Konrad Weiß: Die christliche Kunst der Gegenwart
Ins Netz gestellt am 5. Juni 2016
Erstdruck: Hochland 6 (1908-1909), Bd. 2, S. 668-684
Inhaltsübersicht
Zum geschichtlichen Gethsemane
Ein religiöser Monumentalmaler Württembergs
Die christliche Kunst der Gegenwart
Hans Thoma, ein deutscher Maler
Greco, ein Problem der modernen Malerei
Karl Caspar. Eine Studie über die künstlerische Ruhelosigkeit des Christentums
Eugène Delacroix. Das Problem des romantischen Genies
Zur Zeitlage des deutschen Formcharakters. Der Radierer Adolf Schinnerer
Der katholische Kulturwille und die neue Kunst. Offener Brief an P. Desiderius Lenz
Die christliche Kunst steckt schon seit langem in einem völligen Wirrwarr, der heute noch heilloser geworden erscheint, da Einflüsse aus der modernen Kunstentwicklung anfangen, sich in ihr geltend zu machen, und zwar zunächst wie bei allem nicht aus eigenem Erwachsenen, sondern fremd Überkommenen in äußerlicher und roher Weise. Dies bestätigt auch der erste Eindruck in der Düsseldorfer Ausstellung, die neben einigen Beispielen von barocker, klassizistischer und älterer Nazarenerkunst eine kleine retrospektive Zusammenstellung jüngerer, insbesondere Düsseldorfer Nazarener und dann eine umfangreiche Ausstellung der christlichen Kunst der Gegenwart auf allen Gebieten enthält. Daß man nicht engherzig war und auch manch Ungewohntes und Absonderliches aufgenommen hat, macht zwar diesen Eindruck noch verwirrter, aber um so echter. Freilich ein allgemein erzieherischer Wert kommst einer solchen Ausstellung nicht zu. Einen solchen müßte aber eine Ausstellung für christliche Kunst haben, die mehr ins Publikum wirken soll als irgend eine andere. Wenn man mit bewußter ästhetischer Sichtung und Feingefühl für Keime und entwicklungsfähige Tendenzen zu einer neuen christlichen Kunst eine Auswahl selbst aus dem, was diese Ausstellung enthält, treffen würde, so könnte sich immerhin ein erfreulicheres Bild christlicher Kunsttätigkeit ergeben. Statt nur über einen Zustand allgemeiner Zersplitterung zu unterrichten, könnte eine solche Ausstellung positiv belehrend und sogar deutlich in die Zukunft weisend sein. Wir können zwar nicht wissen, welche nähere oder fernere Zukunft einmal so viel seelische Ganzheit haben wird, um all die Errungenschaften der heutigen glänzenden Außenkultur zu einer neuen künstlerischen Form innerlich zu vereinigen. Aber der Ähren reifen viele heran, und wenn irgend jemand verpflichtet und befähigt ist, die Garben zu binden, daß die Körner nicht nutzlos ausfallen, so ist es die christliche Welt und zumal der Katholizismus, der mit seiner äußeren Formfestigkeit und inneren Freiheit selbst wie ein künstlerisches Gebilde erscheint. Die christliche Kunst, die wir heute wünschen und vermissen, bindet sich mit Freiheit an Gesetze, soll objektiv monumental sein und doch voll persönlicher und zeitlicher Seele.
Dem ersten Blick zeigen sich keine neuen Keime. Es ist das gewohnte Bild, das die Ausstellung bietet und das auch den Tatsachen immer noch entspricht, daß sich nämlich die Kunst einseitig auf dem Gebiete der Malerei entwickelt. Wir sind nicht in einer Kirche, etwa einer romanischen, wo die weichen, biegsamen Flächenlinien eines Freskobildes sich ganz der Architektur unterordnen und doch die strenge Mauerform gefühlsinnig beleben. Dies Bild ist ein Schmuck für die Mauer wie die Alpenrose für ihren Felsenstandort, beides eine objektive Welt, niemand zuleid und zur Lust jedem, der hier die Natur, dort die Kunst aufsucht, nicht aber sich selbst. Das moderne Staffeleibild sucht aber den einzelnen Menschen, und der Mensch sucht sich darin. Das ist keine objektive, in sich beruhende Welt, sondern bequemeren Falles ein Bekenntnis, schärferen Falls ein Problem. Aber das religiöse sowohl als das künstlerische Erlebnis ist kein Problem, auch kein Bekenntnis, das einer Verneinung entgegentritt, sondern ein Ja oder Nein, ein dauerndes Ereignis, ein ewiger Moment und eine momentane Ewigkeit. Religion und Kunst stehen sich als Erlebnisformen vollkommen gleich, nur daß Religion das Bedingende, Kunst das Bedingte ist.
Der „Gottsucher“ heißt ein Bild, das wir nur als Stoffbeispiel nennen. In einer auf duftige Stimmung hingearbeiteten Landschaft mit Berggipfel in der Mitte und Gestirn darüber liegt im Vordergrund, das Gesicht gegen den Boden gedrückt, ein junger Mann. Als Novellenmotivchen ist diese Situation bekannt: Der junge Mann stürmt hinaus, wirft sich zur Erde und vergräbt sein Gesicht in den feuchten Boden, sei es nun, um einen Glaubens- oder auch Liebessturm zu beruhigen. Ein sogenannter novellistischer Stoff, nur statt wie früher anekdotisch, jetzt gefühlsmäßig pointiert, dessen pathetische Sentimentalität immerhin erzählerisch leichter wirksam gemacht wird. Was geht mich aber dieser sogenannte Gottsucher im Bilde an? Der Bildbetrachter ist sozusagen ein Materialist. Was ihm nicht durch die Form unmittelbar ins Gefühl gebracht wird, das glaubt er nicht, weil er es nicht erlebt. Der liegende Mann kann ihm Verschiedenes erzählen, aber er läßt ihn nichts selber empfinden. Kunst aber ist eigenstes Erlebnis, das trotzdem allen gemeinsam sein muß. Eine mächtig hingelagerte Urgebirgsform kann durch den Eindruck von Größe auf den Schöpfer hinlenken, die Darstellung eines betenden Engels kann betend machen, aber die Abbildung eines Gottsuchers kann nicht veranlassen, Gott selber zu suchen. Freilich kann es sich dem Maler um den Gegensatz einer lieblichen Landschaft und eines darin befindlichen, im Gemüt zerrissenen Menschen handeln. Das kann, in fühlbare Beziehung gesetzt, ein Erlebnis für sich werden, ist aber kein religiöses und vor allem kein christliches Erlebnis. Ist die naturalistisch erzählte Darstellung eines Seelenkampfes also religiöse Kunst?
Ein Bild des vor einiger Zeit verstorbenen Düsseldorfer Historienmalers Janssen ist benannt „Und sie folgten dem Stern“. Janssens Art ist mit Gebhardt verwandt. Der dargestellte Vorgang ist indes kein direkt biblischer, sondern durch eine Gruppe von Menschen in altdeutscher Tracht, die dem religiösen Sterne nachfolgen, soll wohl das Wort von den Mühseligen und Beladenen auf eine besondere Weise versinnbildlicht werden, ebenso wie durch Janssens anderes Bild „Kommet her zu mir!“, auf dem sich die verschiedenen Stände, je mit dem Kreuz beladen, zu Jesus drängen und den steilen Weg dann weiterziehen. Wozu die Maskerade? Ist es mein religiöses Erlebnis, wenn ein historischer Maskenzug, der bei Janssen zudem manchmal fast etwas Humoristisches hat, schreiend und gestikulierend an mir vorbeizieht? Bei einem Rogier van der Weyden oder Dürer ist es immer nur die Form und der Ausdruck, die uns heute noch wie seinerzeit religiös berühren, nie das Gewand der Zeit als solches. Nur die Form wird erlebt, nicht die Umstände. Ist demnach das Historienbild die christliche Kunst, die religiöse Bedürfnisse am besten befriedigt?
Boecklins „Grablegung Christi“ ist vielen Ausstellungsbesuchern ein Glanzpunkt. Der düstere Glanz der Farben, die unheimliche Beleuchtung der Szene, die sprechenden Gebärden der Personen, wie etwa Magdalena sich ausholend nach dem Kopfe greift, während Johannes ihre andere abgestreckte Hand umfaßt, oder wie Maria sich mit beiden Händen das Haupt hält, das alles ist mit allen Mitteln auf Ausdruck angelegt und scheinbar stark ins Gefühl vertieft. Aber die Szene hat eine fast theatralische Komposition, die Farben halten allzu effektvoll im Bilde fest, die Gebärden voll von ausgekostetem Pathos haben einen ganz irdischen, egoistischen Grundzug. Es ist eine Pracht und Parade des Schmerzes, der ins Große gespielt wird. Es ist gleichsam kein Himmel offen, keine Linie weist hinaus. In dieser Gefühlsdramatik ist kein Hauch von religiöser Abgeklärtheit. Ist aber das Aufspielen des eigenen Schmerzes christliche Kunst?
Als ein neuer Jesustyp ist der bartlose Kopf in den verschiedenen Christusbildern von Fahrenkrog gepriesen worden. Sein Bild „Jesus und das Kind“, auf dem Christus mit dem Kinde vor sich in den Rahmen eines großen Fensters gesetzt ist, von dem der Blick auf einen grellfarbigen Hügel geht, zeigt diesen Typ, da die Szene nicht weiter gegenständlich verwickelt ist, in Reinkultur. So göttlich mag sich der moderne Übermensch vorkommen mit skeptisch intellektuellen und schmerzlich tragischen Zügen. Sein Blick könnte das Kind vergiften, wenn er echter wäre. Das Bild, dem nicht nur die innerlich edle, sondern auch die bildlich räumliche Haltung fehlt, wirkt farbig noch weniger als in der schwarz-weißen Reproduktion und macht es noch unbegreiflicher, wie man von einem neuen Jesustyp sprechen konnte. Was hat diese starre Maske einer Art von Zeitseele mit christlicher Kunst zu tun?
Je mehr sich die Malerei auf ihre rein malerische Aufgabe zurückzog, desto mehr hat sie das Geschichtsbild als solches aufgegeben. Slevogts kleines Gemälde „Der Engel warnt den hl. Joseph“ ist denn auch nur eine Darstellung des Vorgangs, der eben mit der bloßen farbigen Lösung, die bei Slevogt mit einer malerisch pikanten Eleganz geschieht, erschöpft erscheint. Das ist auch fürs Auge geschehen, aber nicht für die Seele. Soll ein bestimmter biblischer Vorgang dargestellt werden, der einen Zweck im Heilsplan hat, so muß dem auch eine religiöse Bestimmtheit entsprechen. Das gehört zum Wesen der christlichen Kunst. Die Pflege der reinen Farbe hat einerseits zu einer leeren Gleichgültigkeit gegen den Inhalt geführt, andererseits die intime Stimmungskunst erzeugt, die monumentaler Größe gerade entgegengesetzt ist. Hier bedarf es der Form und Linie.
Lineare Bestrebungen sind vielfach vorhanden; die absolute Malerei hat als ihr Gegenteil flächige und linige Absichten hervorgerufen, die sich aber von der Stimmungskunst nicht entfernen wollen und sich mit bizarrer Linienstilistik und pretiöser Farbenwahl in phantastischen Spielereien und Gefühlsabsonderlichkeiten gefallen. In Strathmanns Gemälde „Maria“, das mit der halben Gestalt in der Umgebung von Baum, Säulenschaft und Kerze, übersponnen mit Dornen und von einem drahtgespinstartigen Heiligenschein gekrönt, den Eindruck einer goldgepreßten Buchdecke macht, ist statt religiösen Gefühls eine mystische Nonnensymbolik und ein Interesse wie für gleißendes Metall, das auf Patina wartet. Diese lineare Gestaltung wäre schon nicht körperhaft genug, um einen großen christlichen Gehalt zu fassen.
Doch diese letzteren sind Bilder, bei denen eine bestimmte religiöse Absicht nicht vorhanden ist. Um so mehr ist das bei Louis Feldmanns „Hl. Familie“ der Fall. Das ist ein Familien- und Erbauungsbild, das durch seine vorbildliche Inszenierung fromme Gedanken erwecken will. Aber deutlich ist nur diese Tendenz. Es mangelt sowohl die formale Kraft als die seelische Konzentration, die nur äußerlich gestellt erscheint, welche beide sich in der Mitte begegnen müßten, um der christlichen Absicht bildlich das formale Fundament zu geben.
Große formale Kraft eignet Wilhelm Trübner in seinem „Christus im Grabe“. Wie der in Trübners breiter Art modellierte Leichnam in der Diagonale verkürzt und von dem Lendentuch überquert daliegt, diese sachliche Gestaltung, die auf alle erzählenden, pathetischen, erbauenden Mittel verzichtet, sich aber auch von farbiger Bravour fernhält, erzeugt eine epische Ruhe, die etwas Großes und Feierliches hat. Es ist kaum ein ausgesprochen religiöses Empfinden hierbei mitschöpferisch gewesen. So ist das Bild ein Beweis, wie das ehrliche Bemühen um die Sache und der Verzicht auf selbstische Zutaten eine unmittelbare Ausdruckskraft haben können, die zu religiöser Kunst sich verhält wie das Fundament zu dem Bau, das labora zum ora. Zur Schaffung einer christlichen Kunst ist jedoch keines möglich ohne das andere, keines ersetzt das andere.
Eine solche Betrachtung im ersten Repräsentationssaale zeitgenössischer Künstler läßt kaum irgendwelche keimfähige Spuren zu einer neuen christlichen Kunst erkennen. Ein Rückblick auf die religiöse Kunst des 19. Jahrhunderts zeigt uns in weiteren Zeiträumen eine deutlichere Verbindung der Formtendenzen mit den Inhaltstendenzen, dem religiösen Geiste dier Zeit. Vielleicht daß er uns auch über die Form der neuen Kunst Fingerzeige gibt.
Eine christliche Kunst von Stilcharakter, die also der Ausdruck einer Zeit- und Weltanschauung in einer typischen künstlerischen Sprache dieser Zeit wäre, gibt es schon lange nicht mehr. Schon nicht mehr seit dem Zeitalter der Barockkunst, seit dessen Ende es auch keine originale Architektur mehr gibt. Denn die Verbindung zwischen großer christlicher Kunst und Architektur ist so enge, daß beide miteinander stehen und fallen. Die Architektur ist die reinste und objektivste Abstraktion des Menschentums und der Materie, die nur ganzen Menschen einer ganzen Zeit gelingt, bei denen sich alle seelischen Kräfte an der Gestaltung beteiligen. Seit den Zeiten der Reformationen, Aufklärungen und Revolutionen sind die Menschen allzuviel mit ihrem subjektiven Ich beschäftigt, um noch eine künstlerische Welt objektiv und allgemeingültig aus sich herauszustellen. Da kamen die guten Tage für die subjektiven Künste, Musik, Lyrik und Malerei; da wandelt sich die Kunst in Jahrzehnten, die Stilbegriffe werden immer kleiner, der seelische Wert der Kunst immer intimer, der Gehalt erschöpft sich schließlich in dem konzentrierten Auskosten einer Impression. Die Farbe herrscht und die Stimmung. Die Geschichte der Kunst als Gehaltsausdruck wird zu einer einseitigen Geschichte der Malerei. Größe aber liegt nicht in der Farbe, sondern in der Linie und Form. Die jenseitsgerichtete Religion der Ägypter steckt wie mumienhaft eingehüllt in der Anlage ihrer Tempelbauten, die Gottvermenschlichung der Griechen verkörpert sich in formvollendeten Plastiken. Die gott- und weltgewisse Zuversicht des Mittelalters spricht sich in seiner ebenso mathematischen als mystischen Domgotik aus, dem trotz allem gewaltigsten und echtesten Ausdruck rein christlichen Empfindens. Die Renaissance löst die Kräfte auseinander und vermag Form und Inhalt zu allseitigster höchster Vollendung zu steigern. Die Renaissanceseele ist aber nicht mehr wie ein gotisches Säulenbündel von einheitlicher Bewegungstendenz, sondern wie ein Würfel voll kubischer Kräfte. Er wächst ebenso in die Breite als in die Höhe. Das Barock endlich verliert die innere Gewalt über die äußeren Formelemente. Was ein Michelangelo noch mit kolossaler Kraft bändigte, das wölbt und wulstet sich nun auseinander, da sein innerer Kern schwindet. Im Rokoko dann zerflattert auch die Form in ein Nichts.
Im Revolutionsjahr 1789 ist das weltabgewandte, schlichte Haupt des Nazarenertums, Overbeck, geboren, der sich aus künstlerischem und als Konvertit religiösem Bedürfnis von der klassizistischen Leere in Wien und anderwärts lossagte und mit gleichgesinnten Genossen zu einer Art klösterlicher Gemeinschaft, der Lukasbrüderschaft, in Rom vereinigt eine neue Kunst anstrebte. Von den ersten Mitgliedern ist Overbeck die stärkste religiöse Kraft gewesen, und auch unter den später Hinzugekommenem wie die beiden Schadow, Steinle, Führich, Veit, der Protestant Schnorr und der vor wie nach mehr eigene Wege wandelnde Cornelius, dürfte Overbeck das am persönlichsten ausgeprägte religiöse Empfinden gehabt haben. Während sich diese aber trotz aller Zusammengehörigkeit im Fühlen und Gestalten nicht unwesentlich unterschieden, ist unter den sich an Wilhelm Schadow anschließenden jüngeren Düsseldorfer Nazarenern das Nazarenertum ganz in Unpersönlichkeit ausgelaufen. Das Nazarenertum oder die Romanstik in der christlichen Kunst, die mit ihren Künstlern wie Cornelius oder Steinle eng mit der allgemeinen Romantik zusammenhängt, ist in engem Kreise nochmals eine christliche Kunstperiode gewesen. Durch eine glückliche Fügung kam gleich zu Anfang auch das Freskobild zu Ehren. Aber der religiöse und patriotische, künstlerische und literarische Idealismus war nicht von allschöpferischer Kraft[1]. Der antiklassizistische Geist erschuf sich keine neue Bauform, und ein ursprüngliches monumentales Gefühl ist auch nicht in den Gemälden der Nazarener. Das Nazarenertum kam ebenso wie die Romantik nicht aus einem Bejahen seiner Zeit heraus zur Schöpferfreude, sondern aus Ungenügen an der politisch und geistig noch in kein Gleichgewicht gebrachten neuen Gesellschaftsordnung zu einem sehnsüchtigen Nachempfinden menschlich und künstlerisch harmonischerer Zeiten. Es entspricht seiner allgemeinen Gemütslage, und darum ist sein Grundzug auch Empfindsamkeit. Nur der klassischer gerichtete Cornelius erlangt eine fast monumentale abstrakte Stilgröße. Wie ein stiller priesterlicher Fremdling, der aus seiner klösterlichen Einsamkeit und Beschaulichkeit herausgetreten ist, steht Overbeck mit seinem „Noli me tangere“ unter den formal und farbig reicher geschmückten Nachbarn. Er ist darin wie ein Perugino, nur kulissenhafter. Steinle gestaltet in edlen frühklassischen Formen, denen er immer ein besonderes deutsches Empfinden einzuhauchen weiß. Veit, der nur schwach vertreten ist, wirkt durch innerlich abgerundete Detailformen innerhalb des Bildganzen. Führich hat schon viel arrangierte Gruppenkomposition, aber in seiner sehr zeichnerisch illustrativen Art viel überzeugende Natürlichkeit und ein liebenswürdiges Erzählertalent. Der Protestant Schnorr von Carolsfeld bleibt persönlich allzusehr in der Reserve, so daß eine abgerundete Formgebung wie in seiner „Maria mit dem Kinde“ keine Wärme ausstrahlt. Die monumentale Kompositionsabsicht Schadows, z. B. in seiner „Pietà“, bleibt zu sehr an der Vorderansicht der Figurenzusammenstellung haften. Bei ihm schon tritt die persönliche Gestimmtheit hinter einer allgemeinen Gefühlshaltung zurück, was bei Deger, Ittenbach und anderen noch mehr geschieht. So mußte diese Kunst, die von Anfang an von den Nuancen einer Gemütslage zehrte, aus Mangel an ursprünglichen Gefühlsquellen austrocknen. Die letzten Nazarener zeigen deutlich und lassen es auch bei den ersten nachsuchen, daß diese christliche Kunst eine edle Schauseite gewesen ist, kein rundes und volles Werk. Schon hat man angefangen, mit den Kompositionsteilen wie mit Inventarstücken zu arbeiten, hier ein Tor, dort ein sonstiges Architekturfüllsel, einen Baum und anderes einzusetzen, die dem Bild eine monumentale Haltung geben sollen. Die innerliche Form wird zerstückelt, die Formteile äußerlich in den Blick gesetzt. Man darf sich nicht mehr ins Bild hineinfühlen, und man darf nicht nach der Rückansicht suchen. Weil die räumliche Sicherheit fehlt, fehlt Degers und noch mehr Ittenbachs Bildern, zumal auch das Gefühl immer mechanischer wird, die innerliche Kraft. Indes ist die blumige Sinnigkeit und der zarte Duft sowohl der Farbe als des Empfindens bei Karl und Andreas Müller doch noch von großer lyrischer Feinheit.
Dann kam der Teil des 19. Jahrhunderts, unter dessen geistigem Schatten wir heute noch stehen. Es kam der Historismus und die Naturwissenschaft, und es kam die soziale Bewegung, lauter Dinge, die einer monumentalen Lebens- und Kunstauffassung nicht günstig sind. Es ist charakteristisch, daß der Katholizismus in dieser Zeit der mehr äußerlichen Welteroberung zurücksteht, und daß auch die christliche Kunst in ihren bedeutenderen Vertretern bis in unsere Tage spezifisch protestantisch war. Die Zeit, in der man eine möglichst abstrakte Wissenschaft für Objektivität nahm, der dann als Extrem eine verstiegene Gefühlssubjektivität gegenübertrat, war einer objektiven typischen Bauform ungünstiger als irgend eine. Der Protestantismus, der noch nie eine Baukunst hatte, fand sich schnell in die neuen Aufgaben,die eine engere Ausdruckskraft verlangen. Die Verstandes- und Gefühlselemente der Zeit drückte er in einer malerischen Bekenntnis- und Stimmungskunst aus, wie sie Gebhardt und Uhde schufen, und in einer pietistischen Religiosität, deren Schöpfer Steinhausen ist. Beim katholischen Künstler ist das künstlerische Ausdrucksstreben von jeher, auch nach der Reformation noch, reiner und echter auf die Form gerichtet gewesen. Den Gehalt besaß er, das typische Weltbild hatte er in sich. Dieses galt es für ihn in die reinste und höchste Form zu bringen, die seine Zeit ihm von ungefähr an die Hand gab. Nichts anderes als das Erfüllen dieser Aufgabe ist die christliche Kunst bis zur Reformation gewesen. Von da ab ist das einheitliche, geschlossene, typische Weltbild, das Fundament aller künstlerischen Größe, zerrissen worden. Der Protestantismus ist aber mit dem steten langsamen Aufgeben an positivem Gehalt der weltgewandtere geworden. Zeitströmungen finden in ihm schneller ein Echo, für das auch die zeitlich enger begrenzten künstlerischen Ausdrucksmittel ausreichen. Was die Kunst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sich an Ausdrucksmitteln erwarb, ist auf eine hohe Kunst nicht ohne weiteres übertragbar. Während darum die katholischen Künstler, die nichts Großes in der Zeit fanden, im Epigonenhaften stecken blieben, haben sich protestantische Künstler einen Zeitstil zurechtgemacht, der als solcher vor der Nachwelt bestehen wird.
Was bei den Nazarenern schon begann, das Ersetzen der inneren körperhaften Komposition durch Gruppenarrangements, ist bei Gebhardt wesentlich geworden. Indem er zu ihrer Lokalisierung die Landschaft und den Innenraum benützt, stellt er die historische Szene dar. Die Personen erscheinen in mittelalterlichen Gewändern. Der religiöse Vorgang wird in eine Reihe von Agierenden aufgeteilt, als deren Mittelpunkt, etwa in „Christus in Bethanien“ oder in der „Himmelfahrt“ oder ebenso in den Wandgemälden der Friedenskirche in Düsseldorf, dem „Abendmahl“ und den anderen, Christus eine Rolle übernommen hat. Alles spricht, jede Bewegung erklärt, jede Person verdeutlicht. Jedes Gefühl wird in Mienenspiel umgesetzt. Geste und Gebärde ist alles, Gefühlsreserven gibt es keine mehr. Der Beschauer stellt sich unter die Menge, vielleicht trägt ihn das Gefühl des Augenblicks, reißt ihn eine einheitliche Massenbewegung mit fort. Aber die fährt ihm mit den Händen vor den Augen herum, der macht hinter seinem Rücken den Nachbar aufmerksam, die tröstet ihr Kind, der zerrt ihn an dem historischen Wams, der Krieger in der „Johannestaufe“ macht ihn auf seinen martialischen Schnurrbart aufmerksam, den er gravitätisch dreht. Christus erscheint wie ein gestikuliermder Lehrmeister, nicht wie ein die Massen zügelnder Gottmensch. Der Beschauer kann vor lauter Schauen nicht zur Sammlung und Erhebung kommen; vor lauter Inszenierung fühlt er nicht die Bedeutung der Szene. Der Maler hat ihm keinen Platz und keine Aufgabe übrig gelassen, sein eigenes Gefühl zu äußern. Lauter Momente und kein Moment. Das Wunder im „Emaus“bilde, da Jesus den Augen der Jünger entschwand, ist veranschaulicht durch den Gegensatz zwischen der Helligkeit um die Köpfe der Jünger und dem Licht, das die Schaffnerin bringt, sowie durch den gespannten und entrückten Gesichtsausdruck der beiden. Aber wenn doch das alles tiefer, mehr zusammengeschoben, wunderbarer wäre! Mit eindringlicher Haltung und Gebärde verkünden die Jünger dem Täufer „Johannes im Kerker“ Nachricht von Christus. Aber wenn sie nur auch mehr zum Beschauer sprächen, wenn dieser nur auch mit Johannes lauschen könnte. Der Ausdruck will nicht von ihren Personen, ihrem Kopf, ihren Händen weg; er will nicht Eindruck werden. Das ist das realistische Geschichtsbild, eine bis ins Detail durchgearbeitete Regiekunst, die die Szenen des Erlöserlebens in Kostümen rekonstruiert. Wir sehen sie alle mit leibhaftigen Augen. Es ist eine derbe Gegenständlichkeit und eine rationalistische Gewißheit der christlichen Gedanken, aber es ist keine Einheit des Gefühls und keine Strenge des Willens. Das Religiöse liegt nicht in einem harmonischen, zum Beschauer schwingenden Formprinzip, sondern in erzählenden Pointen. Die Heilstatsachen werden wieder auf eine Art zu historischen Ereignissen, wie wenn nicht eine ganze christliche Welt in religiöser Durchfühlung und Typisierung sie inzwischen umgearbeitet und erlebt hätte.
Der Realist der Geschichte macht uns ein Wunder trotz allem nicht so glaublich als der Realist der Wirklichkeit Uhde, dem aber jede alltägliche Person sowohl als das einfache Natur- und Daseinsgefühl zu einem seelisch gestimmten Erlebnis wird. Wir denken gar nicht daran, zu bezweifeln, ob Christus die armen Fischersleute auf dem Bilde „Komm, Herr Jesus, sei unser Gast!“ besucht hat. Der ehrfurchtsvolle Augenblick teilt sich uns ohne Reflexion mit, indem die Bildformen direkt in uns übergehen. Die schlichte, fast gestenlose Haltung der Besuchten, die sie der edlen Gestalt des Besuchers entgegenbringen, machen wir uns unwillkürlich zu eigen; das schummerige Innenlicht ist wie eine schwebende Seele. Nur manchmal fühlen wir, daß eine gewisse modellhafte Begrenztheit nicht ganz überwunden ist, und bei der Betrachtung mehrerer Bilder erkennen wir, daß sich das Gefühlserlebnis nie weit von diesem kleinen alltäglichen Kreise, von rein menschlicher Teilnahme und Erwiderung wegbewegt. Hier haben sich das an der Natur geschulte Auge, das in Atmosphäre und Licht Wunder sieht, und der soziale Sinn, der dem geringen Mitmenschen gerne Mitleid spendet, zu einer Kunst wie in dem auf seine Art besonders schönen Bilde „Anbetung der hl. drei Könige“ vereinigt, deren menschliches Empfinden in religiöse Gefühle übergeht. Die Heilstatsachen werden hier zu unmittelbar empfundenen Ereignissen, die aber nicht vom Heute weg durch die Geschichte des Christentums zu seinen Anfängen zurück tragen, wie Gebhardts Bilder von ihrem historischen Moment aus nicht vorwärts und nicht rückwärts tragen.
Was der Protestantismus heute an religiöser Verinnerlichung geben und inwieweit er sogar christliche Stilkunst hervorbringen kann, das zeigt Wilhelm Steinhausen. Bilder wie die „Auferweckung der Tochter des Jairus“ oder „Christus und Nikodemus“ sind auf einfache Gefühlslinien und Gruppen gebracht, Volumen und Raum weich gegeneinander abgewogen, alles in dumpfen und schummerigen Farben zusammengehalten. Eine schlichte Bewegungsform ist das Bild „Du reichst uns deine durchgrabene Hand“; gleichsam eine Ehrfurchtswelle, die von der vertieft nahenden Person durch die verschlungenen Hände zu der hehren Christusgestalt hinaufschwillt. Mehr als weiche Erzählung, die ihre innere Form nicht zuletzt durch die verschiedenen Tageszeiten erhält, ist „Der barmherzige Samariter“ behandelt. Ohne Zweifel hat Steinhausen einen ausgesprochen religiösen Stil. Seine Bilder haben nicht bloß gewollte Erbauungsabsicht, sondern enthalten schon in der unmittelbaren Formgebung Frömmigkeit und ein inneres Verhältnis zum Göttlichen. Aber Steinhausens Art enthält nicht genug von dem, was einer großen christlichen Kunst not tut. Es sind zu sehr Gefühlsumrisse und versenkte Farben; es geht in eine ungewisse Tiefe. Darum erscheint auch „Christus am Kreuz“ etwas kümmerlich. Es fehlt der klare monumentale Aufbau, die starke räumliche oder flächige Gestaltung, das körperhaft Kernige, der energische Rhythmus des Willens, der sieghaft frohe Hymnus des Christentums, das Unnahbare der Gottheit. Das läßt sich nicht ausdrücken mit weichen Gefühlsumrissen, sondern mit herben und innerlichen Kompositionslinien, die gleichsam Lebenslinien der menschlichen Gestalt sind. Denn der Mensch ist’s, der unmittelbar in sich das Religiöse erlebt und es bildlich in seiner Gestalt ausgedrückt empfindet. Landschaft und Atmosphäre sind ihm neue, aber immer nur indirekte Nuancen des Erlebens.
Höchste christliche Kunst ist nicht konfessionell, sondern ein reiner schöpferischer Akt aus dem religiösen Erlebnis heraus. Das Konfessionelle spielt in ihr dieselbe Rolle wie das Literarische in der bildenden Kunst überhaupt, das Literarische, gegen das in der Moderne auf der ganzen Linie der Kampf aufgenommen wurde. Die katholischen Künstler sind, da sie nicht um einen Inhalt rangen, von jeher viel weniger eigentlich konfessionell gewesen; aber indem sie immer wieder auf die Formelemente der Gotik und der Renaissance als der altkirchlichen zurückgriffen, hat ihre Kunst doch einen einseitigen und besonders epigonenhaften Anstrich bekommen. Was indessen bei einer Überschau der katholischen Künstlernamen vor allem auffällt, das ist das fast gänzliche Fehlen von Persönlichkeiten.
Als ein immer wieder frischer und fortschrittlicher Künstler, dessen stilistisches Wollen und Können stets neuen Ausdruck findet, erscheint Gebhard Fugel. In den beiden Entwürfen „Sehet das Lamm Gottes“ und „Berufung Petri“ erfreut die freie, lustig heitere und großlinige Behandlung der Landschaft und ihres Verhältnisses zu den Personen. Beides hebt sich in wirkungsvollem Kontrast. Doch ist die Verknüpfung nicht recht innerlich. Fugel hat immer mehr Wirkliches als Verwirklichtes, mehr Seiendes, Materielles als Geschaffenes, Immaterielles. In seinem „Abendmahl“ sind zu viele Einzelheiten und ist doch zu viel Leere, zu viel arme, bange Gehirne der Apostel und zu wenig ein um Christus kreisender Gedankenzug. Eine Welle von seelischer Ergriffenheit müßte durchschwingen, getragen von einem geheimnisvolleren Licht, wie es Uhde an Rembrandtbilder erinnernd zu Hilfe nimmt, oder in monumentaler Absicht getragen von einer einheitlichen, wenn auch vielverzweigten Bewegungstendenz wie bei Lionardo. Fugel hat aber Elemente zu großem Stil und weiß Form und Farbe großen Zwecken anzugleichen.
Scheinbar formstrenger und im Gefühl verhaltener ist Fritz Kunz, von dem das im Glaspalast ausgestellte Altarbild „Redemptor mundi“ zum Vergleich besser heranzuziehen wäre. Aber er bleibt zu sehr am Körper und dessen Umrißlinien, sowie manchmal an einer dieser Körperlichkeit fremd angefügten Hieratik der Stellungen haften, so daß die innere Bewegtheit darunter leidet, ebenso wie seine satten dunklen oder mystisch dämmerigen Farben nur eine enge Stimmung erzeugen, während freiere, gelöstere Gefühle in ihnen ertrinken. Diese Stimmungsfarbenkunst gibt aber seinen Franziskusbildern doch einen eigenen Reiz.
Frühere Kunstformen sind tot, wenn sie von ihrer Zeit und ihren Schöpfern losgelöst werden. Denn die Form ist die immer wechselnde sichtbare Art des immer neuen Erlebens. Darum ist Feuersteins Formeklektizismus, der weder von neuem Fühlen noch von neuem Ausdrucksstreben etwas spüren läßt, ganz unfruchtbar. Das ist eine Kunst der Ausstattung, deren Monumentalität in Architekturteilen besteht und deren christliche Gehobenheit in äußerer Glanzfreude. Wer dagegen die Sprache unserer Zeit spricht, selbst wenn er wenig religiöse Wahrheiten zu sagen hat wie die protestantischen Künstler, erfüllt doch eine zeitgeschichtliche Mission.
Die religiöse Kunst ist ebensosehr Inhalt wie Ausdruck. Die künstlerische Form ist geradeso wichtig wie die Idee. Die Form ist sogar so sehr Trägerin des Gehaltes, daß auch ein raffinierter Maler, dem es zu allerletzt um eine christliche Wirkung zu tun ist, wie Corinth, bis zu einem gewissen Grade seelische Werte erzeugen kann eben mit Hilfe seines realistischen eindringlichen Vortrags. Corinth gibt in seiner „Kreuztragung“, „Kreuzabnahme“, „Grablegung“ das reine, lokalisierte Ereignis mit einer scheinbar ganz kalten Gleichgültigkeit gegen seelisches Mitempfinden, nur auf farbige Überzeugung bedacht. Es ist ein lärmendes Wühlen im Schmerze, von derben und groben Pointen brutal unterbrochen. Wären diese absichtlichen Pointen nicht fühlbar, so könnte man von einesr selbstlosen Unmittelbarkeit und schnellen Wahrheit des Geschehens sprechen, so unmittelbar und schnell ins Auge fallend, daß sich das Gehirn und das Gefühl nicht schnell genug beteiligen konnte. Das ist die Wirkung einer von aller formalen Größe emanzipierten, sich sprudelnd überstürzenden Malweise. Wo mehr durchgehende Bewegung vorhanden ist wie in dem leidenschaftlichen Biegen und Krümmen der Gestalten in der „Kreuzigung“, da ist auch eine Art rauher Empfindungsgröße, die an Grünewald denken läßt.
Doch ist auch das nicht der Weg der Form zu einer christlichen Kunst, die auch die architektonische Größe des kirchlichen Gedankens zum Zweck hat. Überhaupt kann von den modernen Errungenschaften aus der Landschaftsmalerei und dem reinen malerischen Sehen nicht viel für eine neue Monumentalkunst direkt nutzbar gemacht werden. Sie mögen im intimen Staffeleibild alle Nuancen des religiösen Gefühlslebens gestalten helfen. Für die christliche Malerei handelt es sich aber, wenn sie mit andern Künsten zusammen in der Architektur ein Gesamtkunstwerk bilden soll, nicht nur um Gefühle, sondern auch um Verstandesklarheit und Willensstärke. Und hier hätte vom Katholizismus der Beweis geliefert werden können, daß er alle Elemente in sich hat, das christliche Gesamtkunstwerk zu schaffen, wenn die Beuroner einen großen Kirchenraum, wie leider in der Ausstellung zu viel handwerksmäßige vorhanden sind, im ganzen und im einzelnen ausgeführt hätten, statt sich in einer kleinen Koje zu verstecken. Die Beuroner sind in keiner Weise ein unbedingtes Vorbild, aber sie lehren ein gut Teil der fundamentalen Prinzipien christlicher Kunstübung, vielleicht um so besser, als sie dieselben übertreiben und theoretisieren.
Man spürt in der Beuroner Kunst ein ganz anderes Verhältnis des Menschlichen zum Göttlichen. Sie gestalten nicht zuerst das Verhältnis des Menschen zu Gott, sondern das Verhältnis Gottes zu dem Menschen. Es ist liturgischer Gottesdienst, nicht die Verehrung im engen Kämmerlein der Einzelseele. Der Mittelpunkt ist Gottes Majestät, die ersten Gefühle sind Anbetung, Lob, Dank, dann erst mag Anliegen und Bitte kommen. Zuerst die Größe, dann die Stimmung. Dadurch wird der Mensch seiner subjektiven Würde entkleidet, der Naturalismus überwunden. Der Grundzug der ganzen Beuroner Kunst ist die Objektivierang. Sie dienen mit ihrer Kunst nicht einer Idee, sondern ihre Kunst ist selber Idee. Nicht nur weil ein charakteristischer Teil der christlichen Kunst der Gegenwart von ihnen geleistet worden ist, sondern auch weil sich P. Desiderius schon seit manchem Jahrzehnt mit den künstlerischen Problemen beschäftigt, auf die die Moderne jetzt auf den verschiedensten Wegen zu kommen scheint, hätten die Beuroner einen Hauptraum ausstatten müssen, der ein Ehren- und Werberaum gewesen wäre.
In dem Raum der Beuroner Kunstschule wird von P. Desiderius auf einer Tafel mit gezeichneten Schematen der menschlichen Gestalten sein „Kanon“ angekündigt, der demnächst erscheinen soll. Da ist zunächst interessant, daß auch hier wieder als Altersweisheit eines verdienten Künstlers sich Proportionslehren ergeben, die uns an die anderen dahin zielenden Versuche erinnern, die sich etwa an so bedeutende Namen wie Dürer oder Lionardo knüpfen. Bei Betrachtung der Beuroner Kunstschöpfungen sodann tut der klare Formwille wohl gegenüber all den modernen Gefühlsverschwommenheiten. Klar in den Umrissen und flächig in den Bewegungen stehen die Bilder an der Wand. Keine Perspektiven und tonigen Vertiefungen stören die monumentale Statik. Die Beuroner entwerfen wie die Plastik und die kunstgewerblichen Stücke auch die Kirchenbauten, zu deren Wandschmuck ihre Bilder hauptsächlich bestimmt sind. Hier ist wieder die Verbindung von Architektur und Bild, das Streben nach Ganzheit der christlichen Kunst und eine Erfüllung. Indes Bedenken rühren sich bald. Diese hieratische Kunst ist nicht aus einer ganzen Zeit langsam herausgewachsen, sie quillt nicht aus der Zeitseele und nicht aus allgemeinstem religiösem Erlebnis, sondern sie ist in der Studierstube eines Klosters entstanden oder wenigstens in diesem Nährboden entwickelt worden, wo die Ruhe zu groß war, als daß die Bewegtheit einer ganzen ringenden Welt in auch für diese gültige Formen gebracht worden wäre.
Wir glauben, als bestes Wesen unserer Zeit und Kunst den Zug zur Objektivierung zu erkennen. Wir wollen den Naturalismus überwinden und neue typische seelische Formen prägen. Aber die Beuroner gehen in der Objektivierung des Erlebnisses und seiner Ausdrucksformen bis zur fast verstandesmäßigen Abstraktion, in der nur noch ein ganz eigenes feines ästhetisches Empfinden wirksam ist. Alle Formen sind ganz von der Natur abgezogen, die Körperbewegungen darum nicht mehr von Fülle und Kraft des Lebens, die Gesten der Hände nicht mehr seelische Gebärden, sondern starre Symbole; die Farbe ist ohne sinnliche Wirkung nur von dekorativem Reiz. Nichts wird mehr, alles ist abgeschlossen. Das ist nur noch das ora ohne das labora, die Hieratik im Allerheiligsten. Dabei spürt man das theoretische Schema durch. Die Gestalten und Gebärden sehen daher oft mehr erklügelt als bedeutsam aus, die Bewegungen sind oft klein und bei mehrfigurigen Kompositionen wie vielen ihrer Stationen, wo es sich besonders um innerliche Bewegtheit zur Zusammenfassung zahlreicher äußerer Bewegungen handelt, leer und verzettelt. Mit der Abstraktion geht durch die Beuroner Schöpfungen ein feiner Ästhetizismus, der etwas Kunstgewerbliches an sich hat und sich mit den modernsten Wienern berührt. So nimmt sich diese in sich abgeschlossene Kunst selbst die praktische Wirkung nach außen.
Es kann eben nicht die Idee, sondern nur das in sie hinaufgeläuterte Leben künstlerisch dargestellt werden. Auch die christliche Kunst muß in Form und Farbe soviel von Natur und Menschentum an sich behalten, daß sie genügend bewegliche psychologische Anknüpfungspunkte hat, um nicht in sich zu erstarren. Objektivierung bedeutet mehr wesentliche Verinnerlichung als geistige Abstraktion. Die Art dieser Verinnerlichung ist’s, die eine Zeit und ihr religiöses Erlebnis charakterisiert.
Die lineare Bewegtheit der romanischen und gotischen Fresken, die wie eine anmutige Handschrift aussieht, erzählt von einer schlicht geordneten, lyrisch bewegten Gefühlsweise, dies auf einer Architektur, die im romanischen Mauerbau das noch Geschlossene und Verschlossene der Kraft, im gotischen Dom das frische Aufknospen und Blühen in die Höhe als Grundzug empfinden läßt. Renaissancebau und -bild schließen eine ganze Welt räumlich und körperlich zusammen; der religiöse Gehalt balanziert in der Mitte zwischen menschlicher Freiheit und religiöser Abhängigkeit. Im Barock wird ein schon nicht mehr innerlich fester Gehalt in einen kolossalen formalen Schwung gesetzt, um äußerlich mit fortzureißen. Es ist ein Formerleben, das in seiner geistigen Beschaffenheit manches mit dem heutigen Farbenleben gemeinsam hat. Das Nazarenerbild ist die Schauseite einer edlen, aber zeitlich zu haltlosen Gemütslage. Die darauffolgende konfessionelle Kunst sucht durch historischen Realismus und gefühlsmäßige Subjektivierung der Umwelt sich die Wahrheit der religiösen Tatsachen wie ein unmittelbares Innewerden derselben zu sichern. Die Beuroner Kunst stellt die metaphysische Welt mittelst künstlerischer Abstraktion in das irdische Leben hinein, ohne mit dem Werdeprozeß der modernen Menschheit in enger Verbindung zu sein.
Welches ist nun aber die Form des religiösen Erlebens von heute? Und welches ist demnach die Art der formalen Verinnerlichung in der Kunst? Das letztere ist leichter zu beantworten; denn die künstlerischen Formen werden als Neuerscheinungen sichtbar und gestatten einen Blick in die seelische Bestimmtheit, der sie entstammen.
Das Streben nach Fläche und damit nach mehr Architektonik des Bildes ist das deutlichste Merkmal der farbigen Stilrichtung. Ein hervorragender Vorkämpfer dieses Prinzips ist der Franzose Maurice Denis, dessen Bilder keine eigentliche Zeichnung haben, sondern aus einem bestimmten, ganz durchgehaltenen Farbenwert körperhaft und doch flächig hervortreten. Denis ist ein blendender Techniker, so daß man sich eines virtuosenhaften Eindrucks nicht erwehren kann. Auch will sich das religiöse Bedürfnis mit der Freude am Gegenständlichen und der naturhaften Frühlingsheiterkeit nicht recht begnügen. Eine Überraschung bereiten in der Ausstellung die Ölskizzen Adolf Hölzels, die eine Denis nicht unähnliche, malerisch flächige Tendenz haben, aber mit stärkerer Kompositionsabsicht und intimer gefühlten Farben, zwei Eigenschaften die bei größerer Ausführung die innere Freiheit zu beeinträchtigen geeignet sind. Neben diesem Betonen der Fläche geht eine andere Stilrichtung auf lineare Bildgestaltung, der eine merkwürdige seelische Ausdrucksfähigkeit innewohnt, und die sich z. B. bei dem holländischen Konvertiten Jan Toorop zu einer Art ebenso sensitiver als abstrakter Arabesken verschlingt, gleichsam mystische Paraphrasen des Inhalts.
Solche lineare und rhythmische Formen, die sozusagen direkt als seelische Schwingungen zwischen Bild und Schöpfer wie Betrachter hin- und hergehen, sind vielleicht für das Erleben unserer Zeit am wesentlichsten, und scheinen darum auch im Bunde mit der farbigen Flächentendenz die besten Ausdrucksmittel einer neuen christlichen Kunst werden zu können. Unsere Zeit fühlt nicht im Gewordenen, sondern im Werdenden, nicht in der Materie, sondern in ihrer Veränderung, nicht im Zustand, sondern in der Bewegung. Das ist eine Folge des durch die Geschichte und die Naturwissenschaft mehr bedingt gewordenen Weltbetrachtens, aus dem sich die Seele mehr in sich selber zurückzieht und ihre Kräfte neu ausprobend in Bewegung setzt. Es ist das Vorwiegen der Psychologie.
Während jene farbig flächige Tendenz eine mehr ästhetische ist, ist diese rhythmische und kompositionelle eine mehr ethische und seelische. Wir können nicht prophezeien, daß sich aus diesen beiden nun eine neue christliche Kunst entwickelt, aber wir hätten gerne als zwei künstlerische Zeugen für die Möglichkeit zwei nicht eigentlich religiöse Künstler in der Ausstellung gesehen, Marées und Hodler; Marées, der uns den Raum körperhaft erleben läßt und in seinen drei Bildern „St. Hubertus“, „St. Georg“ und „St. Martin“ seine Absichten mit monumentaler Formverinnerlichung auf religiöse Gegenstände übertragen hat, und Hodler, der, wenn auch auf eine nervöse und pedantische Art, den linearen und körperhaften Gefühlsrhythmus kultiviert. Puvis de Chavannes mit seinen „Genovefakartons“ gehört schon hierher, obgleich ihm die Komposition noch mehr aus der Überlegung, wenigstens in den vielfigurigen Bildern, als direkt aus dem schöpferischen Schauen entsteht, während sie in Besnards Kartons schon wieder in momentane schwankende Gefühlsepisoden umschlägt. Sodann fesselt in dieser Art neben Toorop, der einstweilen nicht in die Größe geht, besonders Jan Thorn-Prikker. Seine Linienabstraktion ist ungefähr das Gegenteil der Beuroner. Er umreißt nicht die körperliche Fläche, sondern den inneren Organismus. Man könnte von einem Aufriß, einer anatomischen Zerlegung des Geschehens in „Kain und Abel“, „Evas Geburt“, „Kreuzigung“ sprechen, bei der die innersten Gefühle in Linien bloßgelegt und in Vorgang umgesetzt werden. Seine Apostelkartons sind wie mit einer Lapidarschrift geschrieben. Dies gärende Gestalten hebt sich scharf von sonstigem Linienästhetizismus ab. Auch E. K. Weiß macht mit der Apsismosaik in der Behrenskapelle auf sich aufmerksam, die an Hodler erinnert. Aber Beispiele, in denen die farbige Fläche und der körperhaft lineare Rhythmus schon zu einer gewissen harmonischen und architektonischen Einheit gediehen wären, stehen noch aus.
Wie die christliche Malerei im allgemeinen durch die malerischcn Formsucher, die Inhalt und Ausdruck zu einer elementaren Einheit verschmelzen, ganz ursprüngliche, fast primitiv echte Ausdrucksformen finden kann, das ersieht man in den Sälen der Ausländer, deren Ausstellung sich auf einer gewählten Höhe hält, und darunter am ersten bei den Vorkämpfern der modernen Malerei, den Franzosen. Leider sind die besten, allerdings wenigen Beispiele der Franzosen fast nur in Photographien vertreten. Hierher gehören der verschlossene Cézanne, der fieberig krause van Gogh, ein geborener Holländer, der synthetisch vereinfachende Gauguin, unter dessen Pinsel das Religiöse zu einem Fetisch und Idol wird, und als ihr vielverehrter Vorgänger der Romantiker Delacroix, sodann in noch flächigerer Gestaltng Redon, Manzana-Pissaro, dessen „hl. Jungfrau mit dem Kinde“ einen stilleben- oder teppichartigen Farbenreiz hat, und Sérusier, dessen „Madonna“ in ihrer primitiven Synthese wie ein altes Mosaik wirkt. Eugène Burnand hat dagegen ebensowenig Modernes als gründlich Religiöses. Bei den Holländern, aus denen Toorop auch malerisch ganz herausfällt, und den Belgiern gibt es noch viel illustrative Historienkunst nach Nazarenerart, die bei den Belgiern durch kräftigere Talente vertreten ist. Unter diesen ist eine eigenartige religiöse Natur Jakob Smits, dessen einfache, meist in Halbfiguren bestehende Kompositionsformen von einer schlichten Beseeltheit und oft einer stillen Kümmernis durchdrungen sind. Delaunois benützt farbige Kirchendämmerungen zu schwebenden Stimmungen. Fernand Khnopffs Mysterienvorliebe ist zu romantisch an alte Architekturen und sonstige Details gebunden, um gehaltvoll weiter zu tragen. Sein Meister Moreau und dessen französische Schüler haben mehr Gegenständlichkeit und eine sattere, aber oft bizarre Anschauung.
Wenn man die Quantität der ausgestellten Flächenund Wandmalerei überschaut, kann man sich nicht über Mangel beklagen. Von Ernst Pfannschmidt und anderen sind genug farbige Kartons da, und außer den ausgestellten Konkurrenzentwürfen für die Ausschmückung der projektierten Heiligen-Geist-Kirche in Düsseldorf sind noch viele Entwürfe und Beispiele für Bemalung von Kircheninterieurs zu sehen. Aber da ist meist statt Kraft Grobheit, statt Fläche Oberflächlichkeit. Diese Kirchenmalereien machen oft den Eindruck von schablonierten Tapezierarbeiten und schwanken zwischen historischen Stilreminiszenzen und mißverstandener Modernität hin und her, um sich dem Architekturstil einzuordnen.
Hier müßte sich die Betrachtung neuer Formen der monumentalsten und ersten christlichen Kunst, der Architektur, anschließen, die am objektivsten und für spätere Zeiten charakteristischsten die seelischen Kräfte einer Kulturperiode in sich verkörpert. Aber was hier an Modellen und Ansichten vorhanden ist, bewegt sich noch zum größten Teil in historischen Stilrepetitionen, wobei romanisierende Mauerkolosse den Vorzug zu haben scheinen, da sie sich besonders mit einer ausgiebigen Materialauftürmung und -auftrumpfung zu einer nach außen effektvollen Denkmalsmonumentalität verwenden lassen. Was nützt aber der imposante Denkmalbau, wenn seine Gestalt nicht von innen heraus aus einer treibenden Idee gewachsen ist, wie sich etwa der gotische Dom um den liturgischen Gottesdienst nach vorn und oben wölbt. Im Protestantismus sucht man schon seit geraumer Zeit nach einem ihm eigentümlichen Kirchenstil. So bezeichnend es ist, daß diese konfessionelle Abspaltung bis jetzt noch keinen objektiven Ausdruck ihres rationalistischen Wesens gefunden hat, so bezeichnend es ferner ist, daß hier zuerst und mit Eifer nach neuen Formen gesucht wird, so bezeichnend ist es auch, daß der Protestantismus, so weit er daran ist, eigene kirchliche Architektur zu erstellen, mehr einem Zweck dient, als einer Idee. Das kirchliche Gebäude wird zu einem christlichen Gemeindehaus, in dessen Grundriß die Pfarrerswohnung und ein Gemeindesaal so wichtig sind wie der Raum für den Gottesdienst. Die architektonische Gestaltung einer christlichen, göttlichen Idee verkümmert unter menschlichen Alltäglichkeiten. Für die liturgischen Zentralideen des Katholizismus suchen sich die Beuroner wiederum ihren eigenen Stil; ein äußerliches Hauptmerkmal desselben ist die schräge ägyptische Pylonenform. Es sind Tempel des liturgisch abgeteilten Gebets und der beschaulichen Ruhe. Auch diese Architektur erscheint wie die Malerei als eine zu feine ästhetische Konstruktion, um typisch werden zu können. Abgesehen von der exotischen Färbung ist es auch hier der Kult der abstrakten Linie und Fläche, mit denen sich auch die Moderne vom historischen Stilballast zu befreien hofft. Behrens schafft sich mit ihnen seinen eigenen Stil, indem er sie noch geometrischer konstruiert und gliedert. Wenn damit nur nicht die Last einer Wand und der Druck einer Wölbung so papieren würde. Wieviel lieber trägt doch die Empfindung sich einfühlend die Wucht eines alten romanischen Säulenkämpfers, als sie sich hier auf die rechteckigen Flächen einer dünnen Kartonkunst zerlegen und verteilen läßt! Ein solcher Kämpfer ist ein ursprünglicher Baugedanke, während eine derartige Bau- und Innenraumgeometrie ein abstrahiertes Gebilde ist. Diese ästhetische Abstraktion schafft sicher nicht, aber hilft vielleicht eine Bauform vorbereiten, die nicht aus der Produktivität einer kraftvollen Zeit starkformig entstehen will. Auf dem Wege der ästhetischen Überlegung soll uns, die wir uns aus allen möglichen Stilen herausschälen müssen, zuteil werden, was unbelasteten Geschlechtern im Formdrange über die Köpfe wuchs. Wenn man sich dann aber angesichts eines Kölner Doms geradezu fürchtet, sich in die ganze schöpferische Unbekümmertheit eines Zeitalters einzuleben, das gar keine Sorge kannte, irgend an eine Grenze zu stoßen, dann kann man verzweifeln, daß uns je wieder eine große christliche Architektur zuteil werden wird, deren Basis eine mit Ingenieurberechnungen und ästhetischen Konstruktionen zusammengestellte mathematische Form sein soll.
Auch das Kunstgewerbe glaubt sich von der Tradition entlasten und zu zeitgemäßer Echtheit reinigen zu können durch Streben nach ästhetischer Gesetzmäßigkeit. Das trifft besonders auf die monumentale Glasmalerei zu, die nebenher zum größten Teil noch von Altertümelei gespeist wird und gelegentlich patriotischem Kirchentum zur Parade dient. Ganz architektonisch flächig sind die Glasfenster von Koloman Moser in der auch im übrigen von der Wiener Werkstätte nach modernsten Prinzipien erstellten Kirche am Steinhof bei Wien, auf denen die Heiligengestalten ganz linear stilisiert unter starker Betonung der Verglasungsarbeit nebeneinander gestellt sind. In der reinen Dekorationsform will nur leider gar kein seelischer Zug mehr mitschwingen; mit der ganz abstrakten Zerlegung des Körperlichen verschwindet auch ein individueller geistiger Kern. Dem gegenüber haben die Glasfenster und ähnliche Schöpfungen der Engländer wie Walter Crane, Henry Wilson und Holiday viel mehr persönlichen Gefühlsgehalt, in dem oft noch etwas von der schmerzlich weichen Gestimmtheit eines Burne-Jones und der Präraffaeliten nachzittert. Neue Formen von kirchlichen Gebrauchsgeräten, dem Teil kirchlicher Kunst, der mit der weltlichen formal eins scheint, finden sich schließlich noch beim „Werkbund“.
Die Plastik braucht nicht viel weniger als die Architektur ein allgemeines Fundament ähnlichen Weltund Gotterlebens, und ist darum in der christlichen Kunst ebenso ins Hintertreffen geraten wie außerhalb. Ja noch mehr; denn in der weltlichen Kunst ist die formale Stilisierung des Aktes auch ohne eigentliches inneres Gestalten doch schon gewisser Wirkungen sicher.
Wohltut das einfache, wenig aber mit einem sicheren plastischen Instinkt zurecht gemachte und mit einem warmen Gefühl umgebene Dasein in den Plastiken Hudlers „Ecce Homo“ und der „Mann der Schmerzen“. Nur wenige realistisch eindringlichere Arbeiten, worunter ein formkräftiger Christustorso von Splieth, fallen im übrigen aus dem Konventionellen oder pathetisch Wichtigtuenden heraus. Von den Ausländern eignet dem Belgier Georges Minne eine gotisch anmutende Innenerfassung, die durch die Form dringt; sein wichtigstes Werk ist „la Pleureuse“, die Büste einer trauernden Frau. Constantin Meunier ist der Plastiker, in dessen Gestalten jene innere Bewegtheit sich findet, welche wir als ein Wesensmerkmal der modernen Zeit ansprechen. Bei ihm ist auch die zur christlichen Kunst nötige seelische Verhaltenheit, die etwa in Rodins, des ersten modernen Plastikers, momentanen Körperwindungen ausgeschaltet ist. Die Grabmalplastiken der Beuroner schließlich sind von architektonischer Ruhe, aber ohne das menschlich schmerzliche Mitgefühl, das sie großmachen müßte. Im übrigen bietet gerade die Grabmalplastik in der Friedhofanlage von Wilhelm Kreis ein erfreuliches Bild.
Die beiden Gebiete, die in der modernen Kunst überwiegen, die Malerei und das Kunstgewerbe, geben auch der christlichen Kunst der Gegenwart ein bestimmtes Gepräge. Leider will bei beiden das Gute nicht durch die große Menge des Mittelmäßigen und Schlechten durchdringen. Bei den Bildern behauptet Schablonenkunst und äußerlicher Schwung in groben Farben ein allzu breites Feld, beim Kunstgewerbe zeigt sich das für unsere Tage auch sonst charakteristische Glänzen mit Materialprunk.
Die christliche Kunst der Gegenwart hat noch kein Gesicht und keine ganze frische Seele; aber je mehr die Kunst sich allgemein zur Höhe wendet, muß die christliche Kunst um den alten Geist neue Formen legen, um auferstehen und an die Spitze treten zu können. Dazu muß sie die alte Weltanschauung in den neuen Formen erlebt haben. Endlich einmal muß sie sich vom literarischen Ballast befreien, aber auch dem abstrakten Ästhetizismus muß sie Seele einhauchen. Es soll wieder ein objektives Weltbild und eine objektive Kunst werden.
Anmerkungen
[1] Zur Klärung der hier noch mangelnden Unterscheidung der künstlerischen von der dichterischen Romantik vgl .Christoph Flaskamp, „Die deutsche Romantik. Ein Vortrag aus dem Jahre 1912.“ Warendorf. — Es waltete hier der seelische Unterschied von Bild und Wort in dem Sinne, daß das rückblickende Bild nicht die Kraft des vorwärtsdrängenden Wortes gewinnen konnte, in dem das stärkere geschichtliche Gefühl durch den Anteil der dichterischen Romantik an der Berufung des Deutschtums erwachte. Flaskamp tritt für den christlichen Geschichtsorganismus des Wortes in dem vollen Umfange ein, den die dichterische Romantik vorbilden konnte, der uns heute aber nur erst wieder einzelhaft zugänglich ist, gleichsam nur als Kern einer Frucht, deren Fleisch wir noch nicht wieder sind und besitzen, indes der Kern, der verschlossene Schwerpunkt unserer Ebenbildlichkeit mit uns tiefer in die Zeit gesenkt ist. Im letzten natur- und seelenhaften Mittelpunkt der Bild- und Wortfrage wartet das bildhafte Geheimnis und Zeugnis von der Unmöglichkeit einer rein lösbaren Geschichtsform.