Gedichte über Blumen
CHRYSANTHEMEN

Nun dieses Himmelslaken feucht und lehmen

Bedeckt den seiner Welt verlornen Sohn,

Stehn hinter Scheiben zahllos Chrysanthemen —

Ein Sonnetraum — und er betritt ihn schon.

 

Ihr drängt in mir, verpflanzt und abgeschnitten,

Die Köpfe wollig weiß und fahl und braun,

Umringt von bleichen Masken, kalten Sitten,

Wo Feuerlilien Labyrinthe baun.

 

Dicht wimmelt es im schwarzen Schnee der Städte,

Sie haben Worte unverständlich viel;

Ich neige mich auf euch hinab und jäte

Verwelkte Blätterdrachen euch vom Stiel.

 

Die trugen mich nach unsrer Heimatinsel,

Indem ihr Schweif in meiner Hand zerbrach.

Dort vom Vulkan hob seinen grauen Pinsel

Ein großer Geist, der mit den Sternen sprach.

 

Und er hielt ein und lag auf seinem Rücken,

Der guten wie der bösen Werke bar,

Und alles Planen wollte ihm nicht glücken,

Weils schon vollzogen und vollkommen war.

 

Da sah er mich. "Du träumst. Der Drachenmotte,

Du Mensch", so sprach er, "war dein Schweiß zu schwer.

Bleib übersee. Und es gibt keine Flotte,

Die nicht verschölle im verschollnen Meer.

 

An Todesfelsen hacken leere Kähne,

Die Wellenkreise klappern bugentlang,

Dem Großen Bären wässern sie die Zähne

In unaufhaltsam ernstem Weiterdrang."

 

Ich höre durch die Stadt das Leben brausen

Dem Abend zu, doch wenn es Atem zieht,

Ertönt von fern, verschämt, in Pausen

Ein Klang aus einem Chrysanthemenlied.

 

Oskar Loerke