Das Herz des Wortes
Unsre Liebe Frau im Hage

 

1

 

Der alte Meister schloß im Gitterzaun
die liebe Erde,
daß sie aufblühend und uns nahe werde
die einzig auserkorne aller Fraun.

 

Sie stört selbst nicht, da sie im Aug empfing,
die Mantelfalten,
in dieser Fülle kann der Mensch nicht walten,
das Kind wie Blume ihr ab Händen ging.

 

Es lebt der Erde und die Blume brach,
will uns gewanden,
aufblüht der Zaun, der Mantel uns abhanden
schwert das Geheimnis, das ins Auge stach

 

uns Fernen, deren jeder auferstand,
uns selbst zu tragen,
die Schöpfung muß durch uns Erlösung wagen,
sie fällt uns immer schwerer in die Hand.

 

Der Beter staunend wegentrückt dem Kleid,
als ob er spüre,
die böse Kraft, wann er die Augen rühre,
entfloh noch nicht, und uns empfing der Neid, —

 

der alte Meister schloß im Gitterzaun
die liebe Erde,
er brach sich mit der Blume ohne Härte,
wer neidet, muß jungfrauengleich vertraun.

 

Dein Reich geschah, erstand zum Paradies
mit keinem Wilde,
du selber sähest dich teilhaft im Bilde,
so reiner, wie die Größe dich verließ,

 

du fast verspieltest, selbstvergessen schier,
der Welt Figuren,
du wuchsest in uns auf zu drei Naturen,
der Mensch vor Gott, die Pflanze und das Tier.

 

(28./29.11.1917)

 

2

 

Maria sprach: O Kind,
dein Arm ist gestreckt wie ein Bäumlein,
wie kann ich die Rose hinein
geben, wenn die Fingerchen unruhig sind.

 

O seltsam schwer, wie naß
und tauiges Gras, das von Rümpfen
der Wiese aufsteht im Triumph
brandiger Sonne am Morgen, ist das,

 

weh was mir immer geschieht,
wenn ich eine Gabe zureiche, zurichte,
was mir meine Finger verflicht
knotig wie Frucht, wenn die Blüte verblüht.

 

Sieh deine kleinweiße Hand,
zwischen den letzten zwei Fingern
steckt nun die Rose wie Blutstein am Ring,
röter als Blutgold auf Sand.

 

Mariens Auge zufällt:
Laß die Rose fallen, o Himmel und Erde,
mein Herz steht unter dem Schwerte,
Kind, deine Finger sind dornig gestellt.

 

Mein Herz, warum so wild
wie der Morgenwind heimlicher Röte
entsprungen brechend das unreife Korn,
tanzend im kranken Gefild.

 

Und als sie die Augen aufschlug,
sah sie im dornigen Neste
der schöpfungklaren Finger die zärtliche Last,
Rosenmal sah sie genug.

 

O immer eilender Blick
und nimmer verblätternde Male,
herzunter geschieht am himmlischen Saal
alles Stück für Stück.

 

3

 

Daß unter dem himmlischen Bogen,
komm nieder, du Schwere,
das Herz wie ein Vogel gewogen
mildlüftige Meere
durchschneidend den blutigen Bann
nicht in sich trachtend vollenden kann,
gestoßen in Speere,

 

das Herz in der leiblichen Mitte
wie ewige Straßen
geht immerfort weitere Schritte,
nicht will es erfassen
stillewige Ruhe mein Sinn,
es quillt mir ein Tropfen ohn End und Beginn,
gelind und gelassen.

 

Maria saß mitten in Rosen,
Ruh immer und nimmer,
seitdem ihr ins Herze gestoßen
der himmlische Schimmer,
und wie ein Schiff in der Nacht
frug ihr Auge zum Himmel mit fahrender Fracht,
so brach es durch Trümmer.

 

Doch als nun das Kind in den Garten
entlief, leise Welle
kindgleiche, du kannst nicht mehr warten
mit perlender Schnelle,
sein Haar war ein goldener Flaum,
da sah Maria den dunklen Baum,
dort war seine Stelle.

 

Dort stand er im himmlischen Flusse,
gescheitelt in Äste,
gebrochen aus irdischem Gusse
den Vögeln zum Neste,
doch hart und wie ledig am Stamm
ein Schatten gekreuzt in die Arme, ein Kamm
zu fangen die Gäste.

 

So sieht man im himmlischen Schilde
aufsteigende Zacken,
ein lastendes dunkles Gebilde,
ein Sturm wird es packen,
mit Funkeln im sterbenden Blau
wird wogen die Wolke, Maria schau,
da brach ihr der Nacken.

 

Du lenkst ihr dein Auge entgegen,
du willst sie belauschen,
so hört man vor stürzendem Regen
zuweilen ein Rauschen,
und sieh, ihre Wangen so weiß,
so werden die fallenden Tropfen zu Eis,
wenn Wetter sich tauschen.

 

Doch steht ja der Himmel noch heiter,
die Seele die schwere
will wesenlos wandeln nur weiter
und saugt sich in Meere,
in Lüfte vor Schmerz am Besitz,
so wandelt gezückter der silberne Blitz
durch trübere Kläre.

 

Doch blauer und bleicher als Tücher,
die Sommerlicht tranken,
steht der Himmel, ein Schmetterling sicher
darf gaukeln und wanken;
Mariens Blick wie ein Glas,
darin sie ihr Kind wie im Spiegel vergaß,
fand nirgends mehr Schranken.

 

Als müsse die Erde ertrinken,
ein Tropfen im Blauen,
so hing nun ihr Blick ohne Winken
und ohne Ertauen,
die Erde, du tropfendes Harz,
Gedanke inmitten ihr selber so schwarz,
der wagte zu schauen.

 

Und brennend von Tränengefunkel,
das in ihr verbrannte,
und ganz überkommen von Dunkel,
darin sie erkannte
den Schatten, sein Dickicht belaubt
mit Blut wie mit Rosen, da wankte ihr Haupt,
die Lippe verspannte.

 

In Dornen, in rissiger Rinde,
durch Scharen von Mücken,
wie Rosen, wie Bienen im Winde
so will es mich pflücken,
wie Wasser durch Furchen verläßt
mein einziges Kindlein mein trockenes Nest,
ich kann mich nicht rücken.

 

Und manchmal wie ohne Gefilde
heut will es mich brauchen,
zerdrückt wie kein lebend Gebilde,
ich kann mich nicht hauchen,
ein Spiegel, nicht Tränen, ich weiß
mich angeschlossen dem ewigen Kreis,
ich muß ihn ertauchen.

 

Der Himmel blickt heiter ergossen,
als blüh er im Eise,
als sei noch kein Leben geflossen
aus blutigem Schweiße,
vollendet wird alles, es ruht
die Schöpfung in Blüte, das Wasser in Blut,
schließ ab, meine Weise.

 

(1.6.1920)