Gedichte über Blumen
DIE RÖSELEIN

1.

Unser Leben / unser Singen /

Ist schon stachlicht diese Welt;

Soll doch unanstößig dringen /

Hin bis in des Himmels Feld:

Schöne Rosen blühend stehn /

Ob schon Dornen mit aufgehn.

 

2.

Presst uns hie des Unglücks-trükken /

Bringend Thränen-Naß heraus /

Ey so sollen wir hinrükken

Glaubensvoll ins Himmelshaus:

Ob schon Dornen dikke stehn

Obenaus die Rosen gehn.

 

3.

Rizt der Angstpfeil unsre Herzen /

Daß auströpfle Sweis und Blut:

Unverwundet / ohne Smertzen

Frischt sich auf der Himmelsmuht:

Unverletzt die Röslein stehn

Ob schon Dornen dikk aufgehn.

 

4.

Trükt uns Elend / Noth und Jammer /

Daß die Seel kaum bleiben kann /

Dann leßt aus die Herzens Kammer /

Süssen G'ruch bis Himmel an:

Harter Dorn geruchlos steht /

Schön Geruch von Röslein geht.

 

5.

Röslein riechen / Röslein blühen /

Und sind süsses Saftes voll:

Unser Lassen / Tuhn / Bemühen /

Röslein-art erzeigen soll:

Dan wir auf den Rosen gehn /

Wan die Dornen um uns stehn.

 

6.

Unser Heyland ist die Rose

Die in jenem Tahle grünt;

Es bleibt seine Herzenslose /

Sein durch Lieb und Gnad versöhnt:

Unser Herz gen Himmel geht /

Wan es bey den Rosen steht.

Justus Georg Schottel