Die cumäische Sibylle
Verbum caro

 

quod est in potentia, non est in actu

 

Nicht so viel Sinn der Dinge,

der dich umstellt,

in falscher Opferschlinge

mit Sinngeschmeide

tierisch gefangen hält,

du mußt aus diesem Leide

ausbrechen in die Welt.

 

Geschmückt in deiner Kammer

mit Augenlicht,

sinnbildet dich der Jammer

verkehrter Erde,

der in dein Innres bricht,

der Spiegel springt in Härte,

dies Bild erlöst dich nicht.

 

Da drang ein kindhaft Lallen

vom Herzen los

und war der Welt Gefallen,

sich zu zerstören,

an ihrem dunklen Schoß,

um atmen sich zu hören,

war diese Reue groß.

 

Der Mutter Angst und Rufen,

die arm sich sinnt,

pocht in die Nacht mit Hufen

von Tages Dauer:

wer nährt dich und wer spinnt,

dich unterhält die Trauer,

ich kann nicht, falsches Kind.

 

Von Sorgen selbst zur Mutter

genährt der Zeit,

Ohnmacht gleich Flammenfutter

einst der Sibylle

behält unbenedeit

und gibt, was sich der Wille

unwissend prophezeit.

 

Geöffnet eine Krippe

zum kalten Stein

erstarret deine Lippe

vom Seelenneide

am eignen höchsten Schein,

du darbst im schönen Kleide,

Demut will fruchtbar sein.

 

Zur Schöpfung fahre nieder

im Sinne schon

gebrochen, nur Gefieder

dem letzten Glauben,

das Wort verläßt den Thron

und geht, um sich zu rauben,

als Mutter in den Sohn.

 

(16.12.1917)