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Konrad Weiß digital – und was jetzt?

Als ich 2012 damit begann, das Werk von Konrad Weiß zu digitalisieren und auf meiner Website zu veröffentlichen, geschah das aus dem Wunsch heraus, etwas für die Sichtbarkeit und womöglich Verbreitung dieses Werkes zu tun. Und die Erstveröffentlichung der Kriegstagebücher von 1914 bis 1919 im Jahr 2018 war von der leisen Hoffnung begleitet, damit der Literaturwissenschaft einen Anreiz zu liefern, sich mehr mit Konrad Weiß zu beschäftigen. In der sehr überschaubaren Sekundärliteratur zu Konrad Weiß – es sind kaum mehr als ein Dutzend Titel, Bücher und Aufsätze – wurde wiederholt das Bedauern darüber geäußert, daß die Tagebücher (und auch Briefe) nicht veröffentlicht vorliegen. Eine Auswahlausgabe der Tagebücher und Briefe war seit 1980 angekündigt, ist aber nie erschienen, so daß ich mir irgendwann sagte: wenn es sonst keiner macht, mach ichs eben selber.

Seither habe ich ein paar anerkennende Zuschriften bekommen, aber auch eine in schöne Worte verpackte Krittelei an der Tagebuchedition von Seiten einer Frau, deren Großvater mit Konrad Weiß in dessen letzten Lebensjahren nach ihrer Aussage "sehr befreundet" war, und die meinte, sie "wage zu bezweifeln", daß eine reine Textedition der Tagebücher ohne Kommentar sinnvoll sei. Das empfand ich als besserwisserisch und kränkend; die Zuschriften dieser Frau hatten für mein Gefühl etwas gralshüterhaftes: Wie kannst du namenloses Subjekt es wagen, Konrad Weiß zu edieren, noch dazu Unveröffentlichtes, wo doch mein Großvater mit ihm befreundet war...

Auf diese Art von billiger Mäkelei kann ich verzichten; ich weiß selbst, daß ein Kommentar nicht nur zu den Tagebüchern von Konrad Weiß, sondern Sachkommentare und inhaltliche Erläuterungen zu seinem gesamten Werk absolut wünschenswert sind. Ich bin aber alleine nicht in der Lage, weder zeitlich noch von meinen Kenntnissen her, das zu leisten. Wer, statt zu meckern, sich daran beteiligen möchte, meine digitale Weiß-Edition zu ergänzen und zu verbessern, ist herzlich dazu eingeladen. Aber die Germanistik rührt sich nach wie vor nicht, sie ... sitzt und besitzt.

Meine Edition war und ist gedacht als ein Anfang, aber wo ist die Fortsetzung? Ich kann nicht genau abschätzen, wieviele Leser meine Seite hat; die Statistiken geben nur darüber Auskunft, daß die Seitenaufrufe sich im Bereich von wenigen Tausend pro Monat bewegen, wobei jede einzelne Seite gezählt wird und die weitaus meisten Aufrufe, weit über 90 Prozent, von Suchmaschinen stammen. Mit mehr habe ich aber auch nie gerechnet, dazu ist das Werk von Konrad Weiß zu schwierig, zu abseitig. Die Leserzahlen von Konrad Weiß dürften nach meiner Schätzung bei einigen Hundert bis vielleicht Tausend liegen – und die meisten seiner Leser, auch ich, dürften beim Lesen Buchausgaben bevorzugen. Aber wenn von diesen wenigen Lesern auch nur ein paar dabei wären, die tiefer in das Werk von Weiß eindringen möchten, die, wie ich, mit der Lektüre auch ein Erkenntnisinteresse, einen Wunsch, besser zu verstehen, verbinden: diese Leser sollten doch irgendwann auf meine Website stoßen. Und wenn von diesen wenigen Lesern vielleicht der eine oder andere sich gedrängt fühlen würde, sich schreibend mit Konrad Weiß auseinanderzusetzen, und die wissens- und bildungsmäßigen Voraussetzungen hätte, dies so zu tun, daß auch andere davon profitieren könnten: dann wäre meine oben geäußerte Hoffnung erfüllt.

Stattdessen ist eine Einladung an das DLA Marbach, wo der Weiß-Nachlaß liegt, mit mir zusammen eine Faksimile-Ausgabe der Kriegstagebücher zu veranstalten, nach einer anfänglichen Bekundung von Interesse, im Sande verlaufen, weil das Angebot, das mir von seiten des DLA gemacht wurde, eine Herabwürdigung meiner Leistung darstellte und damit für mich inakzeptabel war. Auf den Vorschlag an den Wallstein-Verlag, mit mir als Herausgeber eine Werkausgabe Konrad Weiß in Buchform zu veranstalten, zu der ich druckfertige Vorlagen hätte liefern können, bekam ich nach zwei Monaten (im März 2019) die Antwort, man prüfe mein Anliegen, brauche aber noch etwas Zeit, und seither nichts mehr. Ich habe dann selbst einen Großteil der Werke von Weiß ins epub-Format konvertiert und bei Mobile Read veröffentlicht (außerdem sind die eBooks auch auf meiner Website verfügbar).

Die Schwierigkeit der Werke von Weiß allein kann es nicht sein, die eine derartige Vernachlässigung dieses Autors erklärt. Die Dichtung von Hölderlin oder Celan ist auch schwierig (und auch abseitig), und trotzdem beschäftigten und beschäftigen sich ganze Heerscharen von Germanisten mit diesen Dichtern, und auch teilweise mit hervorragenden Ergebnissen. Warum ist das bei Weiß nicht so? Einen möglichen Grund sehe ich darin, daß man, um Weiß besser zu verstehen, die Bibel und bestimmte Kirchenväter kennen und überhaupt theologisch und philosophisch beschlagen sein muß. Das ist beim normalen Germanisten nicht der Fall, und bei mir leider nur eingeschränkt.

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