DRITTE VARIATION: BRENNENDE LIEBE
zu anfang der neunziger jahre des achtzehnten jahrhunderts lebte in Basel ein junger gelehrter, der sich, so gut es ging, als hauslehrer durchschlug, immer in der hoffnung auf eine anstellung, die es ihm ermöglichen würde, endlich um die hand seiner geliebten anzuhalten. diese, ein schwärmerisches, anmutiges, kapriziöses geschöpf von 22 jahren, mit einer gelegentlichen neigung doch auch zur schwermut, tochter eines recht vermögenden bankiers, die er während seiner studienzeit kennen und lieben gelernt hatte, liebte ihn maßlos und ausschließlich, wie er sie tief und ausschließlich. der vater, der anfangs gute miene gezeigt hatte, weil er meinte, in Herrn Guido einmal eine passable partie für seine tochter zu finden, wurde ungeduldig, als dieser auch nach seinem studium der habenichts blieb der er war, und versprach Amanda einem fetten krämer, der schon öfter seine hoffnung zu verstehen gegeben hatte, das reizende mädchen dereinst an seinen wanst zu pressen. der liebhaber ist verzweifelt, Amanda leidet und trotzt, der vater tobt und droht, der krämer drängt und schmeichelt. die liebenden bleiben standhaft, die tochter erklärt, sich eher umbringen zu wollen als ihrem Guido untreu zu werden; der vater kennt sie zu gut als daß er dies für eine leere drohung halten würde, und da er so dickköpfig ist wie sie eigensinnig, steckt er sie, in der hoffnung, die zeit, die entbehrung und die einsamkeit würden ihren starrsinn brechen und das bild des geliebten verblassen, das der gewohnten behaglich-üppigen umgebung aber umso heller erstrahlen lassen, in ein kloster.
für Guido ist nun eine welt zusammengebrochen. tagelang treibt er sich in der nähe des klosters umher. dessen mauern bleiben undurchdringlich. seine pflichten versäumt, sein äußeres vernachlässigt er. schließlich zieht er sich, welt- und lebensmüde, als einsiedler in eine höhle im Isteiner Klotz zurück, einem ausläufer des Schwarzwaldes, der einige meilen nördlich von Basel steilrecht in den Rhein abfällt und in dessen zerklüftete kalkwand im lauf der jahrhunderte so mancher eremit seine klause gehauen hat; sogar eine kleine kapelle ist säuberlich in den fels gemeißelt. in einer nur von seiner behausung aus zugänglichen zweiten höhle richtet er sein heiligtum der verlorenen geliebten ein, mit einem bildnis von ihr als reliquie, das sie vor ihrer verbannung noch zeit und gelegenheit gefunden hat ihm zuzustecken, und unter das sie eigenhändig die seltsamen verse geschrieben hat:
Des vaters starrsinn will ihn von mir trennen
Doch löst kein fremder wille unser band.
Und wird dies bildnis einst verbrennen
Vereint für immer uns der liebe brand.
davor schmachtet er täglich und bläst ansonsten, wenn er nicht unterwegs ist, um seinen hunger zu stillen, trübsal.
eine zeitlang lebt er so hin. sie hat sich im kloster einer inbrünstigen frömmigkeit hingegeben, die den Erlöser im mund führt, doch den geliebten meint. da eines abends im frühherbst durchzieht ein gewitter die gegend. von der wucht der böen springt, während Guido grade vor seinem idol die andacht verrichtet, die tür seiner klause auf; er springt auf, um sie zu schließen und stößt dabei, ohne es zu merken, die kerze um die es beleuchtet. als er zurückkommt, steht das bildnis in flammen; aus dem verkohlten, aber noch unzerfallenen blatte schimmert ihm im fahlen gewitterlicht weiß der sinnspruch entgegen. ihm schwant böses, er stürzt sich in die nacht, die richtung auf das kloster nehmend. über diesem türmen sich ungeheure schwarze wolken aus denen von zeit zu zeit mit rumpeln und grollen grelle blitze fahren. im näherkommen bemerkt er, wie sich unter den wolken ein rötlich-flackernder schein verbreitet, der kein wetterleuchten ist. er verdoppelt seine schritte; durch den jetzt einsetzenden regen hastend, gegen den sturm sich stemmend eilt er weiter. als er am kloster anlangt, findet er es in flammen: ein blitz hat in den glockenturm der klosterkapelle eingeschlagen, ihn zum einstürzen gebracht, das gebälk entzündet; von da ist das feuer auf die andern gebäudeteile übergesprungen. die nonnen sind mit dem schreck davongekommen und begackern, unter das vordach des verschont gebliebenen pförtnerhäuschens gedrückt, den verlust ihrer gebetbücher. Amanda allerdings, die nach ihrer gewohnheit noch spät den Erlöser anflehte, ist in der brennenden kapelle, deren ausgang die trümmer des glockenturms versperren, eingeschlossen. ihre schreie gellen durch das brausen des sturms. Guido, von sinnen vor schmerz und liebe, erklimmt eine mauer, zerschlägt ein fenster, schon springt er in die kapelle. die liebenden umschlingen sich brünstig inmitten der lohe, dann reißt er seine Amanda zu dem fenster. aber in seiner hast hat er die höhe des fensters nicht bedacht, kein seil, keine leiter mitgenommen. ein hinaufklettern läßt die glatte wand nicht zu. er befiehlt ihr, auf seine schultern zu steigen, sie weigert sich ihn allein zu lassen. fieberhaft stapelt er unter dem fenster glühende trümmer, die heißen steine versengen seine hände, die ihm entgegenschlagenden flammen haar und brauen; noch immer ist es nicht hoch genug. unterdessen hat der wolkenbruch die flammen teils gelöscht, teils sie gehindert sich weiter auszubreiten; alles dampft und schwelt im prasselnden regen, nur die kapelle brennt immer noch lichterloh. gespannt und ängstlich starren die nonnen zu dem zerbrochenen fenster hoch: jetzt schieben sich zwei hände über den rahmen, klammern sich fest, ein kopf erscheint, sie ist es! da geht ein krachen durch das gebäude, die verkohlenden balken tragen das dach nicht länger, es stürzt ein. das gesicht, die hände verschwinden in einer wolke aus staub und qualm, der lärm der stürzenden schindeln und sparren ist ohrenbetäubend. nach und nach legt sich der staub, verzieht der rauch und ein bild der verwüstung bietet sich den blicken. in den trümmern ist kein laut zu hören, keine bewegung zu sehn außer dem splittern und bersten verkohlten holzes. am morgen zieht man unter dem schutt die verbrannten, gräßlich verunstalteten leichen Amandas und Guidos hervor.
man begrub sie auf dem friedhof des klosters, im jahre des heils 1794; Ein grabstein ziert ihre gräber.
[Gott wolle sie vereinen, die hier der Mammon schied]