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Gedichte von Albert Heinrich Rausch

Dem blättern und lesen in Wilperts autorenlexikon verdanke ich nicht den geringsten teil meiner kenntnisse darüber, was es in der literatur überhaupt alles gibt; und ich glaube, dort war es auch, daß mir, vor jahren, der name Henry Benrath zum erstenmal begegnete. Da war die rede von formkunst, von Platen und George, von esoterik, und ich fühlte mich angezogen, denn ich war damals schon ein verehrer Georges, obschon meine wertschätzung damals vorwiegend den büchern vor dem Siebenten Ring galt. Doch kam mir, glaube ich, das pseudonym Henry Benrath schon da geziert und geschmacklos vor, wegen des aufdringlichen und unschönen gleichklangs; mein eindruck war also nicht nur günstig. Ich notierte mir den namen zum gelegentlichen kennenlernen. Als ich einige zeit darauf in der stadtbücherei Die Stimme von Delphi fand, ein büchlein mit nicht sehr tiefen aufsätzen über Sappho, Platen und George, war ich enttäuscht und suchte vorerst nicht weiter.

Zwei, drei oder auch vier jahre später, gegen ende 1980, stieß ich dann in der Universitätsbibliothek auf den Gong, sechs 'elegien' im sinne Rilkes auf oder an die lebensmächte des dichters, unbedingt im anspruch und hochgespannt im ton, und war begeistert. So begeistert daß ich mir nun auch die anderen gedichtbücher von Rausch bzw. Benrath besorgte. Dann auch seine prosa, und von den ersten gedichtbüchern, Dank an Apollon und Stoa, war ich angetan, obwohl oder gerade weil überall unüberhörbar George mitsprach, und beim letzten, Liebe, dem einzigen von Rausch, das einen (fast) eigenen ton hat, gefiel mir die schlichte und zarte schönheit. Aber die schlecht versifizierten erinnerungen in Mnemosyne ernüchterten mich und von der prosa gefielen mir nur die lyrisch-beschwingten, schönheittrunkenen reiseschilderungen; von den gepflegt-weltmännischen gesellschafts-romanen war ich enttäuscht, vom Pirol angewidert, die geschichtsromane, besonders den hochtrabenden, mit dem Kaiser auf du und du stehenden über Otto III. vermochte ich nicht zu lesen, die novellen fand ich läppisch, bestenfalls unterhaltsam. Nun las ich alle gedichte noch einmal genauer, und was mich am meisten begeistert hatte, der Gong, wurde nun gegenstand unbarmherziger krittelei, und auch vom rest der gedichte blieb nicht viel übrig: was nicht von George oder Platen oder, später, Rilke übernommen war, das war schlecht.

Weder voreilige blinde begeisterung noch überkritisches zerpflücken durch den grausamen desillusionierten können ihrem gegenstand gerecht werden; ich hatte überschwänglich gelobt und übermäßig getadelt und fühlte, wieder nüchtern, daß ich ein unrecht wieder gut zu machen hatte; vor allem aber, daß ich mir selbst eine aufklärung schuldete, wie es zu der anfänglichen übertriebenen begeisterung hatte kommen können, was daraus über mich selbst zu erfahren war und wo denn nun das verdienst, ob gering oder groß – denn eine solche völlige geschmacksverirrung: auf ganz und gar schlechte gedichte hereinzufallen, traute ich mir doch nicht zu – der poesie Rauschs lag und liegt. Von seiner erzählenden prosa will ich nicht reden, sie ist, soweit ich sie kenne, von anständiger mittelmäßigkeit und verdient, vergessen zu werden; auch nicht von seiner betrachtenden prosa: zwar lehrt sie uns den mann und seine innere welt kennen und ist durchaus auch bedenkenswert, aber das tun und sind besonders die späten gedichte auch; und nicht von seinen reiseschilderungen: vom licht des südens flimmernde, begeisterte, schmelzende, doch manchmal das schmalzige streifende hymnen auf die schönheit des sichtbaren. Wer in den süden fährt, sollte die Südliche Reise mitnehmen.

Wem die dichtung Georges, Hofmannsthals und der französischen symbolisten vertraut ist, den mutet die lektüre der frühen gedichte Albert Heinrich Rauschs wie der gang durch einen einst gekannten, jetzt aber weniger streng gepflegten und besuchteren garten an. Tatsächlich ist das Buch der Trauer kaum mehr, aber auch kaum weniger als ein fortgeschriebenes Jahr der Seele, mit anklängen an den Teppich, die Drei Bücher, an Algabal, stellenweise auch an Platen. Dieses sich bewegen in einer vorgeformten, erprobten sprache macht den wert dieses buches aus; seine schwäche macht aus, daß es nicht mit der sicherheit und strenge geschieht wie bei George. Die formen sind bei Rausch weicher, weiter, fließender, er bleibt allzu oft im gefälligen, stimmungsvollen, oberflächlich schönen stecken. In diesen gedichten kann man, was bei George unmöglich ist, genießerisch schwelgen. Das ist ein reiz, der zwar wirkt, wenn man gerade zum bloßen genießen aufgelegt ist, aber keinen bleibenden scharfen eindruck hinterläßt, sondern im gedächtnis zu violettem dunst verschwimmt, der sich beim wiederlesen zu einblicken in eine untergegangene, damals schon untergehende welt aristokratischer schönheit öffnet, in der die mühe und qual des wirklichen lebens keinen platz hat, leise wehmut hinterlassend, aber auch ab und an den schlechten nachgeschmack des unechten, preziösen. Bezeichnenderweise hat Rausch in vielen der frühen gedichte, die er in den sammelband Dank an Apollon aufnahm, streichungen vorgenommen; meist nur von einzelnen überflüssigen beiwörtern, bloßen füllseln, so daß viele der gedichte nun zwar kein durchgehend einheitliches versmaß haben, aber straffer und deshalb besser sind. Wenn Rausch später, in seinem George-buch, behauptet hat, er habe seinen ersten gedichtband, Die schönen Müdigkeiten, der 1907 im Buch der Trauer aufging, das wiederum schließlich in auswahl teil des bandes Dank an Apollon wurde, 1902-04 in Paris geschrieben, ohne von Georges gedichten, die er zuerst 1906, kurz vor seiner ersten begegnung mit George, gelesen haben will, kenntnis gehabt zu haben, und übereinstimmungen seien mit der herkunft aus dem gleichen geistigen klima und der gemeinsamen bewunderung der französischen symbolisten zu begründen, so mag das stimmen; ich kann es nicht nachprüfen, da mir Die schönen Müdigkeiten, privat und in kleiner auflage gedruckt, nie zu gesicht gekommen sind. Tatsache ist jedenfalls, daß im Buch der Trauer, das wie gesagt einen teil dieser frühen gedichte enthält, nicht selten typisch Georgesche wendungen, typisch Georgescher tonfall begegnen. In Weißer Klee sind die verse: "Worauf sie langsam nur das Haupt erhob / Und ihre schmale Kette von Türkisen / Am weißen Nacken etwas tiefer schob" vielleicht von Georges "Ich raffe leise nur die purpurschleppe" angeregt; im Abend in Pallanza sind die verse "Sie lehnte stumm am hohen Fensterbogen... / Ich aber saß auf einer Treppenstufe" deutlich von Georges "Du lehnest wider eine silberweide... / Ich bin im boot das laubgewölbe wahren" beeinflußt, überdies haben beide gedichte den gleichen aufbau und sind gleich lang. Gedichte wie Nach einem Frost sind zu offensichtlich in georgeschem ton und georgescher sprache gehalten, als daß dies zufall sein könnte. Besonders auffällig bei Rausch ist, daß er wendungen wie die gerade zitierte "Du lehnest...", die ihm offenbar ganz gesonders gefielen, immer wieder verwendet, während George sich aller wiederholungen betont enthält: "Du lehnst an meines Stuhles hohen Knauf" in Nachtwind; "Du lehnst an meinem Arm" in Heimkehr; "Du lehnst mit deinem Rücken an die Mauer... / Du lehnst in immer gleicher, stummer Trauer" in Späte Rose; "Wir lehnen am grauen Gittertore" in Am Tor; dies letztere ist überdies eine abwandlung von Georges "Wir schreiten auf und ab im reichen flitter: [...]

Georges vers "Ich aber bog den arm an seinen knien" hat Rausch so beeindruckt, daß er fast wörtlich in allen gedichtbüchern bis zum Gong und zu Mnemosyne wieder auftaucht. Viele anklänge sind sicher aus beider verpflichtung gegenüber den französischen zeitgenossen zu erklären – eine eingehende untersuchung brächte da aufschluß –, auch bei Andrian in Österreich, teilweise auch bei Hofmannsthal, findet sich verwandtes, aber die angeführten beispiele sprechen eine zu unmißverständliche sprache, als daß Rauschs verpflichtung George gegenüber geleugnet werden könnte. Umso erstaunlicher ist, daß er in seinem George-buch zwar seine bewunderung für George ausdrückt, aber seine dichterische unabhängigkeit von ihm so stark betont; dabei nimmt die abhängigkeit seiner gedichte von denen Georges bis zum buch Stoa eher noch zu. Erstaunlich auch deshalb, weil Rauschs gedichte keineswegs schlechter werden, wenn sie sich in Georgeschen formen bewegen, solang er sie mit eignem inhalt füllt, was durchweg der fall ist. Es macht ja die bedeutung der meisten poetae minores aus, daß sie sich in ermangelung einer eigenen sprache einer vorhandenen bedienen; ihre gedichte sind mittelmäßig, aber anständig und lesbar, lesbarer vor allem als der krampf gewisser neutöner um der neuheit willen. Rausch dichtet, eine hohe dichterische kultur vorfindend, diese auf bescheidenem niveau ins breite aus, dergleichen kann einerseits die gipfel zugänglicher machen, andererseits neue gipfelleistungen erleichtern; vom mittelgebirge zum hochgebirge ist es weniger weit als vom flachland. Was die qualität der dichtung Rauschs betrifft, so ist mir unter vielen gedichten von mitgliedern des eigentlichen George-kreises kaum eines vorgekommen, was ihr nur nahekam, es sei denn solche von jüngern, die sich von George emanzipiert hatten, wie etwa Kommerell.

[geschrieben gegen mitte der achtziger jahre]