Max Kommerell: Mein Anteil


Ein Blick auf die Landkarte

 

Auf der Karte seh ich Länder

Wie vielleicht sie Adler sehen.

Für der Flüsse blaue Bänder

Muß ich mich noch höher denken

Als sich Adlerflügel drehen.

Um Gebirge ziehn die Senken

Solch ein Netz, daß es in Falten

Das Gesicht der Erde legt

Wie das Antlitz einer Alten.

Und ich denke unbewegt,

Denke lautlos mir dazu

Silbrige entwölkte Ruh,

Die den Sturm nicht ahnt und nicht

Dieser Zeit gewagte Spiele,

Und das Untere, das Viele

Einfach, klar und heilig spricht.

 

Gar ein Feldherr, wie erriete

Er dies Vorgebirg als Stufe

Seines Anstiegs auf den Wall

Weinumschlungener Gebiete ——

Dächte sich den Paß vom Schall

Klirren ungezählter Hufe,

Dächte Feinde in gehetzter

Flucht vom flachen Land zum Sumpf

Fortgetrieben. Sogleich setzt er

Seine Sohle auf die Schwelle

Jener Insel! Während dumpf

Unter ihm der Meergott schnaubt,

Dem die Sehnen er durchschnitt,

Wiegt gelassen im Zenit

Über Scholle, über Welle

Er sein Menschenvogelhaupt.

 

Mich, den Liebenden, wie weiht mich

Ein in all die Erdgestalten

Dies, daß du zur Seite stehst!

Denn in deines Mantels Falten

Hängt ein Sturm, mit dem du weit mich

Über Kammgebirge wehst,

Wo in nie gehörtem Laute

Lied uns zusingt, Spruch uns zusagt,

Was ich kaum mit selbst vertraute,

Bis ein unvergeßlicher

Strahl die Wolke weicher stimmt,

Daß sie zum Gebirge du sagt,

Und ein unermeßlicher

Blick die liebende Gebärde

Der im Schlaf gelösten Erde

In uns selbst herübernimmt.