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Konrad Weiß: Briefe an Veit Roßkopf

Konrad Weiß

Briefe an Veit Roßkopf

[1: Handschrift]

München, Mozartstr. 13/III, 18. Juli 33

Sehr geehrter Herr Dr. Roßkopf!

Ich darf Ihnen hiermit den „Wettlauf des Knechtes“ in der „Cumäischen Sibylle“ zu Ihrer Kenntnisnahme überreichen.

Es wird Sie dann vielleicht interessieren, die Gedichte im „Herz des Wortes“ und etwa die beiden ersten Prosastücke in „Die Löwin“ anzusehen, weshalb ich die beiden Bücher ebenfalls dazulegen darf.

Ihr hochachtungsvoll ergebener
Konrad Weiß

[2: Handschrift]

München, Mozartstr. 13/III, 16. März 34.

Sehr geehrter Herr Dr. Roßkopf!

Noch habe ich Ihr Rundschreiben an die Rundfunkdichter nicht beantwortet und gebe im Nachstehenden einige Daten, die nicht reichlich sind, da – wie Sie ja wissen – meine Erzählungen und auch mein lyrischer Vorrat nicht so recht verwendbar sind. Es wird bei mir zunächst wohl nur Gedichte vorzulesen geben

Ich hoffe Sie gut zurückgekehrt und grüße Sie herzlich Ihr Konrad Weiß

Konrad Weiß: 1) geb. 1. Mai 1880 in Rauenbretzingen a/a Gaildorf, Württemberg, Universitätsstudium in Tübingen, München, Freiburg (Br.), Redaktionstätigkeit an Zeitschrift (Monatsschrift „Hochland") und Zeitung (Kunstkritik „Münchn. Neueste Nachrichten); Schriftsteller.

2) „Die kleine Schöpfung“
„Das kaiserliche Liebesgespräch“.

3) bisher vorgelesen [?] Prosa „Die Bitte um das Blut“
und Gedichte aus „Tantum dic verbo“
„Die cumäische Sibylle“
„Das Herz des Wortes“.

[3: Handschrift]

München, Mozartstr. 13/III, 10. Juli 34

Lieber Herr Dr. Roßkopf!

Gestern hat meine Frau Ihre Karte vom Petersberg erhalten, die uns wieder an die schönen Fahrten mit Ihnen und überhaupt an diese letzte Zeit erinnert hat, da Sie noch in München waren. Ich lese in meinen Harz-Notizen und denke, daß das noch kaum mehr als vier Wochen sind, die seit dieser schönen Fahrt vergingen. Es ist auch schön, wenn man wieder auf Einzelheiten kommt, die zufällig wieder ins Gedächtnis treten; daß wir etwa Obermarsberg nicht gefunden haben u. ähnliches, was dann doch den ganzen Eindruck einer Gegend gibt. Ich habe die letzten Tage her Klopstocks Oden durchgeblättert, eine eigentümlich vokal-lose Art der Dichtung, welche aus Rauschen und Raunen und solcher Art Weissagung statt aus der geschichtlich-komparativischen Vokal- oder Wortwerdung sich hervorsteht [?]. Dabei sind aus solcher mit Taktik gegen das Unbestimmte angeeigneten Dichtung doch sehr schöne Stücke einer fliehenden Findung entstanden. Gerade diese „fliehende Findung“, wie eine gestaltlich-sinnliche Drehung um das „Wort“ – indem sie also aus der apokryphisch-pathetischen Dichtung zu sich selber weiterfindet – ist eine schon über das Rokoko wie mit einem schönen Naturgewissen [?] hinausgeführte Echtheit.

Schade, daß man den Leipziger Sender nur schlecht hören kann; ich habe es gestern bei der Droste-Sendung versucht; aber es war ziemlich gestört.

Alles fordert heute zur Arbeit auf, bzw. zur Sinnführung in die Sichtbarkeit. Sie werden sagen: Na also.

Herzlichst grüßt Sie
Ihr Konrad Weiß
auch viele Grüße von meiner Frau
und herzl. Dank für den von Ihrer Braut
mitgeschickten Gruß.

[4: Handschrift]

München, Mozartstr. 13/III, 19. Juli 34

Sehr verehrter Herr Dr. Roßkopf!

Sie haben mir mitteilen lassen, daß Sie die Absicht haben, meine Ausführungen über die „Naumburger Figuren“ im Reichssender Leipzig zu bringen. Ich danke Ihnen für die Nachricht und bin gerne damit einverstanden.

Ich weiß nicht, ob Ihnen die Vorlage in Zeitungsdruck hiefür genügt. Ich habe hier ein Exemplar beigelegt, in welches ich kleine Änderungen eingefügt habe, die zum Vorlesen gehören. Auch habe ich noch einen Passus zur Verdeutlichung des Hauptgedankens hineingeschrieben, der, wie mir scheint, zweckdienlich ist, um den beschreibenden Charakter nachhaltiger zuzuspitzen.

Über den „Sommergang nach Schulpforta“ muß ich noch nachdenken, da diese Sache nicht leicht ist.

Sie schreiben mir in einem zweiten Briefe von Ihrer Absicht, einen Zyklus „Um des Reiches Krone“ zur Sendung zu bringen. Ich habe mich in der letzten Zeit mit dem Konradin beschäftigt und möchte hoffen, daß es mir gelingt, aus dem Stoffe ein Stück Drama heraus zu gestalten. Ich getraue mir nicht, mehr zu sagen, wiewohl mich Ihre Einladung zur Beteiligung sehr erfreut und ich gerne zu Ihren Zielen mitarbeiten möchte.

Herzlich dankend für Ihre Zuschriften
mit deutschem Gruß
Konrad Weiß

[5: Handschrift]

München, Mozartstr. 13/III, 24. Juli 34

Sehr verehrter Herr Dr. Roßkopf!

Ihren Vorschlag betreffend die Königsballade Heinrich I habe ich erhalten und mich in den letzten Tagen in dem Thema umgesehen. Die Schriften Widukinds und Thietmars sind leider in der Staatsbibliothek zur Zeit ausgeliehen; ich werde sie mir jetzt kaufen. Meine früheren Notizen daraus betreffen leider den I. Heinrich wenig. Was soll ich Ihnen nun antworten? An sich reizt mich das Thema sehr; aber ich sehe noch nicht recht die Form, in der man dieses stark „frauenlose“ und nach gewöhnlichen Begriffen dramenlose Leben fassen kann. Auch wird es sicher nicht wenige Sagen und Gedichte geben, in denen schon einzelnes behandelt ist. Indes sollte doch für 1/2 Stunde etwas möglich sein. Aber, wie gesagt, wie setzt man diese bloße und starke Gegenständlichkeit um? Ich muß noch darüber nachdenken, bevor ich Ihnen die Antwort geben kann. Leider habe ich auch ein Werk von Zeller über Heinrichs Kirchenbauten [Zeller, Adolf: Die Kirchenbauten Heinrichs I. und der Ottonen in Quedlinburg, Gernrode, Frose und Gandersheim : Berlin, Springer, 1916] noch nicht bekommen können. Die Gefahr ist ja auch, daß Heinrich zu einer bloßen Tendenz ausgenützt werden soll. Anderseits paßt er zum Harz.

Haben Sie den Harzaufsatz erhalten? Unlängst waren Dr. Adams+) und Voggenauer bei mir. Dieser hat sehr echt bayrische Dialektlieder gesungen und abwechselnd mit meiner Frau auch Schubert, Beethoven etc. Meine Frau hat mit ihrem Arm! Klavier gespielt. Ende August will Dr. Schranz nach Württemberg fahren und uns zum Urlaub im September nach Siedlinghausen mitnehmen. Wie herrlich war doch unsere Fahrt über den Harz; man vergißt sie nicht mehr.

Herzlich grüßt Sie
Ihr Konrad Weiß

Ich schicke diesen Brief, da er schließlich privat geworden ist, an Ihre Privatadresse.

+) Ich habe Ihren Hölderlinband noch; Dr. Adams sagt, Ihre Bücher seien noch alle hier.

[6: Handschrift]

München, Mozartstr. 13/III, 17. Dez. 34

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Unerlaubt spät komme ich, aber ich habe doch eine große Freude, daß ich noch mit einem sichtbaren Glückwunsch zu Ihrer Vermählung jetzt auf Weihnachten nachkommen kann. Ich hoffe, daß er womöglich noch zu den Weihnachtstagen bei Ihnen eintrifft und ich hoffe auch, daß er Ihnen <1> wie auch Ihrer Frau Gemahlin gefallen möge.

Ihre Nachricht aus Halberstadt, daß Sie das „Kaiserliche Liebesgespräch“ senden wollen, hat mich sehr erfreut. Sie werden es für diese Aufführung wohl ziemlich kürzen müssen. Letzthin las ich in einem der heutigen Bücher über Germanisches ein Zitat aus Tacitus, ungefähr so, daß die Germanen ein Volk seien, das niemandem als nur sich selbst gleichen wolle. Ich dachte da etwas überrascht an die Stelle, wo Heinrich über „alles Gleiche unvergleichlich will“, oder so ähnlich, Verse [?] spricht.

Ich denke immer noch viel an unsere Reise, da ich auch noch Aufsätze zu machen habe, die in den entfließenden [?] Gegenden ihre Orte haben. Braunschweig wird jetzt erscheinen; ich habe dazu die lange Geschichte Heinrichs des Löwen gelesen. Dann kommt eine Fahrt über Königslutter und Helmstedt; dort wurde Kaiser Lothar, Richenza und Heinrich der Stolze begraben; hier ist einer der ältesten christlichen Orte und war später eine Universität mit Originalen wie Beireis, von dem Goethe sehr komische Sachen schreibt. Das muß damals eine zopfige Zeit gewesen sein. Im Umkreis liegen noch mehr Klöster und alte Orte, auch (<1>) Heidengräber, die ich allerdings alle nicht gesehen. Es mußte doch zu schnell gehen. Aber die Reisen haben aus Zufall, Glück und Sinn doch eine eigentümliche Richtigkeit hinter einander bekommen: zuerst die Westfalenfahrt mit der Karolingischen Zeit- und Ortsnähe; dann die Harzfahrt mit Ihnen in den Orten der Sachsen und Salier; dann wieder die weitere Fahrt über Braunschweig, Magdeburg und Transalbingien, mit den Obodriten und der Kolonisation nach Osten. Unlängst hat übrigens die „Kreuzzeitung“ den Aufsatz über Wessobrunn auch gedruckt, der mit Ihrem Namen verborgener Weise angeht. [Frühlingsfahrt nach Wessobrunn, erster Satz, Akrostichon: „reich ohne Sorge, seliger Keim, Odem perlender Fülle“ (Jetzt in: Wanderer in den Zeiten)]

Mögen Sie recht schöne Weihnachtstage haben und mögen Sie beide meinen so unmäßig verspäteten Glückwunsch noch gelten lassen.

Seien Sie herzlich gegrüßt
von Ihrem
Konrad Weiß

[7: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, Mozartstr. 13/III, den 16. März 35

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Schon lange schreibe ich Ihnen in Gedanken, und da ich mich nun zur Antwort an Ihre Stelle im Reichssender an die Maschine gesetzt habe, muss diese nun auch mit ihrem Geklapper für diesen lieberen an Sie persönlich herhalten. Von Herrn Dr. Adams habe ich seinerzeit erfahren, dass Ihre Frau nun nach München verpflichtet ist. Wir haben uns sehr gefreut und werden sie ja nun auch einmal richtig hören. Bei der letzten Aufführung waren wir leider nicht; das billigste Billet hätte 7.20 gekostet und das war für zwei doch zu teuer. Es war mir auch eine Freude, dass Ihnen das Bild von Frau Caspar gefallen hat. Es sollte nur wahrscheinlich einen etwas breiteren Rahmen in echtem Gold haben. Das hätte aber vor Weihnachten damals nicht mehr gereicht. An dem Bild ist auch der rotblaue Farbakkord besonders schön, er ist nicht gewöhnlich. Jetzt kommt ja bald die Zeit wieder für die Blumen, die darauf sind, Flieder, Tulpen und ich weiss nicht mehr ob noch was. Es ist allerdings mit der Art der Tulpen ein Spätfrühjahrsstrauss. Sie schrieben auch einem Casparschüler Mutter; ich kenne schon von früher etwas von ihm, er ist ein eigenartiger Künstler.

Was Sie mir von dem Vorschlag einer Reise in Sachsen geschrieben haben, ist wohl sehr schön und ich möchte hoffen, dass etwas daraus wird. Ich würde mich schon recht freuen, auch wieder mit Ihnen zusammen zu sein. Wie es mit meinem Arbeiten bei einem so wenig berechenbaren Arbeiter wie ich bin sein wird, weiss ich wohl noch nicht. Gestern war Herr Dr. Bermann-Fischer bei mir, um wegen des Verlags zu sprechen. Er hat einen Band Gedichte, den ich zusammengestellt habe, gleich mitgenommen und will ihn schnell herausbringen. Sonst habe ich mich aber noch nicht sehr festgelegt. Am meisten liegt ihm daran, das Reisebuch bald zu haben; aber ich muss es ja eigentlich noch ganz machen. Mit den Feuilletons ist da nichts getan. Ich habe aber doch viel Glück gehabt, dass ich diese Reisen so nacheinander machen konnte. In letzter Zeit habe ich eine Hamburgische Kirchengeschichte von Dehio gelesen, die von der Metropole Hamburg bis Norwegen und anderseits über Havelberg und Jerichow nach Magdeburg reicht. Es gab da mächtige Kirchenfürsten, besonders den Erzbischof Adalbert, der ein merkwürdig grosser und unzähmbarer Charakter war; sein Missionsgedanke reichte bis nach „Weinland“ (Amerika). Adam von Bremen ist wohl die Hauptquelle. – Aber so liest man und schreibt nicht genug.

Für die Neue Rundschau soll ich über den Spee schreiben, aber zu der Ausgabe der „Trutznachtigall“ will sich der Verlag nicht entschliessen. Ich habe mir die jetzt im Ramsch zu habende grosse Ausgabe der Droste verschafft. Bei der Droste hat, wie im Christlichen überhaupt das Gesicht den Vorrang; damit hängt das Schauen nach der Natur und das Persönlichwerden zusammen; und dieses Schauen ist ein Leiden; während bei Spee der Klang und in dieser Weise das Wort den Vorrang hat, das aber nicht so persönlich werden kann, wenn es nicht durch das Gesicht nach der Natur hin in sich selber gespalten wird# und so den „Schnitt“ der Abgetrenntheit empfängt, der zuerst im Eigenen ist, aber dann auch in den Sinn der Geschichte überführt als der epimetheischen Abgetrenntheit von der Natur, (welche dann im alten Kirchenraum die Bilder der Seitenwände wie Wundmächtigkeiten+, weggeholt aus der Mangelmitte zur Schaukraft in der Abwendung erbildet). So könnte man gerade aus der Lyrik die Metaphysik der Geschichte bauen. Die Formweise bei Spee ist „positiv“ grösser, aber die Weise in der „modernen“ Droste ist durch das „Negative“, womit der Einzelmensch im Gesicht der Natur zu sich sichtbar wird, wirklicher und wohl der christlich geschichtliche Weg selber. Dass die Drost [sic] das war, gibt ihr gegen die Romantik eine besondere Bedeutung. Während die Romantiker das Weibliche imaginierten aus der schöneren Idee, ist sie selbst nicht nur Dichterin, sondern „Wort“ und steht in ihrem eigenen Gerichte oder Anteil und ist als Weib kreaturierte Form selber. Sie dichtet also nicht nur neutral, sondern ihr Dasein selbst ist eine Stoffwahl der dichterischen Form.

Das ist ja wohl etwas durcheinander gesagt, aber ich glaube, da liesse sich noch viel finden. Bei Kleist geht es dann in den an sich unlösbaren Frauensinn der Geschichte selber, der bei ihm als die metaphysische Inbildkraft der Geschichte gespürt ist, wie das „Wort“, das im „Gesichte“ still ist.

Seien Sie mit Ihrer Frau Gemahlin recht herzlich gegrüsst
von uns beiden
Ihr Konrad Weiß

Meine Frau hält es mir immer vor, wenn ich mit meinen Briefschulden recht bummelig bin. Werden Sie nicht bald wieder einmal nach München kommen?

# so daß das Paradox eintritt, daß das Christentum das „Wort“ hat, aber doch nur im Anteil daran, in der Trennung des Gesichtes von dem Worte, zu dessen Anblick es bestimmt ist und wogegen es die Natur als Vergleich wie eine Lust des Leidens einsetzt.

+ So etwa Oberzell auf der Reichenau

[8: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, Mozartstr. 13/III, 7. April 35

Sehr geehrter lieber Herr Dr. Rosskopf!

Noch bin ich Ihnen die Antwort schuldig auf Ihren letzten Brief betreffend eine Hörfolge über die Droste. Aber ich wollte nicht schreiben, bis ich diese Sache endlich fertig hatte, die ich Ihnen hiermit schicke. Als Sie mir seinerzeit wegen einer Ballade König Heinrich schrieben, habe ich mich damit beschäftigt und die Sache auch wieder liegen lassen, und dann wieder aus dem Stoff heraus nicht mit der Ballade selbst, sondern mit den deutschen Vorstimmen angefangen. Und schließlich habe ich nun auch noch den Versuch einer balladenartigen Form dazu gemacht. Für eine solche ist der Stoff sehr widerspänstig, wenn man nicht im romantischen Sinne ein illustrativ schwingendes Thema in den Mittelpunkt nehmen kann. Dies wäre ja bei Heinrich das Thema mit dem Vogelherd; aber dieses ist schon gedichtet und ist auch heute als legendär ganz verlassen. Und doch sollte dieser Zug nicht ganz wegbleiben. Ich habe nun aus der Notiz im Leben Königin Mathilde, das sonst allerdings sehr wenig bietet (Geschichtsschreiber der deutsch. Vorzeit Bd. 31), dass sie nach Heinrichs Tode den Armen und den Vögeln Futter gab, ein Motiv gemacht, eben dass das Sinnen um die Vögel das schwere Herz der Geschichte erleichtern müsse. Ich wollte die Sache nun jedenfalls nicht mehr als Halbheit liegen lassen. Was Sie damit machen können, weiss ich nicht. Mit dem ersten Teil, den deutschen Vorstimmen werden Sie kaum etwas machen können. Aber ich habe sie doch gemacht, weil sie, wenn man vielleicht noch mehr zusammen haben wird, immer als Einleitung solcher historischer Dinge gedruckt werden können. Jedenfalls bin ich für mich froh, dass ich Ihre Anregung doch nicht mehr ausgelassen habe, sehe die Sache nun aus, wie sie wolle.

Mit der Droste muss ich mich erst noch beschäftigen. Ich habe mir gedacht, man könnte das Thema abstellen auf die beiden Hausungen der Droste, auf Rüschhaus und Meersburg; zum Rüschhaus hat Lewin Schücking allerlei Orientierendes geschrieben, auch zu Meersburg, ausserdem war ich an beiden Orten. Aber man muss es noch überlegen.

Nun [Nur?] so viel, dass die Blätter endlich an Sie wegkommen. Da Sie nicht mehr daran denken, werden Sie doch noch überrascht sein, wenn Sie auch sonst nicht soviel brauchen können, als Sie sich wohl gedacht haben.

Mit den besten herzlichen Grüßen
Ihr Konrad Weiß

[9: Handschrift]

München, Mozartstr. 13/III, 15. April 35

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Zunächst nur diese paar Zeilen: ich kann noch nichts Sicheres wegen der Reise sagen, die Redaktion hat sich noch nicht entschieden; immerhin scheint es etwas zu werden. Ich bin etwas bänglich und freue mich doch.

Am Samstag hörte ich die Sendung „Magdeburger Börde“ recht gut. Ich finde, daß der Lesende sehr gut und mit Hingabe gelesen hat. Zufällig habe ich am Samstag die Programme durchgesehen und dabei zu meiner Überraschung entdeckt, daß Berlin am Sonntag, also gestern, die „Kleine Schöpfung“ um 7 Uhr abends sendete. Eigentümlich, daß man mir gar nichts mitgeteilt hat. Es war nun neue Musik dabei von Hoeffner [?]. Bald mehr. Morgen freuen wir uns auf die Elektra.

Herzliche Grüße Ihnen beiden
von Ihrem
Konrad Weiß

[10: Handschrift]

München, Mozartstr. 13/III, 30. April 35

Lieber, sehr verehrter Herr Dr. Roßkopf!

Eben jetzt vor acht Tagen sind wir durch Lehde gefahren. Wie weit sind doch diese schönen Tage unserer Osterfahrt schon wieder weg und es bleibt zunächst nur als Hauptgedächtnis die Güte und Freundschaft, die Sie mit Ihrer Frau Gemahlin mir durch Ihre Einladung und die Reisetage gezeigt haben. Alle solchen Tage müßten, wenn sie vorüber sind, durch ein immer gleiches Gedächtnis im Sinn gegenwärtig bleiben, so daß man in immer schöner Gleichheit von Menschen und Dingen dahin leben könnte. Statt dessen beginnt, kaum daß der letzte Dank ausgesprochen ist, wieder die Trübung der Zeit und man tritt aus der hellen Durchsichtigkeit wieder in das dunkelnde Wesen.

Meiner Frau habe ich den schönen Verlauf unserer Reisetage erzählt. Es war doch gut, daß ich gefahren bin; denn der Abstecher nach Würzburg wäre durch das Wetter doch sehr gestört gewesen. Und außerdem bin ich gleich nach der Zurückkunft in eine Entscheidung hineingekommen. Ich habe mich wegen der Buchausgabe und der etwaigen Konsequenzen für mich besprochen, als zugleich auch die neuen Rasse-Richtlinien bekannt gegeben wurden. Da blieb wohl nichts anderes übrig; und ich habe nun dem Verlag mitgeteilt, daß ich den Vertrag nicht unterschreiben könne. Nun kann also der Band nicht herauskommen; und auch, was sonst noch an Literarischem weiter zu versuchen gewesen wäre, ist wieder alles ungewiß. Vielleicht ist eine Möglichkeit bei Diederichs; aber die Bahnen sind dann doch wieder andere und lassen dem persönlichen Sinn wohl weniger Spielraum. Ich muß nun abwarten, was auf meinen Brief nach Berlin als Antwort kommt.

Mit Dr. Adams war ich am Sonntag zusammen; am Abend kam Carl Schmitts Frau nach München, die er dann abholen mußte. Carl Schmitt ist zur Zeit in Italien. Wie mir Dr. Adams sagte, sind Mechow und Wiechert katholisch geworden. Ich war darüber etwas erstaunt. In der neuen Schrift von Rosenberg ist auch eine Stelle über Leipzig als Universitätsstadt, im Zusammenhang einer Polemik gegen katholische Angriffe.

Lieber Herr Dr. Roßkopf, nun danke ich Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin nochmals aufs herzlichste, auch namens meiner Frau, für die Ostertage, die so glücklich dahingingen. Am liebsten hätte ich gleich über den Spreewald geschrieben; aber es soll hier die frühere Reise fortgesetzt werden. Wismar ist eben erschienen. Die Sachsenreise hat doch eine eigentümliche Geschaffenheit in die Anschauung gebracht.

Seien Sie beide aufs herzlichste gegrüßt von uns beiden
und besonders von Ihrem dankbaren Konrad Weiß

[11: Handschrift]

München, Mozartstr. 13/III, 18. Juni 35

Lieber Herr Dr. Roßkopf!

Wenn Sie in den Nachen steigen und in den nächsten Tagen „nach Schranz“ fahren, werde ich leider nicht dabei sein. Ich freue mich, daß Ihr Unfall für Sie beide offenbar gut vorüber gegangen ist, da Sie schon wieder solche Fahrtenpläne haben. Ich würde wohl jetzt mit einer Rheinreise bzw. einer Aufsatzreihe darüber nicht viel machen können. Es fällt mir schon manchmal nicht leicht, die norddeutschen Themen, da ja doch immer die Kirchen in der Mitte der alten Städte stehen, so aufzuziehen, daß kein Anstoß entsteht. Ich kann auch von dem, was bei einzelnen Werken am liebsten zu sagen wäre, kaum etwas Umfänglicheres sagen. Stralsund ist so ein Beispiel, bei dem man sich schwer tut. Natürlich müssen Aachen, Trier und die Kaiserdome noch kommen. Sie werden als die frühen Kronen [?] einzusehen sein, wenn das norddeutsche gotische Charaktergestänge einer geschichtlich verorteten Zwischenform, also die spätere, und zum Teil noch nahe Form eingemittelt ist. Die Zeit wird es vielleicht bringen.

Beiliegend schicke ich die Westfalen-Aufsätze. Es sind wenige und es steht nicht viel drin. Wenn Sie zu den Externsteinen kommen, – das Kreuz hinter den Figuren daselbst ist gewissermaßen die anschaulichste Mittelform des Begriffes „Angulation“, der alles über dem „Grund“ geschehen läßt. Es sieht sich beinahe an wie ein technisch betonter Beleg einer germanischen Weltanschauung.

Auch allein „nach Schranz“ wäre ich gerne mitgekommen. Aber ich hoffe, im September zum Urlaub dahin zu können, wenn alles gut geht.

Herzlichen Dank für Ihrer beider Grüße
auch von meiner Frau und alle guten Wünsche
für Ihre Reisetage
von Ihrem Konrad Weiß

[12: Handschrift]

München, Mozartstr. 13/III, 20.8.35

Lieber Herr Dr. Roßkopf!

Hier schicke ich Ihnen die Stücke „Hrotsvit“. Ich hoffte, daß das 4. Kapitelchen noch fertig werden könnte. Aber Herr Dr. Schranz erwartet uns am Donnerstag in Ulm. Und so ist es nicht mehr möglich.

Ihnen und Ihrer verehrten Frau Gemahlin
herzliche Grüße von Ihrem
Konrad Weiß

Auch Grüße von meiner Frau.

[13: Handschrift]

München, Mozartstr. 13/III, 28. Sept. 35

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Nun ist also die große Urlaubsfahrt zu Ende; d. h. sie ist letzten Sonntag abend schon zu Ende gekommen; und da man hier dann gleich einen Aufsatz haben wollte, habe ich schnellstens diesen Aufsatz über Leipzig schlecht und recht fertig gemacht. Am Sonntag hat uns H. Dr. Schranz nach Bestwig zur Bahn gefahren. In Würzburg gab es noch einen Boxbeutel und damit wurde dem weiten Norddeutschland Abschied gesagt.

Wie ich glaube, habe ich Ihnen noch von dem Schiff „Tauenberg“ [?] aus eine Karte geschickt. Wir kamen abends nach Travemünde und fuhren noch nach Lübeck. Morgens nochmals in der Marienkirche gewesen und dann ging es gegen Mittag nach Hamburg. Ich hatte es noch nicht gesehen; wir fuhren aber nur zum Alsterbecken und durchstreiften das Innere mit den Häfen, genehmigten uns eine Erfrischung im Alsterpavillon und in einem stärksten Wolkenbruch, der uns immer wieder einfaßte, ging es über Harburg, Verden an der Aller, Nienburg nach Wunstorf, wo es schon triefende Nacht war. Der andere Morgen, Sonntag, war sehr schön; mit kurzer Fahrt nach Iddensen, wo eine herrliche kleine romanische Kirche [Sigwardskirche in Idensen] ist mit neuentdeckten Fresken – ganz dogmatische Romanik, die an Prüfenning [Kloster Prüfening bei Regensburg] denken ließ. Dann nach Steinhude ans Steinhuder Meer; der ganze Ort roch noch warm nach frisch geräucherten Aalen. Mittags waren wir in Hannover. Und nachmittags ging es über den Deister und dann an den Externsteinen vorbei nach Paderborn und über den Stimm-Stein [?] noch bei guter Tageszeit ins Sauerland. Dann kamen noch 8 Tage 1 Woche Seßhaftigkeit. Für Herrn Dr. Schranz aber galt es, am andern Morgen um 8 Uhr mit beiden Füßen sofort in die Praxis zu springen.

Von Leipzig erhielt ich die Mitteilung, daß von mir Gedichte gelesen werden sollen. Ich bin natürlich gerne einverstanden. Herr Dr. Adams war auch im Sauerland, war jedoch verhindert, nach Siedlinghausen zu kommen. Hier habe ich noch nichts von ihm gehört. Carl Schmitt ist von Berlin nach Stettin mitgefahren und mit der Bahn wieder zurück. Die ganze Fahrt wurde im 60 km Tempo gemacht, da die ersten 5000 km nicht schneller gefahren werden sollen. Erst zum Schluß gab es manchmal mehr Eile. Wir kamen ohne jede Ermüdung heim und Herr Dr. Schranz und auch Herr Senge waren sogar ansehnlich dicker geworden. Herzlich grüßt Sie Ihr Konrad Weiß

[schräg auf der Rückseite] Von der Fidelioaufführung mit Ihrer Frau haben wir gelesen. Wann werden Sie einmal nach München kommen. Herr Dr. Hübscher will den Aufsatz „Leipzig“ an den Oberbürgermeister nach Leipzig von der Redaktion aus schicken.

[14: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, Mozartstr. 13/III, 12. Okt. 35

Sehr verehrter Herr Dr. Roßkopf!

Hiebei erhalten Sie den heute erschienen[en] weiteren Aufsatz der Sachsenreise. Ich hatte daran etwa anderthalb Spalten zu streichen gehabt, da er zu lang war. Diese lassen sich aber in anderer Form nachholen; sie beschäftigten sich irgendwie wieder mit dem im ersten Aufsatz angeschlagenen Thema der „Vergeistigungskraft“. Dieses Wort, das ich im ersten Aufsatz auf den Osten – Ostpreussen und Leipzig – angewandt habe, hiess in meinem Manuskript „Abstraktionskraft“. Das ist ja wohl eine andere Färbung, als der einfache Leser bei der Änderung in „Vergeistigungskraft“ wahrnimmt.

Herr Dr. Schranz schrieb mir, was Sie wohl sagen würden, wenn Sie so viel Gutes über den sächsischen Raum lesen. Zugleich schrieb er mir in seinem letzten Brief als Lesefrucht einen schönen Satz, den er bei Irenäus gefunden habe: „Nihil vacuum neque sine signo apud Deum“. Das ist es ja nun, was zu dem Wort „Vergeistigungskraft“ noch hinzuzudenken ist. Aber geschichtlich scheint mir doch hier ein merkwürdiges Verhältnis des Ostens zur deutschen Sinnesart gegenüber dem Westen vorzuliegen. Es ist sonderbar, dass gerade Ostpreussen eine solche starke Abstraktionskraft leisten konnte.+ Wenn man durch das Land fährt, muss man immer wieder gerade das überlegen. Und damit war doch auch gerade eine starke aktive Kraft und Einsatzbereitschaft verbunden. Vielleicht gelingt mir darüber noch ein deutlicherer Gedanke oder dessen Formulierung für den Osten. Das wäre dann auch ein richtiges Nachbehör zur Sachsenreise, wobei natürlich alles möglichst positiv ausgedrückt sein muss. [Am Rand:] + Kant Herder Hamann, auch Kopernikus

Sie sagten damals, dass Kloster Nimbschen auf Kunigunde zurückgehe. Die Kirche in Rochlitz ist eine Kunigundenkirche; aber wo ist darüber etwa Näheres zu lesen.

Der Oberbürgermeister von Leipzig hat sich, wie mir Herr Dr. H. heute sagte – ich war die letzten Tage krank gewesen – sehr freundlich für den Leipzig-Aufsatz bedankt.

Für Ihre heutige Karte danke ich Ihnen sehr herzlich. Sie haben viele Mühe mit den Sachen. Vielleicht wird es etwas werden. Man müsste nur noch viel mehr und anderes schreiben.

Die Aufführung der „Tosca“ haben wir im Rundfunk ausgezeichnet gehört.++ Sie hat uns einen grossen Eindruck gemacht; auch das Spiel konnte man bloss aus dem Hören sehr stark ahnen. Ich denke, das müßte viel stärker besprochen werden. Nun sind Sie also zusammen in Leipzig und gehn vielleicht am Abend in Auerbachs Keller. Ihre Frau wird als jetzt Fremde dazu vielleicht noch mehr Lust haben als im Frühjahr.

Wir grüßen Sie beide aufs herzlichste Ihr KWeiß

[Am Rand:] ++ wir haben auch Dr. Schranz auf die Übertragung aufmerksam gemacht.

[15: Handschrift]

München, Mozartstr. 13/III, 23. Nov. 35

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Das ist es, was ich über das langwierige Thema Dresden geschrieben habe. Am Anfang ist nach dem ersten Abschnitt ein Stückchen ausgefallen wegen Raummangel, das besser übergeleitet hat. Ich weiß nicht, ob Ihnen dieser Aufsatz auch für die Lese-Reise geeignet ist.

Gegenwärtig habe ich mit vielen Überlegungen nicht leicht zu leben. Ich weiß nicht, ob ich den Verlag Diederichs in Betracht ziehen soll. Mit dem Deutschlandbuche sollten doch auch die anderen Sachen zusammenkommen. Es könnte ja auch sonst ein Wechsel im Dasein eintreten; und dann müßte man mit den Dingen, die man hat, und mit weiteren Schreibmöglichkeiten irgendwo beginnen. Heute denke ich auch daran, was Sie damals bei dem Wechsel am „Hochland“ bedachten. Es ließe sich eine Ähnlichkeit im Tun und Verlegen wie mit dem Verlage S. Fischer denken. Aber allerdings ist es jetzt auch erst ein Gedanke.

Herzlichen Dank für Ihre Karte aus Dresden, die mir das Innere der Frauenkirche wieder gezeigt hat.

Und viele herzliche Grüße
von Ihrem Konrad Weiß

[16: Handschrift]

München, Mozartstr. 13/III, 6. Jan. 36

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Am Samstag kam ich in dem Augenblick heim, als der Leipziger Sender mitteilte, die Sendung „Dresden“ sei verschoben. Den Grund konnte sie nicht recht [?] hören. Der Empfang wäre sehr gestört gewesen. Nun mußten wir heute lachen, da wir uns vorstellten, wie Sie bereit saßen und was Sie im Anblick des falschen Aufsatzes für ein überraschtes Gesicht machten. Die Bestätigung Ihres Briefes wegen der Honorarsache werde ich Ihnen an Ihr Funkhaus geben. Herzlichen Dank; aber Sie sollten sich meinetwegen nicht so sehr einsetzen. Es freut mich, was Sie mir mitteilen über die Stimmung für meine Sachen; aber es gibt wohl auch andere, die es dann Ihnen entgelten lassen möchten.

Hier schicke ich Ihnen nochmals eine Abschrift der Ballade mit den Vorstimmen. Das ist nun wohl die endgültige Fassung; die Fassung, die ich Ihnen hier mitgab, ist auf S. 3. u. 4. (und auch am Schluß des zweiten Teils) nochmals stark verändert. Ich hoffe, daß das Ganze noch weiter etwas gewonnen hat, wenn auch der erste Teil immer eine schwierige Sache bleibt. __________________________________________________

(Der Spreewaldaufsatz ist etwas gekürzt und die Zwischenüberschriften sind nicht von mir

Am Freitag hörten wir „Tiefland“. Die Leistung Ihrer Frau hat uns ganz außerordentlich gefallen. Sie hat das ganze Stück durchaus beherrscht und eine schwere und wichtige Lebenserscheinung daraus gemacht; dabei war alles in einer sehr farbigen schönen Bildhaftigkeit.

Ich habe seit Ihrem Hiersein wiederholt an Ihre Bemerkung gedacht, daß man nicht zu sehr gegen manche engere [?] Anschauungen voreingenommen sein dürfe, sondern in der einfacheren und naiveren Begegnung und Voraussetzung sich eher verständigen werde. Dies ist sicher richtig. Und das gemeinsame Kulturgefühl braucht nicht nur die Methode, sondern die Natürlichkeit einer solchen Begegnung. Im weiteren und weltanschaulichen Gange wird es da ja bald Schwierigkeiten geben. Aber anderseits ist man, gerade von katholischer Seite kommend, doch schon immer mit Ressentiment behaftet; und auf dem gegenwärtigsten und wirklichsten Wege eine Gemeinsamkeit <1> einen Machteifer [?] herzustellen, wäre allein schon eine heutige Aufgabe. Ja man kann sich denken, daß auch die Theologie – ähnlich wie das späte Mittelalter – zu weit entwickelt ist, und daß wieder frühere und nähere Ansätze nötig wären. Man müßte so weit kommen, nicht mehr an „Sinn“ zu denken, sondern bloß noch im entscheidenden Wort des Augenblicks zu sein.

Mit herzlichem Dank und herzlichen Grüßen
Ihr Konrad Weiß

__________________________________________________

+) Tugendsinn [?] ist das übrigens auch der Inhalt der „Jungfrau der Zeit“, wo der Augenblick durch das „Schwert“ ersetzt ist.

[17: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, Mozartstr. 13/III., den 9. Februar 36

Sehr verehrter Herr Dr. Roßkopf!

Nach allerlei Spannungen ist nun in meiner Arbeitsumgebung wohl wieder das alte Verhältnis eingetreten. Ich bin froh darüber, da es sich dabei viel leichter arbeiten lässt. Der beiliegende Aufsatz lag lange da, weil Zeichnungen dazu beschafft werden sollten, die es doch kaum gibt. Nun ist er schlecht und recht illustrie[r]t worden. Leider ist besonders zu Anfang einiges gestrichen, so dass dieser Unklären bzw. Härten hat. Schranz wird sich wohl auch gewundert haben, dass so lange nichts mehr kam.

Heute erhielt ich vom Reichssender Leipzig die übliche Karte mit Ankündigung, dass am 20.II. „In der Spreewaldgondel“ gesendet werden solle. Ich habe die Karte unterschrieben zurückgeschickt, nehme aber an, dass da vielleicht ein Irrtum ist und die Sendung tatsächlich die meines Wissens noch nicht gebrachte „Fahrt in die Lausitz“ betrifft. Ich dachte, dass Sie den „Spreewald“ nicht mehr senden wollten. In Ihrem Brief mit den neuen Honorierungen war er nicht mehr mit aufgenommen. Er gehört wohl auch nicht mehr zu Sachsen und wird doch vielleicht auch zu viel kosten zu dem andern hin.

In der letzten Zeit habe ich versucht, die Sachsenaufsätze druckfertig zu machen. Ich glaube, diese nun so weit zu haben, mit nur an manchen Stellen grösseren Änderungen bzw. Ergänzungen. Sachsen hat sich praktisch recht geeignet, um nun auch für die Ausführung der früheren Aufsätze eine gewisse Praxis entdeckt zu haben. Man kann von einem vernünftigen Lande eben doch allerlei lernen und dann auf die unvernünftigeren Lande wie Westfalen übergehen, welche man nicht mit den Gaben von „Geist“ und „Wort“ so leicht traktieren kann, sondern nach der „Unvernünftigkeit“ der stummeren Bilder befragen muss.

Von Ihnen haben wir auch lange nichts mehr gehört; jedoch hat uns Vorwerk Grüsse gebracht.

Mit vielen herzlichen Grüßen
Ihr Konrad Weiß

[18: Handschrift]

München, Mozartstr. 13/III, 27. April 36

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Als Sie beide am Ostersonntag von uns gingen, bin ich fast in der gleichen Minute noch krank geworden und dann die ganze Osterwoche herumgelegen mit einer versteckten Grippe. Ich bin noch nicht ganz los davon. Es steckt glaube ich auch die unendliche Wut mit drin, daß man immer etwas zu tun vor sich hat und doch nichts vor sich bringt. Ich habe eben in dem Büchlein „Vom Sinn der Tapferkeit“ von Pieper herumgelesen, das mir Adams einmal gegeben hat. Es ist da etwas Verwandtes zu Haecker, und diese Art, Denkexzerpte theologischer Meinung anzulegen, hat etwas durchaus Unrichtiges. Man kommt schließlich auf den Gedanken, daß Theologie etwas Schädliches sei. Der Theologe etc. spricht vom Sinn der Tapferkeit, und der Soldat ist tapfer. Man hat da Stufen von der vitalen bis zur mystischen Tapferkeit eingeteilt. Wenn man die Wirklichkeit dazu nimmt, in welcher es gar keine solche Stufenwahl und überhaupt keine Wahl gibt, sondern wo man dem durch Anlage und Bestimmung Unausweichlichen sich mehr oder weniger blind überliefern muß, – so wie es beim Menschen in der Welt ist gegenüber dem Theologen, der an der freien Stufenwahl herumdeutet –, dann ist eine solche denkerische Verfertigung eine künstliche Zeitlosigkeit. Es ist gewiß alles rechtlich gemeint. Aber man hat doch auch das Gefühl einer Geschmacklosigkeit, wenn man mit Anlässen der Zeit, ohne diese in Wirklichkeit festzuhalten, sofort die Worte und Sätze der größtgedachten älteren Theologie zusammengenommen sieht. Es ist doch auch hier wie bei den Kirchenstilen. Man kann sie nicht einfach auf die kleine eigene Zeit aufsetzen. Es sind gewaltige Wege bis zu den großen theologischen Prägungen; aber es ist nun falsch, daß diese, da sie nicht mehr vollzogen werden, einfach mit <1> theologischen Resentiment angeeignet und herumgetragen werden. Freilich erhebt sich die Frage: Wie man denn die große Statik und Essenz der einmal erreichten Theologie tradieren könne. Es scheint fast, daß sie durch den „Mangel“ zu ihr besser tradiert werde als durch ihre Integrität selber. Ich weiß es nicht. Aber ich werde das Gefühl nicht los, daß diese Laientheologie zur Wirklichkeit der Zeit in keinem Verhältnis steht.

Mit dem Marienburgaufsatz bin ich schlecht zufrieden. Es ist allerhand drin und doch möchte man alles anders. Aber da eben an Theologie gedacht, so scheint mir der Unterschied einer gotischen Treppe zu einer Rokokotreppenanlage auch allerhand unausweichlicher Theologie zu enthalten. Auch der Sinn eines gotischen Raumes ist merkwürdig. Man betrachtet ihn auf Marienbildern als besonders „häuslich“. Tatsächlich ist er ohne „Inneres“. Er hat eine sonderbare „Entzweiungskraft.“ Der Mensch gehört von der Wand her, von „Schnitt“ und Grenze her, zum Raum, aber nicht zum Raum als erstes und an sich. Der Raum ist nicht zentral für alle, sondern er ist „entzweit“. Und also bildet sich das „Innere“ als die Folge einer Entzweiungskraft, ist also nicht eine humanitär substituierte Form. In einem Kirchenraum wie Quedlinburg ist das alles noch größer; aber auch noch mehr durch die Ganzkraft der Bogen und der Pfeilerung zusammengehalten in einem scharfen [?] Vorgebot.

Am Sonntag, falls alles in Ordnung ist, werde ich mit meiner Frau die Redaktionskarte zu „Walküre“ haben. Ich habe bei Ihrer Frau angerufen, und hörte, daß sie in Leipzig sei, aber in München singe. Wir freuen uns nun schon darauf. Also sagen Sie es bitte, Ihrer verehrten Frau mit den herzlichsten Grüßen von uns beiden und seien Sie selber aufs beste begrüßt von
Ihrem Konrad Weiß

[19: Handschrift]

München, Mozartstr. 13/III, 8. Mai 36

Verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Zunächst nur herzlichen Dank für Ihre Briefe und Nachrichten. Ich will und muß natürlich, um trotz meiner Unbeweglichkeit wieder hinauszukommen, um neuen Stoff zu holen und mit Ihnen zu fahren. Aber im Augenblick kann ich noch nichts weiteres sagen. Ich habe schon im Hause hier die Sache anbewegt, muß nun sehen was die nächsten Tage herauskommt. Ich könnte natürlich auf das Angebot Ihres Senders hin losziehen. Aber ich möchte doch zunächst lieber mit einer Unterstützung der M. N. N. fahren, weil ich dann nicht sofort mit den Aufsätzen loszuschießen brauche. Das werde ich nun in den nächsten Tagen sehen. Ich hoffe gern, daß es etwas wird.

Wenn Sie den Marienburger Aufsatz bringen, bitte ich eine Korrektur nicht zu vergessen. Es ist da unter „Ordensdaten“ gedruckt, daß „1309 der Hochmeister Konrad von Feuchtwangen einzog“. Es muß aber richtig heißen: Siegfried von Feuchtwangen (Konrad von Feuchtwangen ist kurz vorher gestorben). Eben ist nun auch der weitere Aufsatz erschienen und so läuft das altpreußische Garn langsam ab. Von Dr. Schranz habe ich merkwürdig lange nicht mehr gehört. Falls sich die Sache hier ordnet, würde ich wohl mit der Zahl der Tage nicht knapp zu sein brauchen. Das würden wir dann wohl so machen, wie es Ihnen am besten paßt.

Also bis nächstens herzlichen Dank
und Gruß von Ihrem
Konrad Weiß

Meine Frau grüßt
auch herzlich.

[20: Handschrift]

München, Mozartstr. 13/III, 12. Mai 36

Verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Heute früh habe ich dem Sender geschrieben, daß ich die Reise machen möchte. Und nun habe ich auch noch die Zustimmung der M. N. N. vollends erhalten. Ich würde also wohl am Freitag Mittag, wie besprochen, von hier abfahren. Hoffentlich werde ich etwas Ordentliches zusammenbringen. Ich freue mich sehr auf unsere Fahrt. Einen Plan habe ich im übrigen nicht. Das wird sich wohl geben. Natürlich können die offiziellen klass. Orte nicht unberücksichtigt bleiben. Wir müssen nur dafür sorgen, daß sich Mittelalter und Spätzeit gut mischen. Mit Merseburg und Halle wird es wohl ganz gut angehen, daß man gleich den Thietmar hat. Die Wartburg wird doch wohl einen besonderen Mittelpunkt geben.

Also, ich freue mich sehr und grüße
Sie Herzlich
Ihr Konrad Weiß

[21: Handschrift]

München, Mozartstr. 13/III, 26. Mai 36

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Während der Bahnfahrt fing ich gestern alsbald an, in den Jahrbüchern des Lambert von Hersfeld zu lesen. Da – nachdem ich schon länger darüber nachgedacht hatte –, wurde mir, glaube ich nun zu wissen, auf einmal klar, was das Wesen dieser mittelalterlichen Geschichtsschreibung sei. Ich dachte immer, dieses Wesen müsse ähnlich sein dem Wesen der Kirchenbauer in der gleichen Zeit; und so ist es auch. Auf einmal kam es mir ins Bewußtsein, daß dieser Geschichtssinn, welcher keinen „Inhalt“ hat, welcher sich nicht um ein besitzbares moralisches Gut der Menschheit bewegt und eigentlich auch kein Ziel hat, sondern nur Jahre wie Pfeiler hat, um Geschehnisse „Wort“ werden zu lassen, – kurz daß dieser Sinn gleich sei dem des Mittelschiffs, das auch keinen „Inhalt“ hat, bzw. das wesentlich unbesitzbar ist, sondern zu dessen Wesen und „Mangel“ nur die Kraft der Ereignung und Proportion zufügend und „als vom Mangel gemessene“ treten kann, oder auch, daß die Geschichte und alle Form, indem der rechte Sinn ihr ausgebrochen ist, daher nun in der Notwendigkeit ist und in dieser „Größe durch Mangel“ ist ihrem Sinn zu erfüllen. [?] Nun kommen natürlich noch eine Reihe Gesichtspunkte hinzu, so weshalb die latein. Zitate und Übernahmen von Stellen bei diesen mittelalt. Schriftstellern vorhanden sind, dann die Rolle von Träumen und anderes. Aber das erhält dann alles auch seinen bestimmten Platz, und man kann diese Fragen vollends ausdenken. Weiter – und scheinbar wohl als Gegensatz und Einwand – kommt hinzu, daß diese Schriften wohl teilweise auch bestimmte Absichten, oder den Gedanken eines Schöpfungsplanes oder ähnliches haben. Aber es wird wahrscheinlich nicht schwer sein, diesen „Inhalt“ von einem späteren liberalen Inhaltsbegriff oder von der Absicht der Aufnahme eines „Objektbestandes“ zu unterscheiden.

Daß ich Ihnen nun dies schreibe als Anfang eines Briefes, in dem ich Ihnen nochmals aufs herzlichste danken will für die Veranstaltung der Reise und für das Geschenk Ihrer Sorge und Liebe! Es mußte mir eben, indem ich in den Jahrbüchern las, unmittelbar zum Bewußtsein kommen, was ich diesen Reisen und diesen betrachtenden Gelegenheiten mit Ihnen, wie ja auch mit Herrn Dr. Schranz, an Dank schuldig wurde. Das Buch Lamberts hat übrigens gerade auch die Geschichte Heinrichs IV. mit Goslar und mit seiner Flucht durch den Harz in seinem Inhalt; und so mußte es mir im Zusammenhang mit dieser Maiwoche und mit dem umständlichen „Wochenend“ noch besonders lieb werden.

Meine Frau hatte sich indes nicht so sehr geängstigt, da meine Karte über meine Zurückkunft am Sonntag doch schon fraglicher geklungen hatte, als mir noch im Gedächtnis war. Heute hat sofort Herr Dr. Adams angerufen. Ich sagte ihm, er rufe doch an, weil ihn die Goslarer Gesellschaft am meisten neugierig gemacht habe. Er wollte das allerdings bestreiten, und behauptete, die Wartburg Karte sei ihm noch eindrücklicher gewesen. H. Schranz und Senge waren übrigens zum Wochenend bei der Kirche in Altenberg im Bergischen. Die Kreuzung des Zuges nach Leipzig mit dem unsrigen habe ich nicht bemerkt. Auf einem Bahnhof war es offenbar nicht. Meine Frau hatte noch die Nelken, schön gepflegt, dastehen, die sie von ihrem hohen und lieben Besuch an Christi Himmelfahrt bekommen hatte. An Pfingsten werden Sie beide wohl nicht in München sein. Heute erhielt ich die Autostraßenkarte, wo Sie die Längen und Queren der Fahrenden eingezeichnet haben. Es war doch eine feine und ausgiebige Sache aus diesem Thüringer Plan geworden.

Und nun danke ich Ihnen nochmals aufs herzlichste für alles zusammen. „Nochmals“ kann hier nicht viel sagen, denn es sind schon viele Male, die ich mit Dank nicht einholen kann.

Haben Sie mit Ihrer verehrten Frau recht
schöne Pfingsttage!
Ihr Konrad Weiß
Von meiner Frau auch die herzlichsten Grüße

[22: Handschrift]

München, Mozartstr. 13/III, 28. Juni 36

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Diese Woche kam Meister Giesebrecht, 2 Bände hoch, von Leipzig und hat mir wieder gezeigt, wie schön Ihr Geben ist und wie sehr ich Ihnen zu Dank verpflichtet bin. Heute saßen wir zwei (Sonntag mittag) im Peterhof und dachten, es müsse schon viel länger sein als 8 Tage, daß wir mit Ihrer Frau zusammen alle da saßen. Diese Woche war einmal <.>ogg. mit Dr. Ad. und Casp. bei uns. Zu dem Heinrich I-Datum habe ich, wie Sie aus mitgehender Drucksache sehen, einen kleinen Beitrag zu leisten gehabt. Außerdem soll noch ein Stückchen aus der Ballade in den M. N. N. gedruckt werden. Mitte August will H. Dr. Schranz nach Schwaben in Urlaub gehen und uns dann wieder nach Siedlinghausen mitnehmen, von wo in gleicher Teilnehmerschaft wie letztes Jahr die Urlaubsfahrt gemacht werden soll. Ich denke wohl an Hamburg, Bremen, Schleswig etc. Ihre Urlaubsgegend scheint herrlich; ich wünsche Ihnen beiden dazu die schönsten Tage und die Heiterkeit der italienischen Sonne, die dem Gemüte immer wohl tut. Wir sprechen jeden Tag von Ihnen zu einer Art Ferienunterhaltung für uns selber. Ihnen sage ich den herzlichsten Dank für die <1>, mit dem wertvollen Thietmar und für den Giesebrecht. Die Bände werden mich immer an Sie denken lassen.

Die herzlichsten Grüße für Ihre verehrte
Frau Gemahlin und Sie von uns beiden
Ihr Konrad Weiß

Ich werde für die Festspiele eine Red.- Karte bekommen, und habe hoffentlich Glück zur richtigen Vorstellung

[23: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, Mozartstr. 13/III. 22. 11. 36

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Im letzten Satz Ihres Briefes haben Sie noch mit Bleistift angefügt: jetzt muß etwas geschehen! Man empfindet offenbar jene Worte am stärksten, wo die träge Natur mehr Widerstand als Echo bietet. Ich habe dazu die beiliegenden kleinen Verse gemacht. Und so hoffe ich nun doch eben auch das Beste.

Ihre beiden Briefe habe ich mit Spannung erwartet und sie haben mir eine große Freude gemacht. Zuerst muß ich Ihnen, lieber Herr Dr. Roßkopf, herzlich danken, daß Sie sich um die Sachen so sehr annehmen. Es ist schon erstaunlich, daß sich plötzlich wieder eine Aussicht auftut. Wenn es nun an die Realisierung gehen soll, habe ich natürlich mehr die Unbefriedigung hinsichtlich dessen, was in der Zukunft alles zu tun wartet, als was Älteres vorhanden ist, im Kopfe. Ich hatte wenig Zeit und keinen Trieb in den letzten Tagen, seit Sie wieder fort sind, für den Konradin gehabt. Und doch muß er gemacht werden. Es ist ein komisches Wesen um einen Menschen. Die Tätigkeit selber oder die Freude an der Möglichkeit der Tätigkeit ist ein Anlaß, untätig zu sein und um so mehr die Gedanken und den Bereich der Zusammenhänge zu geniessen, je mehr in der Mitte allen Sinnes die Tat auf das Getan-sein wartet. Ich glaube, so hat meine Anschauung von der Form der alten Kirchenbauten als Sinnform der Geschichte einen zunächst ganz anderen Erfahrungsgrund. Und demnach müsste ich diese Anschauung aus dem Mangel-Sein doch noch mehr ins Positive und Tätig-Umfassende umbilden.

Es wäre schön, wenn nun die Kleine Schöpfung auf diese Weise wieder in Bewegung käme. Ich muß nun wohl zunächst mit dem Verleger Runge in Berlin korrespondieren. Seit er die Reste hat, habe ich nichts mehr von ihnen gehört. Was eine Auswahl der Lyrik angeht, so ist alles in dem Bande „Tantum dic verbo“ ganz frei, weil er lange schon vergriffen ist. Man könnte ihn auch neu drucken. Aber dazu ist wohl nicht alles geeignet. Zu einer Auswahl sind indes auch gewiß alle anderen Sache frei. Für alles Weitere aber gilt nur: fertig machen. Dazu sollte man nun eingesperrt werden mit der Verpflichtung, jeden Tag eine bestimmte Seitenzahl zu schreiben. Wie haben nur die mittelalterlichen Geister, etwa ein Albertus Magnus, so viel fertig schreiben können? Ihre Aufgabe war eine fertige und dazu ihr Leben und Schreiben in die bestimmte Form des Kommentars gebracht. Bei uns aber geht mangels der einen Aufgabe Leben und Schreiben zu sehr zusammen und ebendeshalb, paradoxerweise, zu sehr wieder auseinander, woraus das Literarische entsteht anstatt des großen Kommentars der gültigen Welt.

Ihre Gedanken um die „Insel“ sind jetzt wohl auch wie zu einem Kommentar um den Sinn der Zeit. Es handelt sich darum, wie weit der Sinn, der unbekannte Geschichtsgrund ein fertiger ist oder als ein fertiger vorausgesetzt und behandelt werden kann, das heißt: wie w[e]it man geschichtlich naiv vorgehen kann. Zuletzt muß ja der Sinn der Geschichte alles tragen können.

Ich habe ein Verzeichnis der Erscheinungen des Inselverlags (vom Jahr 1924, das ich eben besaß) durchgeblättert. Die Grundlage oder richtiger der Ansatz geht auf 1900 und den Jugendstil zurück, soweit auch Rilke noch dazu gehört, abgesehen von den Anfängen der Insel selbst. Es würde da an die Tatsache zu denken sein, dass der Jugendstil, so wie er auch bei Munch ist, zugleich etwas anderes bedeutet hat, daß die klei[n]en ästhetischen Dinge bei Munch auf einen großen nordischen Weltsinn weisen und ein Zeitwesen der Geschichte bedeutet haben. (Die Erprobung des wirklichen Sinnes außerhalb des Ästhetischen)

Dann kommt man auf den Gedanken, daß allerdings alles Ästhetische der letzten Kunstwesenheit heute in das Geschichtliche umgewandelt, d. h. durch das Geschichtliche aufgespalten und auf neue Grundahnung gebracht werden muß. Aufgespalten ist es ja wohl schon länger. Aber die neue Grundahnung die einzige, die es abgesehen vom Glauben in der Welt gibt! Die Ahnung der Nich[t]erfüllbarkeit, die um so mehr Erfüllung verlangt! (Nebenbeit [sic] das T[h]ema des Deutschlandbuches wäre über Nadler hinaus, den Sinn der Stämme gegeneinander herauszusuchen im Verhältnis zu dieser Grundahnung).

Ich weiß nicht, ob eine schon einmal festgelegte Zeitschrift (ähnlich dem Wesen ihres Verlages) sehr durch ein volles Programm geändert werden oder nicht (im Sinne des mitgestaltenden Programms) in sich selber vom Kerne her geöffnet werden soll. Die Geschichte einer Sache ergibt ihr bestes Programm und Gericht. Dann würde sich die Grösse oder der Umfang und also das periodische Erscheinen der Zeitschrift nach der geschichtlichen Kritik, Vorhandenheit und Möglichkeit statt nach dem Programm richten können. Das Hochland wollte übrigens zunächst auch eine dieser Art speziellere Aufgabe im Dichterischen etc erfüllen, und es kam, da es diese nicht zu erfüllen wußte, dann auf die „grössere“ Aufgabe, Politik des Geistes und politische Ethik zu machen. So ist es in der letzten Generation auch mit anderen Zeitschriften gewesen. Sie machten Geistespolitik, weil sie die engere Politik des Sinnes aus der Zeitform für die Geschichte nicht lesen oder glauben wollten. Es scheint also fast, daß es sich demgegenüber heute um eine Gegenbewegung handeln müsste, daß man den jeweiligen Ansatz suchen müsste. Wie ein solcher Augenblick heute überhaupt gekommen scheint, so muß auch für jede gediegene Sache, wie dieser Verlag sie ist, die Frage nach der besonderen Wirklichkeit kommen, wobei sich das Extensive wieder in das Intensive kehrt. Es mußte ja wohl auch für den Besitz an Humanismus, der in dem Verlage breit angelegt ist, diese Frage nach der Wirklichkeit reif werden, weil der Besitz ja nicht immer vermehrt werden kann. Im deutschen Sinne bzw. in der deutschen Geschichte scheint nun gerade diese Frage, so verdeckt das auch bleibt, die Frage also nach geistigem Besitz oder Glauben immer wieder reif werden zu müssen. Der deutsche Geist ist der relativste, in dem Sinne, daß er ganz und gar die geschichtliche Bewährung braucht; und damit ist er auch der absoluteste, in dem Sinne, daß die unbedingte Geschichte immer die Frage nach dem stärksten Grunde in sich hat.. Wenn dies richtig ist, haben wir heute ein germanisches Zeitalter. Es handelt sich nur um die unbedingte Begegnung mit dem Grunde.

Lieber Herr Doktor! Die Worte stehen einem um so leichter zu Gebote, je weniger man tätig ist. Sie schreiben mir nun Ihre besondere Erwartung. Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Immerhin: wenn man das Nächste tut, schafft man immer Platz für das Kommende.

Über das „Käthchen“ schreibe ich Ihnen nächstens. Ich habe ja noch nie sowas gemacht und scheine mir da der Praxis doch zu entfernt zu sein.

Gestern habe ich zwar sehr schlecht, da Toulouse alles übertönte, doch genügend, um die ausdrückliche Art des Lesens zu erfassen, den Kleistvortrag gehört. Man denkt dabei, daß der Verlag, der so viel in deutscher neuerer Dichtung getan hat und ein Zeitalter gezeigt hat, auf das frühere deutsche Zeitalter nun auch den Blick noch mehr, als er es allerdings auch schon getan hat, richten könnte. Damit eben jene Spaltung, die in Kleist war und von ihm wohl auf seine Weise überbrückt worden ist, noch deutlicher würde nicht nur als eine historische, sondern als eine gegenwärtige und wirkliche deutsche Sache. Wir Deutschen haben ja gewissermaßen zweierlei Besitz, und es muß doch einmal versucht werden, einen einheitlichen daraus zu machen. In der Kunst ist dies bis zu einem gewissen Grade geschehen; während allerdings das germanische Altertum nun dazugekommen ist und die Frage der Einheit noch schwieriger gemacht hat, wenn man sich nicht bloss mit Gefühlen und Sammelbegriffen hilft.

Seien Sie herzlich bedankt und gegrüßt
von Ihrem
Konrad Weiß

[24: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen; letztes Drittel Handschrift]

München, 15. Dez. 36

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Ihren letzten langen Brief habe ich gelesen und dann liegen lassen, ihn so mit einer unbestimmten Freude mehr im Gemüte behaltend als nach der Wirklichkeit hin bedenkend. Gewissermaßen so in dem Gefühl eines Echos lebend, wie wenn man einen Reim macht bzw. in den Sinn bekommt, indem man das noch ungefundene Wort zunächst in einem schönen Echo hört. Dies Echo ist beim Reime allerdings meist und schnell unruhig machend, während sich offenbar das reimlose Leben in das obwartende Echo viel ruhiger hineinbequemen möchte: woraus (nämlich aus der Tatsache, daß das Suchen eines Reimwortes uns unruhig macht, während das Suchen nach dem nötigeren Dasein sich recht bequemlich anläßt) man folgern kann, daß der Reim uns wie ein Vorbild gegeben ist, wie eine Art Weissagung, welche zum Vorgebot des Lebens wird, ein Accidens, das vom Dasein immer mehr Einholung verlangt, so wie die gotische Figur durch das „Blühen der Gelenke“, durch das Accidens im Sinne, immer mehr selber zu einer lebendigen Leibesform wird.

Nun habe ich den Brief wieder gelesen und gesehen, daß ich Ihnen nicht nur gleich Dank schuldig gewesen wäre – einen solchen stattet man oft vielleicht nicht gleich ab, weil da gleichsam auch das Gefühl eines Echos dabei ist, wiewohl eines paradox verkehrten, dass nämlich die Schuld, in der man stehen bleibt, zugleich eine liebe Verbindung zu einem Menschen sei – sondern dass auch bestimmte Vorschläge darin stehen oder angedeutet sind. So ist wohl die Angelegenheit auf gutem Wege und ich möchte nichts dazu, d. h. also zum Vertrag im einzelnen, sagen, als daß mir alles recht sein wird. Daß ich etwas zuwege bringe, ist mir die nächste Beunruhigung. Und der Vorschlag der „Cahiers“ ist schon beängstigend. „Zeit zu kommentieren“ wäre wohl nur möglich als Kommentar unseres geschichtlich erfahrbaren Wesens, also an solche Dinge gebunden wie an Spee und Schwerere. Der geschichtliche Gegenstand muß immer stärker bleiben als das eigene Dazutun, damit kein „Neid“ eintritt, nicht der „Neid“, den die eigene Kritik dem wahren „Worte“ antut, und auch kein anderer, der die Zeit beherrscht bzw. des Kommentierers Kompetenz erfaßt.

Nach Ihren Worten ist nun die „Kleine Schöpfung“ daran, aufs beste besorgt zu werden. Nun müßte also der „Konradin“ fertig werden. Es geht schrecklich langsam, obgleich ich Lust habe; aber die Abhaltungen in der Redaktion sind anderseits auch wieder Anregungen. Ich hoffe, nach Leipzig zu dem Termin reisen zu können, den Sie angeben werden. Das heißt, es kann mich nichts hindern, da die Sache zu wichtig ist. Ihr Brief ist im übrigen voll Tatsächlichkeit und Bewegung; und was ich hier schreibe, sind bloß Worte, die um einander herumlaufen.

Seien Sie aufs herzlichste bedankt und
gegrüßt, mit Ihrer lieben Frau, die nun inzwischen
auch wieder nach Leipzig gekommen ist, von
Ihrem Konrad Weiß

Meine Frau ist immer noch von Erkältung geplagt. Sie schickt auch die herzlichsten Grüße

[25: Handschrift]

München, 22. Dezember 36

Lieber Herr Dr. Roßkopf!

Eben erhielt ich Ihre Nachricht. Ich hoffe, daß alles weiter gut geht und werde gerne zu dem angegebenen Tage kommen. Sie werden mir wohl noch endgültig schreiben. Hier schicke ich Ihnen den nächsten Auftritt von „Konradin“. Das geht ja alles recht langsam voran. Ich bin aber froh, daß ich gerade diesen Auftritt nun habe, da er mit der Angabe der historischen Umstände nicht so leicht war.

herzlich grüßt Sie beide
Ihr dankbarer
Konrad Weiß

[26: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, Mozartstr. 13/III. 9. Januar 37

Lieber verehrter Herr Dr. Roßkopf!

Das Jahr 1937 habe ich wohl beginnen lassen, ohne Ihnen mit eigentlichen Worten alles Gute zu wünschen. Ich dachte, die bayrische Puppe müßte es stillschweigend tun und war im übrigen recht egoistisch in Gedanken über die Entwicklung meiner Sache, die zum Ende 1936 auf einmal durch Sie diese besonderen Aussichten in Leipzig bekommen hatte. Ich wollte immer noch nicht recht an diese neuen Aussichten glauben, bis nun Ihr letzter Brief und inzwischen gestern nun auch der Brief von Herrn Professor Kippenberg kam. Wie einfach und ohne alle Umstände sieht nun solch ein Verlegerbrief aus, an dem bisher schon so viele Gedanken gehängt sind; nämlich so sehr ohne alle Umstände, wie er selber bloß ein Umstand ist und einen solchen bedeutet, indem er nur sagt, daß die Besprechungen mit Ihnen stattgefunden haben, dass der Termin nochmals verschoben werden müßte, weil zu der ersten Zeit Timmermans nach Leipzig kommt und dass ich als Termin des Kommens den 26. Januar wahrnehmen möchte. Auch von der Kleinen Schöpfung wird noch gesprochen, alles in einem einfachen und herzlichen Tone. Alles liegt also nun in naher Nähe. Man braucht nur zu tun, um endlich zu tun, was man bisher nicht getan hat. An Gedanken möchte es ja nicht fehlen.

Lieber Herr Dr. Roßkopf, Sie müssen sich doch auch einmal das Januarheft des Hochland anschauen, mit der Jubiläumsabteilung für Karl Muth. Es ist erstaunlich, wie hier kaum etwas von Gedanken über den betreffenden Zeitraum sich gebildet hat. Der Hauptinhalt sind jene ersten Ereignisse nach der Gründung, das Übrige ist ein recht zufriedenes Bei-sich-zu-Hause- sein der dazu gehörigen Menschen, ohne alles das, was man den Inschnitt oder die Innengrenze der Zeit nennen kann. Man müsste hierüber auch einmal eine Schrift machen, – über diese Selbsterfüllung, die dem Mangel der Zeit keinen Platz mehr lassen, ja ihn kaum anders als bloß mit der kritischen Selbstbewußtheit empfinden kann. Ich habe E. Schapers Werk nicht gelesen; aber das wäre wohl auch ein umgekehrter Beitrag in dieser Zeit zum Sinn der Kirchlichen.

Ist dies das Erbe, das nur wie Verletzung,
als müsse zu dem Bild, daß ich es liebe,
ich selber wie verwundet sprechen, Wort hat, ...

Sie haben es richtig empfunden und ich habe die Abschrift Ihnen hier mit einem Schreibfehler geschickt. Sie haben mir von Inning geschrieben, aber man müßte mich richtigerweise einsperren. Dieser Tage habe ich mir überlegt, was für kleine Schriften gemacht werden könnten (Cahiers, wie Sie schreiben); es ist ja vom Überlegen bis zum Ausführen ein weiter Weg; um so gelassener, als man von der Ausführung noch platonisch weit weg ist, kan[n] man sich Inhalte und Titel vorlegen. Zum Beispiel ließe sich, was ich als Weihnachtsaufsatz für die M. N. N. geschrieben, zu einer Schrift ausbauen, mit dem Sinn oder der Frage, ob die Welt einen Zusammenhang hat – wofür die Kirche den Logos vielleicht zu sehr in ihre eigene Baustatik eingesetzt glaubt, während die Betrachtung darauf ausgehen könnte, daß der Logos die Dinge in der exclusiven Kraft, statt der begrifflich inclusiven, erhält und damit Geschichte macht. Es müßte allerdings viel leichter ausgedrückt werden. Unter irgendeinem Titel müßte auch die Frage einmal behandelt werden, warum in der Spätgotik die Gesichter und die Menschengruppen sich in den Vordergrund drängen, nämlich, um den neutralen Raum nicht eintreten zu lassen, um das Gewand der Geschichte vor der leeren und begrifflichen Entblössung noch mit den eigenen Gesichtern zu bilden und zu schützen, um den Grund über dem Grunde, die Kreatur der Farbe oder der Geschaffenheit oder des Wesenden gegenüber dem „Raume“ noch zu erhalten. In den Inselbüchlein ist der Bordesholmer Altar (Schleswig) erschienen, welcher in diesem Betrachte auch ein besonderes Beispiel ist.

Ein anderes Thema, das ich ja schon zum Teil fertig gemacht habe, ist „Hrotsvit im Sinnspiegel“. Es würde sich dann fragen, ob man Beobachtungen, wie ich vorhin bei Muth sagte, zusammen mit Reisegedanken über neue christliche Kunst am Rhein einmal ganz frei zusammenarbeiten sollte. Früher habe ich mir eine andere Schrift gedacht: „Der bezechte Franke“, worin aber ernsthaft über den Begriff von Wort und Neid, im Fränkischen mit seiner rechtenden Art besonders deutlich, und etwa über Riemenschneider und Grünewald gesprochen werden sollte. Dann hatte ich auch schon eine Schrift vor über Theoderich und Boëtius unter dem Titel „Der barbarische Christ“. Im Theoderich stecken übrigens auch dramatische Momente. Letzthin sah ich hier im Theater Shakespeares „Richard III“. Ich hatte dies Stück von der Lektüre her gar nicht mehr im Gedächtnis. Es ist sonderbar christlich mittelalterlich, indem das erkennende Subjekt zu dem politisch technischen in Gegensatz gestellt wird. Der Begriff des Helden ist da sonderbar tief und nicht begrifflich fassbar. Shakespeare ist unendlich reich an solchen innersten Bezügen. Wir Deutschen haben nichts in diesem Sinne, ausser in dem mehr um die Begriffe sowohl wie Gefühle kämpfenden Kleist.

Heute habe ich mit Ihrer Frau telephoniert, und morgen werden wir sie im Peterhof treffen. Sie erzählte, dass Sie immer noch nicht recht von Wien erholt seien. Ich freue mich sehr auf die Reise und bin ja auch recht gespannt. Wenn Prof. Kippenberg den 26. Januar schreibt, so meint er wohl, daß ich ihn da treffen würde. Ich würde also am 25. fahren, viel[l]eicht zusammen mit Ihrer Frau, da sie dann auch wieder nach Leipzig fahren will.

Mit den herzlichsten Grüßen
Ihr dankbarer
Konrad Weiß

[27: Handschrift]

München, Mozartstr. 13/III, 18. Januar 37

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Unlängst hatte ich einen recht verzagten Tag. Ich dachte, es würde mit der „Kleinen Schöpfung“ doch nicht so glatt gehen. Es sind eben immer noch die Exemplare im Runge-Verlag im Wege. Ich habe inzwischen hingeschrieben, bin aber noch ohne Antwort. Auch an Vorwerk habe ich geschrieben, der die Sache seinerzeit gemacht hat. Es waren seinerzeit auch von G. Müller zu viele Exemplare wider Vertrag gedruckt. Nun sind die Holzstöcke seinerzeit bei Caspar liegen geblieben; das ist nun ganz gut. Herr Prof. Kippenberg schrieb mir, ich möchte die Zeichnungen mitnehmen. Aber (ich weiß nicht, ob es solche noch gibt) man nimmt ja am besten zum Reproduzieren die Holzschnittabzüge. Ich habe solche.

Nun vorgestern erhielt ich von Frau Katharina Kippenberg persönlich einen sehr liebenswürdigen Brief, mit Vorverlegung des Datums für meinen Besuch auf Sonntag 24. Januar. Da ist nun das Barometer der Stimmung wieder auf gute Aussicht gestiegen. Ich würde nun jedenfalls am Samstag um 8 Uhr nach Leipzig fahren. [Mit Ihrer Frau habe ich eben telefoniert; sie muß am Sonntag noch singen und kann erst am Montag fahren].

Hier lege ich Ihnen einen Brief bei, der mich überrascht hatte. Ich wußte ja, daß Suhrkamp auch persönliches Interesse hatte, glaubte aber doch nicht, daß er so aus freien Stücken wieder anknüpfe. Das ist schön von ihm und ich möchte ihm nun bald abschreiben. Das heißt, ich will ihn nicht hinziehen, weil ich den schönen Anfang der Leipziger Sache nun erlebt habe, zu der ich halte und die er auch verstehen wird. Ich wollte Ihnen aber doch den Brief auch schicken und bitte ihn bald wieder zurück.

Mit den herzlichsten Grüßen
Ihr Konrad Weiß

[28: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, 23. Januar 37

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Rosskopf!

Inzwischen haben Sie mein Telegramm erhalten. Gestern Abend sprach ich noch mit Ihrer Frau und dachte, es wäre mir vielleicht doch möglich zu fahren. Aber es ging schlechterdings nicht. Ich habe seit einigen Tage eine starke Erkältung, die krippeartig [sic] anging und nun vor allem ein starker Brusthusten ist. Ich hätte, auch wenn die Reise gut gegangen wäre, Ihnen nicht so ins Haus kommen mögen und auch nicht bei Kippenberg Besuch machen können. An Kippenberg habe ich eben auch ein Telegramm geschickt. Nun wäre ja der Termin vom 26. noch da; ich weiss jedoch, nicht, ob ich da schon so weit sein werde, auch nicht, ob dies Herrn Kippenberg passen würde nach der Vorverlegung. Das ist recht ärgerlich, nachdem ich mich so sehr auf die Sache gefreut hatte. Inzwischen habe ich auch von Runge Nachricht, dass die „Kleine Schöpfung“ ganz vergriffen ist. Es ist also nicht so, wie ich gemeint hatte. Und dem Beginn der Neuausgabe als Inselbüchlein steht demnach nichts im Wege. Nun hoffe ich gern, dass ich doch in den kommenden Tagen nach Leipzig fahren kann.

Seien Sie recht herzlich gegrüsst
von Ihrem dankbaren
Konrad Weiß

[29: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen]

München, Mozartstr. 13/III, 26. Januar 37

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Herzlichen Dank für Ihre Nachricht. Eben erhielt ich von Frau Kath. Kippenberg die Mitteilung, dass man mich am Sonntag den 31. mit Freude erwarte. Ich würde also dann auch Samstags mit dem Zug um 8 fahren. Hoffentlich ist mein Befinden bis dahin so weit gut. Ich habe starke Hustenanfälle, die nun etwas besser geworden sind. Das ist doch recht fade nun in diesem Augenblick.

Hier schiecke [sic] ich Ihnen wieder eine Szene vom Konradin“. Das geht wohl recht langsam. Immerhin glaube ich nun die Sache zu übersehen. Die nächste Szene ist in Rom.

Es grüsst Sie herzlich Ihr
Konrad Weiß

[30: Handschrift]

München, Mozartstr. 13/III, 8. Febr. 37

Lieber geehrter Herr Dr. Roßkopf!

Nun sind es 8 Tage seit unserem lebhaft bewegten Nachmittag, den wir am Abend mit Goose in „Ohne Bedenken“ [Gosenschenke „Ohne Bedenken“ in Leipzig] beschlossen haben. Ich habe in dieser Zeit noch viel an die paar Leipziger Tage zu denken gehabt, besonders an das Thema von dem „blinden Vertrauen“ und daß es nicht den Vorrang vor der iustitia des gegenwärtigen Lebens bekommen dürfe. Ich habe schnell den Aufsatz über Paulinzella und Erfurt für unsere Montagnummer noch fertig gemacht und dabei wieder den ganzen Eindruck des Baues von Paulinzella ins Bewußtsein bekommen. Er ist wohl einer der eindrucksvollsten Bauten, die ich gesehen habe, gerade mit dieser Frage der gegenwärtigen iustitia. Wie Sie sehen, habe ich bei Erfurt ein wenig auf diese Verhältnisse hingewiesen, wie sich nämlich die Gotik aus dieser Gegenwart verliert und im Bild dann überflüssig wird. Aber es gibt hier offenbar auch noch einen Gegensatz nach der anderen Seite hin. Und der würde meine Gedanken an die Leipziger Tage betreffen. Der Reim entsteht nicht nur im blinden Vertrauen auf die Geschwisterung, sondern er braucht – wie es das Wesen des Deutschtums war mit der Magd und dem Ritter – die iustitia des gegenwärtigen Lebens.

In der Zeitung ist diesmal nur ein ganz gekürzter Aufsatz erschienen. Unser Feuilleton-Raum ist jetzt so beschränkt, daß die großen Aufsätze kaum mehr unterkommen. Den Vorschlag, den Aufsatz zu teilen, wollte ich nicht annehmen, und habe ihn selbst zusammengestrichen. Erfurt ist dabei schlecht weggekommen. Sie erhalten nun ein Manuskript, das ich nach dem ganzen Aufsatz abgeschrieben habe, und falls Sie es bringen können, haben Sie jetzt so ziemlich einen Originalbeitrag. – Wenn es übrigens mit der Nachfrage Ihrer Revisoren [?] möglichst verdreht ging, wie Sie erzählten, so geht dies wohl weiter. Nämlich als ich hier nochmals auf die Sache kam, hörte ich, daß der Brief an Herrn Stüber [Carl Stueber, Intendant des Reichssenders Leipzig] noch nicht abgegangen war. Ich hatte doch vorausgesetzt, daß Herr Stüber ihn erhalten hätte. Der Brief enthielt allerdings nichts, was nicht mündlich schon gesagt war. Nun hat man ihn nicht mehr abgeschickt.

An Frau Katharina Kippenberg habe ich das Heft mit dem „Kaiserlichen Liebesgespräch“ geschickt, sonst aber noch nichts geschrieben, da ich wohl abwarten muß, was nun von Leipzig kommt. Wenn man wieder fern vom Schauplatz unserer „Leipziger Schlacht“ vor 8 Tagen ist, geht ja die Stimmung wieder zurück, die unsere Goose-Karten beflügelt hat. Ihre Karte [„Drei Gedenkstätten“] habe ich erhalten; herzlichen Dank.

Meiner Frau, die sich recht aufgeregt hatte, weil sie erst am letzten Tage Nachricht bekam, mußte ich alles genau erzählen. Auch Herrn Caspar habe ich alles erzählt. Er fand wohl auch, daß man die Bamberger Evangelistensymbole weglassen könne, zumal sie auch in der Reproduktion sehr klein würden.

Nun bin ich eben gespannt. Ihnen aber, lieber Herr Dr. Roßkopf, und Ihrer lieben Frau Gemahlin danke ich aufs herzlichste für all Ihr Mittun, das heißt also hier Ihr Wesen selber, das sich meinen Arbeiten und Arbeitsgedanken zugewandt hat. Ja, wenn es auch schon mehr Arbeiten als Gedanken wären.

Seien Sie gegrüßt von Ihrem Konrad Weiß

Ich schicke das Manuskript „Thüringens schönste Baubilder“ an Ihre Rundfunkadresse.

Ihre Frau wird inzwischen wohl hier ankommen.

[31: Handschrift]

München, Mozartstr. 13/III, 15. Februar 37

Verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Von Ihrem Brief ist nach Inhalt und nach Schreibweise die Freude auf mich übergegangen, die nun in der ganzen Sachlage für mich enthalten ist. Mir scheint, daß alles so schön und gut ist, wie man sich nur im gerechten Denken auch für den Standpunkt des Verlags erwarten könnte. Ich bin mit allem einverstanden, was Sie mit Herrn Professor Kippenberg besprechen werden. Ich hatte die Freude, dies noch Ihrer Frau sagen zu können, bevor sie wieder nach Leipzig fuhr.

Für Herrn Professor K. wird es also wohl einen Verlust bedeuten, wenn er den Satz vom „Sinnreich“ nicht so verwenden kann, wie er ihn kauft. Sie werden hören, was er zu Ihrem Vorschlag sagt, diesen Satz nur teilweise zu verwenden und im übrigen einen Auswahlband zu machen. Darüber daß Sie sich die Mühe machen wollen, diese Auswahl festzulegen, kann ich Ihnen nur dankbar sein. Ich glaube, daß auch der Gedanke richtig ist, daß man einen ersten Gedichtband im Inselverlag, nach den früheren Erscheinungen, nun nicht geschäftlich erschweren soll. Ich möchte Sie auch bitten, an Herrn Dr. Suhrkamp die Nachricht zu geben nach Ihrer Besprechung mit H. Professor K.. Ich würde ihm dann nachher auch schreiben und das Werbematerial zurückerbitten. Herr Suhrkamp wird das wohl verstehen, da er mit Ihnen auch praktischer am Telefon gesprochen hat.

Sie haben sicher recht, daß schwierige Gedichte in dem „Sinnreich“ stehen. Und ich habe mir dieser Tage auch Gedanken gemacht, warum das in meinen Sachen so ist. Einesteils kommt es daher, daß ich vieles habe sich aufstauen lassen. Meine erste unvollendete Arbeit hatte ja auch den Titel: „Nachtgespräch zu dreien über das Geheimnis der Kuppel und die Trägheit“. Ich müßte diese Arbeit wieder einmal vornehmen, die einen eigentümlichen Zustand zwischen der klassischen und der gotischen Empfindung oder Aufgabe kennzeichnete. In dem Gedicht „An Gott“ (im „Sinnreich“) habe ich statt Trägheit „Lagertrub“ (vom Weingähren) gesagt. Wenn ich mir erlaube, von dieser kleinen eigenen Sache, auf Größeres zu gehen, so kommt da ein eigentümliches Wort herein, das ich einmal irgendwo als eine Eigenschaft des Mittelalters gelesen habe und das mir sehr bezeichnend schien gegenüber allem Klassischen Sinn. Es heißt acedia, eigentlich ὰκύδεια, und bezeichnet das Gegenteil von Kummer; aber dieses Gegenteil (α privativum) ist nun nicht Heiterkeit, sondern Abgeneigtheit, Trägheit aus der Sache selber. Als ich jetzt eben, durch den Brief an Sie, mich auf das Wort wieder besann, wandte ich mich an unseren philologisch erfahrenen Herrn v. Müller in unserem Archiv und er wußte es mir in R. Eislers Wörterbuch der philos. Begriffe aufzuschlagen, wo es bei Augustinus und Thomas vorkommend genannt wird, und auch bei Petrarca. Für diesen steht als Bedeutung „Weltschmerz“ dabei, was schon den Sinn leer macht. Es ist wohl, in die Renaissance hinübergebracht, auch die „Melancholia“ in Dürers Blatt angesichts der großen Weltregeldinge [?], auch wohl im Wesen bei Hamlet und auch bei Shakepeares „Richard II.“, insofern dieser Begriff eines mittelalterlichen „Helden“ gegenüber der politisch-technischen Stärke seines Gegners eigentlich gerade aus der Ohnmacht die große schöne Sprache findet. Ein Held im bloß politischen Sinn könnte keine solche Sprache haben. Und etwas von dieser Wesenheit geht ja wohl auch in den „Prinz von Homburg“ über, wenn der Schlaf und das Unterliegen dazu gerechnet werden darf, allerdings beschränkt und moralisch befestigt durch den preußischen Begriff, der auf der Todesgrundlage diskutiert wird.

Nun habe ich allerdings den Anfangsgedanken, warum meine kleinen Sachen schwierig sind, schon unmäßig überschritten. Etwas Näheres kommt noch herein, wenn ich denke, warum Rilke etwa viel zusammenhängender erscheint und insofern verständlich. Wenn ich von mir absehe, so scheint das Tun eines Menschen, der im weltanschaulichen Zusammenhang geboren ist und so bleiben will und dem nun sein Wesen der Natur und der Zeit in die Quere kommt und zum Komplex wird, – so scheint das Tun eines solchen Menschen von selber mehr trümmerhaft zu werden. Man muß sich sozusagen den Trümmern ergeben, die den Zusammenhang der Natur mit der Geschichte bedeuten, um in den Zusammenhang mehr der Geschichte als schließlich des Sinnes zu kommen.

In Kassners Büchlein „Narziß“ wird über Rilke gesprochen, über sein Christusgefühl, was also geschichtlichen Zusammenhang bedeuten würde, und über das sonderbare Wort „Umkehr“. Ich habe seinerzeit dies gelesen, als mir gerade auch das Wort „Umkehr“ in dem unaufhörlichen bloßen Wandersinn „eingefallen“ war. Es scheint mir, daß die „Umkehr“ aber auch in der Geschwisterung möglich sei, in dem geschwisterten Echo des Wortes bis zur geschichtlichen Geschwisterung des Erkenntnis Suchenden, bzw. aus der unruhigen ὰκύδεια fortstrebenden Sinns. Oder „Umkehr“ würde auch bedeuten, daß nun die Proportion zu der Angulation gebildet werden müsse, zu der Angulation, welche ihrerseits das Maß zum Kummer oder zu der acedia, zum inneren Bild, zum Inbild bezeichnet und durch die Proportion wirklich wird. (Bei Kleist kämpft in dieser „Umkehr“ zu einer bestimmten geschichtlichen und persönlichen Angulation (gegenüber der neutral humanen Vollkommenheit in sich) auch ein Ressentiment um die iustitia bis zum <1> [schwersten?] Sinne einer Selbstbehauptung in der „Penthesilea“.)

Ich weiß nicht, ob es eine besondere Dankbarkeit ist, wenn ich Ihnen diese Umständlichkeiten schreibe, während Sie so klar und ruhig und für meine „Trägheit“ so unverhältnismäßig nachsichtig tätig sind. Dieser Tage überbrachte mir übrigens eine Gräfin zu Stolberg, in der Nähe von Walkenried behaust, die auch in Siedlinghausen zu Gast war, das Manuskript „Kreuz und Adler“ (Dankerklärung) von Dr. Mirgeler. „Kreuz und Adler“ war ja ein katholischer Gedanke um Papen im Frühjahr 1933. Nun kann einem doch sehr stark einfallen, daß die Verbindung „Kreuz und Adler“ in der Koordination nicht richtig ist. Denn nicht die Kirche kann die Proportion des Rechtes bilden und in Sichtbarkeit stellen, sondern dies ist aus der Welt des Staates oder der Geschichte. Die Kirche ist wohl auch gleichsam die „Umkehr“ oder Angulation für das Inbild, das aber in seiner Größe durch das geschichtliche Leben deutlich wird. In der Koordination ist doch leicht die Gefahr einer bloßen philosophisch-literarischen Exegese. Daß man die Kirche zu einer begrifflichen Angulation in sich selbst macht, das gibt der verschiedenen Laientheologie unserer Zeit ihre Möglichkeit; aber es gibt keine geschichtlichen Sichtbarkeiten. Die Sinnbilder geraten dahin, daß sie die Vernunft unterhalten, aber nicht mehr den Sinn bilden.

Ich dachte dieser Tage daran, ob ich nicht auch mit meinen Prosastücken in der „Löwin“ etwas für den Inselverlag anfangen könnte. Es ließe sich vielleicht eine andere Zusammenstellung, etwa des ersten Stückes „Die Löwin“ mit anderem, leichterem Prosatext machen. – Wenn Sie nun Herrn Kippenberg sehen, grüßen Sie ihn bitte sehr von mir und sagen Sie ihm, daß ich in einiger Verlegenheit bin, daß ich seine Art und seine Absicht so wenig aufzufassen wußte.

Seien Sie aufs herzlichste bedankt und gegrüßt
von Ihrem
Konrad Weiß

[32: Handschrift]

München, Mozartstr. 13/III, 1. März 37

Lieber verehrter Herr Dr. Roßkopf!

Nun habe ich den Vertrag von Herrn Professor Kippenberg bekommen, ganz in der Art und freundlichen Haltung, die ihn nun charakterisiert und die so ist, wie Sie es mir sagten. Ich habe an Kippenberg auch geschrieben, er möchte, wenn künftig etwas fehle, es Ihnen sagen, da Sie sowohl für meine Sachen seien wie auch an die Wirkung praktisch dächten. Eigentlich schade, daß die Sache nun abgeschlossen ist, weil man nun eine Spannung hinter sich hat, die einem doch lieb war und die immerfort die Gedanken nach Leipzig hin bewegte. Nun ist der Zusammenhang fest und doch empfindet man ihn wie eine Lockerung. Kommen Sie an Ostern nach München? Wir haben schon gewünscht, daß Ihre Frau an Ostern hier unabkömmlich wäre, so daß Sie auch Anlaß sähen, herzukommen.

Gestern war ich mit meiner Frau in Caspars Atelier. Da ist mächtig gearbeitet worden, und bes. Frau Caspar hat wieder wunderschöne neue Landschaften, die nach der fruchtigen Sattheit der früheren, mir milder und durchwobener erschienen, was wohl auch einen Rückschlag gegen das Zeiterleben bedeutet.

Ich habe jetzt nach dem Abschluß recht das Bedürfnis in Leipzig zu sein, im <...>baum zu sitzen und Ihnen zu danken für Ihre Mühe und immer bereite Dazwischenkunft. Der „Conradin“ mit der Ghibellinenszene in Rom sträubt sich sehr. Daneben bereite ich Hessen-Reisen vor. Ich habe da keine eigentlichen Fahrten rundum gemacht; aber das Thema gibt doch aus und zwar merkwürdig form-weltanschaulich, wie diese rechte [?] Parallele zum Rhein in ihren Bauten steht und was sich in Westfalen dann noch grundsätzlicher zeigt. Kurz gesagt: im Umschlag von der rheinischen Form auf Grund und Boden antiker männlicher Geschichtsform zu der weiblicheren des Mittelalters, das hier in dieser Linie rechts des Rheins deutlich, während die östlicheren Gegenden dann in sich runder (Thüringen – Sachsen), aber nicht so bildhaft prinzipiell [?] sind.

Das Manuskript „Kreuz und Adler“ ist übrigens keine Arbeit von Dr. Mirgeler, sondern die Übersetzung eines Italiener-buches von Valli [Luigi Valli], die Frau Mirgeler wohl gemacht hat.

Die herzlichsten Grüße
Ihnen beiden von
uns beiden, bes.
Ihnen von Ihrem
Konrad Weiß

[33: Handschrift]

[abgerissene untere Hälfte eines Briefbogens]

<..> ist als ich, schwer <2?> liebe Tatsache antworten. Man hat das Gefühl einer gewissen Geborgenheit, wenn man einen solchen mitteilenden Brief zum ersten Male gelesen hat, einer Geborgenheit in den ganz offenen Bestimmungen, die am ungeborgensten sind und uns doch die Sicherheit einer solchen Notwendigkeit geben, welche dann wie eine zirkelnde Freude um uns schlägt (Schranz)

[34: Handschrift]

[Postkarte ohne Absender, Poststempel München, 21.3.37]

Sehr verehrter Herr Dr. Roßkopf! Ich habe von Berlin noch keine Anfrage bekommen. Jetzt verstehe ich aber erst, worum es sich bei der Anfrage seinerzeit von Leipzig bei den M. N. N. gehandelt hat. Nämlich: ob die M. N. N. das Vorrecht der Veröffentlichung haben. Darüber ist aber mit den M. N. N. ja gar nichts ausgemacht. Die Berichte der „Sächsischen Reise“ wären höchst wahrscheinlich gar nicht entstanden und also auch nicht in den M. N. N. erschienen, wenn nicht durch den Leipziger Auftrag des Reichssenders die Möglichkeit gegeben worden wäre. Von dieser Möglichkeit habe ich dann auch für die M. N. N.

[um den Rand herum] Schade, daß ich dies Ihrem H. Intendanten nicht richtig gesagt habe, da ich den entscheidenden Punkt nicht erfaßt hatte.

[Vorderseite] Gebrauch gemacht. Von einem Vorrecht für die M. N. N. ist deshalb auch nie gesprochen worden. Es liegt allerdings nahe, daß ich meine Serie für die M. N. N. nach Möglichkeit lückenlos fortsetzte. Herzlich grüßt
Sie Ihr KWeiß.

[im Absenderfeld] hoffentlich können Sie kommen! Es wären ein paar schöne Tage.

[35: Handschrift]

München, Mozartstr. 13/III., 2. Juni 37

Verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Nun ist schon eine Zeit vorbei seit unserer Pfingstfahrt, und ich habe Ihnen noch nicht für die schönen Tage gedankt. Auch meine Schulden habe ich noch nicht bezahlt; morgen will ich aber wenigstens das Feststehende – 70 M – abschicken. (Die Postanweisung an Hoh [?] habe ich) Das Reiseandenken ist eingetroffen, allerdings verwechselt. Herrn Caspar habe ich Ihren Gruß mitgeteilt, und daß Sie nunmehr an eine Landschaft gedacht hätten. Ich habe nach der Fahrt Grillparzers „Kg. Ottokars Glück und Ende“ und „Libussa“ gelesen. Da hat er mir nun viel besser als bisher gefallen, „Libussa“ ist eine eigentümliche Dichtung und scheint sehr für Böhmen zu passen; der Gedanke, wie Geschichte begründet wurde, die Einsetzung der Schwestern, das Kühle des Gedankens, die „Maskerade“, die uns auch sonst wohl als Gewand der Geschichte in einem Überfluß sichtbar wurde – es liest sich jedenfalls merkwürdig, was Grillparzer da gedichtet hat.

Inzwischen habe ich für das Adelsblatt den Aufsatz über Provinz Sachsen fertig gemacht. Sonst hat mir die landwirtschaft. Ausstellung Besuch und Ablenkung gebracht, und während auf der einen Seite sich die Aufgaben häufen, ist mit der Zeitungsarbeit immer wieder ein Tag um den andern kleinweise in Anspruch genommen.

Dabei gebe es auch Themen, die man schreiben müßte; als ich gestern eine Ausstellung sah, von einem Österreicher Loos Landschaften aus den 40er Jahren von Salzburg, Klosterneuburg u. a., da dachte ich, warum heut starkfarbige Landschaften geliebt würden und doch auch diese wie Steinschliffe spiegelnden älteren Dinge. Man kann ja auch die heutige Liebe zu C. D. Friedrich dazu nehmen, wenn auch die seelische Luft bei ihm noch mehr als der räumliche Klang und Glanz ist. Der Unterschied von heute ist eine eigentümliche Frage der Proportion jeweils zur eigenen Zeit. Die schönen spätromantischen kleinen Bilder sind immer alterlos wie Steinschliffe. Sie haben deshalb auch keine vokalischen Farben, sondern nur ein „Echo“, wenn man diesen tauigen oder geschliffenen Glanz so nennen kann. Es ist eine sammlerische Schönheit der Weltbetrachtung, welche das Vokalische der nahen Zeit nicht hat; und man sieht, daß dies Vokalische von heute, das die Natur viel näher heranbringt, so daß sie (teppichhaft) näher und vordergründiger („grundloser“), „blinder“ und farbiger, „rufender“ und echoloser ist als diese kleineren romantischen Bilder, – daß das Vokalische zugleich, wiewohl es mehr direkte und nahe Natur ist, auch viel geschichtlicher ist. (aber was ist Geschichte? der Zwiespalt eben zwischen Grund und Nähe)

Dies paßt nun auch auf Stifter, der ja so ähnliche Bilder gemalt hat; es paßt auch auf seine Dichtung. Diese ist auch im „Witiko“ eigentlich nicht geschichtlich; weil sie weder Natur noch Geschichte in der Getrenntheit hat; aber sie <1> wie ein geschliffener Stein, welcher Geschichte spiegelt oder wie einen rätselhaften Plan zu spiegeln scheint.

[mit Pfeil auf „Getrenntheit hat"] (er nimmt dafür eine sprachliche Genauigkeit und Schönheit gleichsam als Ersatz und Methode gegen die Spaltung der Überhandnahme des Triebes der Geschichte. Er tut etwas Romantisch-Philologisches der Weltanschauung, indem er eine rein verglichene Methode der Welt an die Stelle der Geschichte setzt... Dies ist etwas, was di[e] Germanistik der Romantik irgendwie auch kennzeichnet gegenüber einer heute denkbaren Germanistik.

[längs des linken Randes] Na, die Zeit wird noch allerhand bringen, so daß man mit Gedanken kaum mehr landen kann.

[längs des rechten Randes] Herzl. Dank Ihrer Frau Gemahlin <1> für die liebe Aufnahme in Leipzig und dieses Pfingsten in Böhmen
Ihr KWeiß

[auf dem Kopf längs des oberen Randes]
Recht schöne Grüße an Frau Bäumer
Meine Frau grüßt herzlich

[36: Handschrift]

München, Mozartstr. 13/III, 9. Juni 37

Lieber, verehrter Herr Dr. Roßkopf!

Eben habe ich – erschrecken Sie nicht – ein Paket an Sie geschickt, dessen Inhalt heißt „Das Sinnreich der Erde“. Ich habe eine Anzahl Naturgedichte aus „Tantum dic verbo“ dazu getan, außerdem einige andere, auch ungedruckte neue; und im übrigen habe ich das für Fischer-Verlag gedachte Buch insoweit beibehalten, als es sich darin um Naturgedichte und ihre Ausdeutung handelt. Damit sind nun eine Reihe Gedichte ausgefallen, die wohl später einmal verwendet werden können. Der neue Umfang des „Sinnreich“ ist größer als der alte. Sie haben sich bereit erklärt, den Band einmal hinsichtlich der Wirkung durchzuschauen. Nun schicke ich Ihnen also das neue Manuskript und bitte Sie um Durchsicht. Ich habe den Inhalt (wie Sie an den beigehefteten Druckseiten etwa sehen) nun geordnet. Einigen Zweifel habe ich wegen Aufnahme des Gedichtes „Kelch der Empfängnis“ in drei Gedichten; mir ist diese kleine Folge besonders wichtig, weil sie meines Fühlens nach am meisten im zeitlichen Naturwillen steht oder stand, weil sie gleichsam den Sinnesmangel in der Naturerlebung zeigt, wenn diese gleich innerer Geschichte gelten soll. Also ich weiß nicht, ob die Lektüre [die eigentlich durch eine Prosafassung des Sinnes vermittelt oder aus der Zeit in Erzählung umgesetzt und darin gegeben werden müßte] an sich in einem allgemeinen Gedichtband aufgenommen werden kann; wenigstens würde mich interessieren, wie Sie darüber denken. Sie werden ja wohl auch mit H. Prof. Kippenberg über Ihre Meinung sprechen.

Ich teile ihm in diesen Tagen mit, daß sich das Manuskript des Gedichtbandes bei Ihnen befindet. Auch kann ich ihm die Nachricht geben, daß die „Löwin“ mit den Restbeständen in Augsburg liegt. Während ich das Paket fertig machte, kam Ihr Brief und Ihr Hinweis auf Kastl und Opal. Ja, ich werde nie chauffieren lernen, kaum meine Gedichte, geschweige ein Benzin-Trio [?]. Haben Sie den „Holledauer Schimmel“ gehört? Ich hörte den Schluß, der alles Bayrische bringt, was einschlägt.

Der Unfall Ihrer Frau hat uns sehr leidgetan. Was sie bezüglich der Tour de France meint, ist doch nicht von der Hand zu weisen. Es hängt doch sehr am Zufall, daß man ungeschoren durchkommt, wenn man die Reise mit dem Wagen machen will.

Und nun haben Sie also die Liebe und schreiben mir, was Sie von der Sammlung und Einteilung der Gedichte denken.

Seien sie beide herzlich gegrüßt
von uns beiden und besonders
von Ihrem
Konrad Weiß

[37: Karte; Handschrift]

23. Juni 37

Lieber Herr Dr. Roßkopf! Heute erhielt ich nach Ihrem Briefe die weitere Nachricht und freue mich, so wie ich gespannt war, wie die Sache weitergehen würde. Ich weiß wohl, daß Sie in Ihrem Briefe Recht hatten, wenn es mir während der Zusammenstellung des Gedichtbandes auch wieder ganz aus dem Bewußtsein gegangen war, daß nicht bloß der einzelne Ausdruck <1>, sondern ein Sinn im ganzen gefördert werden muß.

Ich freue mich sehr, bis [?] Sie Ende der Woche in
München sind. Herzlich grüßt Sie Ihr Konrad Weiß

[längs des linken Randes] Ich schicke den Brocken-Aufsatz Ihnen!

[38: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, Mozartstr. 13/III. 20. Aug. 37

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Ihr Brief über Ihre Sauerlandfahrt hat mich sehr gefreut, und ich kann mir das Zusammentreffen mit den Urlaubern wohl vorstellen. Schranz hat sicher eine besondere Freude gehabt. Und sicher hat er auch Ihren Wagen bewundern müssen. Wir kommen aber diesmal sicher nicht „Nach“ Schranz, um Urlaub zu machen, wir wissen überhaupt noch nicht recht, was wird. Ihre liebe Einladung zur Fahrt nach Schlesien kann im September jedenfalls nicht ausgeführt werden. Jetzt sind mein[e] beiden Kollegen in Urlaub, so dass ein Fortgehen meinerseits nicht möglich ist. Dann werde ich vielleicht nach Mitte September kurz nach Österreich gehen, um einige Aufsätze zusammen zu bringen. Vielleicht gehe ich anschließend mit meiner Frau dann noch ein wenig in die Nähe weg. Der Humor ist allerdings bei mir in dieser ganzen Zeit recht schlecht und lähmt alles Wollen. Die Bilder von C. sind allerdings nur den ersten Tag ausgestellt gewesen und sind seither wohl noch in der Ausstellung, aber können nicht gesehen werden. Aber die Stimmung ist doch entsprechend und auch die Folgen für Cs Tätigkeit sind schon im Gange. Auch sonst weiß man zur Zeit sich oft in Gedanke und Tun kaum zu retten und zu helfen. Das gibt schreckliche Tage des Hinsinnens und der Aussichtslosigkeit. Inzwischen habe ich an dem Konradin noch einiges gemacht. Ich schicke die Schlachtszene, weil Sie vielleicht ebenso wie ich denken, wie man es lösen könnte. Ich bin noch ein bischen weiter, ich möchte gerne bald fertig sein; aber es zieht sich immer noch hin; mancher Passus will immer erst von allen Seiten angegriffen sein, bis er ein weiteres Wort hergibt.

Von Ihrer Frau haben wir eine heitere Karte vom Rhein bekommen. Wir bitten, sie recht herzlich zu grüßen. Von der Insel habe ich nichts gehört und nichts hören lassen. Ich möchte den Konradin dazu fertig haben. Mit der Zurückstellung des Gedichtbandes haben Sie sicherlich, wie man jetzt noch mehr sieht, recht gehabt. Aber der Verleger wird über solche Schwierigkeiten vielleicht seine eigenen Gedanken haben. Ob man vielleicht aus den früheren Gedichten die Mariengedichte und ähnliches zusammennehmen sollte zu eine[m] kleinen Zwischenersatz?

Seien Sie, lieber Herr Dr. Roßkopf, nun aufs herzlichste
gegrüßt
von Ihrem
Konrad Weiß

[39: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, Mozartstr. 13/III., 1. Sept. 37

Sehr verehrter Herr Dr. Roßkopf!

Ihr lieber letzter Brief, der mich sehr gefreut und ermuntert hat, hätte eigentlich zur Antwort die endliche Fertigstellung des „Konradin“ gebraucht. Aber es geht schrecklich langsam, da ich zudem seit einiger Zeit allein die Kunstredaktion zu machen habe und fast jeden Tag irgend etwas von Anfallendem zu machen habe schreiben muß. Nun schicke ich Ihnen eben wieder ein Stück zu. Mit meinem Urlaub, bzw. der Fahrt nach Österreich wird es nichts. Die Redaktion ist gegenwärtig in einer grossen Einsparnot und will keinen Reisebeitrag aussetzen. Da möchte ich die teure Reise nach Österreich nicht vornehmen und eine besserer [sic] Gelegenheit abwarten. Es ist mir nicht unlieb, da ich mit der Bahn doch nur recht mühevoll einige grössere Resultate zusammenbringen könnte. Ich wäre wohl auch nochmals zu sehr von dem Deutschlandbuch abgelenkt worden, an das ich doch denken muß, und ich möchte nun den Urlaub benützen, um noch Nötiges dazu zu sehen. Also – Sie haben mich so freundlich nach Leipzig eingeladen zwecks eines Wochenendes in Schlesien. Wenn Sie noch Lust haben, könnte man das machen. Ich muß noch bis Ende nächster Woche warten, bis meine beiden Kollegen wieder da sind. Es wird vielleicht auch noch etwas später, aber dann könnte ich frei kommen. Ich denke auch daran, den Rhein mit Speyer, Worms, und dann das Moseltal bis Trier noch in diesem Urlaub abzufahren. Das ginge ja mit der Bahn. An der [sic] Rhein könnte ich meine Frau auch irgendwohin mitnehmen.

Eben habe ich dem Inselverlag die Korrektur geschickt von dem Stück „Mathilde“, das man dort für die Insel ausgewählt hat. Der Titel ist so wohl ganz passend. Herr und Frau Dünninger waren am Samstag hier. Dr. Adams ist im Urlaub. Er hat mir Bernanos „Tagebuch eines Landpfarrers“ zur Lektüre dagelassen. Es ist eine für mich schwer lesbare Sache in seiner dialektischen Hellhörigkeit, in der Spekulation auf den Sinn des Leidens, in einer merkwürdigen psychologischen Kasteiung, bei der man sich fragt, ob so etwas geschrieben werden kann und vollends, wenn es nicht die Niederschrift eines Menschen selber, sondern eine schriftstellerische Fiktion ist. Es ist alles zu sehr bloß noch im „Wort“ vorhanden, und das Bildsinnige der Geschichte fehlt. Anderseits ist es doch eine Sache, die weit über das hinausgeht, was unsere deutschen Laientheologen leisten. Es ist eine in sich versetzte Wahrheit darin und ein sonderbar versetzendes und zersetzendes Ringen um Theodicee.

Seien Sie beide aufs herzlichste gegrüßt
von uns beiden Ihr KWeiß

[40: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, Mozartstr. 13/III, 11. Sept. 37

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

wenn das Regenwetter bei Ihnen ist wie hier, so haben wir nichts verloren, weil wir unsere Reise nicht antreten konnten. Jetzt sind nun meine Kollegen zurück. Aber ich bin noch unschlüssig. Und wenn Sie vielleicht am 24. fahren können, so denke ich, daß ich erst zu diesem Datum meinen Urlaub antrete. In Siedlinghausen ist meines Wissens das Fest in acht Tagen. Wir haben überlegt, dahin zu reisen, aber es ist wegen der wenigen Tage, die ich bleiben könnte und wegen der Schwierigkeit, wie ich meine Frau wieder abhole, doch kaum möglich. Ich würde dann also zu der Schlesienfahrt nach Leipzig kommen und vielleicht etwa länger in Schlesien bleiben, um von da wahrscheinlich direkt nach Trier zu fahren. Ich würde sehen, was ich an Mosel und Rhein in einigen Tagen noch zusammenbringe, und würde dann nach München zurückfahren, um mit meiner Frau noch ein wenig in die bayrische Nähe zu gehen. Vielleicht kann ich an dem „Konradin“ inzwischen auch noch einiges fertig bringen. Das ist mir fast das Wichtigste. Aber dann muß auch das Reisebuch in Schuß gebracht werden. Bei Bernanos gibt es eine schöne Stelle über den Sinn des Soldaten. Ich hatte mir gelegentlich Xantens Ähnliches gedacht, allerdings im geschichtlichen Sinne gerade an dieser fränkischen Stelle mit der thebaischen Legion. Das ist gegenüber der human-antiken „positio“ am Rhein eine eigentümlich- zeitlose soldatische „dispositio“, die dem Franken offenbar nahe ist.

Mit herzlichen Grüßen
Ihnen beiden
Ihr Konrad Weiß

[41: Karte; Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, 17. Sept. 37

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Herzlich danke ich Ihnen für Ihren Brief von heute und die Karte vorher. Ich bin Ihnen so viel verpflichtet und möchte schon deshalb, daß alles etwas wird. Hier habe ich nun den Konradin fertig gemacht und muß Ihnen das Manuskript doch noch heute auf die Post geben.

Am Mittwoch fahre ich mit dem 8 Uhrzug morgens. Ich denke, wir werden in Schlesien nicht allzuviel tun, dann [sic] es handelt sich doch mehr darum, die östliche Geschichte und das östliche Gesicht noch nach dieser Seite nicht ganz zu vernachlässigen. Man wird ja sehen.

Ich freue mich sehr auf Leipzig. Herzlichste Grüße
Ih[n]en beiden von uns beiden
von Ihrem Konrad Weiß

[42: Karte; Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, Mozartstr. 13/III., 17. Okt. 37

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Nun will ich mit meiner Frau morgen nach Speyer und Worms fahren, um den Abschnitt Trier und Rhein zu ergänzen, den ich wegen meiner Erkältung oder Grippe abbrechen mußte. Ich war bis in diese letzten Tage noch nicht recht reisefähig.

Hier schicke ich Ihnen die Personenliste des „Konradin“. Es ist eine lange Liste von Namen; aber mir wenigstens scheint das Schauspiel doch übersichtlicher, als die lange Namenliste vermuten lassen könnte. In Ihrem Manuskript sind, wie ich an dem Durchschlag sehe, jedenfalls verschiedene Schreibfehler und auch dadurch Unklarheiten, weil mehrmals die Angabe der sprechenden Person unterblieben ist.

Im neuen Inselheft ist von der Ballade nichts aufgenommen worden. Das macht aber nichts; man muß nicht zu viel verlangen. Ich denke, der Verlag will doch im Interesse seiner Unternehmungen handeln. Und dazu gehört ja nun auch die Kleine Schöpfung und was noch werden soll. An Frau Professor Kippenberg schicke ich auch das Personenverzeichnis.

Herzlichste Grüße Ihnen beiden von
uns beiden Ihr Konrad Weiß

[längs des linken Randes] Dr. Schranz ist inzwischen Sanitätsunteroffizier geworden.

[43: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, Mozartstr. 13/III, 4. (Oktober) [eingeklammert; darüber von fremder Hand: November] 37

Verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Wir freuen uns schon sehr, daß Sie bald nach München kommen. Ich dachte immer, Sie wären Soldat, während wir noch am Rhein herumfuhren, und die Karten, die wir Ihnen schrieben, würden Sie nur auf dem Umweg erreichen. Ich war auch auf der Rheinreise noch ziemlich marode, und erst ein längerer Aufenthalt in Würzburg schien eine ordentliche Besserung zu versprechen. Da war aber der Urlaub zu Ende, und in München war der gesundheitliche Zustand zunächst wieder nur mäßig. Jetzt geht es aber wieder besser mit dem „Unmuß“.

Ihre Briefe haben mir große Freude gemacht. Wir müßten einmal zusammen an den Rhein fahren. Speyer hat es mir besonders angetan. Indem ich vorher in Trier gewesen war, wurde der Unterschied des deutsch-christlichen vom antiken Gedanken Wesen besonders deutlich. An der Porta Nigra ist der christliche Anbau, der im Vergleichen mit dem antiken Profanbau zeigt, daß das Antike sich in der positiven, sich aus dem Positiven vervollkommnenden Form verwirklicht, das Christliche aber aus dem Negativen, oder dass die antike Form „durch Zunehmen zunimmt“, daß aber die christliche und die deutsch-geschichtli[che] oder die mehr als humane Form „durch Abnehmen zunimmt“. Es bilden sich dann alle die Zeugnissformen, welche nicht durch sich selbst sind, sondern nur wie eine Methode, um für ein Inbild zu stehen. So wird das Werk, je mehr es durch Verminderung zu sich kommt, um so mehr doch nicht Werk und nicht in sich gerecht, sondern bloß im Verhältnis u. Inbild. Das würde ich nun auch sagen, weil Sie in Ihrem ersten Briefe ein „protestantisches Bekenntnis“ abgelegt haben. Wo das Werk sich selbst zum Wort nimmt, und nicht mehr im Bilde gleichsam ungerechtfertigt vertraut, da hört die geschichtliche Form auf und wird der Mensch bloß eigen und persönlich.

Mir war es merkwürdig, wie man gerade Speyer als eine marianische Form sehen kann, gerade weil dieser Dom nicht so zum eigenen Werkzeug und Bekenntnis geworden ist gegenüber dem Dom von Worms. In Worms brechen die Tiere wie mit einer gewaltigen Neugier aus dem Paradies der reinen Folge und Anschauung, welche in Speyer gegeben ist oder gegangen wird, wo die Pfeiler im engsten Kampf aus sich schreiten und eine große Hoffnung in sich führen, während in Worms ein heroisches Bekenntnis in äusserst werkhafter Veranschaulichung geleistet wird. Der Dom von Worms ist, möchte ich sagen, der männliche Sinn des Mittelalters, der Dom von Speyer aber der weibliche und darum mehr geschichtliche und zukünftige Sinn, was also dem kaiserlichen Dom nicht widerspricht. In Mainz wäre dann weder dies noch jenes, sondern mehr die geistliche Verfügung und Fertigung, das firmamentum. Da wir den Schluß in Würzburg gemacht haben, muß das auch noch beigezogen werden. Die Residenz, und so das Barock, bringen die Perspektive, die durch alles geht bis zur Selbsttäuschung, und das gibt dann den Jammer des „bezechten Franken“, der um sein Recht in der Welt streitet und dabei doch die Musik hören muß. Die Musik hat kein Recht und ist ohne Mann und Weib in der Schöpfung. „Nun aber ist es genug“, werden Sie sagen, „nun hören Sie auf." Sicher ist in Würzburg auch der zusagendere Wein daran schuld, daß man sich unter seine eigenen Gedanken begibt und diese über sich purzeln läßt, während man am Rhein den Gedanken ihre fortlaufende Bahn läßt und als armselige Kreatur nur das Denken verfolgt.

Ich habe in den letzten Tagen etwa Justus Möser gelesen. Das eigentliche Wort für dessen Sein ist wohl – wie auch etwa bei Goethe – das „Mögliche“. Indem dies Mögliche bei ihm mit einem wackeren Glauben an die Moral der Erfahrung und des alten echten Wesens zusammengeht, entsteht sein lehrhaftes schönes Denken. Es bleibt aber parabolisch, und hat kein eigentliches Inbild. Es ist deshalb weder geschichtlich, noch persönlich, sondern bleibt praktisch und stattlich dazwischen. Es geht in seiner Darstellung, also in seinem schreibenden Wesen auch nicht um das Wort, sondern um die Rede; er ist beredt, und das weist wohl auch schon dahin, daß er von Westfalen nach Niedersachsen abliegt.

Wir freuen uns also, wie gesagt, sehr auf Ihr Kommen. Kann Ihre Frau nicht mitkommen? Das wäre doch so einen [sic] schöne Gelegenheit.

Seien Sie beide von uns aufs
herzlichste gegrüßt, besonders
von Ihrem
Konrad Weiß

[44: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, Mozartstr. 13/III., 14. Nov. 37

Verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Also mit der Sache der Vorladung war es nichts Besonderes; es wurde nur um einige Auskünfte gefragt zur Vervollständigung der Karthothek.

Hier schicke ich Ihnen die Zeilen, die ich Frau Kippenberg in das Büchlein geschrieben habe [Im Reime]; ich habe dazu geschrieben, daß es noch ein Dank sei für ihren ersten Brief. Auch die Verse lege ich bei, die ich in das Büchlein [Die kleine Schöpfung] geschrieben habe, welches dem Namen dieses Akrostichons gewidmet ist. Über das Büchlein selber habe ich sonst noch nichts gehört. Wenn man es mit den anderen in den Auslagen sieht, versteht man noch mehr, warum dieses Frühlingsgrün gewählt wurde, z. B. wenn man das winterliche Tannengrün des Stifterbändchens damit vergleicht.

Wir freuen uns schon, bis Sie zusammen an Weihnachten wieder kommen. Gestern sah ich „Richard III.“. Es war eine schöne Aufführung, und zu denken wieder das Erstaunliche, wie hier die männliche Welt als ein lenkungsloser Ausbruch der Natur das Drama und den Dramensinn eines Zeitalters selber bildet, das dem „Weibe“ der Gotik, dem reinen Vertrauensuntergrunde entwichen ist. Es ist nur noch dieser Vordergrund da, wie man gerade auch in dem Sinn der Frauengestalten sieht. So hat gerade dieser “Richard III." eine einmalige Bedeutung.

Seinen sie beide aufs herzlichste gegrüßt
von Ihrem dankbaren KWeiß

[45: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, Mozartstr. 13/III., 23.XI. 37

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Sie waren so lieb, mir durch den hiesigen Rundfunk sagen zu lassen, daß eine Besprechung der „Kleinen Schöpfung“ in Leipzig gebracht werde. Ich konnte sie leider nicht hören, da ich an diesem Abend den Auftrag hatte, einen Vortrag über „German. Kulturhöhe in 3 Jahrtausenden“ – Sie hören die Wichtigkeit an dem Titel – zu machen. Schriftlich kann man diese Besprechung wohl nicht haben? Von Kippenberg habe ich gehört, daß er an Prof. Caspar wegen der Verlagsbücher geschrieben hat. Sonst habe ich von der Kleinen Schöpfung noch nichts gehört. Hier im Hause will ich nicht auf Besprechung drängen, da ich nicht mit den Drängern dieser Art konkurrieren will, wegen des bösen Blicks.

Ich habe „Oda“ [Hanna Stephan: Frau Oda] von Vorwerks Verlag gelesen. Das Buch ist besser, als man anfangs fürchtet, da es zu sehr auf nahe Sch[i]lderung gerichtet bleibt. Es ist jedenfalls als Leistung der Schreibenden ein sympathisches Werk. Als Formfrage eines geschichtlichen Romans würde zuerst zu besprechen sein, woher die starke Neigung zur Frömmigkeit kommt, abgesehen von der Neigung der Schreibenden. Es ist ein „Ersatz“ der eigentlichen geschichtlichen Stimmung oder ihrer nicht leicht stimmbaren Kräfte. Es ist wohl die Frage des konfessionellen Romans. Nun ist das, weniger gebunden, auch bei der Galla Placidia (Benrath) der Fall. Und auch sonst fiel mir auf, daß in geschichtlichen Romanen von heute das Religiöse oder eine Neigung zu einer theologischen Konfession allgemeiner Art merkwürdig vorhanden ist. Woher nun heute diese allgemein-konfessionelle Erscheinung? Es scheint eine Art Ersatz für „Geschichtssinn“, eine Weise, die Goethe gar nicht verstanden und gemocht hätte. Sie scheint aber zu zeigen, wie weit wir einem „geschichtlichen“ statt einem humanistischen Geiste ergeben sind. Revolution und Theodicee gehören wohl zusammen und scheinen sich gegenseitig verstärken zu wollen. Ich las auch Novellen von Vict. Meyer-Eck[h]ardt; diese sind etwa wie C. F. Meyer und haben nicht Theodicee und darum auch nicht Geschichte. In den „Sagas“ ist beides wohl bes. in Form der Zauberworte [darüber:] Reime; die sind wie geschüttelte Becher.

[längs des linken Randes]
Seien Sie beide herzlich gegrüßt von Ihrem Konrad Weiß

[46: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, Mozartstr. 13/III., 7. Dez. 37

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Herzlichen Dank für die Zusendung der Besprechung des Herrn Dr. Pfeiffer, die wohl eigentümlich berührt, aber doch in der Geradheit, die in der Verschlunge[n]heit steckt, nicht unsympathisch ist. Es ist merkwürdig, was man den Dingen alles an Sinn geben kann. In meiner „Cumäischen Sybille“ ist ein Gedicht der Art „Nicht so viel Sinn der Dinge“..., das nicht das Gleiche aber doch wohl eine solche Art von Heute auch mitmeinen mußte. Von Frau Kippenberg, der ich ein Gedicht in das ihr zugeschickte Exemplar geschrieben habe, habe ich einen sehr freundlichen Brief erhalten, worin man ihre Freude gerne wahrnehmen konnte.

Von Dr. G. K. Schauer in Leipzig N22 Schillerweg 24 habe ich mit Berufung auf Dr. Suhrkamp eine Anfrage bekommen, ob ich Gedichte für die Zeitschrift „Philobiblon“ hätte. Ich habe ihm einiges geschickt und mitgeteilt, daß das Meiste, was Naturgedichte seien, zur Zeit bei Ihnen sei.

Heute habe ich die Besprechung der „Frau Oda“ für Sie fertig gemacht und schicke sie Ihnen morgen an den Rundfunk. Ich weiß nicht, ob Sie sie brauchen können. Ich wollte mich mit der Sache nicht identifizieren und doch, da es so im vertrauenden Gefühl gedichtet ist, auch nicht viel dagegen sagen. Das Buch bleibt lieb im Persönlichen, aber man kann schwer weitere Gesichtspunkte beibringen.

Hier lege ich Ihnen, da Sie ja der Freund der „Kleinen Schöpfung“ sind, die Verse bei, die ich für Frau Kippenberg und für Carl Schmitt hineingeschrieben habe.

Eben habe ich den Roman „Bäume im Wind“ von Griese gelesen, eigentümlich norddeutsch grau in grau, und das Gewebe unaufhörlicher als die Menschen. Es hat Verwandtschaft mit Barlach, wenn auch ganz gedämpft.

Seien Sie mit Ihrer lieben Frau herzlich gegrüßt
von Ihrem Konrad Weiß

[mit Pfeil auf „hineingeschrieben habe"] dazu eine kleine Erweiterung der „Kleinen Schöpfung“; ich habe sie Herrn Theodor Niermann nach Italien geschickt, da er mir für das Bändchen u. für den „Konradin“ wunderbare rote Rosen geschickt hatte.

[47: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, Mozartstr. 13/III., 23. Dez. 37

Verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Ihr lieber Brief traf mich gerade in einem schmerzhaften rheumatischen Zustand, der mit Bindehautentzündung und dann einem sehr peinigenden Anfall an der rechten Schulter zusammenkam. Letz[t]eres behob sich indes wieder und auch das Auge ist besser. Da ich nun deshalb das Zimmer hüten mußte, war mir Ihr Brief um so lieber. Allerdings die Nachricht, daß Sie mit Ihrer lieben Frau an Weihnachten nicht kommen, hat uns beide recht enttäuscht. Da werden die Gelegenheiten des Sich-Sehens doch allmählich recht wenige. Zur Zeit ist übrigens Herr Döderlein hier und will von hier aus nach Neresheim. Er scheint sich so in seinen Gedanken fortzubohren. Vor weniger Zeit war in der Zeitung unter Personalnachrichten zu lesen, daß der Führer und Reichskanzler den Professor an der Münchner Akademie Karl Caspar auf seinen Antrag in den Ruhestand versetzt habe. Es scheint, daß man ihn von Berlin aus lieber in seiner Stellung festgehalten hätte.

Daß Sie sich mit Dr. Suhrkamp verstehen würde, habe ich mir gedacht. Er weiß augenscheinlich an bestimmten Dingen sehr Anteil zu nehmen und ist dabei auch als praktischer Berater wahrscheinlich nicht voreingenommen. Daß seine Zeitschrift [Die neue Rundschau] neben der Zeit steht, habe ich unlängst ebenfalls gedacht, als mir gerade ein Heft in die Hand kam. Wenn Sie nun aber denken, daß ich dazu ein brauchbarer Mensch sei, so habe ich alle und noch einige Zweifel. (Was nach-Berlin-gehen betrifft, da scheint mir Ihre Frau recht zu haben). Sie sagen, daß nach meiner Formel eine Zeitschrift ein Kommentar zur Zeit sein müsse; gewiß‚ und heute mehr als je! Aber Sie haben dabei den aktiveren Teil herausgehört, der in dieser Aufgabe steckt, und das entspricht auch Ihrer Natur. Ich bin nur Soldat und wäre, wie ich mir schon‚ als ich meine Kriegszeit in Mainz war, gedacht habe, auch im Feld nur als Soldat brauchbar. So wäre ich auch nur Mitarbeiter, und zwar, je mehr mir befohlen wird, um so mehr (was nun allerdings komisch mit meinen Erfahrungen und meinem Verhältnis zum „Hochland“ kontrastiert). Sie müssten sich diese Aufgabe allenfalls überlegen. Wenn heute eine Zeitschrift mehr als vorher ein Kommentar zur Zeit sein soll, so ist diese Aufgabe auch schwerer als vorher. Und wenn nun ein Älterer, der, wie Sie meinen, besser dafür geeignet sei, auch positiv in seiner Art zu allem steht, was er erfassen kann, so ist das doch anders, als wenn ein Jüngerer es tut. Der Jüngere denkt – kann sich mit der ihn umgebenden Entwicklung auf seinen Standpunkt hinlenken, er erscheint in einem Verhältnis der Wechselwirkung; der Ältere würde bei dem gleichen Standpunkt als einer erscheinen, der sein Denken von früher her behalten hat und nun wieder neu anwendet. Umgekehrt will das auch heißen, daß der Jüngere sozusagen zu dem Baum der Mitte gehört, wo das Wachstum ganz und einheitlich zu sein scheint; der Ältere aber ist schon in den Steinen festgemacht, welche wie bei dem Bau des Mittelschiffs die Lücke zwischen ihren Wänden schließen. Anderseits ist ja eine solche Zeitschrift eine Sache, an welche denkend die Gedanken sich selber zu einer ihnen möglichen Auszeichnung erheben müssen.

Herr Dr. Döderlein hat mir von dem neuen Leiter des Hegnerverlags ein[e] Anfrage gebracht, einen Text von mehreren Bogen zu einem Buch zu schreiben, das von einer Westfälin photographierte romanische etc. Christusbilder aus Westfalen enthalten soll. Ich kann aber nicht zusagen, denn ich habe mit dem Buch für Kippenberg ja nun nächstens noch genug zu tun. Und dann müßte eben doch noch weiteres über die deutschen Landschaften im Sinne des „Bezechten Franken“ geschrieben werden. Ich habe mir, eben als Ihr Brief kam, dazu gleichgehende Gedanken über Schwaben gemacht+, weil ich in meinem Zimmerarrest Hölderlin las. Und diese Hölderlingedanken gingen dann teils auch mit Ihren Worten wegen des „Konradin“ gut zusammen.

[längs am linken Rand] +„Die Früchte in Schwaben“

Warum wollen Sie nicht, wenn Kippenberg das meint, etwas schreiben, was von dem Dramasinn handelt, gerade im Anschluß an Hölderlin und daran, daß Sie wie der junge Pfeiffer von Hölderlin herkommen. Ihre Ausführung könnte briefhaft oder sonst in einer noch ausdenkbaren Form stattfinden, und je mehr sie an Hölderlin anschließt, desto besser geht sie‚ auch wenn sie in schwierigere Dinge gerät. Ist es denn nicht merkwürdig, wie dieser Geist beredt wird, wie er die Fähigkeit, beredt und in der reinen Beredtheit zu sein, immer mehr bis zum Monologischen ausbildet; und so muß sich Empedokles opfern gleichsam durch den Entzug aus dem Echo, welches in Bildern ist, um rein zu sterben bloß in der Endung seiner reinen Rede. Er opfert sich weiblos, bildlos, und kein im Bilde weiter noch nachklingendes Wort, kein Bild, das wie ein ewig lebendiges Wort der Eigenlosigkeit gilt, bleibt zurück, gerade bei diesem Empedokles, der doch rein eigenlos sein wollte. Bei Hölderlin ist der stärkste Gegensatz zu dem Sinn des Bildes oder des Weibes oder des eigentlichen Dramasinnes der Geschichte. Er sucht die Reinheit, aber nicht das Vertrauen, wie Kleist. Er will einen Sinn, der alles zugleich in einem unendlichen Hauch durchdrungen zu halten scheint, aber er hat dann nicht den Hunger der Geschichte, nach welchem der Hauch gehen muß, und woran er sich wie an Steinen der Kirche bildhaft anschlägt. Er erreicht die Beschränkung durch die Innengrenze nicht‚ welche in der Penthesilea im Geschlechterkampf sich ausspricht und sonst so im „Käthchen“ als reines Vertrauen. Man ist immer erstaunt, wenn Hölderlin sein starkes Bekenntnis zu Deutschtum und Vaterland ablegt, da er doch die Menschheit, wie er sagt, lieber hat als die Menschen. Dann merkt man durchaus, daß diese Vaterlandsliebe mehr als bei Goethe zu dem inneren Hauch gehört, den er in allem fühlen will. Aber dies Vaterland ist doch irgendwie mehr ein naturgeschichtlicher Begriff, kein geschichtlich komparativischer, ein echolos-monologischer, der die Rede zur Begeisterung nacheifern läßt, aber gleichsam kein Bild mehr gegen das andere bietet. Es ist diese monologische Art des Heroismus‚ aber es ist nicht kaiserlich. Man könnte dagegen sagen, das Kaisertum und so auch eben Konradin habe an zu viel Bildern sterben müssen, also nicht in der Einsamkeit des Monologs, sondern in der überall vorhandenen blinden Geschwisterschaft, die dem Menschen einen unaufhörlichen Weg gibt, worin sein besonderes Sterben nur ein einzelner Ort ist, aber durch einen Zeitpunkt vielleicht gegen andere komparativisch gehoben. Der geschichtliche Mensch lebt gegenüber Empedokles nicht in der unendlichen Einheit, sondern in einem unendlichen Zwiespalt, der aber keine bloße Dualität ist, sondern dem ein sozusagen hoffnungsloses blindes Vertrauen den tieferen Grund und das Echo hergibt, vor dem er Vordergrund ist und wandelt. Dabei ist aber das „veste Herz“ und die reine Kühle bei Hölderlin von sonderbarster Schönheit.

Es wird sich heute vielleicht um solche Gedanken handeln. Vor 50 Jahren dachte man gerne daran, den Gegensatz von Klassik und Romantik zu formulieren. Dann führte der Gegensatz von Antike und Gotik scheinbar noch noch [sic] zu Wichtigerem. Heute ist aber wohl das Wesentlichere erreicht, nämlich eben in den Erscheinungen‚ die Antike und Romantik wie Hölderlin und Kleist zugleich in sich beisammen haben. In der Zwiespältigkeit der Totalität‚ das ist ihrer beider Erscheinung. In ihnen wartet die innere Grenze der Zeit auf Erkenntnis; diese innere Grenze ist aber in den Bildern der Geschichte‚ welche den unaufhörlichen Sinn zeigen statt des monologischen Endes.

Ich habe dieser Tage auch „die deutschen Vorstimmen“ wieder gelesen und habe sie nicht mehr ändern wollen. Ich möchte die drei Stücke:
die deutschen Vorstimmen
Die König Heinrich-Ballade
das kaiserliche Liebesgespräch
doch beisammen lassen und vielleicht den Gesamttitel darüber setzen „Trilogie der deutschen Frühe“. Das wäre dann ein Büchlein für sich, das doch innerlich zusammenhängt.

Zu den Weihnachtstagen Ihnen
beiden von uns beiden
die herzlichsten Grüße und
guten Wünsche, bes. von Ihrem
Konrad Weiß

[48: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

[ohne Datum]

Wiegenlied
Verkündigung
Die Empfängnis
Sinnspiele des Advents I, II, III
Das Linnen
Maria im Dorn
Spinnerin
Die Rose
Über das Gebirge
Mit einem Gedanken
Himmelswiege
Gott in der Krippe
Weihnacht im Walde
Eleison
Lichtmeß
Die Flucht nach Ägypten
Unsere liebe Frau im Hage I, II, III
Vor dem Morgentor
Das unverbrauchliche Linnen
Das Hungertuch
Das neue Bild
Propria Peregrina
Aktäon
Inviolata

Sehr verehrter Herr Dr. Roßkopf!

Ich habe eben das „Herz des Wortes“ durchgeblättert und würde eine kleine Auswahl in dieser Weise bedenken. Was meinen Sie dazu? Oder was würde Herr Professor Kippenberg dazu sagen. Da er von Rilke Mariengedichte hat, würde ihn der Gedanke vielleicht nicht befremden. Es ist mir nur, daß er sich vielleicht nicht durch mich benachteiligt fühlt.

Mit herzlichen Grüßen
Ihr Konrad Weiß

Das Gedicht „Die eine Rose“ würde auch dazu passen.

[49: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, Mozartstr. 13/III., 29. Dez. 37

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Da ich noch mit einer Augenentzündung behaftet bin und mehr zu Hause sitze, habe ich über den Gedanken einer Einführung zum „Konradin“ nachgedacht. Was daraus werden kann, weiß ich nicht, aber es müßte wohl in einer leichten Form gemacht werden. Es ist mir, da ich eben einen Neffen, der in Tübingen Theologie studiert, hier zu Besuch habe, daß es wohl richtig ist, was er sagt, daß die Worte von mir etwa so gebraucht würden, wie Caspar die Linien der Zeichnung braucht, nämlich um den Inhalt zu geben, ohne ihn eigentlich zeichnend einzufassen. Man kann von dem Gedanken weitergehen und sagen, daß das Wort, das sonst immer einem Inhalt zugewandt wird, als Idee oder in geringerer Form als Stoffschilderung, daß das Wort hier nicht in dem Sinne inclusiv wirken will, sondern eher exclusiv, abtrennend was nicht her gehört, jedoch den Inhalt sich selber bilden lassend, das heißt ihn wie einen Mangel an vollziehbarem Sinne in sich habend und bewegend; ihn also wie die eigentliche Geschichte in sich habend, die man nicht moralisch beurteilen kann, sondern im Blicke schauend und mit dem Gefühle in Beteiligung gezogen geschehen lassen muß. Wer hat Recht in einer geschichtlichen Sache? Das ist nicht zu sagen als nur in den Proportionen, in den Größenmaßen des Miterlebenkönnens. Es ist also nicht innerlich zu beurteilen, sondern in der Größe der Abstände, die ein Geschehen zu sich gewinnen läßt, gleichsam in einem architektonischen Gedanken des Gefühls, innerhalb dessen ein Vollzug geschieht.

Dies entspricht auch der blinden Form der Dichtung, die in geschwisterhafter Zukunft des Weges Thannhäuser auszusprechen hat. Es ist der Sinn des Politischen und des Allfahrenden dann selber. Und so geschieht, nachdem der geschichtlich-romanische Zeitbau ins bloße Echo überzugehen angefangen hat, auch das Ende des Mittelalters bei Konradin, wo der Einzelne nun zu sterben hat und die nachfolgende Zeit der Gotik nicht mehr um den Einzelnen geht, sondern nur noch im enteinzelten Widerspiel von Bild und Wort, nur noch in den verallgemeinten und so entseelten Grundformen der Geschichte, nicht mehr im reinen Spiel um die tapfere Jungfrauschaft, sondern noch im nachsinnenden Mutterschaftswesen sich fortfindet.

Es ist wohl ein Ziel, nur zu gehen und dabei horchend zu sprechen (so wie der alte Kirchenbau ist), nicht aber sich in einer hörenden Versammlung von Menschen zu fühlen. Das wäre dann auch die dichterische Form im Vorgebot der Geschichte statt des Daseins im menschlichen Zweck.

Und so habe ich mir eben, wie Sie sehen, allerlei Gedanken zurecht gemacht. Ich habe auch zu finden geglaubt, das [sic] der Konradin“, je lauter er gelesen wird, um so verständlicher ist, weil dann die Ratio nicht bloß aus der Überlegung geholt, sondern aus dem gehenden Wortklang getrieben scheint.

Verzeihen Sie, daß ich über etwas, dessen Ansprüche doch noch gar nicht feststehen können, so viel selber rede.

Zum Neuen Jahr Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin herzlichst alles Gute von uns beiden. Sie müssen auch wieder bald nach München kommen. An Dr. Suhrkamp habe ich eine „Kleine Schöpfung“ geschickt mit einem kleinen Eintrag, im übrigen jedoch von Ihren Nachrichten nichts erwähnt.

Mit Siedlinghausen hat meine Verbindung lange geruht, insbesondere hat Dr. Schranz nichts hören lassen, so daß ich Befürchtungen hatte. Nun aber hat er zu Weihnachten geschrieben und es ist mit vieler Arbeit bei ihm alles erklärt. Herr Senge hat mir ein Photo der Eva geschickt. Es scheint mir ein schönes Werk geworden. Ich möchte sagen, es habe den richtigen „Naturalismus“, das heißt: die Natur ist der Gestalt wie mit inneren Grenzen angefügt, nicht in einer vorweggenommenen Formabsicht, sondern Teil für Teil, aus dem Blick des Teiles zum weiteren Blick, und so aus dem Gesicht der Teile zum Ganzen kommend bringend, Wirklichkeit aus der Teilsamkeit gewinnend und damit die stillere Schönheit, welche sich sozusagen von Teil zu Teil unterbricht, welche gleichsam nur beigetragen wird und doch eben davon inständiger und „gläubiger“ wird. Ich finde, dass davon auch die Gelenke und die Armflächen etc. besonders wirken, daß damit auch nicht nur ein Körper vorhanden gestaltet, sondern in einer reifenderen Form erreicht ist. Senge ist so ein Mensch, der so etwa „Werkgläubiges“ reifen lassen kann.

Als wir unsern Weihnachtsbaum und dazu darunter die neue Ausgabe der „Kleinen Schöpfung“ hatten, konnte es zum Bewußtsein kommen, wie dies Jahr und der Sommer bös gewesen und doch ein neues Gefühl zur Aussicht gekommen war. Ich muß Ihnen darum bei dieser Gelegenheit nochmals herzlich danken.

Sie beide herzlichst grüßend
Ihr Konrad Weiß

[50: Handschrift von Marie Weiß]

München, 25. I. 38

Sehr verehrter lieber Herr Doktor Roßkopf!

Diesen Brief erhalten Sie durch die Handschrift meiner Frau, da ich gegenwärtig nicht schreiben noch lesen kann. Ich habe mit Januarbeginn eine rheumatische Regenbogenhautentzündung des rechten Auges bekommen wodurch das Auge faktisch blind ist. Da mein linkes Auge nur eine geringe Sehstärke hat, bin ich also in der langweiligsten Verfassung. Doch sagt der Arzt dass die Sache sich schon bessert. Ihre Frau werde ich aber noch nicht sehen können, was uns beiden sehr leid tut. Sie sehen dass Sie mit Krankheit und Fadigkeit während des Januar in München einen Partner haben. Meine Frau liest mir in meiner Grantigkeit eine Theoderich-Monografie vor, worin berichtet ist, dass der wackere Chlodowech einem gefangenen Fürstencollegen, nachdem er ihn lachend gefragt hatte, warum er sich denn habe fangen lassen, mit dem gleichen noch verstärkten Lachen den Kopf mittels seiner Axt abgeschlagen habe. Homo homini lupus – aber die Chlodowechsche „höhere Heiterkeit“ scheint mir noch massiver als die Jüngers. Das Frankenreich bekam denn auch mit seiner ratio Bestand, aber das Reich Theoderichs mit seinem Ideal verging.

Von Dr. Su[h]rkamp erhielt ich zu Neujahr einen sehr netten Brief worin er auch von den Gesprächen mit Ihnen erzählte. Ich kann ihm jetzt als blinder Schreiber nicht antworten. Er erwähnte auch, dass Sie ihm den Konradin geben wollten und meinte, dass dieser, wenn Kippenberg zögere zunächst vielleicht in der Neuen Rundschau abgedruckt werden könne. Von Kippenberg habe ich nichts gehört.

Dieser Tage ist mir aufgefallen, dass Shakespears Dramen eigentlich keine Dramen im geschichtlich aufschliessenden Sinne sind, sondern dass er den geschichtlichen Sinn sozusagen domestiziert. Das ist ja wohl auch für die Renaissance richtig. Worin sein dramatischer Sinn dann gross und furchtbar wird, das ist dann nicht sosehr der stetige Aufbruch innerhalb der Geschichte selber, sondern ein Ausbruch aus ihr in die Grundlosigkeit der Natur. Ein deutscher Dramasinn müsste eigentlich immer wie unsere germanische Ornamentik in der unaufhörlichen Sinnbrechung der Geschichte selber bleiben. „Der Weg des Sagens trennt sich nicht vom Unheil“.

Seien Sie nun Beide von uns Beiden aufs herzlichste gegrüsst – also auch von der wackeren Schreiberin des Briefes.

Ihr Konrad Weiß
und Marie Weiß.

[51: Handschrift von Marie Weiß]

München, 14. II. 38

Sehr verehrter, lieber Herr Dr. Roßkopf!

Ja, Schnecken! Tatsächlich! In dieser Verpackung sind sie eben gekommen und da unsere Humore nicht danach sind und uns auch die dazu nötigen Kochkünste mangeln, schicken wir sie sofort Ihnen weiter. Solche Sachen macht also Herr Dr. Schranz mit einem Patienten. Sie werden sich ja auskennen, ob und wie der Genuss dieser winterlich Behausten möglich ist.

Meine Augenentzündung wendet sich nur langsam, es ist eine Zeit von mehr als leidigen Empfindungen. Heute habe ich schon die 15. Spritze.

Frau Kippenberg hat mir einen eingehenden und sehr anerkennenden Brief geschrieben. Sie meint aber, dass vielleicht etwas gekürzt, insbesondere die Exposition bis zur Erzählung von Konradins Traum gestrafft werden könnte. Ich weiss nun nicht recht. Selber würde ich daran denken die lange Rede Konradins, die er zu seinem Traum tut, zu kürzen. Sonst wäre da blos noch die Erwähnung dass Ludwig der Strenge seine Frau tötet. Aber dies gehört ja zum Zeitbild und Charakter. Sehr schön hat Frau Kippenberg ausgedrückt, dass alles was um Konradin geschieht wie in einem Walde ist. Ich werde ihr dieser Tage schreiben, wozu ich allerdings durch die Augengeschichte recht behindert bin.

Seien Sie für Ihren letzten Brief herz-
lich bedankt und ebenso gegrüsst
von Ihrem
Konrad Weiß

Auch von mir für Sie
Beide herzliche Grüsse
Marie Weiß

[52: Handschrift von Marie Weiß]

München, 26. II. 38

Sehr verehrter, lieber Herr Dr. Roßkopf!

Wegen meiner Augengeschichte kann ich leider nicht näher nachsehen, wann näherhin die Berliner Sache war. Ich glaube es war im Sommer 1934. Die Tatsache ist, dass ich damals aus dem preussischen Kultusministerium (Kultusminister Rust) 300 M erhalten habe. Diese Anweisung erhielt ich zur Förderung meiner schriftstellerischen Arbeiten. Ich habe diese Begründung bzw. Zweckangabe noch wohl im Gedächtnis.

Vielleicht dient es Ihnen auch, zu wissen dass ich von der nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei, Reichsleitung, Abteilung für den kulturellen Frieden (es ist die Abteilung, die unter Hess stand und dann später aufgelöst wurde) mit dem Datum des 12. 6. 34 einen Brief erhielt, in dem mir mitgeteilt wurde dass meine schon 1932 dargelegte geschichtsphilosophische Anschauung „den nationalsozialistischen Standpunkt bestätigt.“ – Ich lege Ihnen den Brief am besten hier bei und bitte Sie um eingeschriebene Rücksendung. –

Auch können Sie vielleicht darauf hinweisen, dass ich am 23. August 1923 von Rosenberg selbst aus dem Völk. Beob. eine Zuschrift mit Einladung zur Mitarbeit an der Zeitung erhielt. Ich bin sehr gespannt wegen der traurigen Hetze gegen Sie als einen Menschen, dem es immer um die wirkliche Fruchtbarkeit des Kampfes zu tun ist.

Wie Sie sehen kann ich immer noch nicht selbst schreiben. Doch fängt das entzündete Auge jetzt wieder an den Schimmer von Raum und Dingen wahrzunehmen. Es ist wie eine dunkelverdichtete Welt, welche Neigung hat merkwürdig und leise sich zu sondern und klar zu werden, fast wie ein Symbol.

Herzlich mit allen guten Wünschen
grüsst Sie Beide
Ihr
Konrad Weiß

Herzlichsten Dank
auch für die lb. Karte
aus Düsseldorf und
herzliche Grüsse. M. Weiß

[53: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, Mozartstr. 13/III., 6. Mai 38

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Ihr letzter Nachmittagsbesuch in München hat mich recht aufgeschreckt, so daß ich den Boethius sofort weggetan habe und anfing, über das Deutschlandbuch nachzudenken. Statt langen Nachdenkens habe ich dann aber angefangen, die schon ziemlich fertigen Sachsenaufsätze abzuschreiben; und dann habe ich mich an den schwierigeren Anfang selber, das heißt: Naumburg, Schulpforta und die Westfalenfahrt gemacht. Ich bin, wie Sie sehen, auch da schon ein Stückchen gekommen. Ich kann nicht sehr umarbeiten, aber, was wichtig war, habe ich doch wohl nun etwas in den Anfang hineingebracht.

Die späteren Aufsätze sind im einzelnen wohl nicht mehr so schwierig zurecht zu machen. Die Preussenfahrt habe ich auch schon durchgegangen, so dass etwa ein Drittel des Buches druckfertig sein dürfte. Die Arbeit des Lesens besonders, aber auch an der Maschine ist manchmal etwas mühselig, da das Auge immer noch blind ist und ich alles mit dem dicken Glas für das linke Auge machen muß. Aber ich hoffe doch weiter zu kommen. Da mir heute Dr. Adams einige Zeilen geschrieben und auch von Ihnen berichtet hat, dachte ich, ich müßte Ihnen doch von dem wohltätigen Schreck, den Sie mir das letzte Mal mitgebracht haben, ewas mitteilen bzw. die Proben der seitherigen Arbeit schicken. Mit den Untertiteln sehen die Reisekapitel vielleicht etwas anspruchsvoll aus. Aber die Lektüre, die dann doch wieder den reisemässig leichten Ton meistens hat, macht die Sache wieder für den Leser bequemer. Was meinen Sie nun? Anders kann ich es wohl nicht machen. Ich darf auch nicht zu viel dazusetzen. Es wird mit weiteren Ergänzungen noch einen ziemlichen Umfang geben. Was in der Zeitung erschienen ist, waren bis jetzt c. 70 Aufsätze. Da noch einige dazukommen, kann man den Umfang in etwa übersehen.

Letzthin haben wir Ihre Frau hier im Rundfunk singen hören. Es war in der betreffenden Sendung weitaus die stärkste Wirkung und hat auch etwas von der starken Feierlichkeit, die zu der Sendung gehören mußte, gegeben, sozusagen das große historische Timbre. Meiner Frau hat es besonders gut gefallen.

Den Boethius mache ich aber gelegentlich doch noch fertig; diese Nachbesinnung auf ein goldenes Zeitalter hat bei aller bloßen Elegie doch einen besonderen Reiz.

Hat sich Herr Dr. Suhrkamp zu dem „Konradin“ nicht geäußert? Ich denke diese Tage an Frau Kippenberg zu schreiben.

Mit den herzlichsten Grüßen Ihnen beiden
Ihr Konrad Weiß

[Schrift von Marie Weiß] Liebe, sehr verehrte Frau Dr.!
Glücklich Sie endlich wieder einmal wenigstens gehört zu haben,
ganz unvergleichlich gehört zu haben, erlaube
auch ich mir Sie Beide herzlichst zu grüssen. Ihre Marie Weiß.

 

Titel -------------?
Untertitel --------?

I. Reise über Naumburg nach Westfalen.... Das Gesetz der Geschichte

II. Harzreise.... Das königliche Haus

III. Die Richtung zur Ostsee.... Das Wesen aus dem Holze

IV. Auf einer Reise durch Sachsen.... Die Tenne des Wortes

V. Preussenfahrt.... Die Sterne über dir und das Gesetz in dir

VI. Thüringische Runde.... Die Kemenate

VII. Strassen durch Hessen.... Das Werk aus dem Steine

VIII Auf Fahrt durch den No[r]dwesten.... Das Reich und die Erde

zu I. wie dies gedacht ist, sehen sie aus den beiliegenden Abschnitten, wozu noch einige Gedanken bei den Aufsätzen über die Externsteine über Münster und die Droste, Corvey und Hildesheim kommen.

zu II Die Gedanken muß ich bei Quedlinburg, Halberstadt und Goslar noch etwas herausstellen; der Untertitel soll auch in gewisser Beziehung zu Thüringen mit seinem Untertitel stehen.

zu III. Dieser Abschnitt beginnt mit dem quelfischen Braunschweig und bringt die gotische Backsteingotik Mecklenburgs. Es ist die wachsende nationale Gotik, der mehr innerdeutsche Gedanke, der das Wachstum aus sich findet, aber sozusagen den „Stein“ des Reiches Karls und der Hohenstaufen nicht mehr hat und aus dem Holze „stationär“ wird.

zu IV. Den Sinn sehen Sie aus den beiliegenden sächsischen Kapiteln.

zu V. Kleist und dann Fragen um Kant sind der Mittelpunkt, oder das Gotische und das Dorische. Dazu sind Anregungen die Sterngewölbe des Ritterordens, Kants Ausspruch, der Name Koppernikus. Die von Kleist dichterisch gelöste Frage nach dem Gesetz der Geschichte bleibt bestehen.

zu VI. Gedanken zu Elisabeth und Ekkehard, die noch verdeutlicht werden müssen.

zu VII. Das „Gesetz der Geschichte (Kap. I.) wird wieder aufgenommen; karolingische Baukunst

zu VIII. Das „Reich“ beginnt seine Ausdrucksform mit Karls Kapelle in Aachen die Fahrt geht über die altsächsische „Erde“ nach Schlewig-Holstein; die Steingräber von Fallingbostel.

[54: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, Mozartstr. 13/III., 13. Juni 38

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Heute habe ich die Korrektur des „Konradin“ fertig gelesen. Ich habe die Bogen um Pfingsten der Reihe nach erhalten. Es ist eine sehr schöne Fraktur genommen worden, und meine Frau, die beim Lesen half, war erstaunt, dass in dieser Druckschrift alles, was manchmal schwierig geschienen habe, so leicht und verständlich zu lesen sei. Mir kam es übrigens selber so vor, als ob ich eine alte, längst bekannte Sache läse. Es wird wohl ein hübsches Büchlein geben, Umfang 170 Seiten. Frau Kippenberg hat mir zur Ankündigung der Korrektur noch einen sehr freundlichen Brief geschrieben und auch gefragt, was man etwa davon oder was man anderes in den neuen Almanach einsetzen könnte.

Daß Sie in Siedlinghausen an Pfingsten sein würden, habe ich schon halb und halb gedacht. Ich bin ein wenig spatziert‚ um mein Auge wieder einmal in die Gegend zu tragen‚ von der es allerdings noch nicht sieht. Als ich das letzte mal beim Arzt war, hat er meine Stimmung verschlechtert, statt verbessert. Aber vielleicht kommt doch wieder einige Sehfähigkeit heraus. Inzwischen werkle ich wieder wenn auch mühselig auf der Redaktion. Die Altdorferausstellung müßten Sie sehen. Wie geht es mit Ihrer Angelegenheit? Man weiß ja eben nicht, welche Wendung die bessere ist.

An den Reiseaufsätzen ist in letz[t]er Zeit wenig geschehen. Doch soll es wieder weiter gehen. Ich habe nun eben Grabbe zu den Westfalenaufsätzen nachgetragen, da er nicht fehlen kann (bei Detmold). Er hat bei allem Unangenehmen eine sonderbare Echtheit, die etwas von Kleist gewinnt, wenn allerdings gerade bei der „Hermannsschlacht“ man die geniale Überlegenheit Kleists besonders merkt. Kleist ist mitten in der Möglichkeit des eigentlichen deutschen Dramas, weder humanistisch noch sonst ideell und auch nicht historisch-illustrativ‚ sondern mit der Natur selber die Dramatik in der Geschichte findend und „lösend“, wozu man sich nur eben noch weiter denken könnte, daß auch die Natur nicht so „positiv“ in sich selber zerrissen, sondern im Sinne und im ewigen Tone ihres Mangels einzelnen bestimmt und dadurch vor einem tieferen Grunde bildhaft wäre. Oder wie man das nun ausdrücken soll. Ich finde, es ist gegenwärtig eine schrecklich zuwartende Zeit.

Seien Sie beide aufs herzlichste gegrüßt von uns beiden
und besonders von Ihrem
Konrad Weiß

[55: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, Mozartstr. 13/III., 21. Juni 38

Lieber verehrter Herr Dr. Roßkopf!

Herzlichen Dank für Ihre Karte mit dem Bild mei[n]er Büste. Daß Sie noch in Siedlinghausen sind, war eine Überraschung und ging nicht ohne einiges Neidgefühl ab, wovon ich allerdings den Anlaß Ihrer gegenwärtigen Urlaubstage abrechnen muß. Inzwischen haben Sie wohl den Brief erhalten, den ich Ihnen nach Leipzig vor mehreren Tagen geschrieben habe, und daraus ersehen, daß der „Konradin“ gesetzt und korrigiert ist. Ich freue mich, bis das Büchlein herauskommt. Aber sonst habe ich jetzt nicht viel Freude. Das Auge geht schrecklich langsam zur Besserung. Ich habe Herrn Dr. Schranz schon länger nichts mehr darüber berichtet, und auch Herr Senge hat wiederholt nachgefragt. Also: das vorletzte Mal, vor Himmelfahrt, als ich beim Arzt war, machte mich der Bescheid ausserordentlich niedergeschlagen, da er sagte, daß das rechte Auge nicht einmal mehr so viel würde‚ wie das schwache linke Auge ist. Nun war ich letzte Woche wieder da, und er war mit dem Befunde recht zufrieden; aber was schließlich herauskommt, ist wohl recht ungewiß. So wie es war, wird es wohl sicher nicht mehr. Ich sehe praktische [sic] genommen, noch nichts, habe aber von rechts herein einen Schein, so daß ich bei gutem Licht meine bewegte Hand etwas erkennen kann. Aber geradeaus blickend und vor allem von links her ist noch kaum eine Klärung eingetreten. Das Auge ist einstweilen zu weich zum Operieren, und die Operation bezieht sich ja aber auch nicht auf das Sehenkönnen, sondern auf den Austausch des Augenwassers in den Kammern, da infolge der Verklebung der Iris mit der Linse nur noch eine kleine Lücke dafür das ist. Schmerzen sind indes keine da, nur eine ziemlich[e] Empfindlichkeit ist noch vorhanden. Der Arzt sagt, dass sich sogenannte Schwarten infolge der Entzündung gebildet haben; nun kommt es darauf an, wie sehr diese sich im Sehen auswirken werden. Im übrigen muß ich jetzt mit dem linken Auge, mit Hilfe zweiter Brillen, zurecht kommen und habe als erstes einen Pfingstaufsatz im Anschluß an die Altdorfer-Ausstellung damit machen müssen.

Sonst gibt es nichts Neues. Am Samstag waren Dr. Adams und Herr Döderlein, der vom Kloster Neresheim eine beschauliche Art mitgebracht hat, sowie Frl. Weber bei uns, und Herr Caspar. Ihr Aufsatz über die Hausmusik wird im Sauerland ziemlich Aufsehen gemacht haben. Ich habe mich mit meiner Frau besonders darüber gefreut. Auch die neuen Arbeiten von Herrn Senge haben sehr deutliche Eindrücke gegeben. Ich wäre gespannt, das Relief im Original zu sehen. Ich habe trotz allen Unterschieds zuerst sofort an Hildesheim gedacht. Nun kann ich mir denken, dass Sie alle zusammen fleißig das Auto benützen. Waren Sie schon in Drüggelte? Es stand darüber vor einiger Zeit ein Aufsatz in einer der neuen Zeitschriften („Germanenerbe“ oder so ähnlich), wo in der Stellung der dicken Mittelsäulen etwas von der germanischen siderischen Orientierung angenommen wurde, ich weiß es nicht mehr genau. Ich habe mir aber für mich den Gedanken der „Rückung“ davon abgenommen, d. h. von einem Vorgebot gegen die bloße „Position“ einer Kreiseinteilung oder einer Raumbesetzung. Die stärkste Eindrücklichkeit einer „Rückung“, eines in Bewegung setzenden Vorgebotes gegenüber dem bloßen positiven Raumsinn kann man dann in der sog. Westkrypta in Corvey empfinden. Der Grundsinn dabei wäre immer, dass mit dem dividual bewegten Raume der „Örter“ immer ein Vorgebot, ein dynamischer Ausdruck gegen den ruhenden Raum an sich geleistet wird. Je mehr dies in quadratischen oder kreisrunden Anlagen geschieht (gegenüber späteren longitudinalen), desto „magischer“ ist auch Sinn und Wirkung.

Nun wünsche ich Ihnen viele Ruhe zu Ihrem gegenwärtigen Zustand und mit den lieben Menschen in Siedlinghausen schöne Tage. Herrn Dr. Schranz werden Sie ja die Dinge um die Iritis mitteilen.

Herrn Dr. Schranz, Herrn u. Frau Senge und Ihnen
lieber Herr Dr. Roßkopf,
die herzlichsten Grüße
von Ihrem Konrad Weiß
und Frau

Nun habe ich von dem Auge noch etwas vergessen. Ich fing beim Arzt wieder davon an, wie es komme, dass ich schon vor längerer Zeit, als die eigentliche Entzündung noch gar nicht ganz weg war, noch ein wenig mit dem Auge sehen konnte, daß aber dann das Sehen auf einmal ganz wegging. Das habe ich an einem Nachmittag plötzlich bemerkt, indem mir ein Schatten wie eine Mondverfinsterung über das Auge herein ging. Damals, als ich es ihm gleich sagte, äusserte er sich nicht weiter. Nun sagte er mir, das sei eine Ablösung der Aderhaut (also nicht der Netzhaut) gewesen. Diese könne bei starker Iritis vorkommem, sei nicht gerade schlimm, aber sie verzögere wieder alles. Das liegt also nun auch schon einige Zeit zurück.

[56: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, Mozartstr. 13/III., 6. Juli 38

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Nun kam also die Nachricht, die man schon lange erwartet und um die es beinahe schon zu still geworden schien, plötzlich und um so erfreulicher. Wir wünschen Ihnen herzlich Glück dazu. Ich kann aber nicht einmal einen ordentlichen Schluck Wein darauf trinken. Und überhaupt geht meine Augengeschichte ihren langweiligen und fraglichen Weg. Man mag schon nicht mehr davon reden.

Frau Katharina Kippenberg hat mich vor einiger Zeit gefragt, was man in den nächsten Almanach tun könnte. Ich habe nun verschiedenes zusammengestellt und geschickt, von dem ich ihr gleich schrieb, daß es wohl sicher nicht für den Almanach in Betracht kommen könnte und nur geschickt werde, um ihr unter die Augen zu kommen. Inzwischen hatte sie aus dem „Konradin“ selber ausgewählt das Lied Friedrichs von Österreich vom Anfang der ersten und dritten Handlung (an das ich selber auch gedacht hatte) sowie den Wächterspruch am Anfang der zweiten Handlung und am Schluß der Papstszene. Ich glaube, dass das für die breite Veröffentlichung gut gedacht ist. (Ich selber hatte noch den Traum Konradins vorgeschlagen, der aber auch wohl zu lang.)

Im übrigen habe ich ihr zur Kenntnis „die deutschen Vorstimmen“ geschickt. (Was Sie in Siedlinghausen gelesen haben, ist wohl nicht die letzte Fassung.) Ich dachte, dass Frau Kippenberg einmal bei dieser Gelegenheit, und da sie mir auch zu dem „Konradin“ von dem Sinn des „Waldes“ geschrieben hatte, davon Kenntnis nehmen könnte. Auch eine Anzahl Gedichte aus dem Boethius habe ich beigelegt. Dann habe ich noch einige eigene Gedichte dazugetan. Und schließlich habe ich das Manuskript der Sachsenreise (also von Leipzig bis Bautzen-Görlitz) geschickt, damit sie auch Kenntnis nehmen kann. Ich bin nun wieder an der Arbeit zu dem Buche, muß allerdings jetzt wieder an der Redaktion mehr mittun, als ich eigentlich mit halber, weniger als halber Augenkraft an Ausstellungen leisten kann. Zu dem Boethius sind mir mancherlei Gedanken gekommen über den Sinn des Reimes und die Form, in welcher der Reim noch nicht da war. Der Reim macht auch den zweiten Grund, die Vorwändigkeit, den Teppich, auf dem alles deutlicher wird, gerade im Gegensatz, während, wo der Reim nicht ist, der ganze Kosmos zum Worte will, aber gerade die Natur in ihrer „dividualen“ Stärke nicht erreicht wird. Ambrosius zeigt dies gegen Boethius. Aber es ist da noch viel Merkwürdiges. Und die letzte Frage scheint dann auch die, warum das Klassische immer zu dem Moralischen neigt. Die moralische Stimmung tritt ein statt einer wahrhaft dramatischen, nach welcher zwischen Gestirn und Welt etwas Unbegreifliches, Vorzeitiges geschehen sein muß, was den Grund der Geschichte ausmacht, welche sich nicht im Moralischen ausgleichen, darin nicht einmal, wie die Klassiker wollen, gefühlsmässig ausruhen kann, sondern welche dieses erste Geschehnis aus irgend einer Fruchtbarkeit heraus fortsetzen muß. Solche Gedanken würden alle zu dem Boethius gehören, aber eben als Gegensatz zu seinen Versen und zu seiner „Tröstung“.

Unlängst hat mir der Inselverlag einen sehr begeisterten Brief eines sächsischen Lehrers über die „Kleine Schöpfung“ zugeschickt. Der Lehrer heißt Richter und ist in Schkotitz (?) [Schkortitz] bei Grimma. Der Brief war wirklich sehr nett.

Ich hätte Sie sehen mögen, wie Sie Ihren Wagen wieder auf dem alten Wege nach dem Inneren Leipzigs gelenkt haben nach so viel halb erfreulichem Urlaub.

Werden Sie mit Ihrer Frau nach Zoppot gehen? Seien Sie beide aufs herzlichste gegrüßt von uns beiden. Ich muß Ihnen nochmal sagen, daß mich Ihre Nachricht, als ich sie daheim vorfand, mächtig gefreut hat.
Ihr Konrad Weiß

[57: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, Mozartstr. 13/III., 19. Juli 38

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Ihrer und Ihrer lieben Frau Grüße von Zoppot haben uns sehr gefreut. Hoffentlich haben Sie auch das schöne Wetter, das zu dem schönen Meere dort gehört; hier ist die Witterung nicht eben günstig. Jedenfalls werden Sie oft in Danzig sein, und, wie ich mich zu erinnern glaube, waren Sie schon früher in jenen Gegenden. Ich erinnere mich auch eben an eine katholische Kirche in Danzig, die ein schönes Barockgestühl hat, das ein Gefühl wie von salzigen bewegten Wellen gibt. Hinter in der Kirche stehen zwei große Figuren, die im Bädecker nicht sind. Sie haben mir sehr gefallen. Ich weiß nicht mehr recht; aber es war etwas Heftiges daran wie bei den Figuren in der Kirche in Halle, wo wir waren. Im „Lachs“ sind Sie wohl auch schon gewesen. In Osterode – es wird Ihnen aber zu weit sein –, haben wir versäumt eine seltsame gotische Pieta anzusehen. Haben Sie wohl den Verwandten von Herrn Senge, den jungen Arzt in der Kinderanstalt in Zoppot getroffen?

Von Ihren Taten in Siedlinghausen haben wir viel erfahren. Frau Senge hat in einem langen Brief von dem Seelengärtlein erzählt und von Ihrem Stöbern in der Bibliothek. Sie haben sich also dort aufs beste ins Andenken gesetzt. Dr. Schranz will Anfang August nach München kommen, aber nur eben vorbeifahrend, da er nur 8 Tage zu einer Fahrt in seine Heimat Urlaub nimmt. Er möchte uns mitnehmen, aber ich kann jetzt nicht weg, auch will mich mein Arzt nicht Auto fahren lassen. Ich weiß nicht, wie das diesmal mit meinem Urlaub wird. Das Auge wird so langsam hell, daß man einen Fortschritt kaum bemerken kann. Nun krabble ich doch zu Besprechungen an den Ausstellungswänden im Haus der deutschen Kunst herum. Ich muß über Graphik etc referieren. Ihre Fahrt in der Siebenschläfernacht kann ich mir wohl vorstellen. Und der Ausgang der Sache freut uns immer noch mächtig.

Ich habe in letzter Zeit Grabbe gelesen, um in den Westfalenaufsätzen bei Detmold den entsprechenden Nachtrag zu machen. Nun bin ich mit Hebbel beschäftigt, um die Reise in der Zeitung fortzusetzen. Merkwürdig, wie diesen Dichtern eigentlich das „Komparativische“ fehlt, das geschichtliche „Weibgefühl“, wenn man es so nennen kann, das Kleist doch auf seine Art merkwürdig stark erreicht hat. Es ist aber ein Problem, an das man auch bei den Sagas (und bei Löns) denken muß. Es scheint eine besondere germanische Frage zu sein, besonders für jene germanischen Gegenden, welche nicht durch Antike unterbaut sind. Was ich da schreibe, ist recht unklar; aber ich dachte, es würde Sie doch interessieren. Dieser Tage las ich auch mehreres von Löns, da er zur Gegend von Fallingbostel und Celle gehört. Er hat eine unbedingte Echtheit der Art, dass das Leben der Volkhaftigkeit sich mit seiner Unlösbarkeit ausspricht. Da ist die Erbbibel im Hause zugleich mit den heidnischen Bräuchen, und der Pastor muß die Lebensweisheiten aussprechen mit einem „non liquet“. Daß man ein Buch braucht statt des „Mangels“, des „inneren Raumes“, in dieser Art Volkswesen, wo das bildhaft Komparativische fehlt, ist auch ganz echt norddeutsch. Es ist eine sonderbar stumme Mitte des Daseins, eines menschlichen Wesens, das sich gewissermaßen nicht im größeren spiegeln, sondern nur redlich aufschreiben kann. Aber diese Redlichkeit ist wie alles Volkswesen voll innerer Unlösbarkeit. Sie kann sich nur mit den Dingen befassen und im Chronikstil fortsetzen.

Seien Sie beide aufs herzlichste ge-
grüßt von uns beiden und besonders
von Ihrem
Konrad Weiß

[58: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, Mozartstr. 13/III.l., 25. Sept. 38

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Anfang dieser Woche fahren wir in Urlaub, nach[d]em ich immer noch nicht fort kommen konnte. Ich dachte, das Deutschlandbuch noch fertig bringen zu können, aber es ging nicht mehr. Von Frau Kippenberg habe ich eben den Abschnitt der Sachsenreise zurückerbeten, um das Übrige, was fertig ist, damit zu vereinigen und an Prof. Kippenberg zu schicken. Sie hat mir das Sachsenstück eben geschickt und sehr fr[e]undlich geschrieben, persönliche Sachen. Nun will ich also morgen das bis jetzt Druckfertige an K. schicken: also I. Von Naumburg durch Westfalen, II. Harzreise, III. Die Richtung zur Ostsee, IV. Auf einer Reise durch Sachsen, V. Preu[s]senfahrt (Berlin Pommern Ostpreussen). Das sind bis jetzt 320 Manuskriptseiten. (Es folgt noch VI. Thüringische Runde, VII. Strassen durch Hessen, VIII. Auf Fahrt durch den Nordwesten. Ich hoffe diese letzten drei Abschnitte vollends schnell zu erledigen, da ich daran nicht mehr viel zuzusetzen bzw. zu ändern gedenke.) Ich hielt es für richtig, Orf [Prof.] Kippenberg das große Stück nun zu schicken. Als Titel dachte ich zu nehmen „Frühdeutschlandbuch“. Ich habe mir den Titel lange überlegt, und wollte immer wieder von dem Worte „Deutschlandbuch“ nicht wegkommen, das aber schon einmal in den letzten Jahren von Blunck für einen Sammelband mit anderen gebraucht ist. „Frühdeutschlandbuch“ scheint mir den Inhalt zu fassen und doch allgemein zu bleiben, der doch wesentlich von der deutschen Frühe bestimmt ist und zu dem die verschiedenen Einsätze von späterer Dichtung wie Kleist und Hebbel, die nur eine Art „metaphysische Bestätigung“ der geschichtlich frühdeutschen Annahmen liefern, nicht widersprechen. Was sagen Sie dazu?

Wir dachten, über Leipzig zu fahren, da ich immer noch den Reiter von Halle im Kopfe habe, den ich gesehen haben möchte, da ich jetzt auf Wunsch der Redaktion Germanenaufsätze bzw Persönlichkeiten der Völkerwanderungszeit schreiben soll, was mir noch einiges Kopfzerbrechen macht. Nun denke ich aber nach Mainz zu fahren, um einen Blick über das römisch germanische Museum zu nehmen, das vielleicht einiges in der Breite erbringt. Wir wollen den Urlaub bei Dr. Schranz verbringen. Der Augenarzt hat mir sehr dringlich abgeraten, Auto zu fahren, will kaum kleine Praxismitfahrten gestatten, wegen der Erschütterungen. Das Auge wird besser, aber gestern habe ich auch erfahren, daß trotz dieser Besserung die Sehfähigkeit darauf nicht kommt, sondern daß er dazu, wenn es vollends besser geworden ist, eine Operation in der Pupille machen muß; es handelt sich dabei um die Entfernung der „Schwarte“ oder Schicht, welche sich durch die Entzündung gebildet hat. Äusserlich sieht man kaum etwas, als daß das Auge etwas dunkler ist; und dazu nun solche Geschichten. Immerhin muß man zufrieden sein. Als ich Anfang Sept. in Urlaub gehen wollte, kam mein Kollege Dr. Wilm ganz schnell in die Augenklinik mit einer Netzhautablösung, was immerhin eine schlimmere Sache ist als die meine; allerdings hat sie sein schlechteres Auge betroffen. Er ist schon operiert, und zwar zweimal, da die erste Operation nicht genügend war.

Was Adams schrieb von dem Philoktet, hat mich so überrascht, daß ich mich zuerst besinnen mußte, was denn das sei. Dann fiel mir ein, daß ich ihn tatsächlich und zwar mit großem Anteil gelesen und dies Klassik merkwürdig wichtig gefunden, – aber ein Theoderich wäre wichtiger.. man müßte die unhumanistische Dichtung, in welcher die geschichtliche Eigenschaft entscheidet, fertig bringen. Bei den Germanen gibt es wohl auch keine Antigone, aber stellen Sie sich vor, ob Maria eine Antigone sein könne, und so ist auch der germanische Sinn ein anderer als der bei Philoktet oder bei Antigone. Er ist nicht in der Idee oder in der Natur an sich, sondern immer in einer Zugehörigkeit zu einem schon bestehenden Sinne, was ja etwa auch den Ritter ausmacht, während es bei Sophokles keine Ritter gibt. Ich kann mich nicht genauer ausdrücken, aber in den Sagas handelt es sich immer um Ähnliches.

Ich denke, dass wir am Mittwoch fahren.

Herzliche Grüße Ihnen beiden
von uns beiden
Ihr KWeiß

In Eile, weil meine Frau in die Kirche pressiert

[59: Durchschlag eines maschinenschriftlichen Briefes an Kippenberg]

München, Mozartstr. 13/III., 26. Sept. 38

Sehr verehrter Herr Professor!

Gleichzeitig schicke ich Ihnen den ersten größeren Teil des Manuskriptes zu dem geplanten Deutschlandbuch. Es sind die Abschnitte:

I. Reise über Naumburg nach Westfalen
II. Harzreise
III. Die Richtung zur Ostsee
IV. Auf einer Reise durch Sachsen
V. Preussenfahrt

[rechts daneben] Was noch aussteht, ist:
VI. Thüri[n]gische Runde
VII. Strassen durch Hessen
VIII. Auf der Fahrt durch den
Nordwesten (Essen, Aachen
Osnabrück, Bremen,
Schleswig-Holstein)

Der Umfang beträgt bis daher 320 Manuskriptseiten, die hiemit an Sie abgehen.

Sehr verehrter Herr Professor, ich bitte Sie, die Verzögerung in der Ablieferung des Manuskriptes gütigst zu entschuldigen. Ich hatte gehofft, das gesamte Manuskript schon etwa vor einem halben Jahr abzuschließen. Aber durch meine unerwartete Augenerkrankung war ich fast fünf Monate unfähig zu arbeiten, und dann war ich immer noch beträchtlich in der Verfolgung der endlichen Fertigstellung des Manuskriptes behindert. Der ausstehende Rest soll aber, da der Text im wesentlichen fertig ist und nur nochmals der Durcharbeitung bedarf, baldigst nachfolgen. Ich gehe eben einige Wochen in Urlaub und hoffe dabei das Meiste vollends fertig zu bringen.

Für die Nachsicht, die Sie mir während dieser ganzen schwierigen Zeit bewiesen haben, danke ich Ihnen herzlich. Ich hoffe nun, daß Sie an dem Deutschlandbuch gerne Anteil nehmen werden, so wie ich glaube, daß ich nicht ein Reisebuch in der üblichen Weise geliefert habe, sondern daß sowohl die gedankliche Entwicklung eines eigentlichen Sinnes der mittelalterlichen Kunst neuartig als auch der Versuch, in den einzelnen deutschen Landschaften jeweils einen besonderen Sinn oder Sinnesteil der deutschen Geschichte angelegt zu sehen, bisher noch nirgends geschehen ist. Das Buch enthält, wenn man es äusserlich und innerlich näher umgrenzen will, „Neudeutschland“, oder jenes Frühdeutschland, das nicht von der Antike her unterbaut ist, also sozusagen das eigentliche Deutschland der engeren Geschichte, die mit Karl d. Gr. und demnach mit Westfalen und den Niedersachsenkämpfen beginnt. Stätten und frühdeutsche Formen, wie man sie in diesem Deutschland mit seinem geschichtlichen Aufwuchse antrifft, sind der reisemäßig lose angereihte, aber gedanklich immer wieder zusammenhängende Inhalt des Buches. Die Einfügung wesentlicher neuer Dichternamen (voran Kleists) in die Landschaften und die frühdeutsche Welt mag zeigen, daß es trotz der scheinbar ganz für sich abgeschlossenen, zeitlich in sich fertigen frühdeutschen Wesenheit doch an dem innerlichst gebliebenen wesensmäßigen Zusammenhang nicht fehlen kann. Der Deutsche hat von aussen gesehen eine unglaublich starke Verschiedenheit seiner geschichtlichen Sinnesformen, die scheinbar bis zu unvereinten Gegensätzen geht. Aber alles ist um den gleichen inneren Kern geschehen; und gerade die mittelalterlichen Kunstformen, wo sie von der antiken Unterbauung sich am selbständigsten abheben‚ – zeigen diesen Kern, wenn wir auch, wie mir scheint, immer noch nicht die Worte oder Begriffe gefunden haben, um die frühdeutschen und mittelalterlichen Formäusserungen dieses Kernes auszusagen (anders als stilistisch). Deshalb erscheint vielleicht manche Formulierung, die man in Absicht auf eine solche Aussage wagen muß, etwas schwierig. Aber solche Stellen habe ich in die beschreibende Form des Reiseberichts und der Bauten- und Bilderschilderung doch sehr zurückhaltend eingesetzt, und sie mögen sich gegenseitig erklären. Für einen Versuch aber überhaupt, Deutschland in seinen geschichtlich-geistigen Sinnteilen (in seiner „geschichtlichen Metaphysik“, wenn man so sagen darf) zu erleben, ist wohl die Zeit heute in ihrem tiefen Grunde offen geworden.

Da Sie, sehr verehrter Herr Professor Kippenberg, als einen Mittelpunkt Ihres Denkens Goethe haben, darf, obzwar gewiß das geschichtliche frühdeutsche Wesen sich in umwegigeren Formulierungen bewegen muß, als jene sind, aus welchen die Bildung und Selbstoffenbarung des unmittelbaren Geistes lebt, doch auch auf Goethe ein Bezug genommen werden. Eine Feststellung wie die Goethesche: „Man hat bemerkt, daß alle bildende Kunst zur Malerei, alle Poesie zum Drama strebe..." würde, wenn man aus der Tatsache dieses Verhältnisses zwischen „Außenbau“ oder „Allgemeinzustand“ und „innerer Beseeltheit“, oder überhaupt zwischen „Bild“ und „Wort“ und dann wieder zwischen „Wort“ und „Drama“ oder dem Schicksal des versagenden Wortes bestimmte geschichtliche Folge-Verhältnisse machen würde, wenn man es besonders auf die Entwicklung der deutschen Anlagen in den Zeiten anwenden würde, wenn man überhaupt eine Sinnesgeschichte solcher Art aufbauen wollte, in der Mitte einer solchen Darstellung stehen können.

Indes, statt solcher Werbungen für meine Arbeit ist es nötiger, vollends den Rest zu ihnen auf den Weg zu bringen. Ich wollte aber doch nicht den Abschluß des Ganzen abwarten, sondern Ihnen, nachdem ich Ihre Güte so lange in Anspruch genommen habe, nun wenigstens ein umfangreiches Stück zusenden. Ich empfehle mich Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin aufs verbindlichste

[60: Handschrift]

Lieber, verehrter Herr Dr. Roßkopf!

Hier teile ich Ihnen den Brief im Durchschlag mit, den ich an Prof. Kippenberg geschickt habe, zur Begleitung des Manuskriptes, da ich annehme, daß es Sie doch interessiert. Wir kommen wohl erst Donnerstag zur Abreise. Die Zeit scheint jezt, im Augenblick wenigstens, doch recht unsicher. Ich wollte auch deshalb den fertigen Teil des Manuskriptes beim Verlag abliefern, da dieser Teil am meisten Umarbeitungen hat. Seien Sie recht herzlich gegrüßt von uns beiden

Ihr Konrad Weiß

26. Sept. 38

[61: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, Mozartstr. 13/III., 21. Dez. 38

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Heute habe ich den Rest des Manuskriptes an den Insel-Verlag abgeschickt; es sind nochmals c. 150 Seiten, das Ganze umfaßt also c. 470 Manuskriptseiten. Ein Vorwort habe ich beigege[be]n. Der Titel macht mir immer noch etwas Kopfzerbrechen. Ich möchte ein einziges Wort dafür nehmen, und schließlich kann es bei dem Wort „Deutschlandbuch“ bleiben. Ich habe allerdings jetzt auf das Titelblatt geschrieben: „Sinndeutschlandbuch, ein Reisebuch in Sinnspiegeln von Landschaft, Mittelalter und Dichtung“. Dieser Titel befremdet zunächst ein wenig, aber man kann sich vielleicht daran gewöhnen. Im Vorwort habe ich gesagt, dass man diesen Titel gestatten möge als kurze Fassung für ein „Buch vom Sinn von Deutschland“. Herr Kippenberg hat vor kurzem mitteilen lassen, dass er über Weihnachten bis 10. Januar (glaube ich) abwesend ist. In den letzten Abschnitten habe ich wenig mehr geändert, jedoch für Thüringen, Hessen und Aachen noch allerhand. Und einen Schluß mit der Fahrt über den Osten von Schleswig-Holstein, Kiel, Wagrien, (Helmold von Bosau), Hamburg und die sieben Steinhäuser bei Fallingbostel habe ich noch beigefügt.

Für Ihre letzten schönen Farbkarten herzlichen Dank. Was gibt es von Ihnen beiden Neues? Vom „Konradin“ habe ich wenig gehört. Eine größere Besprechung ist im Münsterschen Anzeiger gekommen von Hasenkamp, der offenbar sehr angetan war. Ein Intendant von Gießen möchte ein Exemplar zum Lesen zugeschickt haben. Hasenkamp hat übrigens in seiner Besprechung geschrieben, dass es kein bloßes Buchdrama sei. Was machen wir nun mit dem Gedichtband? Vielleicht muß man ihn noch etwas kürzen. Ich bin sonst mit der Arbeit an den Aufsätzen über Völkerwanderung beschäftigt, welche viel Lesen brauchen, und wozu sich viele Gedanken bilden; aber die stoffliche Fassung und der „Wurstbrat“ für die Zeitung ist nicht leicht, zumal gegenwärtig allerlei Redaktionsarbeit dazwischen kommt.

Zum kommenden Weihnachten wünschen wir Ihnen beide recht schöne Tage, und auch für Ihre verehrte Frau die herzlichsten Weihnachtsgrüße

Ihr ergebener und dankbarer Konrad Weiß

[62: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, Mozartstr. 13/III. 28. Dez. 38

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Das war aber eine Weihnachtsüberraschung, eine schöne Überraschung in jedem Sinne, als ich das kleine Leipziger Gebinde öffnete. Ich trage „ihn“ seither immer herum und hatte inzwischen auch die herzige Lederhülle mit dem Reißverschluß schon verloren, glaubte sie wenigstens verloren, was mir nachts richtigen Gram gemacht hat, bis ich sie auf der Redaktion wieder sah. Ich mußte nämlich am zweiten Feiertag einen großen Nachruf auf den Architekten Th. Fischer schreiben, der sofort am Morgen erschien (nachmittags kam die Weisung, dass zu seinem Gedächtnis nichts geschrieben werden sollte, da lief der Hase schon). Und der herrliche Füllfederhalter hatte auch schon mitgetan. Am Tag vor Weihnachten lief ich herum, bedenkend, ob ich nicht jetzt eben noch einen Füllfederhalter kaufen sollte, nachdem wieder einer von meinen gewohnten schlechten Haltern, die Sie von den Reisen kennen, kaput war. Ich war aber noch am Überlegen geblieben, da ich kein kouragierter Käufer bin und deshalb lieber in Allerweltskaufhäuser gehe; schlimm – aber wenn ich in bessere gehe, nehme ich doch mit, was mir gegeben wird, und nicht, was ich will. Und dann also dieses Schlußstück.

Ich habe natürlich große Freude gehabt an dem schönen und gediegenen Ding und meine Frau natürlich auch. Und seit der Stunde fragt sie immer: hast du dich auch schon bedankt? Und vergiß auch nicht, Frau Dr. Roßkopf zu danken! Eigentlich müßte ich nun lauter Dankesworte schreiben, bis die Tinte einmal herausgeschrieben ist, so viel Freude hat er mir gemacht. Es ist aber, so viel ich merke – er ist leise durchsichtig – viel Tinte drinnen. Und ich bin Ihnen auch so schon so viel Dank schuldig. Ausserdem sitze ich an der Schreibmaschine, so daß ich ihn nur dazwischen hernehme, um Ihnen beiden zu sagen: herzlich „Vergelts Gott“. Der Federhalter wird mich immer an Sie beide erinnern.

Der Titel des Deutschlandbuches, den ich Ihnen geschrieben habe, geht mir noch immer im Kopf herum. Er will mir nicht recht passen, und doch weiß ich noch nichts anderes. Ich lese übrigens gegenwärtig ein Buch von Friedrich Knorr „Die mittelhochdeutsche Dichtung“ (Diederichs), das mir gut gefällt. Es hat Gedanken, die zu den Kunstgedanken im Deutschlandbuch passen. Nur macht Knorr die Formulierungen zu knapp oder zu losgelöst. Er findet als Schlüssel der Dichtungen das Wort „Gemeinschaft“; aber man wird immer fragen: was ist denn das Wesentliche dieser Gemeinschaft; und es etwa [?] wäre besser statt Gemeinschaft „Geschichte“ zu sagen, welche dann nicht nur Gemeinschaft (gegenüber einer Welt-Auffassung der humanistischen Art), sondern auch den Inhalt oder Mangel bzw. den Trieb der Gemeinschafts-Geschichte einbegreift. Er muß diesen Inhalt, also die Liebe, den Geschlechterkampf etc immer an der Gemeinschaft messen und empfindet oder sagt dann moralische Fragen und Urteile, statt dass er für diesen anderen Teil des Weltwesens, also für die Mangelform oder die Immaculata – oder die Inbildform, dann einen eigenen inneren Sinnesweg erkennt. Er würde, wenn er noch weniger den Gedanken an sich, sondern das Accidens der mittelalterl. Dichtungsform, also das Wandern und Ausziehen, die Aventiure, das Accidens der Begegnungen, alles „Relative zum Inbild“ noch mehr betonte, statt die Aussage einer Wahrheit im ganzen zu wollen, noch besser in Erkenntnis geraten. Es ist aber doch gut, was er will. Und es ist auch merkwürdig, wie man dabei für sich weiter denkend sieht, dass das Mittelalter und sein Deutschtum und sein Christentum nicht auf dem Schöpfungsgrunde ruht, sondern auf der Aventiure, auf dem Sich-Verorten statt im Im-Raume-sein, auf dem näheren Grunde, von dem man sich scheidet und lebt, und nicht auf einem neutralen Causalitätsgesetz. Von da her ist auch der Inschnitt oder die Innengrenze (der merseburger Christus z. B.) das erste, und nicht die Gemeinschaft. Diese ist nur die Schranke, wodurch der Inhalt oder das Inbild wirklich wird. Aber immerhin wird für Knorr auch in etwa deutlich, dass die mittelalterliche Figur nicht bloß inclusiv für sich zu fassen ist und von daher ins Werk gesetzt, sondern exclusiv zu der nächsten und von daher noch mehr in sich bestimmt. Schön ist, wie er bei Hartmann von Aue den Gregorius etc erläutert. Ich wollte nach dem Kriege immer schon einen Gregorius irgendwie machen. Man kann auch bei ihm noch weiter in das Symbolische gehen und sagen, dass der Fels, an den er gekettet ist, und das Wasser, in das der Schlüssel geworfen wird, jedesmal der „Sinn“ ist. Stein und Wasser ist beides Sinn, wie ich bei meinem „Tantalus“ dachte.

[auf der ersten Seite längs des linken und unteren Randes] Zum Neuen Jahre Ihnen beiden von Herzen alles Gute. Hoffentlich bringt es weniger Zufälle als das letzte, das auch persönlich allerhand zu beißen gab. Aber – die aventiure läuft. Seien Sie und Ihre liebe Frau mit allen guten Wünschen gegrüßt von Ihrem
dankbaren Konrad Weiß
und von meiner Frau

[63: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, Mozartstr. 13/III, 7. Febr 39

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Gleichzeitig schicke ich Ihnen wieder eine Fortsetzung aus der Völkerwanderung, woran Sie sehen, dass ich meine Nahrung langsam aus diesem Thema ziehe. Ich will es nicht übereilen, damit die Leute nicht zu sehr an dem Germanentum genug kriegen. Anderseits habe ich auch ziemlich Arbeit damit, bis ich wieder ein Stück unter einem Lauf zusammengebracht habe, der nicht geschichtlich und doch in sich zusammenhängend ist. Es fallen allerlei Gedanken nebenzu ab, und es wäre nett, wenn das Thema, entsprechend vermehrt, auch ein Büchlein gebe. Das steht aber noch sehr dahin. Diese Zeit – bes. um 400 – ist vom Theologischen bis zum accidentell Geschichtlichen unglaublich reich. Und es wäre die Frage zu bedenken, was denn das Geschichtliche überhaupt sei; denn hier ist das Wesen des Geschichtlichen oder das Wesen der Innengrenze in der Zeit selber schließlich der Inhalt. Nun bin ich eben daran, mich ein wenig in das Thema der Runen wegen des Wulfila einzuarbeiten.

Von Prof Kippenberg habe ich noch keine Nachricht. Ich habe ihm allerdings auch nicht geschrieben, sondern nur vor Weihnachten den Rest des Manuskriptes geschickt. Ich muß ihm doch dieser Tage schreiben, wollte aber immer noch warten, bis ich endlich eine Besprechung des „Konradin“ aus den M. N. N. beilegen hätte können. Der in Aussicht stehende Besprecher Hans Hennecke – Berlin hat sich an die Redaktion sehr zu dem Konradin bzw auch zu meinen früheren Sachen bekannt. Er wollte mehr schreiben, als die Redaktion ihm zubilligt. Aber es ist noch nichts gekommen. Ihre Nachrichten, Herrn Stöve betreffend, haben mich sehr gefreut. Dass M. Mell nicht schreibt, wundert mich nicht sehr. Es wird ihm eben doch nicht so leicht fallen, und er will in seiner eigenen Sache bleiben. Auch glaube ich nicht, dass R. A. Schröder schreiben wird. Er ist doch in seinem eigenen Wesen und in dem Alter, dass er nicht aus seinem Kreise wird treten wollen.

Dass Ihrer Frau und Ihnen die Widmung in den „Konradin“ Freude gemacht hat, hat mir selber wieder Freude gemacht. Ich habe übrigens das Gedicht und dazu ein anderes, das ich für Frau Caspar voriges Jahr gemacht habe, an die „Neue Rundschau“ geschickt, obwohl ich sonst kaum Gedichte verschickt habe. Die Red., Herr Dr. Korn, hat es sofort gerne angenommen. Es wird also wohl gelegentlich kommen.

Ich bin am Überlegen, ob ich nicht die kleineren Dichtungen mit dem „kaiserl Liebesgespräch“ ergänzen soll durch ein Gespräch „Friedrich und Elisabeth“, das etwa im Jahre 1227 oder etwas später anzusetzen wäre, als ihr Mann der Landgraf gestorben, und ein Plan des Bamberger Bischofs, eines Andechsers und ihres Onkels, möglich gewesen sein kann, sie mit Friedrich II. zu verheiraten. Dieser kam zwar, so viel ich sehe, damals nicht nach Deutschland, aber eine Situation ließe sich doch finden. Die Andechser sind übrigens ein schwieriges Geschlecht gewesen. Auch der andechsische Bischof von Bamberg mußte einmal nach Budapest flüchten. Haben Sie Grillparzer „Ein treuer Diener seines Herrn“ gelesen? Die Königin Gertrud, die darin getötet wird, ist die Mutter Elisabeths. Auch die Sängerwartburg war wohl ein schwieriger Aufenthalt. Wenn ich diese kleine Sache hätte, dann könnte man das Ganze: „Vorstimmen“, „Heinrich-Ballade“, „Kaiserl. Liebesgespräch“ und „Fried. und Elisabeth“ unter dem Titel „Das Kaiserliche Liebesgespräch“ bringen.

Ich habe in diesen Tagen auch wieder Goethe „W. Meister“ stückweise gelesen. Es ist eine eigentüml Stilwelt, alles vollkommen „Gegenwart“, alles so, dass die Lücke der Welt, welche Geschichte heißt, nicht wirken kann, sondern nur im moralischen Begriff etwa nachscheint. Diese im Stil der Sprache jedenfalls merkwürdig „glückliche Fähigkeit zur Gegenwart“, zum tätigen Begriffe und Ergriffe (könnte man sagen) ist doch eine Welt, die in dieser Sicherheit nur einem Deutschen gegeben sein konnte. Allerdings ist die eigentliche Kreatur als Stück Schöpfung nicht da. So ist auch der Knabe Felix mehr ein Putto in irgend einem Renaissancesinne, wenn auch auf der Grenze zu einer Natur, die nicht geschichtliche werden kann, sondern eben auf eine sozusagen „illegitime“, eben direkte Weise „natürlich“ ist. Bei Shakespeare hat die Natur aber noch eine andere Zwischenstellung im Leben.

Orff hatte hier Uraufführung des „Mond"; bes. der V. B. soll ihn sehr [längs des linken Randes] anerkannt haben, auch die M. N. N. hat sich ziemlich dazu gestellt. Kurz vorher hat der Runkfunk die Burana gebracht.

[längs des oberen Randes auf dem Kopf] Seien Sie mit ihrer verehrten Frau Gemahlin (Karte aus Breslau haben wir erhalten) von uns beiden aufs herzlichste gegrüßt. Ihr KWeiß

[64: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, Mozartstr. 13/III, 19. Juni 39

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Als wir heute einen Brief von Frau Senge erhielten, worin sie noch von dem Pfingstkonzert erzählte und auch von der Freude, daß Ihre Frau dabei gewesen war, da dachte ich wieder an Ihren lieben Brief von kurz vorher, bzw. dass ich ihn immer noch nicht beantwortet habe. Auf der Karte an Pfingsten von Siedlinghausen waren Sie beide nicht unterschrieben; sie waren schon wieder abgefahren. Ich hätte mit meiner Frau auch dabei sein mögen. Wie war denn die Komposition von Humpert-Paderborn? Wir saßen an Pfingsten im Regen zu Hause, und seitdem hat es ja auch meist geregnet.

Ich bin immer noch daran, die Gedichte des Boethius zu übersetzen; es sind zusammen 39, und davon habe ich jetzt 36. Es ist aber rein als Übersetzung keine schöne Arbeit, da gerade in den späteren Gedichten vieles durch den Inhalt (Orpheus, Hercules etc) bis auf den Zwang des Rhythmus in der Zeile festgelegt ist und also für eine besondere sprachliche Empfindung kein Raum mehr bleibt. Man muß froh sein, wenn man mit den Worten zurecht kommt, ohne philologisch verstiegen und altmodisch oder kümmerlich und komisch zu werden. Aber gedanklich gibt dies Geschäft doch immer sehr aus, nämlich über den ganzen Unterschied des lateinischen und germanischen Wesens, jenes rein positivistischen und dieses „komparativischen“ Verhaltens im Worte und demnach auch in der Welt und im orbis. Es fehlt dem Römer jede innere, horchende und im Horchen gleichsam das vertrauende Wort spiegelnde Wesensart, jedes Vorgebot im horchenden Worte; für ihn ist alles statisch oder die ganze Welt „simul“ vorhanden und fest. Das Merkwürdige ist nur, wie nun Boethius um diese Festigkeit doch ringt, wie er sich an sie klammert; und so wie er dies tut, mehr als Römer denn als Katholik, ist er eben auch der letzte Römer, dem mit Theoderich eine ganz andere Welt entgegengetreten ist. Er hat diese ganz andere Welt sicher in gar keiner Weise verstanden oder empfunden; und etwas davon scheint wohl auch auf das Papsttum oder die Kirche übergegangen zu sein, insofern sie römisch ist. Ich bin beinahe zufällig daran gekommen, dass auch Notker Labeo den Boethius übersetzt hat, nicht in Versen, was die Gedichte angeht; aber ich habe einige Seiten nachgelesen und war erstaunt, wie ihm das noch altdeutsche Wort (untermischt mit lateinischen) zu Gebote stand und was unsere Sprache damals noch in Kürze ausdrücken konnte, wo wir gar nicht mehr die Kürze haben.

Aber das ist nun eben das Wichtige, dass durch das vertrauende Vorgebot (dies bezieht sich nun nicht auf Notker) die Welt oder der Geschichtsraum kürzer geworden ist, flächiger und heftiger; und darin haben nun die frühen mittelalterlichen Miniaturen ihren Ausdruck gefunden. Sie haben keinen orbis; aber sie sind im inneren Wesen viel heftiger. Für Boethius ist in platonischer Art im Mittelpunkt aller Dinge die „anima“, eine Lehre, die also antikisch und wohl nicht kirchlich ist. Diese anima ist etwa das, wofür man das Marianische setzen könnte als Bild. Dadurch aber würde dann gegen diese antike positivistische Welt, indem also statt der anima das Bildhafte, bzw. auch das Echo und der Mangel um das Bildhafte eingesetzt würde, eben die andere unantike, neuere Welt entstanden sein. Kurz, es ist jene Welt, die keinen Inhalt hat, sondern ein Verhalten zu einem Mangel; in welcher alles vom Verhalten ausgeht, das schon in einer ganz durch „Verhängnis“ bestimmten Welt der Zeit vorhanden wirkend und „verwirkt“ ist, und die also auch nicht durch die ratio eines bestmöglichen Inhaltes bestimmt ist, sondern durch das Wesen einer „Ehre“, eines „besten“ Verhaltens. Sie werden es wohl gleich verstehen, wenn Sie an die Sagas denken. Ich habe micht ja wohl nicht sehr deutlich ausgedrückt; aber was ich da meine, wäre das, was man zu den Gedichten des Boethius nun als Gegensatz ausführen müßte. Es möchte fast bis zu Ibsen gehen. Ich habe nämlich den Peer Gynt unlängst wieder gesehen und zwar mit ganz anderem Eindruck als bisher, und auch seine „Nordische Heerfahrt“ wieder gelesen. Ich möchte sogar sagen, dass in seinen so sehr verbürgerlichten Frauengestalten etwas richtig Germanisches nachgeblieben ist, was in der gerade durch die Verniedlichung gewordenen Deutlichkeit kaum sonst so einzusehen ist. Die „Nord. Heerfahrt“ aber gehört irgendwie zu Kleists „Familie Schroffenstein“.

Gestern sang die Rünger im Rundfunk den Schlußgesang der Brünhilde mit Krane. Meine Frau meinte, dass sie es ganz gut gemacht hätte, aber eben nur gesungen, nicht in einen persönlichen Ausdruck der Leidenschaft gebracht oder nicht im Wesen gefärbt, so wie Ihre Frau die Partie hier gesungen hat im Rundfunk.

Vom Inselverlag habe ich noch nichts gehört. Herr Professor Kippenberg braucht wohl lang zum Lesen des „Morgenspiegels“. Da ich heute einige Zeilen zu Wölfflins 75. Geburtstag schreiben mußte und deshalb ein wenig von ihm las, fiel es mir wieder auf, wie weit das, was über Kunst im Morgenspiegel vorkommt, von Wölfflins Anschauung weg ist. Diese Gelehrten haben doch bei allem Verdienst im Grunde nichts begriffen. Sie leben alle von der ratio, und nicht vom Verhalten der Zeit, das in ihnen eine Antwort sucht.

Herrn Hennecke habe ich ein „Tant. dic verbo“ geschickt. Dr. Adams sagte mir, dass der Tisch, dem Haecker im Kaffee vorsitzt, den „Konradin“ als eine ganz besondere Sache erklärt habe. Das wundert mich. – Übrigens nochmals Boethius; was dazu zu sagen wäre, müßte eine leichtere Zusammenfassung dessen sein, was ich im „Epimetheus“ probiert habe. Adams sagte, Sie kämen beide im Juli urlaubsweise über München?

Seien Sie beide von uns beiden
herzlichst gegrüßt und
besonders von Ihrem
Konrad Weiß

[65: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, Mozartstr. 13/III., 25. Juli 39

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Seit Ihrer Karte mit der Angabe Ihres schönen Unterkommens haben Sie wohl schon den ganzen Wörthersee kennen gelernt und die Berge, so weit man hinauffahren kann. Wenn Sie Teurnia besuchen (St Peter im Holz), finden Sie unterhalb bei der Wiese, wo das Mosaik des alten Kirchenfußbodens ist, eine Wirtschaft (man hat seinerzeit dort den Schlüßel zu dem Mosaik bekommen); die Inhaberin der Wirtschaft schien uns damals sehr originell, die Gritschacherin, und es gab da, wenigstens wie Sie uns Nichtsachverständigen klar machte, einen besonderen Sliwowitz. Ich hätte mich seinerzeit auch besonders auf die Gegend nach St. Paul hin gefreut; es muß die auch nicht wenig altrömisches und Frühzeitliches geben. Nett waren auch die mancherlei landstreichenden alten Knaben, denen man begegnete; einer sah aus wie der hl. Petrus als Fechtbruder. Die Karte von Pörtschach mit See, die Sie geschickt haben, ist wunderschön; man hat dieses Baugefühl der Landschaft, wo die Welt Ort hat und nicht immer in die immerfort unruhig kommende Zeit hinaufgehoben scheint, doch im Norden kaum einmal. Und diese feste Einbehaustheit, umgeben von Gebirge, hat doch immer etwas unbewußt Ruhiges.

Ich bin immer noch mit den Gedanken zu dem Boethius behängt, ohne sie noch niedergeschrieben zu haben. Man kann nicht zu viel niederschreiben wollen, sonst wird das Thema unaufhörlich. Aber schon der Gedanke, wie im Angesicht des Todes hier philosophiert wird, ist (verwandt mit der Lage des Sokrates) etwas, was den Sinn beschäftigen muß. Dies Philosophieren zwischen dem Leben des eigenen Menschen und den Sternen schafft den Todesgedanken weg; bzw. es ist nur eine Überredung, eine Peitho, irgendwie zwar der letzte und feinste Ausdruck der Antike, welche nicht das Wort, sondern die dialogische Aussage hat; aber es ist zugleich doch auch eine Hinwegredung des Todes; es gibt dem Tode nicht genug Ehre (und hat damit auch für den Christustod wohl nicht das rechte Gefühl). Es ist immer wieder der philosophische Positivismus, der ein Vorgebot vor dem Leben haben möchte und damit dem Sinn der Geschichte nicht gerecht wird, welche das eigentliche Vorgebot mit Leben und Tod blinder leistet. Es ist übrigens auch hier die Frage nahe, ob es denn ein Ideal sei, wie es Platon meint, dass die Philosophen die Staatsmänner sein müßten. Alle diese Überlegungen um Tod und Geschichte führen dazu, dass man die Meinung Platons doch nur einer Theorie verpflichtet findet, einer „Theoria“, welche doch nicht mehr genug Schauung und Kontemplation ist. Die wirkliche Kontemplation – so möchte man sagen – ist die Geschichte.

Sie wollten den Aufsatz über Wallenstein; das ist aber nur eine ganz kurze kümmerliche Besprechung, zu wenig wert, um sie einem bestimmten Leser zu schicken; sie dient nur dem Augenblick, und auch die Ausführungen über das Horoskop sind nur ganz unvollständig aus dem Buche Watsons abgeschrieben. Wenn man übrigens – wiederum Kärnten – dort römische Figuren sieht und sie wie eine schöne künstliche Fertigkeit empfindet, mit welcher unser deutsches Gefühl von seiner ganzen Geschichte her nichts anfangen kann, so möchte man sagen, dass der Germane gegenüber der geschichtlichen und idealen Fertigkeit oder der substitutiven Vorstellung einer fertigen Welt eben die Möglichkeiten ganz anderer Proportionen gebracht hat, in denen es nichts Fertiges gibt, die aber in großen Stufungen zeigen, wie groß der Sinn der Welt sein kann, wie er aus jeder Brechung und Verklüftung um so größer herausbricht. Dies aber nun, mit der Stabilität einer Gebirgswelt zusammen, gibt auch wiederum eine sonderbare Ruhe. Man haust zwischen den unfaßlichen Proportionen sicher und leichter als zwischen knappen und scheinbar faßbaren.

Herr Dr. Adams fragte dieser Tage, ob Ihre Frau nicht krank sei, er habe so was gehört, meinte aber dann, es habe sich noch auf Leipzig bezogen. Wir stellen Sie beide uns also vor als Genießer eines schönen Heims, und dazu essen Sie selber den stummen Fisch, der mit herausgequollenen Augen blind in die Landschaft schaut und auf einem weißen Teller liegt. Die holländische Renaissance hat doch besondere Fische gemalt; und diese stehen sicher im Zusammenhang mit der „Neuentdeckung“ der schönen Schöpfung nach dem finsteren Mittelalter.

Nun aber Schluß; sonst schreibe ich noch mehr Unsinn. Seien Sie beide herzlichst gegrüßt – ich schreibe auf der Redaktion – von uns beiden. Wir freuen uns auch schon bzw hoffen, dass Sie wieder über München zurückkommen.

Recht schöne und frohe Tage wünscht
Ihr Konrad Weiß

[66: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, Mozartstr. 13/III., 8. Sept. 39

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Seit Sie mit Ihrer lieben Frau hier waren, ist ja nun der Zeitenstrom mächtig angeschwollen; und doch sitzt man nur am Ufer und hört gleichsam nichts. Wir reden oft von Ihnen und von den paar schönen Tagen, da wir noch in Inning mit Ihnen zusammen waren. Und auch davon, ob sich mit Ihrer Einberufung nichts geändert hat. Darum habe ich auch Ihrer beider Namen auf die Adresse geschrieben. Von Siedlinghausen haben Sie vielleicht erfahren, dass Dr. Schranz eingerückt ist, aber eben noch zu Hause sein kann, da er in der Nähe im Lazarett zu tun haben wird. Auch Herr Senge ist schon vor ihm eingerückt und hat Dienst an der Ruhr. Dr. Adams meinte, Sie wären wahrscheinlich noch in Leipzig. Er ist von seinem Berliner Urlaub bälder noch hier zurückgekehrt.

Vom Inselverlag habe ich am Montag noch die Revision des Gedichtbandes bekommen und möchte daraus schließen, dass das kleine Buch doch noch fertig gemacht werden soll. Im übrigen arbeitet man gegenwärtig schwer, das heißt, man kann sich nicht recht zusammennehmen, und ausserdem ist auch der Gedanke nahe, ob die Zeitungsarbeit mangels verschiedener Voraussetzungen noch ihren Mann beschäftigen und nähren wird. Man wird ja sehen, wie man auch vieles andere erst abwarten muß und sehen wird. Die Tage wären jetzt herrlich für einen Urlaub, aber dieser ist im Augenblick gesperrt, und dazu wären Reisen auch nicht möglich, wenn auch Dr. Schranz gemeint hat, wir sollten in sein Haus kommen und er im Augenblick noch da wäre. Vielleicht können wir uns ein wenig nach Brannenburg setzen, und bei dieser Gelegenheit würde ich einmal auch den Chiemsee wirklich sehen; denn ich kenne die masurischen Seen und etwa den kleinen See auf dem Wege nach Mansfeld, aber das bayrische Meer nicht. Ach, diese Reisen; das waren doch schöne Jahre, in welchen man bald so bald so durch Deutschland fuhr. Jetzt hat uns die Zeit wieder in ihr Gefängnis gesetzt, in welchem man nichts als älter wird.

Lassen Sie doch etwas hören, wenn Sie noch in Leipzig sind. Oder liebe und verehrte Frau Dr. Roßkopf, wir bitten Sie, uns in anderem Falle Nachricht zu geben. Und hoffentlich haben Sie nicht zu viele Sorgen.

Mit den herzlichsten Grüßen und Wünschen Ihr Konrad Weiß und Frau

[67: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, 9. [?] Oktober 39

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Eben habe ich wegen der von Ihnen gefragten Adresse telephoniert: Prof. Dr. Max Caspar in München-Solln, Albrecht Dürerstr. 28. Ich habe Max Caspar erzählt, was Sie von ihm wissen wollen und dass Sie ihm näher schrieben. Er sagte, es gäbe verschiedene Sterngedichte von Kepler, und er habe auch einiges übersetzt. Die Astronomen hätten damals auch sonst gerne die Sterne bedichtet, und so gebe es auch von Tycho de Brahe Gedichte. Die Gedichte Keplers sind weniger in den von Caspar übersetzten Werken, es sind mehr Gelegenheitsgedichte etwas astrologisch angeregt, die in einem Büchlein seien, das er für einen astrologischen „Patienten“ gemacht habe. Wenn ich recht verstanden habe, war dies ein Herr Kommerell, von dem in Tübingen eine Komerell-Familie noch Nachkommen, hat (es gibt in Tübingen ein Café Komerell) darunter einen heutigen Professor. Und wegen dieses Professors hatte Caspar eine Korrespondenz; denn in Tübingen lebt auch der Dr. Weller, von dem Sie vielleicht schon gehört haben. Es ist der Mann, der immer die Preise für den besten lateinischen Dichter der Welt bekommt; das kann er nämlich am besten. Und dieser hatte die Ansicht [Absicht?], jene Keplergedichte als ein Stück „Familienruhm Kommerell“ zu übersetzen. Mit Caspar wurde korrespondiert, weil es sich in der schwierigen Übersetzung der geglätteten Verse zugleich auch um astronomische Schwierigkeiten handelte. Auch für C. hat Weller anscheinend etwas übersetzt, ohne doch ganz hinter die Sache zu kommen. Kurz: man hat sich bemüht, aber ob jener Plan inzwischen gediehen ist, wußte C. nicht. Sie werden es also wohl näher von ihm hören, wenn er auch jetzt für etwa 8 Tage nach Brannenburg und Stuttgart geht. Schreiben Sie ihm Ihre näheren Wünsche. Wir möchten nächstens auch ein wenig nach Brannenburg und wären gern gleichzeitig gegangen, aber es ist noch verschiedenes abzuwarten, Kohlenbedarf etc. von ähnlicher Fadheit.

Ihr Brief hat uns gestern zum Sonntag sehr gefreut; besonders hat meine Frau auch über Ihren astronomischen Schnupfen Freude gehabt, und wie Ihre Frau nun auch an dem Himmelsglobus wegen Ihrer Liebhaberei mitlernen muß. Der Gedanke scheint mir sehr schön von der Sterngedichtsammlung. Der Inhalt wird wohl sehr verschieden werden je nach Gesichtspunkten. Ich habe hier 4 Stücke von Boethius beigelegt. So wie die Nummer 10) sind noch mehrere da, die aber wie dieses selbst wohl nicht in Betracht kommen, da die Sterne darin nur wie andere Dinge als Beispiele der Betrachtung verwendet sind. Das Stück 28) ist wohl das eigentliche Sterngedicht von ihm, dazu noch etwa 32). Das Stück 33) ist dann ein Hauptgedicht seiner Anschauung an sich. Die Sterne sind bei ihm nicht so sehr Empfindungsgedichte, sondern Hauptbeispiele seiner „optischen“ Weltanschauung und noch mehr zugleich in der Weise seiner platonischen und neuplaton. Philosophie der Sitz der Seelen. In der Art muß ich mich auch in meinem Einleitungstext damit abgeben, der indes immer noch in Vermehrung von Zetteln besteht. Dadurch dass die Sterne bei ihm nicht bloß Empfindung etwa der einsam gewordenen Seele sind in einem neuen Weltsystem, so wie bei Claudius, sondern dass sie die Kulmination der Weltgewissheit selber sind, ist die Anschauung zugleich auch Ratio und Realität im stärksten Sinne. An Claudius habe ich übrigens gedacht, weil ich in des Knaben Wunderhorn ein Sterngedicht von ihm gesehen habe, im 3. Teil, wo zu Anfang noch ein anonymes ist. Im früheren Mittelalter sind unter den Hymenen [sic] ebenfalls oft die Sterne genannt, doch mehr bloß als Metaphern zum Schmuck mit anderen Schöpfungsdingen, wie dass Maria der Meerstern genannt wird. In eine Verfolgung der Form als geschichtlicher, das heißt etwa von der Ratio zur Empfindung, gehören wohl auch sie.

Ich weiß nicht, ob Sie den Mond dazu nehmen. Da habe ich einmal ein schönes Mondgedicht von Fried. Schlegel gelesen in einer alten Ausgabe. Mein Überblick über Lyrisches ist ja recht klein; doch will ich weiter achtgeben. Es ist ein schönes Thema, was Sie da vor sich haben.

Vor etwa 14 Tagen sagte mir Dr. Adams, dass die Herbstneuigkeiten der Insel an die Buchhändler auch mit der Anzeige von „Sinnreich der Erde“ schon erschienen seien. Weiter weiß ich nicht. Die Zusendung des Manuskriptes hatte gar keine Eile und ist die Verspätung also gar nicht ärgerlich. Gibt es bei Otto zur Linde kein Sterngedicht? – Ich weiß nicht ob ich Ihnen für Ihren letzten Brief mit den Bellizisten schon gedankt habe. Er hat mich sehr angeregt und erfrischt im Hinblick auf die Theolo[längs des linken Randes]gie oder Integralistik all dieses Denkens, das sich im Grunde nicht recht vom Theologisch(-barocken) , wie mir scheint, gelöst hat und dadurch in Anwendung auf die Relativität der Geschichte „unmoralisch“ [?; schwer leserlich] wird [auf dem Kopf am oberen Rand] Ich hatte nämlich eben damals ein Gespräch mit Adams, wobei mir diese Prinzipien von den Heiligen bis zum integralen Begriffsdenken an sich auffielen.

[längs des rechten Randes]
Seien Sie beide aufs herzlichste gegrüßt von uns beiden und insbes. von Ihrem Konrad Weiß

[68: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, Mozartstr. 13/III.l., 8. Nov. 39

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Ihren lieben Brief erhielt ich, als ich von dem kleinen Urlaub im Inntal zurückkam. Ich wollte dabei auch ein wenig für bayrische Aufsätze Stoff sammeln, aber das Wetter war allzu schlecht, e[s (statt r)] regn[e]te und schneite meist, so dass wir nicht einmal auf den Wendelstein kamen, sondern nur den kleinen Petersberg bei Brannenburg bestiegen – das heißt ich mit Felizitas –; es ist ein romanisches Kirchlein droben, das aber innerlich verbarockt ist, in der opulenten bayrischen Art, so dass es fast großartig im Innern wirkt. Das haben die Bayern doch immer, dass sie alles in eine positivere Fülle bringen müssen, so dass auch die Vorstellung des Romanischen – ich möchte nun noch mehr davon sehen – nicht eigentlich geschichtlich und zeugnishaft mit Betonung wirkt, sondern natürlicher positiv, ursprünglicher als im übrigen westlichen Deutschland. Dem Bayern steht die Natur vor der Absicht; und so kommt man auch zu dem Empfinden, dass hier – nach all den Reisen in Deutschland – das unzerstörbarste Urlaubsland ist. Alles ist in größerer Weite und Spanne ohne Engspannung beisammen, die Menschen, die Landschaft und die Dinge. Leider konnten wir vom Petersberg nicht zu den Astenhöfen weiter gehen, den im Altdeutschland höchstgelegenen Bauernhöfen. Es gibt da, glaube ich, auch ein Stück, das Astenberg heißt wie der kahle Asten im Sauerland.

Sonst kamen wir nur noch wiederholt nach Kufstein, das mir mächtig gefallen hat, dazu der Wein, tiroler und burgenländer (Ruster) in einer Gas[t]stube, die nicht zuerst für die Fremden ist. Auch hier ist Burg und Lage das Allernatürlichste; und man bestättigt sich allgemach eine Sehnsucht nach solch vorgefundener Natürlichkeit gegenüber dem vordrängenden Formwesen der Geschichte. Sozusagen „Epimetheus“ kehrt um; aber man kann nicht.

Ich dachte, Ihnen mit der Zusendung des „Sinnreich“ zuvorzukommen, ehe Sie es direkt kennen gelernt hätten. Nun haben Sie das Bändchen also schon. C. hätte sich die Haltung des Einbandes großstiliger gedacht, jedoch gefiel ihm das Buch auch. Mir gefällt es wohl nur halb, da es in der früheren Inhaltlichkeit doch ein anders ausgiebiger Band gewesen wäre. Die Widmungen sind, wie Sie sagen, etwas für Dissertationen geworden, die Zukunftsträchtigkeit vorausgesetzt. Ich hatte im Manuskript die ganzen Namen und auch sonstigen Angaben, Geburtstage etc. In der Korrektur fand ich daran korrigiert und dann alle Widmungen gestrichen. Ich habe dann die Initialen wieder hingeschrieben und gebeten, falls ein Bedenken etwa bestehe, es doch in dieser gekürzten Form zu machen. So ist es denn auch geschehen. Zuletzt habe ich noch „Teil im Teile“ nachgesandt, veranlaßt durch die kleinen Holzplastiken von Knappe. Nun wird also die Insel ihre Erfahrungen mit dem Verkauf machen; ich bin ja weit vom Schuß. Immerhin ist mit den [sic] kleinen Bande wieder ein weniges unter Dach gebracht. Und der Band sieht doch sehr hübsch aus.

C. hat eine Unmenge Zeichnungen gemacht, ich möchte sagen, eine Art „Georgica“, wenn auch bloß in Zweigen von Äpfeln, Birnen, Nüssen, Tannenzapfenzweigen, ganze Gartenstücke und weitere Kompositionen, mit einer unglaublichen Natürlichkeit. Zum Malen kommt er aber kaum, da ihm der Raum eines Ateliers fehlt. Seine Frau hat dagegen vor der Natur wieder unermüdlich und, was man nicht glauben möchte, immer wieder noch natur-näher und doch noch farbiger (also „naturferner") gearbeitet. Ich habe dieser Tage von dem alten Ludwig Steub die Bayrischen Bilder gelesen mit den nachromantischen Naturstimmungen und dem Volkswesen dazu. Was ist da für ein Unterschiede, indem im neuen Bilde alles solcherart Gesamte verlaßen, aber sozusagen aus dem Elemente der Naturerde selber nacherholt wird, gleichsam wie vorbestimmt. In dieser Weite zwischen erdhafter Nacherholung und Vorbestimmung ist die Spanne aufgetan, innerhalb welcher das mittlere volkhafte Wesen des letzten Jahrhunderst [sic] lieb und freundlich gespiegelt zusammengetreten war, aber in Proportionslosigkeit (wie man heute vor allem merkt) doch verschwunden ist. Mit dem Essen ging es in den Bauernwirtschaften noch ganz ordentlich. Vi[e]lleicht dass ich nochmals in Urlaub komme; allerdings möchte ich mehr dabei sehen, um einiges für den Tagesbedarf verwursteln zu können.

Seien Sie beide nun recht herzlich gegrüßt von uns beiden

Ich freue mich, dass ich Ihnen das „Sinnreich“ schicken kann, an dem Sie ja auf mancherlei Art auch Anteil haben.
Herzlichst Ihr Konrad Weiß

[69: Maschinenschrift mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen]

München, Mozartstr. 13/III., 4. Dezember 39

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Roßkopf!

Seit 8 Tagen sitze ich wieder einmal als Rheumatiker herum, und da einem unter solchen Umständen leichter alles Ungerade gerade ist, kann ich jetzt auch dazu kommen, Ihnen für Ihren letzten lieben Brief zu danken, ohne mich besonders zu schämen, dass ich Ihnen das in meinem letzten Brief angekündigte Gedichtbändchen noch nicht geschickt habe. Es hat sich nur um ein paar Zeilen hineinzuschreiben gehandelt – ich war in dieser Beziehung bei diesem Büchlein ganz faul, aber Ihnen wollte ich noch etwas hineinschreiben, schon weil Sie mit dem Bande länger zu tun gehabt haben — indes die Zeilen haben sich nicht geschrieben, und indem nun Ihr Brief auch noch eher gekommen ist als die Absendung des Bändchens, soll ich mich zweimal schämen. Ich tue es ja auch, aber wenn man so als Rheumatiker herumsitzt, bleibt alles nur ein recht krüppelhaftes Gefühl mit Ausnahme der Wutanfälle, die man manchmal, besonders nachts hat, wenn man sich nicht rühren kann. Wenn ich wieder auf die Welt komme, dann werde ich Berserker; ich glaube, das wäre mein rechter Beruf gewesen. Als Berserker auf der Metbank sitzen, und wenn schöne Gedichte vorgezirpt werden, sich das Maul zu putzen, oder auch verbeistandet von antiken Literaturprofessoren oder Wagnerschen Heldenmaiden gegen den Feind zu schlagen, besonders wenn man nicht weiß, wer es ist. Also wirklich, das Rheuma hat mich wieder und es begann mit einer Angina, welche offenbar wie eine Infektion den Boden bereitete. Die Finger hat es auch erwischt, doch Sie sehen, dass ich noch an der Maschine sitzen kann. Das Auge ist ungeschoren, aber es funktioniert ja ohnehin nicht mehr.

Doch soll kein Jammerlied gesungen sein, es dient ja doch auch mit zur Bemäntelung meiner Faulheit oder zur Entschuldigung, dass ich noch nicht einmal das Bändchen geschickt habe. Übrigens kam wie abgekartet bald nach Ihrem Briefe von Schwifting ein lieber und fett begleiteter Gruß, und man kon[n]te sich zum wenig wohlri[e]chenden Malzkafé die Semmel ordentlich schmieren. Heute aber ging auch das nicht, da der kleine rheumat. Teufel sich über Nacht die rechte Kauseite, den beweglich mitkauenden Punkt vor dem Ohre ausgesucht hatte, und also nicht kauen läßt. Mir bleibt nichts übrig, als ihn zu lassen, wo er mich nicht läßt. Nun aber vom Kauen lieber zu den Sternen. Ich habe das Werk des M. Caspar durchgeblättert und mir allerlei Notitzen gemacht, wollte auch für unser Feuilleton darüber schreiben – doch inzwischen das Rheuma –. Merkwürdig, wie doch trotz frommer persönlicher Art Keplers und dem größten Eifer für Kirche und Gott, als den durch das Werk neu verkündbaren, nicht die weltanschauliche Schwere bei Kepler erscheint wie bei Boethius. Der Renaissancegedanke ist kristallisierter oder fast kunstgewerblicher in seinem integralen Mechanismus, aber er hat doch der Welt kein schwereres neues Zentrum verschafft.

Vor reichlich acht Tagen, als eben das Rheuma begann, war ich auf einem Musikabend des Verlegers Piper, wie er sie früher schon häufig gemacht hat. Es wird da immer sehr viel musiziert; mit einer kaufmännischen Beflißenheit werden aus der Zeit und Gelegenheit die Werte herausgezinst, aber alles doch auf sehr sympathisch protestantische Art. Auch ist die Gesellschaft schon früher, nicht erst heute, trotzdem der Verlag reichlich Literatur (über Kunst etc) in anderer Richtung gebracht hat, deutsch charakterlich rein gewesen (man glaubt recht pfarrhäuslich aufgehoben zu sein), und all dies ist ein Stück deutsches Wesen in München. Es wurden auch schöne Kinderlieder von Mussorgski gesungen, der glaube ich alles das hat, was Wagner nicht hat. Auch Reger wurde gespielt, und da ich ja nicht Musiker bin, schien mir doch dieser Reger echt bayrische Musik zu machen. Natürlich bis zum Gegensatz anders als Strauß. Aber es scheint mir etwa so, dass, wenn jeman[d] eine Landschaft malt, er – dieser Bayer – nun eine Gebirgslandschaft malt, nicht weil ihm das Gebirge sozusagen kosmisch wichtiger, sondern weil dann die Landschaft unverkennbarer eine Landschaft ist. So scheint mir seine Musik mutatis mutandis zu sein, oder was sagen Sie? Aber das Bayrische ist doch eine echte Sache, und man müßte es noch weiter an verschiedenen Leuten formulieren.

Dr. Schranz ist, wie Sie wohl wissen, inzwischen in Pommern gewesen, um als Militärarzt eingeteilt zu werden, konnte aber wieder nach Hause fahren. Nun sitzt er wieder und wartet, bzw. trinkt jedenfalls Wein, und eben war auch Herr Senge auf Urlaub, der als Adjutant bei einer motorisierten Abteilung in der Gegend von Trier herumfährt. Dr. Dünninger ist diesen Winter hier und liest in Pasing, wie ich wohl schon schrieb. Noch habe ich ihn wenig getroffen, ebenfalls wenig den Dr. Adams, so dass ich auch nicht von den Rundfunkereignissen wußte. Es ist ja wohl eh nicht vorauszusehen, was für Ereignisse kommen. So war auch der Schwiftinger Butter nicht vorauszusehen und dazu die herzlichste Bereitwilligkeit, uns auch künftig mit allerlei zu verbeistanden. Meine Frau hat zunächst statt ihres Rheumatikers geantwortet; aber wir möchten die liebe Quelle wirklich nicht zu sehr in Anspruch nehmen, bis jetzt geht es ja so ungefähr, indem ich ja immer ein besonderer Brotesser gewesen bin, und Brot ist ja reichlich auf dem Tische. Wenn das Bier dünner wird, habe ich ja auch nur Vorteil davon, da es dann dem Rheumatiker weniger schädlich wird.

Wir glauben wohl, dass Ihre liebe Frau noch einen großen Schrecken nachträglich hatte, je phantastischer das Attentat [Gescheitertes Bombenattentat auf Hitler im Münchner Bürgerbräukeller durch Georg Elser am 8. November 1939] gerade in der Vorstellung wirken muß. Ich hatte ja auch halb und halb erwartet, dass Sie am Donnerstagmorgen vielleicht am Telefon sein würden, bis mir Adams dann die entsprechende Nachricht gab. Herr Dr. Adams wird jedenfalls nicht viel Nachricht von uns bringen, da es keine gibt. Faulheit Gelähmtheit, acedia, Gedankenpflänzchen ohne Zahl in einige Worterde setzen, aber keinen Topf darum, und auch keinen Acker dazu; denn was hat die Zeit für einen. Immerhin, das ist vielleicht auch gut. Es ist Zeitenrauch [das Wort auch in dem Gedicht „Septemberanfang 1939 im Ausstellungspark"] in der Luft, wir merken es nur nicht recht, weil wir immer gerne, selbst ohne zu glauben, Dauer sehen.

Nun auch noch herzlichen Dank dafür, dass Sie sich um unser leibliches Gedeihen oder Mitkommen Sorge gemacht haben. Mit unseren Bedürfnissen geht es schon noch. Ich denke mir nur, dass wenn Ihre Frau am Abend weltgroße Rollen zu singen hat, sie nicht recht zum Abschluß einen Hering, den es aber auch nicht gibt, essen kann. Und so gibt es heute manche [längs des linken Randes] Ungereimtheiten, die mehr die Vorstellung als den Magen angehen (wenn auch dieser bekanntlich an der Wut seinen Teil mitfrißt). Seien Sie beide aufs herzlichste gegrüßt von Ihrem Konrad Weiß

[auf dem Kopf am oberen Rand; Schrift von Marie Weiß]
Viele herzliche Grüße für Sie beide
Ihre Marie Weiß