Das Herz des Wortes
Die Flucht nach Ägypten

 

Angezündet schwamm die bange
Sonne überm Land
um das Auge brach der Zange
dunkler heißer Rand,
Joseph hob die müde Hand:
»Wie ein Meer«, doch sterbend leise
sang Maria diese Weise:
Kummerlos steht die im Hoffen
unerschrockne Rose offen.

 

Mit dem Zügel dieser Stimme,
die so innig sprach,
reiner nur im heißen Grimme
nun und nimmer brach,
seinem fernen Ziele nach
zog er fort, im Ohr die Speise,
die Maria sang, die Weise:
Kummerlos steht die im Hoffen
unerschrockne Rose offen.

 

Doch nun schien dem stummen Manne,
daß ihn Gott verließ,
unverwandt vor dem Gespanne
sprach er nur noch dies,
während ihn das Eslein stieß:
»Ach es geht des Kindes Reise
durch mein Mark«, doch sie sang leise:
Kummerlos steht die im Hoffen
unerschrockne Rose offen.

 

Tiefer bog ihn der Gedanke,
zitterte das Knie,
einen Schritt, daß er nicht wanke,
tat er fragend: »Sieh,
ob das Kind noch immer die
Augen hält wie Weltenkreise
offen.« Und Maria leise:
Kummerlos steht die im Hoffen
unerschrockne Rose offen.

 

Seiner Kräfte ohne Ende
vor dem Kind gering,
als ob sich sein Innres wende,
daß er ganz verging,
bitter: »Fraue nicht mehr sing«
schwieg er doch dies Wort, dies heiße,
unzerbrechlich klang die Weise:
Kummerlos steht die im Hoffen
unerschrockne Rose offen.

 

Wie gebunden Arm und Kehle,
Kelch der Hände auch
rückwärts krampfend ihre Höhle,
da ein feuchter Hauch
schmiegte seines Maules Strauch
drein das Eslein drängend leise,
kindlich klang die eine Weise:
Kummerlos steht die im Hoffen
unerschrockne Rose offen.

 

Seiner Sinne nicht mehr mächtig,
gleich dem Tier doch nie,
wenn es Übermaßes trächtig
ya ya schrie,
trank er seine Seele wie
Brandung, ihres Strudels Kreise
überschwang die Glocke leise:
Kummerlos steht die im Hoffen
unerschrockne Rose offen.

 

Soviel dieses Wesen wärmer
atmend ihn beschlug,
soviel dies Geschöpfe ärmer
Kind und Mutter trug,
soviel wurde sein genug
seines Wesens bittre Speise,
bis er ganz ertrug die Weise:
Kummerlos steht die im Hoffen
unerschrockne Rose offen.

 

Denn es war auf glühndem Roste,
daß sein Herz ihm fror,
und nun trunken von dem Moste,
der ihm innen gor,
kam er dem Geschöpf zuvor
willig um die hauchhaft heiße
Hungerkraft der reinen Speise:
Kummerlos steht die im Hoffen
unerschrockne Rose offen.

 

Welch ein Strom, der aus der Ader
seines Herzens sprang
mächtiger, je mehr der Vater
seiner Ohnmacht Zwang
wie Erbarmen in sich schlang,
daß er ganz Geschöpfe heiße,
ringend mit der Jungfrau Weise:
Kummerlos steht die im Hoffen
unerschrockne Rose offen.

 

Kam das Wort ihm: mir geschehe
auch, wie du gesagt
ihr, daß er die Blüte sehe
der getreuen Magd,
mit ihr teilend? Nein, er zagt
seines rauhen Worts, die Weise
sang allein Maria leise:
Kummerlos steht die im Hoffen
unerschrockne Rose offen.

 

Übermannte ihn die Quelle,
daß auf ihrer Spur
nur ein Blick zurück zur Stelle,
zu dem Kinde nur
aus ihm streifte? Nein, die Schnur
zu dem Eslein schüttelnd leise
trat er fort die schwere Reise:
Kummerlos steht die im Hoffen
unerschrockne Rose offen.

 

Hunger wurde ihm und Wehe,
alles rings zur Pracht,
daß ihn nur das Kindlein sehe,
hielt er treulich Wacht,
und Maria Tag und Nacht
auf der langen Pilgerreise
sang die eine reine Weise:
Kummerlos steht die im Hoffen
unerschrockne Rose offen.

 

(7. bis 11.12.1919)