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Konrad Weiß: Zum geschichtlichen Gethsemane

Zum Schicksal in der christlichen Kunst

Josef Eberz

Was wir seit Jahren gegen allgemeine Ungläubigkeit vertreten haben, daß aus der modernsten Richtung der Kunst eine neue religiöse Kunst erwachsen werde, daß unsere Zeit, die doch scheinbar allen menschlichgeistigen Zusammenhalt bis zu einer bloß natürlichen Vegetation verlor, in sich die Keime und Formen für eine neue Lebensansicht, für die Verdeutlichung eines neuen übernatürlichen Zusammenhangs vorbereite, das ist nicht Lügen gestraft worden. Die Zeit ist gekommen, und das Neue knüpft wieder an das Alte an. Das stärkste Element der heutigen, aus unserer Generation erstandenen Kunst ist das religiöse, und zwar nicht mehr in seiner vermittelnden gefühlsmäßigen, sondern in der weltanschaulichen strengen Form. Nicht die naturschwache Stimmungsbereitschaft, die Kennzeichen der vergehenden religiösen Kunst war, der radikale künstlerische Fortschrittswille geht über in konservative Bestandskräfte. So berühren sich die Enden des geistigen Lebens, wird die natürliche Ordnung durch eine geschichtliche abgelöst, und die Wahrheit findet durch die gegenwärtige Menschheit Wege zurück zu ihrem Ursprung.[1]

Josef Eberz ist einer der Künstler, die bewußt die gegenwärtigen Kunstformen in die höhere religiöse Anschauung einfügen. Er tut das einesteils gefühlswählerischer in den Motiven, andernteils verstandesmäßiger in der Formung der Bildansichten als der Künstler, an dessen Werken wir schon früher wiederholt das tiefe Wesen des heutigen Kunstwillens gezeigt haben, Karl Caspar, dem sich Stoff und Form des Bildes unmittelbar aus Drang und Willen der Zeit im Glauben an die Unverlierbarkeit der Seele und den Sinn der geschichtlichen Berufenheit zusammenfügen und dem der Passionsgedanke so stark zum Träger des Zeitempfindens wurde. Zunächst halten wir ein Vorwiegen theoretischer Kompositionsgedanken noch nicht für einen Fehler, besonders wenn diese durch eine lebhafte seelische Bereitschaft zu einer anderen Erfahrungswelt dienstbar gemacht werden, die der verstandesmäßigen entgegenwirkt und die Eberz durch Bildgedanken wie „Opfer“, „Gnade“, ja auch „Verrat“ und „Christus über eine Stadt klagend“ ausdrückt, christliche und menschliche Begriffe, die aus der älteren Kunst, wo sie ganz mit der wirklichen Wahrheit verbunden waren, gelöst, in einer Art geistiger Voraussetzungslosigkeit, einem geistigen art pour art zur Darstellung kommen sollen, Begriffe, aus denen der Künstler die Geschehnisse nun mehr künstlich konstruiert, mit Hilfe von allgemein deutenden Gestalten mehr erinnerungsmäßig und aus eigenen Empfindungen, statt bestimmt nachschaffend zu Vorgängen verdichtet. Erst wenn der Künstler diese Vorgänge aus der noch schattenhaften persönlichen Gefühlsmäßigkeit trennen und sich in wirklicherer, mehr biblisch geordneter Vorstellungsweise, in innerlicherer Geschichtlichkeit vollziehen lassen kann, beginnt seine Kunst wahrhaftig und seelisch verantwortlich und vorbildlich zu werden. Das ist ja die wunderbare Tatsache und seelische Selbstversicherung der überpersönlichen und geschichtlichen Wahrheit, die gerade die modernste Kunst bringt, daß das künstlerische Erlebnis nicht bis zu seinem letzten Ende aus dem eigenen seelischen Kern geschöpft werden kann und darf, daß vielmehr der Zeitpunkt kommt, wo der Künstler durch dienendes Verhalten zu den größten menschheitlichen Wahrheiten seine Kunst erst vollends wahr und verbindlich macht und den Ausdruck der Zeit im Plane der Geschichte vollendet. Das ist eine religiöse Idee, aber sie ist gerade als vollster Gegensatz in der scheinbar nur künstlerischen Absicht der Gegenwart begründet. Eberz ist noch auf dem Punkt, wo sich Verstand und Gefühl, ersterer gestützt von den zur geistigen Abstraktion neigenden modernen Bildmitteln, letzteres gespeist von seelischen Bedürfnissen und menschheitlichen Heilstatsachen, zu dem Willen vereinigen müssen, die Wahrheit wirklicher, irdischer zu sehen, weniger künstlich. Das Ziel der Kunst ist ja die Wirklichkeit als Fundament der Anschauung wie im Glauben.

Für den ungewohnten Blick ist ein Bild wie „Christus über eine Stadt klagend“, das zu den einfacheren Kompositionen von Eberz gehört, verwirrend. Und doch ist es, wie überhaupt seine bisherigen Werke, noch zu sehr erklärbar, zu sehr von einer Richtung bestimmt, noch nicht in das unlösbare Geheimnis eingesenkt, wo die einzelne Künstlerseele die Aufgabe einer Zeit vorausbildet und die Kraft eines Volkes vermehrt. So ist auf unserem Bilde das Gegenständliche selber, Christus auf einer Art Segment einer Erhöhung kniend, in sich gebeugt, mit klagend erhobener Hand, kaum stärker zur Anschauung gebracht, als es das Schema des Ausdrucks verlangt. Das Schema, dieses Wort für Stilwille, das sich uns vielfach vor modernsten Bildern aufdrängt, ist noch nicht durch seelischen Reichtum, durch das Gefühl für den wirklichen Ausdruck überwunden. Die übrigen Bildteile, Stadt in hügeliger Landschaft mit einfachsten Bauformen, Kirchtürmen und rauchenden Fabrikkaminen, begleiten, verteilen, wölben, beschweren, verklammern das Schema, das sie trägt, um so schon in der Form die Last der Klage zu begründen. Dieser zunächst noch formalen Absicht ist die Wirklichkeit untergeordnet, das Gegenständliche kommt nicht zu seiner eigenen Richtigkeit und Bedeutung, sondern erhält einen allgemeinen symbolischen Charakter.

Die Werke unserer neuen Kunst sind überhaupt vielfach noch zu theoretisch faßbar, wenn auch meist außerhalb der engen Kreise die Sprache fehlt, die mit den künstlerischen Begriffen auch zugleich einen geistigen, menschlich bedeutsamen Sinn verbindet. Verstehen wir aber einmal die einfachsten Worte, die wir aus der Kompositionsweise finden, zugleich im Sinne ihrer geistigen Richtung und Fügung! Bilder der vorliegenden Art zeigen gerade ohne Farbe in der einfachen gedruckten Wiedergabe ihr Kompositionsgerüst besonders deutlich, so daß sie dem Verstand und der Kritik entgegenkommen, wobei allerdings dem Künstler, der, aus der Stuttgarter Hölzelschule stammend, den farbigen Klang als etwas Eigenes schätzt und darin auch Schönes gibt, Abbruch geschieht. Gegenstände und Stoffe der Natur sind nur Bildmittel, Symbole — wenn dieses Wort schon für die absichtliche Form gebraucht werden dürfte, wie es allerdings meist leichthin gebraucht wird, statt erst für die erfüllte —; sie sind Abkürzungen, Abbreviaturen, die an die einfache Sprache alter Kunst, etwa an romanische Malereien erinnern. (Wir vergleichen nur den äußeren Anblick, denn der Kern ist grundverschieden.) Die Neigung zur Fläche und in dieser Möglichkeit zur monumentalen Kunst, die eben durch Abkürzung, Übersetzung der natürlichen Gegenständlichkeit erreicht wird, ist ein Kennzeichen der letzten Kunstentwicklung. Wir setzen statt Fläche Anschauung und erkennen die Absicht einer bildhaften Objektivierung, einer Erhebung des Bildes zu einer unstofflichen, geistigen, überpersönlichen Gültigkeit aus der perspektivischen Scheinwelt heraus, die, in der Kunstästhetik als der hauptsächlichste Fortschritt der Malerei aus den primitiven mittelalterlichen Werken betrachtet, von der modernsten Kunst auf alle Art überwunden werden will. Das ist das Streben nach hieratischer Wirkung, das, unterstützt durch eine fast geometrische, auf einfache Gesetze gebrachte Umstilisierung der Dinglichkeit, den neuen Bildern einen fast hieroglyphischen Zug gibt. Dieser bei Eberz stärkeren, geistigen, verstandesmäßigeren Seite entgegen wirkt ein Trieb der Selbstauflösung und ein Wille zum Ausdruck bloßer, innerster Naturlebendigkeit, der die gewohnte Welt mit einem fast fetischartigen Charakter verunstaltet, zu einem neuen Element umgestaltet, um auch hier das Ziel zu bezeichnen, nicht die gestaltlose Form, die keine eigene Bedeutung haben soll. Man erkennt die beiden Kräfte, von denen die Naturkraft die künstlerisch stärkere ist, die beide aber auseinanderführen, so sehr sie wechselweise sich in der Aufhebung des Stofflichen, des in der früheren Kunst Bildmäßigen fördern.

In diesen Zwiespalt tritt das religiöse Bedürfnis und gebietet der Vernichtung der natürlichen Welt und der Entselbstung der Seele Halt. Nun kommt die Zeit der Bewährung, ob die künstlerischen Kräfte wieder neu binden können, was sie aufgelöst haben, ob der wirkende Mensch die innersten Kräfte der Welt und des Geistes erfühlt hat und als Werte in die Zeit geben kann, ob er vorbildlich schaffen kann. Es muß sich aus seinem Charakter der Fortgang der Geschichte — das ist die neue Verflechtung der geistigen Kräfte in der persönlichen Verantwortung — bilden. Diese Auffassung des Künstlerischen, die in den letzten weder geistig radikalen noch konservativen, nur liberalen Generationen mit bloßer Natur- oder Gesellschaftskunst noch nicht möglich war, hängt aufs engste mit der modernen Kunst- und Denkweise zusammen. Ja die Frage kehrt sich um, und das Schicksal der modernen Kunst wird davon abhängig werden, oh sie das religiöse Geheimnis, das sie angefaßt hat, nun auch getreulich zu Ende tragen, bewahren, lösen will. Aus dem bloßen Gegensatz von natürlicher und geistiger Bindung und Lösung entsteht im Fortgang das geschichtliche Drama und wie bei Caspar als dessen Kern der wirkliche Passionsgedanke.

Ich weiß wohl, daß Kunst selten in dieser ganz weltverbundenen Weise aufgefaßt zu werden pflegt. Aber nur so wird man einem ernsten Künstler gerecht, auch schon in seinem Wollen. Und so versteht man auch Bildmotive wie „Gnade“, „Opfer“, „Der Ersehnte“, „Tal der Klage“ und auch „Christus über eine Stadt klagend“, eben als das eigene Verlangen, die eigene Gefährdung, die eigene Hingabe, die eigene Klage, das eigene Schicksal, bis man sich in der Welt befestigt und den Geist gerettet weiß.

Nehmen wir wieder die Bildform als geistigen Begriff und Sinndeuter. Man fühlt die kurze und harte Verspannung unseres Bildes, die Enge und Verklemmung der Welt, den schnittigen Charakter des Gefühls, das sich klagend erhebt; man sieht die Dinge im Gefühl vertieft, doch alles in die Fläche und bildliche Ansicht hergebracht. Die Starre will sich noch nicht lösen, das Gesetzmäßige ist in der Gefahr, kleinlich und unfruchtbar zu werden. Die absichtsvolle Gebärde bleibt noch zu karger Kern des Bildes, hat noch nicht die geistige Gewalt, die die Welt opfernd befreien kann, wie auch der Sinn des Künstlers, im Bilde noch zu ohnmächtig umgeben, nicht herrscht, sondern erst fühlt. Je härter sich der moderne Künstler die Bildform denkt, desto stärker muß er selber, den Stoff innerlich beherrschend, natürlicher erfassend, sich mit ihm entäußern. Die Unstofflichkeit alter Bilder, entstanden aus einem vorpersönlichen Menschengefühl, einem christlichen Gleichheitsgefühl muß er noch mehr teilnehmend und doch noch mehr entsagend nach-, gleich-, neubilden. Diese Kraft der Entsagung, die dem religiösen Bild Recht und künstlerische wie menschliche Verbindlichkeit gibt, entsteht durch eine künstlerische Arbeit, die den Gegenstand benützt, um den eigenseelischen Ausdruckswillen in einer größeren Ausdruckswahrheit zu verlieren, zu erfüllen. Eberz ist mit dem größten Teil der modernen Kunst noch auf dem Übergang, wo die Vertiefung dem Willen mehr Kraft und Freiheit bringen muß, wo dann auch das Werk von Welt und Erfahrung gesättigter, stärker und dauernder zu Welt und Erfahrung sprechen wird, wo letzten Endes auch der Künstler erst seiner selbst mächtig wird.

Was ist nun der Sinn und Gewinn solchen Strebens für die religiöse Kunst? Man ist bei uns durchaus gewöhnt — und niemand sorgt für anders gerichtete Aufklärung — zu glauben und zu verlangen, daß ein religiöses Bild eine religiöse Tatsache vollkommen darstelle. Man bedenkt nicht, daß kein Mensch die religiöse Wahrheit anders als aus sich darstellen kann, mit der Kraft, die ihm sein Charakter und die Zeit gibt. Und man verwechselt dann die gewohnte religiöse Inhaltlichkeit mit der künstlerischen Aufgabe und Leistung. Was der einfache, schlichte Glaube besitzt, besitzt der künstlerische noch nicht. In dem Maße, wie das Werk aus den zeitlichen Kräften entsteht, muß es sich erst mit religiösen messen und erfüllen. Das ist ein persönliches und zeitliches Schicksal. So richtet das Werk, jedes auch unvollkommene Werk den Künstler und seine Zeit. In der Kraft, sich durch die Zeitsubstanz zu überwinden und in diesem Kampf die höhere Wahrheit schauen zu lassen, steckt der erste und tiefste religiöse Kern jedes Werkes. Das fortgeschrittene Werk aber, das die Vollendung ahnen läßt, das die Starre verliert, kommt in den Genuß der Freiheit und Sicherheit. Dann geht die Klage aus der absichtlichen Empfindung und Gegenüberstellung, die der Künstler aus der Verspannung unserer Zeit und Kunst erfühlt hat, über in die Anteilnahme am Schicksal der Welt. Mittragend mit dem Träger des Weltplanes löst sich der Gestalter und Betrachter doch ab und erkennt die geschichtliche Fülle des Heilswerkes, die in der letzten christlichen Kunst nicht gefunden wurde, weil diese das Maß der Entfernung von der göttlichen Gestalt und ihrer Menschensohnschaft nicht finden konnte.

 

Anmerkungen

[1] Dieser Versuch wurde aufgenommen, weil er das allgemeine Schicksal des Künstlers, das ein besonderes des christlichen Künstlers ist, aus dem gegenwärtigen Formenstreit heraus zu erfassen sucht, weil er in die Frage ausgeht, ob und wie der künstlerische Wille durch die Berührung mit der religiösen Welt zur Bewährung zuerst in der naturhaften Welt getrieben wird, damit aus dem bloßen Eigenpathos (geschweige der üblichen Genügsamkeit am schön gestellten Bild) wirkliche Wahrheit und Welterfahrung werde. Selbst die einfache Pflanze wird nicht zu einem ihr eigenen Bilde geschaffen ohne die vollste Weite des Glaubens in der Zeit. Das ist das Geheimnis der natürlichen Schönheit der mittelalterlichen Bildkunst, und das ist das Geheimnis der „unpersönlichen“ Künstlerkraft, die sich finden muß, indem sie sich und ihren bloß eigenen Ausdruck verliert.