nach_oben
Konrad Weiß: Zum geschichtlichen Gethsemane

Zur Zeitlage des deutschen Formcharakters

Der Radierer Adolf Schinnerer

Leichthin sagt man, der Mensch, so auch der Künstler sei ein Sohn seiner Zeit und seines Volkes, und begnügt sich mit einer abkürzenden Denkgewohnheit. Alle Gewohnheit kürzt ab, zerteilt den immerwährenden Fluß des Geschehens in Zustände und Begriffe, zerfällt Mensch und Volk in die Gebundenheiten eines natürlichen Charakters und zieht den Künstler in eine Mitte von Bedingtheiten, der doch tätig sein muß, das Dingliche unbedingt zu empfinden, das Zuständliche in einem Moment des Ewigen zu vergeisten und dem natürlichen Charakter einen Horizont zu umbreiten, der, je mehr er über die Zeitlichkeit hinauswächst, um so stärker die bloße Natürlichleit auflöst und dem Künstler wie seinem Werk das Gewöhnliche nimmt und etwas Umfassendes, Notwendiges gibt. Nur der ist ein Künstler, der an der Grenze von der Bedingtheit zur Notwendigkeit steht. Diese Grenze aber ist für jedes Volk in seiner Zeit verschieden weit von seinem Charaktergehalt und seiner zeitlichen Eigenmächtigkeit abgelegen, — ist sozusagen seine zu- oder abnehmende geschichtliche Gnade — und von dieser Grenze, von diesem angewohnten Horizonte, von dieser Zeitlage des volklichen Formcharakters bleibt der Künstler beschränkt, um so mehr, je mehr er am zeitlichen Volkswesen Anteil hat. Das künstlerische Einzelwesen, das naturhaft mit seinem Volke verwachsen ist, d. h. in dessen Charakter die Gemeinschaftsempfindungen vorwalten vor jenen geistigen Formgesetzen, die, dem Natürlichen entgegengesetzt, das Individuum über die Gemeinde in die Katholizität erheben, zeigt durch die Grenze seiner Freiheit den Grad metaphysischer Genügsamkeit, der seinem Volke seiner Zeit eigen ist. Leicht macht sich die Denkgewohnheit eine Wahrheit verständlich, die voller geschichtlicher Geheimnisse ist, als Denknotwendigkeit verstanden.

Der eben gewählte Gegensatz von Gemeinde und Katholizität zielte schon auf die Zeitlage des deutschen Formcharakters; denn es gibt seit Jahrhunderten kein geschichtliches Ereignis, das mehr auf Volkscharakter und künstlerische Eigenart eingewirkt hätte als die Reformation. Jene zeitliche Eigenmächtigkeit hat dem deutschen Wesen die Katholizität genommen und hat ihm die Lokalität gegeben, hat den Fluß der überzeitlichen Tradition durch zahlreiche zeitlich individuelle Inseln der biblischen Buchstäblichkeit versetzt und gehemmt. Seit der Reformation ist in unserem Volke die Natürlichkeit stärker als die Notwendigkeit, die Freiheit stärker als die Sicherheit, der Charakter stärker als der Gehalt, das Formempfinden mehr ethisch als dogmatisch, das gemeindliche Individuum häufiger als das hierarchische. Seitdem die Wahrheit sich als ein individueller Gegensatz entwickelt und erschöpft, hat auch die künstlerische Form nur noch die eine Quelle im Individuum. Schon Dürer konnte die große Form seiner Apostelbilder nicht mehr ganz mit Gehalt erfüllen und zu reiner hieratischer Gültigkeit steigern. In Rembrandt wurde die ganze Gewalt und Einsamkeit der aus der Tradition herausgelösten Bibel als ein persönliches Schicksal übermächtig. Seither zieht sich das künstlerische deutsche Wesen immer mehr in die Natürlichkeit zurück und sucht dem religiösen Gewissen vor allem im Gemüt und der Idylle, in der Pietät und Gemeinde, durch eine starke ethische Bereitwilligkeit Genüge zu tun, mit der der Künstler der metaphsysischen Genügsamkeit seines Zeitalters entgegenwirkt. Das ist die Entwicklung des deutschen Formcharakters, soweit sie in sich individuell und lokal gebunden vor sich geht und von außerdeutschen Kultureinflüssen, von wahlverwandtschaftlichen, mehr willkürlichen oder geschichtsenthusiastischen, mehr notwendigen Idealen, die der verkümmernden Inzucht entgegenwirken wollten, nicht zeitweilig abgelenkt wurde. Sie verläuft im wesentlichen in protestantischem Sinne.

Zu jenen außerdeutsch vergrößernden Kultureinflüssen gehört die klassizistische Periode vor hundert Jahren, die willkürlich angesetzt, so weit sie sich rückwärts wandte und auf eine abstrakte unreligiöse Kulturökonomie abzielte, doch in sich geschichtlich begründet war, soweit sie die wenn auch bloß scheinbar aus dem nur Volkhaften befreite Bewußtheit und Liebhaberei eines in einer geschichtlich unsicheren Lage etwas künstlich in sich abgeschlossenen Kulturkreises verkörperte. Diese Klassik war echt deutsch, nur war sie unethisch, ein bloßer geschichtlicher Moment, den die mitspielenden abstrakten philosophisch ethischen Energien nicht in den Zusammenhang fortreißen konnten. Jene Periode bildet den ersten großen Versuch des deutschen Geistes, die individuelle Not durch eine künstlerische Notwendigkeit zu überwölben und zu entlasten. Da man sich aber vom Naturhaften abwandte, ohne in die eigene Tradition zurückzugehen, und das Gemeindegefühl ohne Grund in etliche Idealfiguren einer erhöhten Bürgerlichkeit umschuf, so im „Wilhelm Meister“, konnte nur eine kosmopolitische nebenzeitliche Typik, keine überzeitlich notwendige Form entstehen. Schon seinerzeit hat der mitteldeutsche Kulturkreis, dessen Genie Goethe die Frucht der damaligen Zeitlage ist, mit Jean Paul die selbstgefällige Typik durch einen naturhaft kosmischen Humor zum voraus illusorisch gemacht und wieder in die Idylle zurückverwandelt. Und heute sind es gerade mitteldeutsch benachbarte protestantische Künstler, um nur einen Namen wie Uhde zu nennen — welch ein Abstieg zur individuellen Kümmernis des Formcharakters —, die erst recht auf das Natur- und Gemeindegefühl zurückgehen und es in ethische Eigenschaften verwandeln, während — ein klärendes Nebenbeispiel —, der Estländer Gebhardt, sein starker religiöser Charakter ohne rechten zeitlichen Anschluß, durch einen Reformationsbilderdienst Gehalt zu gewinnen sucht. — Der Romantik als dem zweiten vergrößernden Kulturmoment, dieser großdeutschen Bewegung gegen die mitteldeutsche Kulturklassik fehlte, um Bodenständigkeit zu bekommen, in der völkischen Gärung die Lokalität, von der der deutsche Protestantismus zu viel hatte, daher sie aber auch trotz ihrer spielerischen Märchenlust vor der Idylle bewahrt blieb. Sie wirkte hauptsächlich als ideelles Reizgefühl und blieb in ihren künstlerischen Erzeugnissen, was die bildende Kunst vor allem angeht, vielfach programmatischer Fremdkörper. Aber in ihr war zum erstenmal wieder etwas von der Katholizität der Form lebendig und einer Energie aus nicht nur lokal-natürlichen und doch geschichtlichen Kraftquellen; in ihr wurde der Charakter wieder vom geschichtlichen Enthusiasmus beherrscht.

Der Formcharakter des deutschen Volksganzen, das aus dem Einigungskriege entstand, ist noch wesentlich protestantisch. Er ist immer noch mitteldeutsch bestimmt und ist dadurch, daß ein flacher Kulturindustrialismus ihn zu bedrängen begann, sonderlicher, noch mehr idyllisch geworden. Soweit er spezifisch religiös ist, scheint er dem Schicksal eines religiös-künstlerischen Paganismus zu verfallen. Indes die Zeitlage des deutschen Formcharakters ist nicht mehr einheitlich, wie denn überhaupt schon während des 19. Jahrhunderts die sozial gesellschaftliche Struktur allmählich gegenüber der rein religiösen in ihren ideellen Grenzen an Kraft gewann, allerdings immer noch mit Vorliebe zur Idylle flüchtete wie beim alten Raabe. Über die nationalen Grenzen hinweg geht eine Bewegung, die zunächst als soziale Bewegung am meisten sichtbar ist, mit der aber auch ein neuer geschichtlicher Odem die Landesgrenzen überweht. Und während der bloß individuell religiöse Charakter verkümmert, z. B. bei Uhde, nimmt die Form eine rhythmische Struktur an, die zunächst bei Leibl in einer fast heraldischen Schärfe den alten Volkscharakter positiv festhält, dann gerade bei Uhde in einer seelischen Bewegtheit des allgemeinen Zeitempfindens die bloße Individualität zu überwinden sucht. Die Zeit ist unruhig genug, est stehen neue Formen bevor.

Der Radierer Adolf Schinnerer, geboren 1876 in Schwarzenbach a. d. Saale, gehört noch zum mitteldeutschen Empfindungsgebiet, hat einen stark protestantischen Einschlag und ist im ganzen von einer seltenen natürlichen Echtheit des deutschen Volkscharakters. Er ist ganz Idylliker im Sinne einer getragenen Natürlichkeit. Es ist erstaunlich, wie jedes schlichte Blatt eines solchen Künstlers, dessen Kunst vor allem in seiner angeborenen Eigenheit beschlossen liegt, aufs unlöslichste mit dem engeren, vielleicht jetzt zu Ende gehenden Volkscharakter verbunden ist, eine Kunst, die nicht in erster Linie durch vorbildliche Formerkenntnisse, sondern durch ihre in der zyklischen Fabulierlust erst recht bekundete natürliche Gebundenheit für sich einnimmt.

Die altwerdende mitteldeutsche bürgerliche Gemütsromantik, die mit Ludwig Richter erwachte, bekommt bei Schinnerer wieder ein junges Gesicht in seinem Zyklus der „Reise des jungen Tobias“. Er zeigt besonders stark das natürlich Erquickende einer idyllischen, poetisch-symbolisch gehobenen Landschaftskunst. Das Biblische liegt nur wie die Erwartung eines fernen Ereignisses über einer bildhaften Räumlichkeit, die durch die Baumzeilen, die ziehende Straße und die wandernden Gesellen still belebt wird und doch gelassen bleibt. Vergleicht man dies Blatt mit dem Seeausblick von „St. Alban“ am bayerischen Ammersee zunächst auf die künstlerischen Mittel hin, so sieht man; wie hier alles Formäußere zugunsten eines gelösten Ausdrucks unterdrückt und aufs wesentlichste beschränkt wird, und man erkennt, daß die idyllische Wirkung des Tobiasbildes, die trotz des weiten Raumes die Empfindung in der Enge und Nähe poetisch aufhält und ans Gegenständliche bindet, durch die liebevolle Schilderung des Stofflichen und Natürlichen erzielt wurde. Der Gegenstand ist hier noch mehr gemütvoll geschildert, noch nicht so in eine Einheit absorbiert, nicht so geistig aufgesogen und in einem einzigen dauernden Augenblick aufgelöst. Die räumliche Empfindung, die bei dem Tobiasbilde durch die beiden Wanderer aufgehalten wird und ihnen die Aufmerksamkeit zulenkt, quillt auf dem Uferbilde mit den seitlich wie von Weite und Natursinn gebannt und verzehrt stehenden Figuren geistig auf den Beschauer über. Hier ist weniger abtastendes Gefühl, mehr reines Sein, versunkenes Bewußtsein, weniger lyrische Interpretation, mehr einfache Wesenheit im Räumlichen. Die mitteldeutsche, idyllisch gebreitete Landschaftsepik mit stiller Erzählerfreude, die in einem anderen Bilde des Tobiaszyklus, wo die Mutter auf einem Hügel stehend dem Wandernden nachschaut, einen Hauch von fast klassizistischer Empfindung, besser natürlicher Empfindsamkeit hat, geht so später in eine im Natürlichen bedeutsam aufgelöste Zuständlichkeit über, die in dem Bethesdazyklus sich gelegentlich bis zu einer gelassenen Größe vereinfacht.

Die Freude am Wanderbild, diese dem Deutschen eigentümliche Naturlust, kehrt in dem Zyklus vom „Teich Bethesda“ wieder, aber in einem ganz andern Sinne. Das Blatt mit den vorbeiziehenden Krüppeln erscheint nicht mehr als ein mehr zufälliges, dichterisches Wanderbild, sondern als ein Wandelbild des Lebens. Die Form erscheint nicht mehr als bloße Bewegung nach einem äußeren Ziele, sondern wird in sich gültig als Bewegtheit entlang einem inneren notwendigen Müssen. Zunächst der formale Bildaufbau; ein langgestreckter Weg vor hügelig flach ansteigendem Feld, eine schwankende vorweg verschwindende Bahre mit zwei Trägern, die mit den Dreiecklinien des Feldes im Gefühl nach außen läuft, das gebeugt gehende Weib, das ebenfalls noch als unwichtiger und durch die Art, wie es mit dem Kopf zwischen die parallel gehenden Männer eingegliedert ist, schneller verschwindend vorbeigeführt wird, dann als wesentliche Bildmitte der Mann mit dem Beinstumpf, in dessen krüppelhafter Gestalt sich das Gefühl fängt und der doch ebenfalls ohne Verweilen, kompositionell besonders auch durch die unter dem Stumpf weglaufende Linie des Wegrandes, fortgeführt wird, schließlich der letzte Wanderer, der den Beschauer am Schlusse des Zuges durch seinen selbstvergessen vorwärts strebenden Eifer instinktiv mitnimmt; das Landschaftliche karg, oben nach vorn die belebenderen Formen eines Waldes, die schon das Aufgehen des vereinzelten Wandelbildes in die zusammengeströmte Menge vorbedeuten, von hinten her die fahrenden Wagen, die das Gefühl für die Menge der Nachfolgenden wecken. Lauter Natürlichkeiten, zufällig durch das Leben charakteristisch gewordene Gebärden und Gestalten, aus der Gruppe gelöste Menschen, natürlich vereinfachte Landschaftslinien, alles in eine Bewegung gebracht, die die Einzelheiten durchwaltet und über die Bemitleidung hinaus sinnhaft macht.

Dieser friesartige Wandelzug lebt von einem Rhythmus, der seelisch in das Bild eingesehen ist, der Gebärden und Gestalten in sich faßt, die sich ihm gefangen geben, die ihm aber nur dienen, ihm nicht restlos gehören. Er lebt vor allem im Gemüt, im Nachgefühl, nicht in einer vorgenommenen Form, in einem Erlebnis mehr als in einer Schöpfung. Sinnvoll gesteigerte Natürlichkeit, ein aus dem Idyllischen heraustretender starker seelischer Wert, der sich am Vergänglichen dauernd sättigt, das ist der sittlich gestimmte Charakter dieser Kunst. Das Bild mit seiner stillen, gefühlvollen Gehaltenheit symbolisiert in einem kleinen Rahmen die Zeitlage des engeren deutschen Formcharakters.

Das Ethische, die betonte Gehaltlichkeit der menschlichen natürlichen Ausdrucksgebärden zeigt sich besonders deutlich in dem schönen Blatte, das den Aufbruch zur Reise nach dem Teiche Bethesda schildert. Durch die geöffnete Tür, durch den sozusagen geöffneten Raum, der zwischen den Stehenden vor dem Bresthaften und der aufnahmebereiten Bahre auch in der Lichtführung sich auftut und durch die bestimmten Linien der Gegenstände und der Gruppe rechts verstärkt wird, erhält die Szene den Ausdruck der Erwartung. Jedes einzelne selbst ungeschickt aussehende Ding ist wichtig in diesem Stilleben des Gemüts. So wirklich gemütvolle Kunst ist sehr selten heute gerade, wo so viel von deutschem Gemüt geredet wird. Das Blatt ist ein echter Ausfluß des in sich zurückgezogenen deutschen Kunstempfindens, in dem die menschliche Gestimmtheit größer ist als der ideelle Gehalt. Es lebt von einer gewissen protestantischen Innigkeit, die sich selber wärmt und sich ans Tun und ans Gegenständliche klammert und so die Idylle seelisch fruchtbar macht.

Die beiden Blätter, wo die Menge der Krüppel und Bresthaften zum Hallenbau des Teiches Bethesda zusammenströmt, und wo sie hinter dem Geheilten in langer Menschenzeile ekstatisch bewegt sich wieder zurückergießt, auf dem einen eine fast formlose Masse Menschen, nur sondernd durchbrochen durch die das Gefühl festhaltenden Tragen mit Bettlägerigen, ein still erregter Atem, der in die Tore der Hallen fließt, eine sehnsüchtige Gespanntheit, auf dem anderen eine Auflösung und Entspannung der Masse von den Hallen her und dafür ein überstarkes Lautwerden der Gefühle in den taumelnden Einzelnen, zeigen jedes in eigener Weise, wie die bloße epische Schilderung der Tatsachen in den einheitlichen Rhythmus des Ereignisses übersetzt wird. Der Bildwert beruht wieder auf der charakteristischen Natürlichleit, die auch in der Masse, in der verwandt gleichförmigen Gefühlsäußerung festgehalten wird. Diese Massen sind nicht bloßes Milieu, wozu sonst die Menschen in der modernen Kunst impressionistisch verflüchtigt werden, sie sind der eigentliche, mehr natürlich als ideell struktive Bildgehalt, sie sind die Gemeinde der Bildgesinnung, der Stoff, in dem der Künstler lebt und empfindet. Es ist in dieser religiösen Idyllik und Gemütskunst stets etwas gleichnisweise Uneigenes, etwas Mitempfundenes, nichts gesetzmäßig Übergeordnetes, Unbedingtes. Im Wert eines volkund naturhaft echt empfindenden, in einer bestimmten Zeitlage beschlossenen Charakters liegt der Gehalt.

Die Empfindung in diesen Blättern mit biblischen Stoffen ist nicht sehr verschieden von anderen Radierungen Schinnerers, in denen aller Art Landschaft und Idyllik den Stoff hergibt, wie auch in den Zyklen selber Blätter sind, die von der bloßen Naturzuständlichkeit eingegeben wurden, und der Bethesdazyklus großenteils dem Badeleben im heißen Sommer seine Entstehung verdankt. Aus allen Blättern und Blättchen Schinnerers spricht ein selten natürliches und unmaniriertes Empfinden, das selten stark heimatlich lolalisiert und anererbt ist, so daß auch seine schönen und in vollkommener Technik ausgeführten Radierungen aus Florenz und nach anderen italienischen Motiven, mehr aufgeheitert, die gleiche stille Sicherheit der Landschaftseinfühlung zeigen. Vielleicht, daß der Eindruck von dem feinen und persönlichen künstlerischen Wert der Arbeiten Schinnerers nicht recht aufkam infolge unserer von der allgemeinen Zeitlage ausgehenden Betrachtungsweise, die eine absteigende Entwicklung schildert und bei der ein Künstler naturgemäß verlieren muß, der für sich genommen im einfach Künstlerischen eine aufsteigende Bahn geht und dessen Radierungen heute neben den besten deutschen gesehen werden müssen. —

Wir Katholiken sind heute noch, besonders den sonderlich deutschen und den religiös protestantischen Künstlern gegenüber in einer eigentümlichen Lage. Wir genießen ihren idyllischen Sinn und freuen uns ihres Charakterwertes. Aber wir besitzen ihre Lokalität, ihre traditionelle Heimatlichkeit nicht und streben nicht nach ihrer bloß individuellen Empfindlichkeit. Unsere künstlerischen Ideale liegen in der Zukunft, deren Odem in die Gegenwart hineinwittert. Wer weiß aber, wie ihre Formen schließlich geschichtlich gesättigt aussehen werden und welcher Zeitlage sie bedürfen?