,

Das All ausschließend, sich um ihren Geiz

Der Liebe legt, je mehr an All umfängt sie.

Ein Vogelruf wird Reiz,

Wie nie und ohne Wort

Sich ins Gesicht zu sehn und die darinnen

Gelesne Ewigkeit kühn zu beginnen.

Und nachts vergißt der Ort

Sich selbst und wird im Mond zu ihrer Mythe,

Wenn sie ihn suchen. O wie ist die Blüte

Dem Sterne neben ihr

Für Liebende so nah! Und Blühens Güte

Ist Stern und Herz und hier!

Jetzt aber würgt mich Sehnsucht, mit Gebeten

Die Riegel sprengend unter euch zu treten,

Euch kundzutun, was Liebe ist: Von allen

Des Herzens Dichtungen die selig freiste

(Ich, der Gefangene, sag’s). O wißt es, wißt es,

Damit ich williger mein Elend leiste,

Mir sagend: Dort ist Leben. Und das Wallen

Des Kleides um die Schreitenden, was ist es,

Und was, wenn so kristallen

Der Himmel und so denkend

Die Blüte wird und Wort und Stille reiner?

Was ist die Hand, die Früchte reicht, von einer,

Die fast die Erde scheint, so schenkend...?

So wie mir keine diese Niemandsgabe

Mich meinend reicht in mein Verlies! Ich habe

Gegriffen jetzt nach dieser Frucht,

Wie ein Begrabener vom Grabe

Wegwälzt des Grabsteins Wucht.

Ihr werdet habend, was ihr habt, nicht wissen,

Ich wissen, was ihr habt, und es vermissen.

 

So aß ich etwa, machte mich durch Essen

Zum Sehnsucht- gar und Wunschgenossen dieser

Fruchtpflückenden? Verfallen durch Verführung

Und doch hier festgeschmiedet?... Sei dem Schließer

Geschenkt, wovon ich noch nicht aß, und wessen

Beschau, Geruch, Berührung

Mich eine Welt von Rätseln ließ durchmessen,

Die erst sich im Gelingen

Von Schönem auslegt. Ach, des niemals Meinen

Welch Abbild, rein genug, mich durch Verneinen

Nur strenger zu bedingen!

Denn meine erst entworfnen Mienen fuhr

Das Schicksal nach; austilgend jede Spur,

Die noch mit lieber Lüge

Ein Draußen lügt, vollendet es das Ur-

Gegebene. Ich füge

Mir alles zu, verhänge diese Enge

Mir selbst, wie ich zerspringend selbst sie sprenge.

 

 

III: Der Gefangene an seinen Stern

 

Stern, du allein

Mir scheinender!

Der Erde nah genug!

Ich meine Pein

Beweinender,

Bis ich dich sah und frug!

 

Bist du mein ach!

So strenges Los

Mir zu ergänzen da,

Der ich so groß,

So tausendfach

Die Nacht sonst glänzen sah?

 

Mein Raum, so schaal,

Wenn du im Spalt

Des schmalen Fensters fehlst,

Wird Aufenthalt

Der eignen Wahl,

Sobald du ihn beseelst.

 

Du, der mir statt

Der andern scheint,

Empfängst den Widerhall,

Der tausend meint

Und dich nur hat,

Du all der Seele All!

 

Auch du bescherst

Dich ihr so ganz,

Wie du sie knieen siehst,

Und endigst erst,

Wenn sie von Glanz

Gesättigt überfließt.

 

O Not! O Gang

Der Stunden, so

Verloren — nichts um nichts.

O Warten, lang

Und bang und o —

Dies Trinken deines Lichts!

 

Dies Kommen, dies

Großmütig still

An mir Vorübergehn!

Dann im Verlies

Nur ich — ich will

Dich denken bis zum Sehn.

 

Wer war des Schreis

Der Einsamkeit

Gewärtig je? Du glimmst,

Ich aber weiß

Mich im Geleit,

Da du mein Leben stimmst.

 

Muß ich vielleicht

Gefangen sein,

Damit so unentwegt

Dein lieber Schein

Mich hier erreicht:

So hegend, so gehegt?

 

Und gehst du fort,

So dünkt es mich,

Du gingst in mir zur Ruh

Und waltest dort;

Und schließe ich

Die Augen, bin ich du.