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Konrad Weiß: Zum geschichtlichen Gethsemane

Zur neuen katholischen Kulturbewegung

Karl Caspar

An dieser Stelle[1] wurde im Sommer 1909 zum ersten Male auf einen Künstler hingewiesen, der in seiner schwäbischen Heimat eben die ersten Werke einer verjüngten christlichen Kunst und kirchlichen Monumentalmalerei vollendet hatte. Die Verhältnisse, vor allem die ungläubige Haltung der älteren Kunstförderer haben es mit sich gebracht, daß diesen Werken kein Fortgang folgte im engeren christlichen Kunstkreise. Es war gut so; denn der Fortgang der Kunst Karl Caspars erfolgte nun im engsten Anschluß an die modernste Entwicklung der Malerei, und damit kam auch der christliche Gedanke zu derjenigen Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen künstlerischen Denken, die notwendig ist, um die unsterbliche christliche Ausdruckskraft nicht paganisieren oder in ein enges Sondergebiet verstecken zu lassen. Bei der in diesem vergangenen Kriegssommer (1917) stattgehabten repräsentativen deutschen Kunstschau in der Schweiz war Caspar als erster und einziger aus der jungen Münchener Kunstgeneration vertreten, und damit waren seine neuen christlichen Kunstwerke geistig und geschichtlich unmittelbar an die Künstlergestalt aus der älteren Generation herangerückt, die für die allgemeine religiöse Haltung der vergangenen naturalistischen Zeit zum christlichen Stoffkreise am charakteristischsten ist, an Fritz von Uhde. Es ist der Weg weniger Jahrzehnte, der zwischen Uhde und Caspar liegt, aber er bedeutet geistig und künstlerisch eine vollkommene Umwälzung, er bedeutet gegenüber der religiös-sozialen Naturstimmung das Heraustreten konservativster Wesenheit aus der stärksten Fortschrittlichkeit, er bedeutet für die kulturelle Bewegung den schärfsten Bruch mit flauen gefühlsmäßigen Vermittelungen, die Bewegung nur hindern, und er bedeutet für die deutsche Geistesart, die heute künstlerisch vielfach verwischt ist, über Uhde hinaus einen Aufbau von der einfachen persönlichen Ehrlichkeit zu einer bestimmten und bewußten geistigen Form.

Man wagt so vielfach nicht, künstlerischen Formen eine geistige Tragkraft in dieser hier betonten Weise zuzuschreiben. Aber was wäre dann Wahres an den Krieg- und Kunstschriften, was Wahres insbesondere in der Auseinandersetzung zwischen dem deutschen und französischen Katholizismus im Hinblick auf die kultürlichen Güter, wenn wir nicht auch im gegenwärtigen Deutschland die Werke suchen, die unserem kultürlichen Willen nicht bloß ethische Gestimmtheiten, sondern ein wirkliches Fundament geben. Der lebendigste Gedanke in Caspars Kunst ist die Passion. Insbesondere seine Ölbergbilder wiederholen sich immer wieder mit neuem stärkerem Ausdruck. Je weniger man mit dem eigentlichen Kunstleben vertraut ist, desto leichter redet man in einem allgemeinen Sinne von Symbol. Die ganze mittelalterliche Kunst hatte kein Symbol, das erst zu schaffen wäre, sondern nur ein solches, das gewesen war; es war die christliche Heilsgeschichte, die man in stärkster Zeitlichkeit stets fortlebte, selbst in den eigenen Gewändern. Caspars Ölbergbilder sind das Symbol unserer Zeit in der härtesten Wirklichkeit, die den Kelch annimmt, der nicht vorübergeht.

Ich sprach unlängst mit einem Katholiken, der mit der modernistischen Bewegung in enger Verbindung stand. Er äußerte sich, daß ihm diese neue christliche und katholische Kunst zu aktivistisch vorkomme, das Moment des Empfanges der Gnade, des Sakraments scheine ihm zu fehlen. Die modernistische Bewegung pflegte auch aus diesem Grunde eine Vorliebe zu der klassizistischen Abstraktion der Frührenaissance, mit der sich ein gleiches Empfinden zur deutschen gotischen Mittelalterlichkeit nicht vereinigen ließ. Man glaubt, daß mit der Außerkraftsetzung der geschichtlichen und zeitlichen Wirklichkeit die reine künstlerische Form wie auch die geistige Gnade zunehmen. Damit wäre Sinn und Bedeutung der ganzen mittelalterlich christlichen deutschen Kunst bis zu Dürer, die nie in diesem Sinne wirksam war, ausgeschaltet. Damit scheidet man sich aber auch aus dem wesentlichen Kern der heutigen Kunstentwicklung, die in Caspar gerade zu einer neuen Blüte der christlichen Kunst treibt, während in jenem anderen gegengeschichtlichen Sinne außer der Beuroner Kunst tatsächlich keine im Kerne selbständige entstand und entsteht, die Beuroner Kunst selber aber, die in Absicht nichts weniger als modernistisch ist, eine mehr gedachte und klösterliche Blüte in der Hand des verehrungswürdigen Patriarchen P. Desiderius bleibt.

Die Antwort auf den schönen Einwand brauchte aber nicht auf diesem Umwege gegeben zu werden. Wer an Sinn und Zeitdeutung starker künstlerischer Leistungen glaubt — und wie käme sonst die eigentliche Kulturbedeutung und geschichtliche Zeugschaft der Kunst zustande —, für den ist die Tatsache, daß Caspar in der letztjährigen Sommerausstellung der neuen Sezession (1916) neben seinem außerordentlich stark wirkenden Ölbergbild ein ebenso starkes und inniges Abendmahlbild, Christus und Johannes, ausgestellt hatte, Beweis genug, welch anderes Element dem aktivistischen entgegen und wie beide zusammenwirken. Auch hier suchen wir das Symbol in der Wirklichkeit und sehen in dem Entstehen solcher Werke in unserer Zeit, aus denen eine spätere Menschheit unsere eigene Herztätigkeit erkennen will, keinen Zufall.

In der heurigen Sommerausstellung der Münchener neuen Sezession (1917) hatte Caspar ein großes achtteiliges Passionswerk mit einer Pietà als Mittelbild in Form eines gotischen Flügelaltars ausgestellt. Dieses Werk ist nun mit einer Anzahl weiterer Hauptwerke, darunter besonders eine Geißelung, ein Ölberg in zwei Fassungen, Jakob ringt mit dem Engel (auch ein solches immer wiederholtes Symbol des Ringens der neuen Kraft mit der alten Wahrheit), Verrat, Elias und der Engel, Johannes auf Patmos, Der brennende Dornbusch, Die drei Marien, Heimsuchung, Die Kundschafter, dazu eine Anzahl Bildnisse und eine Reihe italienischer Motive, in denen die Auseinandersetzung mit der klassizistischen Kunst in der Art eines Marées für diese neue deutsche und christliche Kunst deutlich wird, gegenwärtig zu einer Sonderausstellung in der Galerie Thannhauser in München vereinigt. Die fortschrittliche Presse, die die Entwicklung des künstlerischen Fortschrittes begünstigt hat, scheut sich nicht, nun auch die innere Überzeugungstreue anzuerkennen und rückhaltlos zuzugestehen, daß es sich in der neuesten Kunstrichtung bei Gestalten wie Caspar keineswegs um art pour art gehandelt hat.

Schon letztes Jahr wurde anläßlich einer Sonderausstellung Caspars bei der Kestnergesellschaft in Hannover in einer dortigen Zeitung besonders auf die geistige Bedeutung dieser Kunst hingewiesen und sie als zu einer Bewegung gehörig erklärt, die mit den Namen Claudel, Blei, Scheler bezeichnet wurde. Wir fühlen, daß damit noch keine innere Einheit und gleichwirkende Kraft bezeichnet ist. Neben einem literarischen und einem philosophischen Kulturpolitiker ist nur Claudel, der neben Jammes bei uns besonders bekannte jungfranzösische Dichter, eine künstlerische Kraft, die mit der deutschen unmittelbar zu vergleichen wäre. Die beiden französischen Dichter, insbesondere Claudel mit seiner feinen Nachempfindung mittelalterlicher Mystik, sind aber zu wenig Kämpfer, suchen das Symbol ihres Glaubens zu sehr nur im natürlich, kindlich entsagenden, sich in dieser Art verdemütigenden (Jammes) oder legendarisch geschichtlichen (Claudel) Sinne zu verwirklichen, sie vergessen die Härte der Bewährung im ganzen Umfang der Zeitlichkeit, indem sie sich in die schöne, etwas traurige Empfindung der Natur und Vergangenheit versenken. Sie geraten in einen künstlerischen Pietismus, der die neue, darum auch etwas artistisch gebliebene Bewegung in Frankreich teilweise kennzeichnet, wie anderseits in Deutschland bei Blei und auch bei Scheler es sich in manchem Betracht von einem sozialen Pietismus sprechen ließe, der auch sonst in Deutschland kultürlich vor allem ethisch wirken will, der aber leicht hindert oder doch nicht danach trachtet, daß das Geschichtliche fortschrittlicher und künstlerisch fruchtbarer in der ganzen Wahrheit und Pracht seiner Möglichkeiten zur Geltung und Auswirkung kommt. Scheler hat diese Enge zweifellos vielfach aufs stärkste überschritten, ohne jedoch auf die Nebenregierung eines allgemein geistigen Solidaritätsbegriffs über die christlich-geschichtliche Form ganz verzichten zu wollen. Jedoch das Wirken eines Kulturpolitikers hat mehr apologetische, nicht aus Kern und Form der Gegenwart fortschreitende und entfaltende Bedeutung, um so mehr, je ferner einer dem Künstlerischen steht. Die eigentlichen, nicht nur kulturbezeugenden, sondern kulturbildenden Kräfte sind die künstlerischen, besonders wenn sie im Religiösen ihren höchsten Ausdruck suchen. Hier wird der Glaube in jedem Augenblick Tat, nicht bloß Bekenntnis einer Meinung oder Wahrheit, sondern Zusammenfassung der stärksten seelischen Ausdruckskräfte einer Zeit zu diesem Bekenntnis.

Wir Deutschen mit unserer Glaubensspaltung sind sehr schwer dazu zu bringen, das Bekenntnis unseres Glaubens auch künstlerisch vollendet sehen zu wollen; wir neigen dazu, im Künstlerischen die stoffliche Wiedergabe des christlich Tatsächlichen oder eine allgemeine religiöse Stimmung vorzuziehen und möchten die Kunst gerne als ein neutrales Gebiet betrachten, das sie nur durch den Abfall vom religiösen Willen bis zu einem gewissen Grade geworden ist. Hier ist notwendig, daß wir mehr Glauben und mehr Mut haben und uns auf die Stärke unserer Weltanschauung verlassen. Es ist kein Zufall, daß diese moderne, bewußt religiöse Kunst, die unter unseren Augen entstanden ist, in ganz neuer Weise ein Angesicht und Aussehen erhält wie die mittelalterliche. In den Werken christlicher Kunst, wie sie Caspar im engsten Anschluß an die neue Kunstrichtung schafft, bahnt sich, so glauben wir, stärker als in den literarischen Werken der jungen Franzosen, die indes einer schon älteren Generation angehören, eine siegende weltanschauliche Kraft an, die vom Künstlerischen ins Kultürliche übergreift und den einheitlichen alten deutschen Geist wieder aufnimmt, von dem wir uns in der Spaltung abgetrennt haben.

Von mancher konservativeren Seite ist mit dem Kriege eine deutschere Kunst verlangt worden. Das neue Deutschland hat aber bis heute nicht die Formen für einen geistigeren, weltanschaulichen Ausdruck hervorgebracht. Wir müssen bis zu den Nazarenern zurückgehen; aber gerade ihre Formgebung erscheint wie eine bloße Planzeichnung zur Verschmelzung deutschen und italienischen Kunstgeistes, die durch keine Tradition verlebendigt wird. In Caspar sammelt sich die Tradition der neuen deutschen Malerei; sie erweiterte sich in der Entwicklung des letzten Jahrzehnts durch Umschaffung der naturgelösteren Formschöpfungen hauptsächlich der Franzosen, die man äußerlich mit Impressionismus und Expressionismus bezeichnet; und nun wird immer stärker der deutsche Charakter deutlich, der den Betrachter über die Jahrhunderte zurückdenken läßt. Es ist an uns, den Anschluß zu beschleunigen.

Der Glaube an die Sendung der Kunst, der hier ausgesprochen wird, erscheint sehr groß. Er war noch nicht so groß und mehr erst Wille, als überzeugte Sicherheit, als im Jahre 1909 die ersten großen Werke in Frage standen. Wenn er in diesen Jahren nicht gewachsen wäre, so wäre er der kleingläubige geblieben, der die Wellen der Kulturbewegung des letzten und des neuen Jahrhunderts fürchtet, statt liebt. Sie tragen das Böse und das Gute.

 

Anmerkungen

[1] In der Köln. Volkszeitung