Eine Epistel
I
Das Sonnenlicht, die Rose und der Wind
Besprachen unlängst sich in meinem Garten.
Die Rose war, wie junge Rosen sind:
Anmutig streng und dennoch voll Erwarten,
Und ruhte auf dem Stengel nicht als ob
Sie Last ihm wäre, nein, als blühend-frische,
Die sich im Quellen ihres Saftes hob.
An ihr Verschlossensein, das träumerische,
Erinnert noch der Tau, Geschenk der Nacht. —
Der Wind, der sprang aus seinem Wolkenboote
Mit aufgewehtem Mantel: ein Korsar,
Der schöne Dinge mit Gewalt bedrohte.
Der Sonnenstrahl, wer schildert den? Der war
So wie wenn Gott die ganze Welt anlacht,
Und wie zwei Liebende nach vielem Neigen
Und Flüstern und Berühren wunderbar
Erstaunt sich ansehn und sehr lange schweigen.
II
Der Strahl kam zu ihr. Das Gedränge scheuer
Herzhüllen teilte er, und wo er traf,
Stand jedes Blatt in rosenlichtem Feuer,
Manch andres lag in weichem Schattenschlaf.
Da hätte fast ihr Gold, ganz innen tief,
Er angerührt, der süß-Gedankenlose!
Worob sie leis ein Schauder überlief...
Doch nur die Seele zitterte der Rose.
Nun schiens dem Winde Zeit. Er pochte an,
Bedrängte sie und brauste ungeduldig,
So daß zu zittern auch ihr Leib begann.
"Bist du erwacht? Doch der es tat, war ich!
Ich, der an deinen Träumen heimlich schuldig
Die Nacht lang flüsternd deinen Schlaf umschlich...
Hörst du mich Meer? Bin ich ihm nicht im Mischen
Der Töne gleich?" Er brauste stärker dann,
Und immer sprach im Brausen er dazwischen.
III
"Ich geb dir Flügel, ich! Ein Wind zu zwein
Sind wir, wenn so dich meine Arme wiegen.
Gehöre mir!" Die Rose sagte: "Nein.
Ich weiß was du liebhaben nennst: entfliegen,
Nachdem geschwelgt du hast sekundenlang
Inmitten roh mir weggeküßter Blätter!"
Er sprach: "Ist Liebe nicht ein Untergang — —?"
Die Luft des Junitags ward glatt und glätter —
"Und wird nicht er auch tödlich dir — dein Strahl?"
Und inne hielt er, wie als ob ihn härme,
Daß jener schwieg, und nur, wie schon einmal,
Sprach mit der Kraft durchdringend süßer Wärme.
Drum galt ihm der an Geist und Rede klein,
Ihr aber groß, das Innigste zu sagen.
Es hauchte in ihr ihm entgegen: "Dein!"
Dann sprach zum Wind sie so: "Ich darf nicht klagen.
Denn Gott befahl mir, wissend schön zu sein.
IV
Ich weiß genau, daß ich vergehen soll,
Und will mit meines Leibes jeder Welle
Doch neu erquellen wie ich heut erquoll,
Und zwischen Rast und todbereiter Schnelle
Bin arme kleine Rose ich geteilt.
Denn was ist Blühn, als daß ins Ungefähre,
Das stumm ihn trinkt, mein Duft hinübereilt?
Ich möchte, daß auch dies an mir sich jähre,
Weil viele Tode wie ein Leben sind.
Ob so der Tod mich nimmt, wie du es dachtest,
Das ist ein andres (merke dies o Wind!)
Als wie der Strahl es denkt: unmerklich-sachtest,
Und wie es denkt das stille Lied des Lebens,
Das anhebt voller Lachen wie ein Kind,
Und dunkler wird, indem es sich begreift,
Und mit dem Zögern eines goldnen Bebens
Die letzten Blätter mir vom Stengel streift..."
V
Da war der Wind auf einmal nicht mehr da,
Nur noch die zwei. Sie gaben und sie nahmen,
Und was die Rose dichtete, geschah.
Sie bebte gleich der Braut und sagte Amen.
Sie dehnte sich im weichen Meer der Luft
Und trank sich voll durchsichtig warmen Scheines,
Sie ward des Strahles Feuer, er ihr Duft..
Sie lernte, Tod und Leben seien eines...
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Vertrauteste! Denn du erkennst beim Lesen
Dich Rose schnell, erkennst zuletzt auch den,
Der sich mit dem Gesichte zweier Wesen
In diesen Lebenslauf der Rose stahl.
Und tut, den Lieben heut als lieb zu sehn
Und gestern fast als Drohenden, dir wehe,
So rufe dir zurück: auch mir befahl
Ein Unbekanntes, das ich nicht verstehe,
Dir gestern Wind zu sein und heute Strahl.
Max Kommerell
Max Kommerell, So will es die Rose. Aus: Max Kommerell, Dichterisches Tagebuch, © Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main, 1935.