Erstes Kapitel
Es ist nun schon ein Jahr her, daß alle Tage in den ersten Nachmittagsstunden ein blau gekleidetes Männchen kleinen und langsamen Schrittes an den Fabriken des Roten Weges vorbeispazierte – in den Wald hinaus. Die Kleider lagen dem Körper mit schüchterner Sauberkeit an. Die Jacke war nur oben zugeknöpft, doch schlitzten die vorderen Kanten trotz ihrer Freiheit unten kaum haarbreit auseinander. Weil dieses Kleidungsstück zu lang war und die ein ganz klein wenig x-förmigen, kurzen Beine maschinenhaft gleichmäßig und höchst unscheinbar, als berührten sie das Pflaster nicht, hinpendelten, bekam der Körper ein ungeschickt schwebendes Aussehen. Wie bescheiden ein schwarzer dicker Stock einen Menschen begleiten kann, das erwies sich an dem, der in dieses Mannes wie gelähmt vorwärts gehaltenem rechten Arm immer auf das rechte Bein aufpaßte, rechtzeitig forthüpfte und einen Abstand von anderthalb Schritten durchaus respektierte. Von Zeit zu Zeit schoß er einen langsamen Purzelbaum um die Faust als Achse, und jedesmal, wenn er auf der Krücke stand, den eisenbehuften steifen Fuß hoch in der Luft, ließ sich nicht unterscheiden, wer mehr Furcht hatte, der Stock zu treffen oder der Mann getroffen zu werden. Aber irgend ein Gesetz schien die beiden zur Wiederholung ihres gefährlichen Wagnisses zu zwingen. Einen geringen Schutz hätte der hohe, braune Strohhut gewährt, der den Kopf verschlang und sich auf die etwas abstehenden Ohren zu stützen schien.
Das war Franz Pfinz, Elementarlehrer an der höheren Privatmädchenschule. Aus der Art und Weise, wie er sich erging, konnte man entnehmen, daß er glückl –
Doch nein! Bisweilen zuckte er peinlich mit der linken Achsel, als säße ein böser Plagegeist darauf und flüsterte ihm ins Ohr. Er hatte allerdings eine köstliche Art mit der linken Achsel zu zucken und dabei den Kopf ihr zärtlich entgegen zu neigen. Seine Oberlippe mit den Bartfranzen, die wie verstaubte Silbertressen aussahen, hob sich dann halb lächelnd und halb zufrieden auf der linken Seite empor und zeigte zwischen zwei Lücken einen schmächtigen, bläulich angestockten Zahn, und die Augen schauten in glasiger Andacht zur Erde:
Der Dämon Beethoven begann ihn damals zu peinigen. Was konnte er dafür? Er hoffte die Kleinodien seiner Seele, die im Besitze geliebter Menschen bestanden, zu mehren. Nach der Neigung von noch mehr Menschen trachten konnte er nicht, denn ihn hatte, wie ein Freund behauptete, die ganze Welt und meinetwegen auch der Herrgott lieb.
Und umgekehrt.
Dies mochte seine Frau Antonie nicht an ihm. Sie hatte in ihren vier Ehejahren stets dafür zu sorgen gesucht, daß er keinen allzu ausgedehnten Verkehr pflegte, obwohl er sich von seinen Kollegen nicht ganz zurückziehen durfte und obwohl der Umgang mit vielen lebendigen Menschen ihr tiefstes Bedürfnis war. Denn sie wußte, wie Franz es trieb. Kehrte er von seinem guten Bekannten Hohenkrähn, der Weltläufigkeit und eine rechnerische Tüchtigkeit besaß, heim, so holte er seine Redebilder gleichsam aus Hohenkrähns Hirn und sprach aufgeregt und abgerissen wie dieser. Und von andern, mit denen er ein paar Gerichte gegessen, eignete er sich ebenso die Umgangseigentümlichkeiten ein Stündchen auf Borg an. Selbst nach einem Besuch ihrer alten, lustigen Freundin Ladwig wippt' und plapperte er wie diese.
Seine Schwäche lag so offen da, daß Antonie darum besorgt war: Vor Versunkenheit in fremde Eigenart waren Augen und Ohren Franzens einstweilen nicht ganz offen für sie, und er büßte auch viel von seinem Halt und seiner Würde ein. Die Begeisterung, mit der er sich an andre verlor, webte einen Schein von Lächerlichkeit um seine Person. Antonie fürchtete, diese Lächerlichkeit möchte einmal bemerkt und hinterrücks vergrößert werden, und vor allem, ihr natürlicher Stolz mochte sich nicht bücken. Sie begriff nicht, wie manche Menschen beim Vertrautwerden für Franz solche sonderbaren magnetischen Kräfte besitzen konnten. Sollten sich Zuneigung und Freundschaft bei ihm stets derart offenbaren?
Sie selbst freilich war von einer zwar linden, aber durchaus unverletzbaren Selbständigkeit. Schon ihr Kopf zeigte sie an mit der ins Gesicht geprägten düstersehnsüchtigen Energie, die vor allem wohl entstand durch die leicht eingefallenen Wangen mit schwachrötlichen Flecken da, wo die Knochen sie spannten, und durch die Stirn, die einen deutlich ansetzenden länglichen Kopf aus dem schmalen Gesicht emporwölbte. Doch milderte sie das wellige Haar, blond wie Honig und weich wie das Vließ der Weidenraupen; und noch lieblicher waren die Gegenden um ihren Mund: unter der schlanken Nase baute ein keckes Fleischstück eine Art Dach, der Saum der Oberlippe war etwas vornheraus gelüpft, wogegen die Unterlippe gewöhnlich in holdkindlicher Verlassenheit wie ein armes Beutelrändchen krausgezogen blieb.
Nun mußte sich Antonie gestehen, daß ihre Selbständigkeit größer war, wenn sie einsam vor sich hin arbeitete oder sann, als sonst. Vielleicht verhielt es sich bei Franz ebenso. Es läßt sich nicht sagen, daß sie mit ihren Gefühlen selbstisch zurückhaltend schaltete, indes nahmen Blick, Miene, Wort im Verkehr eine bequeme Alltagsfreundlichkeit an.
Die hatte sie eben vorher in der haushälterischen Arbeit erworben, und wenn sie hernach ein ebenso großes Geselligkeitsbedürfnis fühlte wie Franz, so verschaffte ihr ein Gegengewicht und viel anziehende Lust ihre Tätigkeit, und sie streifte ihr nicht wie vielen andern Frauen von ihrer Blütenhaftigkeit etwas ab, sondern stand ihr wohl an, wob Zauber um ihre Hände und Liebreiz um ihre Gestalt. Die Seele wurde unter stillem Hinschweben von Gerät zu Gerät allmählich heiter und geschäftig, blitzte in hellem Lächeln auf wie ein Goldfisch in klaren Wellen, verklärte wohl eine düstere Stunde noch am letzten Rande wie ein weißes Rüschchen ein Trauergewand und ließ es den Menschen in der Umgebung wohl werden.
Selbst in ihrer Brautzeit hatte sie trotz unbegrenzter Freiheit nicht müßig sein können, sondern den Plan ausgeheckt, mit Franz einen Flicketeppich zusammenzusetzen. So genoß sie ihr Wohlsein mit dem Geliebten besser, freier. Das verlobte Paar machte damals Besuche bei allen Bekannten, sich vorzustellen und bei der nämlichen Gelegenheit alte Kleider auszubitten und konnte sich im Freuen über den sonderbaren Einfall nicht genugtun. Sie bogen sich vor Lachen die Straße hinab, wenn sie mit eng geschnürtem Bündel hausieren gingen und immer in ein entfernteres Loch pickten. Zu Hause bewarfen sie sich mit den Lumpen, schnitten sie mit zwei gewaltigen Papierscheren zu, die sie wohl einmal nach ihrem kleinen Finger oder gar nach der Nase abschnappen ließen, und dann begann die eigentliche Arbeit. Sie ruckelten warm zueinander, setzten einen großen flachen Korb auf den Schoß und beschürzten um die Wette mit dicken, grünen Wollfäden die Stücke daraus. Welche Wonne, wenn die Hände selbviert hinspielten und sich beim Wühlen im Lumpenwust unterirdisch begegneten, Katze und Maus machten und am Boden des Korbes, ihre Anwesenheit kundzutun, das Weidengeflecht kratzten.
Und dieser Teppich aus bunten Lumpen, darüber ein altes geschweiftes Sofa, dessen Flügel einen urväterisch und warm umfaßten, herum ein Stückchen süßer Abend in braunen Wänden – das war für Antonien und Franz seit Jahren die Stätte schönsten Glückes gewesen. Ihr kleiner Sohn David war dann zur Ruhe gebracht, einen Freund oder Fremden erwarteten sie nicht mehr und – so lieb sie den Buben hatten, so gern sie an munterer Gesellschaft teilnahmen – nun waren sie völlig nur für einander da. Und jetzt wurde Antonien ihres Mannes Schwäche, sich bis zum Selbstverlust andern gemütlich anzuschließen, zu einem erquickenden Vorzug, den sie selber am tiefsten mitgenoß, und daher strafte sie ihren Stolz beinahe mit Maulschellen, wenn er ihr sagte, Franz sei lächerlich. Sie zündeten nicht immer die Lampe an, horchten gleich großen Kindern, wie sich der Wetterhahn dicht über ihrem Kopfe mit Sturm und Regen zankte, und blankäugige Schelmgeister saßen ihnen auf der Schulter, – oder sie träumten stumm, wenn der Mond zu ihnen schlüpfte und für ihre Augen schöner Stunden Mumien in seine seidenen Lichtbetten legte. Ihre Gespräche wiederholten den kleinen Inhalt häufig, wurden aber trotzdem nicht alt, weil die Menschen frisch blieben. Sie lebten naiv sowohl ineinander wie auch für sich allein. Erst wenn das Leben mit seiner Lust und Arbeit stockt und krankt, entsteht ein furchtsames Herzklopfen und Langeweile vor der Geringfügigkeit dessen, wodurch man sich mitteilt. Fanden sie keinen andern Ausgangspunkt für ihre Plaudereien, so hoben sie von der Entstehung des garstigen Flicketeppichs an, und dann tanzten schimmernde Tage aus früheren Jahren daher, wie ja auch das schöne Aschenbrödel unter den häßlichen Lumpen verborgen stak.
Aller Friede wandelte sich, als der Arzt Franz verraten hatte, daß sein lungenkranker Freund Albrecht Ullerich nun bald sterben müsse, denn dieser Freund brachte ihm die größte Teilnahme entgegen, wenn er von seiner Kunst, der Musik, sprach. Nach Albrechts Tode würde sich niemand darum kümmern. Antonie war schroff und fast feindselig gegen alles nicht ganz Vollkommene in der Kunst. Obwohl sie musikalische Genüsse nie suchte, mangelte ihr eine tiefe Genußfähigkeit nicht. Franzens Begabung hatte sie hartnäckig stets so behandelt, als reiche sie gerade für einen guten Schullehrer aus.
Albrecht Ullerich hatte ihm schon als Schüler gelauscht, wenn er auf Flügel oder Violine spielte. Franz brachte es früh zu ziemlichen Fertigkeiten, und seine Auffassung war nicht gewöhnlich. Daher spornte ihn Albrecht an und unterstützte seine hohen Zukunftshoffnungen. Als nach seines Vaters Tode der Vormund brieflich anfragte, was er werden wolle, entschied er: Musiker. Wer beschreibt der Freunde lange Gesichter, als der Vormund eine Antwort schickte, in der von Flausen und Lächerlichmachen neben herzlichen Ermahnungen die Rede war. Die beiden hierdurch herb erzürnten Freunde hatten ein langes Gespräch, als dessen Ergebnis folgende Rachetaten zu Tage kamen. Franz Pfinz nahm einen Zollstab, maß aus, wie lang und wie breit des Vormunds Brief war, schrieb die Zahlen, nachdem er ihnen ein Erhebliches zugerechnet hatte, auf ein weißes Blatt und bestellte beim nächsten Glasermeister einen Bilderrahmen. Er wählte stattliche Goldleisten mit einem Lorbeerblattmotiv. Albrecht kaufte währenddessen Leim. Einige Tage später wurde unter predigtartigen Ergüssen der Brief auf einen Karton geklebt und in den Rahmen gefügt, nicht ohne daß mit Pinsel und Hammer den verschwiegenen Wänden des Gemaches mehrfach gedroht worden wäre. „Er kennt dich ja gar nicht, hü!“ rief Albrecht Ullerich. „Du dich lächerlich machen, ha. Dein Ernst macht ihn lächerlich. Du fährst also hin und sagst ihm ganz ruhig und freundlich, daß du seine Worte nicht bloß im Herzen, sondern auch stets vor Augen haben und dich durch seinen eingerahmten Warnbrief an den Ernst deines Berufes mahnen lassen willst. Das soll ihn schon umstimmen.“ – Es half nichts, Franz wurde Lehrer. Auf dem Seminar lernte er in seinen Freistunden zwar noch einige Instrumente spielen, sogar die F-Tuba, aber seine höchsten musikalischen Wünsche mußten zurücktreten.
Als er im Amte war, durfte er ein Jahr lang einen Kirchenchor und ein kleines Orchester leiten. Daran fand er solche Freude, daß er früher oder später doch ganz und gar Dirigent zu werden beschloß. Beethoven, dessen Reichtümer er ahnend umfaßte, wollte er dann spielen, spielen...! Die ganze Welt schien ihm schal, wenn dieses Sehnen ihn packte. Es hatte das Abgebrochene, Rissige, Tränige jahrhundertalter Glockenspiele, die in grauen Türmen mit phantastischer Zier und dunklen Scharten Choräle spielen. „Womit werde ich anfangen?“ fragte er Albrecht, der erhofften Antwort gewiß. „Mit etwas recht Bedeutendem,“ erwiderte dieser. „Zum Beispiel?“ „Der fünften Symphonie Beethovens.“
Diesen Vorschlag wiederholte Albrecht noch kurz vor seinem Tode, – der treue, unglückliche, lungenkranke Freund.
Franz blieb die letzte Nacht im Leben Albrechts am Krankenbett. Gegen Morgen kam der Tod. Albrechts gichtische, humpelnde Mutter drückte dem Sohne die Augen zu. Der Vater, Julius Fürchtegott Ullerich, ein großer, stämmiger Mensch, sah nicht aus wie ein Trauernder, sondern wie ein Wütender. Er hatte ein breites, aufgetriebenes Gesicht, dessen einzelne Teile tückisch ausgebildet waren, die Augen wie Schießscharten, der Bart wie ein schwarzgraues Dornengestrüpp. Ganz vorn im verborgenen Munde schien die schrotige Baßstimme zu hausen. Die klagte nicht, sondern murrte. Zwei melierte Bartzipfel liefen lang und heilig über die Brust. Mittels einer geheimen Muskelbewegung in den Wangen, wo es sich plötzlich ballte, wußte Ullerich diese Zipfel, bald den rechten, bald den linken, jäh zur Seite zu schlackern. Daran sah man, wie der Schmerz in ihm arbeitete. Die Lippen stülpte er zugleich rüsselartig vor, sodaß die Nase auf gelblichem Haarpolster ruhte. Beim Atmen entstand dann ein drohendes Schnaufen und Schnauben.
Die Lampe war gelöscht, das Zimmer lag im Halblicht.
Franzens Entschluß reifte, während er die toten Hände drückte. Ihm war, als läge er unter einem riesenhaften Schildkrötenstein und müsse schnell darunter hervor, wenn er nicht ersticken wollte.
Nach dem ersten Weh saßen die drei Trauernden ganz still. So kam die frische Maisonne, lächelte, strömte reich durch die beiden Fenster des Wohnzimmers nebenan, und der Staub tanzte darin verschollene Mückenmenuetten. In der tomatenroten Politur einer Stuhllehne, am eckigen Messingarm der Leuchter, im Porzellan der Lampenglocke leuchteten stiebende, blendende Reflexe auf, als wollten mutwillige Sonnenbübchen gerade hier und nirgends anderswo ein sehr spitzes Näschen plattdrücken, und es gelänge durchaus nicht. Vollends das Pendel der hohen Standuhr in der Schlafkammer schnitt an einer Lichtwalze herum, als schnitte es Häcksel. So wurde auch dieses abgeschrägte Dachstübchen mit dem einzigen kläglichen Kajütenfenster ein Wundergelaß. Franz sah den Morgen an wie die Ferne seiner Hoffnungen und stand auf.
Nach dem Begräbnis ging er mißmutig in die Schule. Doch die Nachmittage und Abende widmete er den Erinnerungen an Albrecht. Einmal gegen Nacht stapelte er eine Menge Noten und Bücher auf seinen Schreibtisch und vertiefte sich in eine Beethovenbiographie. Die Schicksale des Meisters zogen ihn von seinem Elend ab und ermüdeten ihn gelind, so daß er einnickte. Aber bald — ein Erwachen aus Klingen und Knall, Flackern und Flammen! Die zertrümmerte Lampe lag am Boden, die Gardine lohte auf. Der Hauswirt kam herein und machte Vorwürfe, Franz kündigte die Wohnung. Aber auch Antonie behandelte ihn in der Erregung des Augenblicks nicht so rücksichtsvoll, wie er erwartet hatte, und er überwarf sich mit ihr. Am nächsten Morgen kam er sich in der Schule völlig verlassen vor. Der Freund war tot, die Frau stand fern. Als ein Mädchen den Kiebitz mit dem Kuckuck verwechselte, riß er ihm dafür in plötzlicher Aufwallung ein Ohrläppchen ein. Da ihn seine tückische Wut schon öfter überrumpelt hatte, rügte der Rektor seine Verfehlung mit großer Heftigkeit. Franz war nicht imstande, seine Worte vor ihm zu mäßigen. Der Rektor drohte mit Entlassung, Franz brauste noch mehr auf und forderte seinen Abschied. „Am liebsten wäre mir, wenn sie noch heute gingen,“ antwortete der Rektor. „Das Kuratorium hat Ersatz.“ Franz besann sich nicht.
Auf dem Heimwege ging ihm durch den Kopf, Beethoven, dessen Biographie er gerade gelesen, habe ihm die Lampe umgeworfen und ihn endlich auf den richtigen Weg gestoßen. Er lächelte darüber.
Übrigens die Lampe? Es wäre doch viel praktischer, eine Ampel über den Arbeitstisch zu haben! Dieser Einfall kam ihm, weil er immerfort an seinen toten Freund Ullerich dachte, in dessen Wohnstube eine Ampel gehangen hatte, und zwar unter einem Deckenbilde, das einen Elfenreigen darstellte. — Ullerichs wohnten im ersten Stock ihres Fachwerkhauses, das Erdgeschoß stand augenblicklich leer. Vielleicht war es noch nicht vermietet? Franz ging hin und erhielt die Gelegenheit zu einem billigen Preise, was ihm recht erwünscht kam, weil er ohne Amt dastand und sparen mußte. Noch mehr erwünscht war, daß Ullerichs Haus schon fast außerhalb lag, als letztes am Roten Wege, — der Rote Weg spritzt ja weit ab von der Stadt in die Getreidefelder hinein. Da war Ruhe und Friede.
Das schönste an der neuen Wohnung schien ihm heute ein Haken an der Decke, ein grünlackierter Haken. Aus einem bemalten, runden Medaillon langte er hervor, recht sehnsüchtig, mit etwas schönem behängt zu werden. Der Haken war im Kreis umgeben von sechs lachenden Engeln, gemalt in Wasserfarben. Alle hatten dralle Pausbacken und zitronengelbe Heiligenscheine. Ihr Hals verschwand in olivgrünen, ockergelben und ziegelroten Gewändern, die im Haken zusammen liefen; mithin war die Brust ihnen allen durchbohrt, aber Engel hielten das wohl aus. Der eine zeigte hinter wulstigen, wie mit Eichhornschwänzen verbrämten Lippen himmlisch kräftige Zähne, nur daß einige davon durch Abbröckeln eines Stückes Putz versehrt waren. Ein andrer biß in eine stark verkürzte Posaune, daß einem beim bloßen Anblick die Nerven schauderten. Zwischen den sechs Strohköpfen ganz am Rand aber erblindeten faustgroße Sterne auf nachtdunklem Blau.
Franz sah dies mit schwelender Trauer an. Hier, in seinem künftigen Arbeitszimmer, konnte eine Ampel hängen und ihren besänftigenden Schimmer über ihn schütten, und seine Kräfte würden einträchtig wie jene Engel da oben in seiner Seele Hymnen spielen.
Er ging sich mit Antonien versöhnen und wünschte sich als Geburtstagsgeschenk eine Ampel. Antonie aber hat an seiner Träumerei von den Engeln nicht teilnehmen gemocht und beschlossen, ihm nach sechs Wochen einen Taktstock zu kaufen.