Die cumäische Sibylle
Der nackte Jüngling

 

Selber dieser, der sich immer

nie zum Dienst bereit

austat wie zum letzten Leid,

seiner Gegenwart entlief er nimmer.

 

Nichts zu tragen als die Schwere,

die sich nichts vergißt,

ward und bin ich Widerchrist

des Gedankens, den ich rastlos mehre,

 

den ich in die Seele frachte

meiner Zeit gleich Tau,

schrecklich in der Widerschau

den entbindend, dem ich Stillstand trachte.

 

Einer war, der blieb, wo keiner

stand mehr der Gefahr,

nahte sich der Schergen Schar,

ward der Zeuge ärger oder reiner?

 

Immer fror ich in der Hülle,

als der Judas kam,

Angst mich oder falsche Scham

hielt, ich sah und sah des Wortes Fülle.

 

Als der Herr im dunklen Garten

knüpfen ließ das Band,

alle Menschheit sein Gewand

mußte welterfüllend seiner warten,

 

diente fliehend, daß er bliebe,

als der Fang geschah,

einer bis zuletzt ihm nah

ließ den Mantel oder war es Liebe?

 

Kuß und Frevel, Ohnmacht mächtig,

alles sah er so

harrend, bis er nackt entfloh,

Markus schrieb dies Nachtbild blitzesträchtig.

 

Ist es Liebe, was ich kenne?

Er verriet sich stumm

heller als die Fülle um

seines Herrn Gestalt, daß er ihm brenne.

 

Hier Natur so rein erglommen,

siehe du da zu,

ja es fiel die Menschenruh

und die Schöpfung hat Gewand bekommen.

 

Ruherlöst im Ungetanen

nimmer eine Brust

schied sich hier und ward bewußt,

aufgerissen alle Zeit zu spannen.

 

Fliehe oder sei du Scherge,

nimmer selbst Symbol,

gib den Mantel oder voll

deiner Gnade trage selbst die Stärke.

 

Immer ich ins Ungefähre,

wo Natur in Blut

rauschend schlägt und aus der Hut

bricht in Weile einer Zeitenkehre,

 

immer ich den leeren Mantel

ungestillter Schau

lassend in Gefahr genau,

wie vom Blitze in des Frevels Wandel,

 

immer wieder ich im Banne

löse das Gesicht,

häufend in ein Weltgericht

seeleneins mir jede Zeitenspanne,

 

immer mehr find ich mich Zeuge,

der schon vor mir war,

rastlos, wie die ganze Schar

den verteilt, den ich mir still eräuge.

 

Nächtig aufgeschreckte Biene,

rings der Honig taut,

nachtvorbei der Morgen graut,

immer dies nur tue: diene, diene!

 

(10./12.4.1918)