Gedichte über Blumen
DIE SPÄTROSE

Ein Rosenstöckchen, früh erblüht,

Ist über Nacht erfroren,

Als wie ein hoffendes Gemüt

Die Hoffnung hat verloren.

 

Wenn nun die andern sommerlang

Sich mit den Kronen schmücken,

Muß es betrübt bei dem Gesang

Der Nachtigall sich bücken.

 

Doch einen spärlichen Ersatz

Hat ihm der Herbst bescheret;

Als rings die andern ihren Schatz

Der Lebenslust geleeret:

 

Da triebs am letzten Sonnenstrahl

Aus innigen Gedanken

Ein Röslein noch, voll Lust und Qual

Im kalten Hauch zu schwanken.

 

O glücklich, die in lauer Luft

Der Frühling ließ verglühen!

So schaurig ist es, auf der Gruft

Der Liebe zu verblühen.

Friedrich Rückert