Max Kommerell: Mein Anteil


Die geritzten Hände

 

Dornranken hast du aufgebunden,

Dir widerstrebende, am Bast

Mit unbeschützten Händen... hast

Seltsame Lust daran gefunden,

Wenn Dorn nach Dorn sich in dich riß

Um Blut. Auch war dir Lust, dem Biß

Des Winterwinds im blendenden

Durchsausten Bergland zwischen blauen

Schneeschatten einsam zu vertrauen

Den Leib, den jäh sich wendenden,

Der knabenhaftesten Mänade.

Und als dein junges Blut dir rann

Von Händen, lachtest du, gerade

So wie ein Eichhorn murren kann,

Wenn es gestört in einem Nu

Stammaufwärts huscht, der Krone zu.

Und als ich sage, daß auf Hände

Man gleiche Sorgfalt wie auf kühl

Gelagerte Essenzen wende,

Ja gleiche wohl, wie etwa gar

Auf ein beginnendes Gefühl —

Und daß du selbst nach Tag und Jahr

So achtsam Hand und Hand wirst hegen,

Wie eine Priesterin ein Paar

Wahrsagerischer Vögel hegt,

Bis Hand und Hand wohl eingeweiht

In jeden Dienst der Innigkeit,

Was du nicht sagst, in ein Bewegen

Verkündigend hineinverlegt:

Da ward das Leben im Gesichte

Auf einmal stille dir, genau

Als lauschtest du auf die Geschichte

Einer im Lieben großen Frau,

Der vor Jahrhunderten ein Leben,

Das die Geheimnisse versteht,

Gelungen ist, und die jetzt eben

Durch die Gedanken eines Mädchens geht.