Max Kommerell: Mein Anteil


Die Festgemeinde der kleinen Puppenträgerinnen

 

Ach, wie tragen diese Kleinen

Ihre Puppen auf den Armen!

An so heißen Herzen scheinen

Sie allmählich zu erwarmen.

Selbst der Pudel weiß: Welch Weinen

Gäb es, wenn er eine bisse!

Tragen sie treppauf, treppab.

Manche hat das Ungewisse

Fast verdächtiger Allüren;

Andre, die gestreng sich schnüren,

Blicken züchtig wie das Grab.

 

Und sie sitzen bei Visiten

In der Haltung von Dämonen,

Sie bekommen vorgeschnitten

Ei! wie winzige Portionen,

Kosten geisterhaft davon,

Haben Kammer, Bett, Salon

In der Kiste, deren Wände

Ausgeschaffen wurden von

Der Gewalt der kleinsten Hände.

 

Wer hat je die wundersamen

Szenen der Geburt studiert,

Wenn von oft gesagten Namen,

Beinah mütterlichem Kosen

Im Gehäus der Zellulosen

Eine Seele sich gebiert‚

Eingehaucht von kleinen Mündern!

Helft den ganzen Hausrat plündern —

Was von Flittern, von Geweben,

Säumen, Litzen noch im Spind ist,

Daß es ihre Götter ziert!

Diese dürfen abends neben

Der im Schlaf erglühten Wange

Mit in liebe Träume schweben,

Wo der Kindesatem Wind ist,

Er, der Leben gibt dem Leben

Einer Puppe, das so lange

Dauert, als ein Mädchen Kind ist.

 

Nackend sind sie beinah wie

Engel, die nicht Mann noch Weib sind,

Wie es paßt für Kinder, die

Selbst noch Gast in ihrem Leib sind:

Kleine hüpfende Gestirne —

Eben kamen sie erst an,

Und in ihrem zarten Hirne

Wohnt Magie und glaubt und kann.

Kleidchen werden zu Gefiedern,

Wenn sie laufen; sie entdecken

Welt um Welt in ihren Gliedern,

Wenn sie wie der Wind verdreht

Köpfchen durch die Beine stecken,

In der Leichtigkeit des Bückens

Räder um sich selber schlagen,

Mit der Biegsamkeit des Rückens

Schnell geschlagne Brücken wagen –

Weinet Tränen des Entzückens,

Wenn ein Kind ihr tanzen seht!

 

Einzeln, aber unbewußt,

In den Prozessionen gehend

Kleiner Puppenträgerinnen,

Tragen mit vertieften Sinnen

Sie die Puppe an der Brust.

Und geheimen Dienst versehend

Sind sie in sich selber reich,

Wenn sie manchmal wie verstehend

Die gewölbte Stirne senken.

Denn seit menschlichem Gedenken

Sind sich ihre Mühen gleich

An verschwenderischem Schenken.

 

Freilich, störrische Manieren,

Dummes und verglastes Stieren,

Das empört!... und Flammen schießen

In die Kinderwange. Sollten

Sie nicht einmal sich genießen

In der Allmacht, weh zu tun?

Ach das Liebe, Liebe, nun

Muß von spitzem Mund gescholten

Es den Tod der Puppe sterben!

Da und dort aus dünnsten Scherben

Heben sich entschwebende

Puppenseelen — Horch: wie schwache

Gläser, die im Luftzug läuten —

Daß der allbelebende

Blick sie neu zur Puppe mache.

Kinder tun dies. Doch sie deuten

Es noch nicht. Erwachsen rufen

Sie es nie mehr sich zurück,

Und verheimlicht bleibt dies Stück

Unbeschreiblicher Geschichte,

Wie die allerkleinsten Wichte

Götter töteten und schufen!