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Versuche und Aufzeichnungen

Das Ringen nach Worten
oder
Vom Übertragen gereimter Gedichte

 

HIS BOOKS          (Robert Southey)

 

My days among the Dead are past;

Around me I behold,

Where'er these casual eyes are cast,.

The mighty minds of old:

My never-failing friends are they,

With whom I converse day by day.

 

With them I take delight in weal

And seek relief in woe;

And while I understand and feel

How much to them I owe,

My cheeks have often been bedew'd

With tears of thoughtful gratitude.

 

My thoughts are with the Dead; with them

I live in long-past years,

Their virtues love, their faults condemn,

Partake their hopes and fears;

And from their lessons seek and find

Instruction with an humble mind.

 

My hopes are with the Dead; anon

My place with them will be,

And I with them shall travel on

Through all Futurity;

Yet leaving here a name, I trust,

That will not perish in the dust.

 

Das fand ich im Oxford Book of English Verse und beschloß, es zu übersetzen. es dauerte zwei drei tage, bis ich sowohl lust als kraft dazu fühlte, und dann .... gingen gleich beim ersten vers die schwierigkeiten los. wer jemals englische verse übersetzt hat, weiß daß das schwierigste problem, schwieriger oft als das finden von reimen ohne sich zu weit vom text zu entfernen, die überzähligen silben sind. das liegt daran, daß das englische ungeheuer reich an einsilbigen wörtern ist und so gut wie keine flexion kennt, während im deutschen die verhältnismäßig wenigen einsilbigen wörter flektiert vielfach zweisilbig werden. drei mögliche lösungen sind denkbar: man übersetzt in ein längeres versmaß, dann hat die deutsche fassung unweigerlich einen ganz anderen ton. dies ist das bequemste und bietet zudem den vorteil, daß man bei versen, wo die übersetzung nicht mehr silben als das original hat, füllwörter einfügen kann, was wiederum das finden von reimen manchmal erleichtert. allerdings wird dadurch das gedicht nicht besser, zumal wenn die englische version schon füllwörter enthielt, was nicht nur bei gedichten kleinerer dichter öfter der fall ist. oder man behält das versmaß bei, läßt aber in der übersetzung hie und da, wo es nicht anders geht, ein wort unbeachtet. diese möglichkeit bietet sich bei wortseligen dichtern an, und ich habe beim übersetzen von gedichten Swinburne's ab und zu gebrauch davon gemacht. oder man tut der deutschen sprache, wo es nicht anders geht, ein wenig gewalt an, kappt hier eine endung, staucht da etwas zusammen, quetscht dort ein eigentlich betontes wort in eine senkung. für diese möglichkeit spricht, daß die elision bei deutschen dichtern besonders des achtzehnten und neunzehnten jahrhunderts sehr gebräuchlich ist: "Sah ein knab' ein röslein stehen", wie auch umgekehrt das einfügen eines "e", wenn das versmaß es erfordert. beim übersetzen von englischen versen ist man in seinem streben nach größtmöglicher genauigkeit allerdings öfter versucht, das kappen und pressen im übermaß zu hilfe zu nehmen; dann klingt, was im englischen frei, leicht, anmutig und natürlich ist, überladen, gequält, stockend. bei Borchardts übersetzungen aus dem englischen, als leistungen bewundernswert, aber meist recht entfernt vom ton des originals, ist diese überfrachtung gradezu ein erkennungszeichen; auch George neigte sehr dazu.

bisher hatte ich mich immer nur, und möglichst behutsam, der beiden letztgenannten möglichkeiten, im wechsel und wie es jeweils am besten paßte, bedient; hier aber war ich tatsächlich, nachdem ich einige verse entwurfsweise übersetzt hatte, versucht, überall einen jambus anzuhängen:

Mit toten gingen meine tage hin;

[oder: Mit toten bracht ich meine tage zu;]

Rund um mich seh ich aufgereiht

...

Die großen geister alter zeit

.... freunde sind sie mir

Womit ich tag für tag gespräche führ.

das klang ganz anders als das original, weniger schlicht, weniger bündig, weiter ausschwingend und langsamer, ja lahm. doch ließen sich einige verse durchaus auch vierhebig übersetzen:

Wo immer grad mein auge ruh

...

Getreue freunde sind sie mir

ich ging die restlichen strophen noch einmal durch: bei gut der hälfte war es ohne große anstrengungen möglich, das versmaß beizubehalten, unter ausnutzung der elision ließ sich auch der erste vers vierhebig machen:

Mit toten lebt ich alle tag;

...

Wohin mein blick sich wenden mag,

und in den übrigen versen ließ sich etwas streichen:

Rundum seh ich gereiht

...

Die geister alter zeit:

...

Womit ich oft gespräche führ.

Und, weil "Womit" sehr unbeholfen klingt, sage ich, obwohl dann eine silbe zuviel da ist, was aber beim schnellen sprechen kaum auffällt:

Mit denen ich oft gespräche führ.

da ich gern das "täglich" anstelle von "oft" beibehalten hätte, dachte ich noch weiter nach und kam auf:

Mit denen ich täglich konversier.

aber ich wollte aus diesem schlichten und ernsten gedicht keine unfreiwillige parodie machen, also blieb es bei "gespräche führ", die strophe hörte sich jetzt also so an:

Mit Toten lebt ich alle tag;

Rundum seh ich gereiht,

Wohin mein blick sich wenden mag,

Die geister alter zeit:

Getreue freunde sind sie mir

Mit denen ich oft gespräche führ.

übrigens dauerte das viel länger als es beim erzählen scheint; die meiste zeit geht mit warten und überlegen und dem erwägen von allen möglichen und unmöglichen einfallen hin: meist hilft einem schließlich die sprache; wo nicht, geht dann die grübelei los die oft eine quälerei ist; und auch wo, hat man immer noch genug damit zu tun, einzelne ausdrücke zu ändern, auszutauschen, umzudrehen, solange bis man zufrieden ist. auch übersetzte ich nicht strophe für strophe, vielmehr standen einzelne verse und versgruppen von anfang an mehr oder weniger fest, nach denen sich der rest zu richten hatte; und wenn ich irgendwo nicht weiterkam, versuchte ichs bei den folgenden versen, der nächsten strophe, wenn da auch nicht, ließ ichs liegen bis zum nächsten tag.

nachdem ich mich also entschlossen hatte, doch das versmaß beizubehalten, ging ich zur zweiten strophe über:

Bei ihnen freu ich mich im glück

Und suche trost im leid;

und dann kam ich nicht weiter, tagelang nicht; zum einen, weil ich auf glück und leid keine reime fand, die einigermaßen das auf deutsch zu sagen erlaubt hätten, was in vers drei und vier steht, zum andern weil ich ganz unabhängig von der reimnot fast unüberwindliche schwierigkeiten hatte, im deutschen die silbenzahl einzuhalten, was hauptsächlich daher rührte, daß man das kleine wörtchen "owe" nur mit "schuldig sein" oder "in jemandes schuld stehn" wiedergeben kann; und auch für die letzten beiden verse fand ich keinen befriedigenden reim. schließlich zwang ich mir, nachdem sich alle veränderungen der ersten beiden verse als nicht weiterhelfend erwiesen hatten, das "leid" in vers zwei durch "weh" ersetzend, die gequälten verse ab:

Fühl oft, wie sehr, denk ich zurück,

In ihrer schuld ich steh;

über deren verbesserung ich noch einige zeit ohne ergebnis nachdachte, und erwog für die letzten verse etwas mit leicht/feucht oder feucht/schleicht, wie:

Dann wird gesicht und aug mir leicht

Von tränen tiefen dankes feucht.

oder:

Dann ............................... feucht

Mir in den bart die träne schleicht.

wovon eins unmöglicher als das andre ist. da sich das weitergrübeln in dieser richtung als sackgasse erwiesen hatte, mußte ich also eine ganz andere lösung finden, und das bedeutete: mich vom original lösen. nach vielem drehn und wenden und probieren glückte mir schließlich eine version die mich halbwegs befriedigte:

Bei ihnen freu ich mich im glück

Und suche trost im weh;

Tief dankbar denk ich oft zurück

An alles was mir je

Von ihnen gutes kam, und das

Gesicht glänzt mir dann tränennaß.

das im original nicht vorhandene enjambement, von Southey peinlich vermieden, wo es zwei strophenabschnitte verbände, nahm ich in kauf.

ganz ähnliche schwierigkeiten stellten sich auch bei der dritten strophe ein. für die ersten beiden verse fand ich die rohfassungen:

Im geist leb ich mit Toten stets

und

Mit toten lebe ich im geist

In jahren lang vorbei.

auf "stets" und " vorbei" gab es keine passenden reime, und vor allem war es auch hier wieder unmöglich, die verse drei und vier getreu und ohne überschreitung der silbenzahl wiederzugeben. nach langem und fruchtlosem überlegen schrieb ich schließlich etwas, was im original nicht steht, aber, wie ich glaube, zu dem in diesem gedicht virtuell sagbaren gehört und nicht aus ihm herausfällt:

Mein sinnen stets ihr sein umkreist,

Ihr sinnen, ihren sinn.

für "lang vorbei" setzte ich in vers zwei "längst dahin" ein. die beiden letzten verse boten kaum probleme, so daß die strophe lautete:

Mit Toten lebe ich im geist ,

In jahren längst dahin;

Mein sinnen stets ihr sein umkreist,

Ihr sinnen, ihren sinn.

In ihren werken such und find

Ich lehren die mein labsal sind.

die letzte strophe machte weniger Schwierigkeiten:

Den Toten gilt mein hoffen, bald

Werd ich bei ihnen sein

erwies sich als so nicht brauchbar, weil sich auf "bald" kein passender reim einstellte und weil vers zwei, mit dem tontragenden "Werd" an unbetonter stelle, so recht holprig klingt. ich erwog zunächst noch die möglichkeit, vers drei und vier so zu fassen, daß sich für vers vier etwas ergab wie:

Mit ihnen im verein;

endlich kam ich auf:

Den Toten gilt mein hoffen; dort

Ist schon mein platz bereit;

Dann geht vereint die reise fort

Durch alle ewigkeit.

für die letzten verse schien mir

Doch wird mein name wie ich glaub

Nicht untergehen mit dem staub.

etwas ungeschickt und zu betont auf den reim hin konstruiert, auch ist "untergehen mit dem staub" schlecht; der staub bleibt ja, und im original steht "im staub"; aber dann hätte mir eine silbe gefehlt. ich entschied mich endlich für:     

Mein name aber wird bestehn,

Nicht, hoff ich, mit dem staub verwehn.

nicht ohne auch hier noch verschiedene varianten versucht zu haben. der reim ist allerdings etwas abgegriffen, aber längst nicht so platt wie bestehn/vergehn; schwerer wiegend scheint mir der einwand, daß der letzte vers eigentlich nichts anderes sagt als der vorletzte. mit etwas wohlwollen fasse man ihn als bekräftigung auf. wers kann machs besser!

 

SEINE BÜCHER     (nach Robert Southey)

 

Mit Toten lebt ich alle tag;

Rundum seh ich gereiht,

Wohin mein blick sich wenden mag,

Die geister alter zeit:

Getreue freunde sind sie mir

Mit denen ich oft gespräche führ.

 

Bei ihnen freu ich mich im glück

Und suche trost im weh;

Tief dankbar denk ich oft zurück

An alles was mir je

Von ihnen gutes kam, und das

Gesicht glänzt mir dann tränennaß.

 

Mit Toten lebe ich im geist

In jahren längst dahin;

Mein sinnen stets ihr sein umkreist,

Ihr sinnen, ihren sinn.

In ihren werken such und find

Ich lehren die mein labsal sind.

 

Den Toten gilt mein hoffen; dort

Ist schon mein platz bereit;

Dann geht vereint die reise fort

Durch alle ewigkeit.

Mein name aber wird bestehn,

Nicht, hoff ich, mit dem staub verwehn.