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Konrad Weiß: Kriegsbuch 2 (1. Oktober 1914 bis 5. Mai 1915)

Konrad Weiß

Kriegsbuch 2

1. Oktober 1914 bis 5. Mai 1915

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Donnerstag, 1. Oktober 1914 [Donnerstag, 1. Oktober 1914]

Mehrere Kompagnien Infanterie bewaffnet hintereinander
zuerst aus Unterfahrt heraus, dann hineinsingend: „3 Lilien“
aus Tunnel heraushallend „im Morgenrot“ hoch und Cadenzartig
einfach, fast choralartig durch die widerhallende Wiederholung

Freitag, 2. Oktober [Freitag, 2. Oktober 1914]

freier Tag, Ausflug Solo zu Fuß nach Lochhausen, über Waldhöhe
nach Freiham, Planegg. Abends Besuch ital. Spaghetti.

[rechter Rand:] O. B.

Waldandacht falsche Meinung, Prozessionsgebet eher möglich
als Gebetsbekenntnis der Allgemeinheit, individuelles Gebet aber muß
in einem Raume, Baue, in einer monumentalen Gemein-
schaftsform geschehen für die Dauer. Entweder muß also die
Masse der Personen oder die Form der Zeit, geschichtlicher Bau,
den mehr als individuellen und natürlichen Wert dem Gebete
geben und seinen Ausdruck erhöhen.

Maria Eich, verwundete Soldaten daselbst

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Samstag, 3. X. 14 [Samstag, 3. Oktober 1914]

Schlacht an der Aisne dauert immer noch fort. Wie es möglich
ist, daß ein Teil der Gesellschaft hinlebt, währende der andere gesün-
dere gleichzeitig hinsterben muß, Leben und Sterben an einer
Wage und dauert es länger, so besieht der Lebende nicht
einmal mehr den schwankenden, ausschlagenden Zeiger.

Sonntag, 4. Oktober [Sonntag, 4. Oktober 1914]

Mit Marie im Deutschen Museum

Montag, 5. Oktober [Montag, 5. Oktober 1914]

Ein Bataillon Landsturm heute vormittag singend marschfertig
die Bayerstr. herein gezogen (zur Vereidigung?) Lieder Heftchen und Blättchen zum Singen in der Hand.
später Landsturm mit Blumen geschmückt die Bayerstr. wieder hinausgezogen.
Die Mobilmachung der ital. Loge gegen Österreich
und Deutschland. „Zu Verteidigung nicht nur von Handel und Industrie, sondern
auch besonders der Kultur und der bürgerlichen Freiheit(!)
gegen den deutschen Militarismus.“ Daß in allen Ländern
die liberalen und radikalen Elemente gegen Deutschland
sind.

3

Krise des Liberalismus. Neid Englands
Die seelische Macht der Menschenmenge; welche Art geistiger
Wert von marschierenden, seelisch gleichgeformten Menge
gegen Gesellschaftsform cfr auch Prozession und allg Gebet.
Wirken wollen! wie weit recht und Mittel zum Wirken
von uns selbst zu beschaffen?! (Mystik der Faulheit)
Durch Wirken Wollen wird der Glaube fruchtbar in
menschl. Geschichte durch den Glauben einwirken kommt die
Gesellschaftsform zu stande.

Dienstag, 6. X [Dienstag, 6. Oktober 1914]

Spaziergang im Regen nachmittag durch Stadt.

Welches ist die wahre Lebensform? Ist die wahre
unreflexive Lebensform, die wahre Kindheits-
und reine Aktivitätsform möglich. Reine wahrste
Aktivität des Krieges, aber nur in ihrem Banne.

Abends mit Fl. und Caspar Gespräch:
Daß wir kulturell noch ganz unfähig sind,

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die neue Form und Daseinswahrheit unserer Zeit
auszudrücken, daß dieselbe in ungeheuren Linien ge-
zeichnet ist, deren Inhalt wir noch nicht sind
und nicht zu erfahren im Stande sind, daß auch das barba-
rische Volk besser als das Kulturelle. [?]

((Woher kommt das sichere Gefühl und überwältigende Ahnung
gleichsam der Ausblick in unsichtbar schwindende Weite
mit unbedingtem Wahrheits lebensgefühl, während oft erst lange nachher
die Wahrheit selber der Zukunftsgestaltung ein gesehen
wird, Prophetie))

Mittwoch, 7. X. 14 [Mittwoch, 7. Oktober 1914]

Welches ist die wahre Lebensform in der Gesellschaft und wie ist sie möglich?
(Leben unter Menschen). Krieg als wahrste und als erbsündlich
dramatische, als negative, Gotik als Ausgrenzung,
Orden als Eingrenzung. Der dogmatische Halt
der Ordensidee, da außer der Zeit, der ethische der
Zeit, der aber das üble Gesellschaftsproblem enthält.
Die reine Hingabe, die Ausgrenzung, Innewerdung

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will nicht Form werden, außer durch Eile des Krieges,
aber dann kommt wieder Dauer des Friedens, die Gewohnheit,
der Durchschnitt, der Fluch der Zeitlichkeit, dann
entsteht die Zeit, so ist die Zeit der Übergang
aus der Anschauung in die Erfahrung, aus den
Dogmen in das Leben, die Zeit ist das erb-
sündlich mitgegebene (formal {?}). Der Krieg hebt die
Zeit auf und auch seine Dauer und Spannung ist Reinheit.

Das Wort unseres Daseins liegt in der Gesell-
schaft vor uns, hinter uns: die stets gegenwärtige
Gesellschaft ist vergänglich.

Donnerstag, 8. X. 14 [Donnerstag, 8. Oktober 1914]

Das Pfäffische gegenüber dem Zeitgeist, das immer sich Enthal-
tendesame, nie Teilnehmende, außer in Wortempfinden
nicht Enthaltsame, sondern Abgesagte, Freundbare cfr. S 2 Papst
artikel etc. Dieser „Wir“ plural majestatis und „man“
sind plural und pronomen alienatis verlogen [?]

6

Freitag, 9. X. 14 [Freitag, 9. Oktober 1914]

Das Männersterben in dieser Zeit (viele bekannte Namen)
(de Mun, Péguy, Papst, dann später <1>! San Giuliano, König
Karol.

Antwerpen brennt. (Später stellt sich heraus, daß große Übertreibung)

Fürchten vor der Größe des Tuns und der Aufgabe. Fürchten
vor der Mission der Rasse.

Das erhebende geistige Wagnis, Anteil zu nehmen an
den unübersehbaren Taten (mit unübersehbaren Folgen)
des deutschen Volkes und Staates (das Problem für den heutigen
Katholizismus). Diese Art der Äußerung in der Gesellschaft

Der Wille der Notwehr (als Gegensatz zum Brudermord),
den eine Nation hat und an dem als einem schuldhaften
Rechte beteiligen muß.

Französische Ritterlichkeit im Radikalismus geschichtsgeworden [VR] und darum vergangen
Englisches Gentlemantum, die bürgerl. Wohlanständigkeit, die in der
Klemme sofort Gemeinheit wird, weil keine geschichtliche Tugend, sondern nur Sportpraktik [VR]

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Samstag, 10. X. 14 [Samstag, 10. Oktober 1914]

Marien Samstage. Frauenfrage. Zurücktreten des weibl.
öffentl. Betätigens nach dem Kriege. Nach Krieg mit
starker geschichtlicher starker Immaculata tritt das Weibliche
im Manne auf als Zeitempfängnis und das Weib zurück
Im Kriege etc ist der Mann allein alles, Mann und
Weib, denn da ist das Leben nicht in der
Geburt, sondern neues Leben im Tode, wie
bei Christi Tod.

Sonntag 11. X. 14 [Sonntag 11. Oktober 1914]

Gefühl des Zelteschlagens im Spätherbst
im Pasinger Kloster und Nachmittagsspaziergang cum M [VR] nach Lochhausen.
Herbstlicher kühler Wind, heiter wolkiger breiter Himmel
Kartoffel noch einzeln auf Äckern zu finden. Klarer
Bach mit scharfem Pflanzengrün drinnen.

8

Montag, 12. X. 14 [Montag, 12. Oktober 1914]

Auch der Zwang des Krieges wird Gewohnheit. Die erste
Erregung und Bereitschaft, das Wachsen des Kompromiß-
geistes. Die Entnervung durch Dauer als Gewohnheit.
Gegensätzliche Wirkung der Zeit und Dauer.

Dienstag, 13. X. 14 [Dienstag, 13. Oktober 1914]

Nachts Gespräch mit Caspar auf Begleitung nach Schwabing zwischen 12 und 1 Uhr.
Weltordnung versuchen: recl, immaculat Pietà z. B. prod.
Ein- und Ausgrenzung.

Warum kann Michelangelo und Leonardo keine Schlachten-
bilder malen? Bloß einzelne Gestalten und Köpfe, wie
geschichtlich begründet. cfr auch ähnlich Shakespeare.

9

Mittwoch, 14. X. [Mittwoch, 14. Oktober 1914]

Das Gefühl der Geborgenheit im Staate ist es bequem oder
Bekehrung gegenüber liberaler Schreierei. Auch Gefühl der Ver-
antwortung mit dem Staat.

Das Aufatmen hält nicht an. Gleich nach Antwerpens
Fall Frage nach neuen Geschehnissen

Donnerstag, 15. X. [Donnerstag, 15. Oktober 1914]

Englische Blätter stellen fest, daß Hilfe für Antwerpen ungenügend
war, viel zu wenig Besatzungs- oder Entsetzungstruppen. Art des
Liberalismus, daß er geistig mit dem kleinsten Mittel
operiert, daß er dann auch stofflich in der geschichtl. Welt (außer
der Seelenzersetzung (die in Zukunft faulend wirkt) für den gegenwärtigen
Erfolg nicht genügend aufwendet. So ist der Liber-
alismus nur immer zum Unterliegen bei der kämpfenden
Kraftprobe verurteilt, bei der gesellschaftl. Parlamentarischen
ist er aber immer wieder durch Dauerzersetzung der Geister siegreich.

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Wie schwer es ist, zeitlich mit zu tun ((außer als Kämpfer))
wenn man z. B. bei Kriegsbildern nur das Herausgehobene
geben will. Leben unter Menschen.

Die Gesellschaft aber ist das wahre, d. h. das Charak-
teristische, Bestimmte der Menschheit, ((zu der man sich
stellen muß, ohne sich zu ergeben.))

Freitag, 16. X. 14 [Freitag, 16. Oktober 1914]

Verständnis für den Zeitmoment. Feldherr sein
und mit Willen die Zeit errechnen und beeinflussen
trennen und fügen der Geister. Ob man Absicht
dabei haben darf oder nur sich selber aus- oder ein-
setzen soll.

Samstag, 17. X. [Samstag, 17. Oktober 1914]

Correktur, tote Arbeit tun, die in sich schlechtwertig, ob
man darf dagegen sich auflehnen aus eitler Bequemlichkeit oder ob in
dieser Arbeit des schlechten Redigierens auch Wahrheit. Muß man

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nicht echte Zustände des lebens trennen oder ihren zeitlichen Wert
einsehend beibehalten.

Sonntag 18. X. 14 [Sonntag 18. Oktober 1914]

Nachmittag Correktur auf Redaktion. tote Sonntagsstille
gegenüber toter Werktagsschwatzhaftigkeit. Das Besprechen ohne Feier
das Kritteln, Hobeln ohne Wahrspruch und Beschwörung.

Montag, 19. X. 14 [Montag, 19. Oktober 1914]

Möglichkeit ein Tagebuch zu führen; Geisteszustand, der nichts
für sich allein heimlich haben kann, der auch kein Tage-
buch haben kann ((aus Furcht vor Fährlichkeit (der zu sehr
stets Sichernde (Kain))), nicht aus Reinheit und nicht als
Verräter, aus falscher öffentlicher Blankheit. Wie verhält
sich zueinander eitle Tagebuchgefälligkeit und Bespiegelung,
<3> zu intellektueller Hochmutschärfe und ebenso zu Demut.

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Dienstag, 20. Oktober [Dienstag, 20. Oktober 1914]

[Eingeklebter Artikel aus dem Hochland]

Der „Hüter des Tales“ von Hans Thoma ist ein Werk der deutschen
Naturphantasie, die hier an Stelle urtriebhafter, spukhafter Belebung der Nacht
ein geklärteres Bild frommen Wald- und Talfriedens, gesammelt in der Gestalt
eines Gewappneten, der über dem Dörfchen wie ein ritterlicher Heiliger Wache
hält, geschaffen, und so dem Gefühl heimatlicher Geborgenheit Gestalt gegeben
hat. Thoma, der deutsche Altmeister, der im Oktober seinen 75. Geburtstag ge-
feiert hat, ist heute der echteste Schöpfer deutscher Symbolik, einer Symbolik, die
nicht mehr zugleich auch als geschichtliche Erfahrung, wie noch in Dürers „Ritter,
Tod und Teufel“, sondern nur noch im Naturempfinden künstlerische Kraft und
Wahrheit hat. Mit der Naturempfindung geht die Anempfindung dieser ritterlichen
Schutzgestalt in ein Werk zusammen, das nicht Religion, so doch Glaube ausdrückt.

Und doch fühlt man in ihm auch etwas vom Geiste geschichtlicher
Sättigung und Beruhigung, wenn man an die mythologische
Art erinnert wird, in der Grimmelshausen seinen Simplizis-
simus im Schwarzwald abschloß

Auch in diesem Text Abbiegung zur Gefälligkeit für Leser
und für die Person des alten Künstlers, nicht reine und
etwas versteckte Wahrheit. Die Möglichkeit, die Wahrheit
in der Gesellschaft zu sagen und zwar ohne Systemati-
sierung und Eigenform, sondern als stärkste, kampfhafteste
Zeitform.

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Mittwoch, 21. X. 14 [Mittwoch, 21. Oktober 1914]

Michael; als Kampf gegen Lüge, welche Art Kampf gegen Lüge
gegenüber Lucifer

die Tätigkeit der Wahrheit gegen Untätigkeit Lucifers
d. h. gegen die Untätigkeit der Trennung. Lucifer das ist
die Trennung und dann gibt es die Freiheit der falschen
Beschauung, einer Zeitlosigkeit des Daseins, die doch
durch Verzeitlichung, d. h. durch Trennung entstanden
ist. Michael d. i. die Geschichte als Glaube

Donnerstag, 22. X. [Donnerstag, 22. Oktober 1914]

Bei Pacher gewesen, Frohnleichnamsbild
Die Habsucht des Ausgleichs

[rechter Rand:] 1848 Demokratie
und England, die
geschichtliche Zeit der Demokratie

Die Equilibristik gegenüber der Idee der göttl. ausgleichenden
Gerechtigkeit Gottes (cfr menschl. adjektiv. göttlich gegenüber
genitiv Gottes als Einordnung). Das Unsichere

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Verhalten, nicht Fleisch, nicht Fisch der Katholiken zwischen
leerer Demokratie und hierarchischer Form der Gesellschaft.
((auch in dieser Kriegszeit sichern sie den Charakter der einzelnen
Länder, nicht als Katholiken, sondern als Konservative
(sonst müßten sie aufstehen wie ein Mann für
die Deutsche Mission))

Freitag, 23. Oktober [Freitag, 23. Oktober 1914]

Die ungeheure Spannung dieser Tage mit Entscheidungsschlachten
an westl. Küste und bei Warschau.
[darüber:](Diese Entscheidungen sind dann nicht gekommen
charakteristisch, daß Entscheidungen
lange auf sich warten lassen)

Daher ist das gleichmäßige
Arbeiten der Leute z. B. Steinhauer am Holzkirch. Bahnhof
fast unerträglich im Augenblick und doch beruhigend im
Ganzen.

Aufhören des im 19. Jahrhundert wirksamen Naturalismus.
Naturalisten, z. B. Italienische sind die Leute, die nur
von heute auf morgen leben ((Zusammenhang von Naturalis-
mus und Liberalismus, weil der Geschichtslose zur Natur ge-
trieben wird

15

Freitag, 23. X [Freitag, 23. Oktober 1914]

Die größte Askese, sich ganz in die Gemeinschaft einordnen
können, ganz dienen z. B. jetzt bei den großen Kämpfen
als gemeiner Soldat als einfach dienendes Werkzeug

Samstag, 24. X. 14 [Samstag, 24. Oktober 1914]

Langsames Würgen bei Ypern und Nieuport dauert weiter.
Das müde Erntegefühl, das sich in literar.Erzeugnissen vielfach aus-
spricht, von Sichel und Ernte reden in Gedichten als literar.
Nachempfindung. Ermüdung cfr dagegen das wahre bauernhafte
Erntegefühl. Die Pflanze und Tier einordnen in
Feld-Menschheitreclusa Bedeutung. cfr. Später, daß
Bauern Soldaten begraben und Felder wieder bestellen)

Sonntag, 25. Oktober [Sonntag, 25. Oktober 1914]

Mittags abend in Michel, Traubenmost. Katholische Corporation
Peterhof, trüber Tag, Durst nach neuem Wein.

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Montag, 26. Oktober [Montag, 26. Oktober 1914]

trüber Tag, neblig mit ziehendem Wind. großer
Blätterfall, die oberen Kämme der Pappeln
an Straßen noch Laub gelbgrün, sonst untere Äste tiefer schon
kahl. wie in Frühjahr. „Bäumefällen“ beim Haus
Streubäcken <.> Herbstgefühl

[rechter Rand:] ((<1> kahl mit leerem
Weitblick machen

Dienstag, 27. Oktober [Dienstag, 27. Oktober 1914]

Dismas [mit Pfeil auf den folgenden Absatz]

heiter, reflexierend blau und föhnig mit Nebel
leicht windig. Zimmerplatz(bild), mit wehenden
Spahnschnitzeln [?] als Herbstbild, weiße Hemdärmelige
Arbeiter leuchtet und ist fast nicht zu sehen beim Leuchten der
behauenen Balken

abends Gespräch mit Fl. über Raffael, dann nach Michel.

Daß die Gesellschaft ein geschichtliches Dasein, das gegebene Wirkliche
ist, das wahrste ist und doch gegenüber Orden das Unbekannte.

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Das Wirkbarste und doch Unwirkbarste und mit Krieg in
Gottes Hand weil Verantwortlichste und doch infolge des Plans
und Unwillens in der Vielheit Verantwortungsloseste.

Mittwoch, 28. X. 14 [Mittwoch, 28. Oktober 1914]

Der Entschluß und seine Folge: daß wer keinen Entschluß
fassen kann, die Bahn viel leichter übersieht. Kriegs-
freiwillig, zuerst Soldat, plötzlich dem Schlachtfeld
unwillenhaft ausgeliefert. Die Prävalenz
des untätigen Verstandes; das Luciferische Dasein
(Schwelle des Entschlusses, des Himmels, Entschluß als Pro-
zedenz), Widerpart gegen Gottes Anschauung. Wie Fata-
lismus und Glaube dazu.

Bei Löwen, Mecheln, Antwerpen werden von Bauern
die schlecht begrabenen Soldaten wieder ausgegraben und
in Friedhöfe gebracht. Die Bauern beginnen mit der Wintersaat.
Das Geheimnisvoll Natürliche des Bauernstandes, das Naturwachstum
Beharrung im Kriege.

[rechter Rand:] (Spaziergang nach Ramersdorf, heiterer Tag)

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Donnerstag, 29. X. 14 [Donnerstag, 29. Oktober 1914]

Mittag Heiteres Wetter, Holzspalten

Die Unzulänglichkeit des Einzeldenkens, des persönlichen Zweifels,
des Begründungsdenkens, Sich über Barbareien aufhaltens in der
Gesellschaft cfr Romain Rolland. Welche Art geistiger Armut
verlangt das Wohl der Gesellschaft, welche Askese, die
logische Begründung nicht zu sehen und nur die Wahrheit
der Sendung zu spüren, zu glauben, selbst ohne Finger in
Wunde zu legen, einfach als Schichtung, geschweige zu
ergründend. errechnen (z. B. auch daß Krieg noch nicht ge-
danklich vorbereitet). Die Rechtschaffung eitler, die immer
den Grund von Schuld und Tat öffentlich machen und richten wollen,
die kleinlich rächenden mit gesellschaftl. gemeinem
Edelmut, die nicht verstehen, daß der Papst stirbt
außer er sei an Enttäuschung gestorben. Die Wirklich-
keit des Stoffes, des Ackers und Eisens, der Pflugschar

19

und des Kanonenrohrs, die den Menschen und Staat
an seiner Notwendigkeit gegenüber aller sozialen Verbrüderung
festhält

Kampf um Städte und Dörfer und Höfe, Straßen, Kampf um
Hügel, Flüsse und Wälder
wie mit Gesellschaft zusammen hängend?

(Vieh auf Weide vor Milchschmerz, in Ställen vor
Hunger brüllend angeschossene Schweine. Ungeziefer
Flöhe hat gute Tage. Weizen- und Roggenpreise,
das Korn im Kriege.

Eine Zeit wo die billig und recht denkende Wissenschaft
und Kritik (wie eine Schweizer Zeitschrift) unbillig und
unrecht, fad, blöde ist, der geistig Neutrale der
zur Dummheit verdammte. Das Aufhören aller Kritik,
nur noch Daseinsbehauptung und Beschauung und Geschichte
Gesellschaft diesseits der Kritik
Orden jenseits der Kritik

[zusammenfassende geschweifte Klammer]
cfr die zwei Seiten
des Gehorsams,
des notwendigen und des freien.

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Der Bruch der demokratischen 48er Ideale, auch das
Aufhören des Parlamentarismus, auch des sog. Völker-
rechts ist gut, soweit es Einigung ist über Errafftem,
(über Angehörigen cfr Fichtes Baum). Der Volkspolitiker
und liberale Politiker nicht über die nächste Zukunft hinwegsehen,
nicht die Idee und darum auch nicht wahre Realpolitik sehen
(Roosevelt).

Immer wieder aufs Gleiche kommen und nicht davon wegkommen.
Die Art des Sehens [VR: Lebens], die immer wieder auf denselben Gedankenkreis
kommt, aber nicht Orden und nicht Welt, sondern Furcht und
Frevel am Dasein und ganze Größe der Vergleichsmöglichkeit
scheut. z. B. die Idee des einleiblichen Sakraments
als Teilhaftigkeit oder bloß als obsoleter Komplex
des zwischen den Grenzen sein. Donnerstag,
Sakramentstag; das Sakrament wissen, aber
nicht es empfangen.

21

Nachts zwischen 6 und 7 Uhr jetzt schon ganz Nacht ziehen viele
Soldaten Kompagnien singend zur Unterfahrt „in der Heimat, da gibts
ein Wiedersehn) Männer wieder auf den Straßen mit Blumen zum Ausmarsch geschmückt,
Soldaten und grauer Landsturm nützen jetzt Herbstblumen.

Freitag, 30. X. 14 [Freitag, 30. Oktober 1914]

Kampf zwischen Deutschen und Indern. Der Ruhm Deutschlands
wird so auf die einfachste und größte Weise in die ganze Welt getragen,
daß die Völker der Erde zusammenkommen, um mit ihm zu
kämpfen. ((Förster und Vierordt [?], die allzugroße Unparteilichkeit
dieser Erziehernatur, die fremde wohlwollende Richter
anruft: „Daß Deutschland die ihm so nötigen Sympathien
der zivilisierten Welt nicht noch mehr geraubt werden“
und die gehässige enge christliche Nächstenbewachung,
nicht Nächstenliebe macht aus einer Mücke einen
Elephanten, pietistische Aggressivität.

22

Deutschland von außen zusammengeschweißt mit Außengrenze
durch geschichtl. Zwang wird wieder durch innerliche Ausgrenzung
zerfallen, denn es trägt das Schicksal des Christentums.

Daß der Krieg immer auf Zukunft geht, nicht gut
machen will, keine Reue hat und nicht früheren Zustand
herzustellen sucht, sondern als reinste Menschennotwendigkeit
neue Güter, neuen Stand, neue Wahrheit für immer
geltend, bloß aber die Zukunft (der immerwährende Krieg),
so hat auch die Gesellschaft die Pflichte ihres Daseins
nie zu erreichen vor sich, das Recht hinter sich;
zwischen Pflicht und Recht ist sie im Kampfe.

Ausdauer und Übung

[linke Blatthälfte:]
Die Kraft des Krieges auszuhalten bis zur
neuen Wirklichkeit

[rechte Blatthälfte:]
Die Kraft der Wiederherstellung, Orden
das Flächige, Monumentale der
Übung, Zeichen, Regeln schaffen

23

Die unmittelbare Beziehung zu aller Weltgeschichte, wie kommt
sie zustande? Jetzt sieht man die Lenkung, im Kriege
die Antwort auf diese Frage des Friedens, die man nur
als Berufungsantwort ahnt.

Reims Kathedrale wieder mehr zerstört, der dramatische
Gedanke dieser Tage, während die germanische Zeitfolge wieder neu
beginnt, die Ausgrenzung Kraft und Form gewinnen
muß, während sich der germanische Stamm neue Kraft
und Freude am Auswirken auflädt, muß er auch die Schuld
der Zerstörung auf sich nehmen, das „geschnitzte Bild“
töten (das der Israelite nicht nicht machen durfte, diese gegensätzliche Verwandtschaft in
geschick), muß sein eigen Gebein, die gotische
Kathedrale verschwinden, so hängt er in der Zeit
als Fortgang, nie als Ruhepunkt, nie als Centra-
lismus, sondern als Monumentalität der Geschichts-
Generationenfolge

24

So muß auch der Centralismus der Klassizistik,
der im german. Land war während des Jahrhunderts des Nieder-
gangs, jetzt während der zukünftigen Zeiten des Wiederaufgangs
aufhören.

Samstag, 31. X. 14 [Samstag, 31. Oktober 1914]

Kolonisieren, die Immaculata zu den Völkern
bringen und das Sacrament mitteilen.
Aber die Notwendigkeit der stoffl. Realität
der Missionierung, Bedeutung des Werkzeugs und
Gerätes, Heilig das Gerät, daß es an sich selber
fruchtbar sei für den Heiden, nicht nur als Ausbeuten diene.
Kaufmann- und Bodenbearbeitungstätigkeit, nicht
Allegorisieren.

Türkei beginnt den Krieg mit Rußland
Neue Zeit bricht an für das filioque.
Die stets wieder neue Furcht vor der ungeheuerlichen

25

Größe und Tragweite der Ereignisse. Sie geht nicht
aus einem sittlichen Gefühl und nicht aus einem Gefühl
menschlicher Macht hervor, sondern aus dem Zwang, der die
Menschheit weit machen will, aus einer innerlichen Ver-
wandschaft und Auflösungskraft, vor der man sich doch fürchtet. Die
unbewußte Größe Deutschlands zeigt sich gerade auch
in dem Mut, England und die öffentliche Weltmeinung,
die Literatur und Gemeinschaftsbetrug, aber nicht tiefere
Wahrheit ist anzugreifen und herauszufordern. Das
Fürchten keiner Consequenzen..

Beiramfeier [Bayram], der rel. Gedanke in der Türkei.
Aller Internationalismus! und Englands Kosmos-
beherrschung wird jetzt mit dem wahren Weltge-
sichte und Weltgeschehen konfrontiert.

26

Sonntag, 1. November [Sonntag, 1. November 1914]

Allerheiligen, Nachmittag mit Fl. Berg a Laim.

Montag 2. November Allerseelenmontag [Montag 2. November 1914]

Daß nur das dogmatisch glaubende Welterfahren geschichtlich
wirksam ist, das dreifältige, daß das Sittliche nicht geschichtlich
und nicht Vaterländisch macht. Nur das dogmatische
Verstehen schafft eine christliche Gesellschaft patriotisch
begründet, nicht eine bloß menschlich civilisierte. Das durch-
aus aber schwer zu erfassende Positive und Christliche des
Patriotismus gegenüber dem Menschlich-Allgemeinen,
das nicht Orden und nicht Welt, sondern nur Zwischenhandel
auf dem offenen Menschenmarkte ist, kein Haus baut, sondern
nur im Schatten steht und sich labt. Die bloß sittliche
Auffassung kann auch nicht in Wahrheit geschichtsfortschrittlich und

27

lebensgläubig sein, sondern nur abwehrend, nie christlich-
fröhlich und hedonistisch, sondern wird nur zweifelnd, pessi-
mistisch sein. Sie ruht auch nicht in sich selbst,
braucht also fremder Menschen und Völker Sympathien,
die sie nicht verscherzen will (denn es ist ihr um eine
(falsche!) Übereinstimmung, statt Einfügung zu tun,) es fehlt
sehr darin der Quell des persönl. und geschicht. Lebens. Die
dogmatische Offenbarung hat also Glauben und Vertrauen
ganz in sich selbst. Wie aber das ethische Deutschtum
(Kant, etc) und Pessimismus (Schopenhauer) doch
wirksam. Das Deutschtum hatte bis jetzt das
Wirksame, jetzt braucht es das Wirkbare.

Dienstag, 3. November [Dienstag, 3. November 1914]

Nach [?] (Förster) sittlicher Humanitätbehauptung leugnet man ja
die Erbsünde, die auch kein sittl., sondern ein dogmatisches Geheim-
nis, das Geheimnis des Daseins und Lebenmüssens ist.

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Mittwoch, 4. November 1914 [Mittwoch, 4. November 1914]

Dreifaltigkeit als Gesellschaftsform. Aber die Gewalt Dreifaltigkeit
und Pietà [drei Gruppen von je drei unterschiedlich langen senkrechten Strichen]. Das Heraldische? Striegel, Joachim und Anna.

Donnerstag, 5. Novber 1914 [Donnerstag, 5. November 1914]

Kriegsbilder in 70. Krieg mehr Anekdotisch?, doch mehr unsere Menschen, heute
nicht unsere Menschen.

Freitag, 6. Nov. [Freitag, 6. November 1914]

Remonten, Soldaten wieder fort.

Samstag, 7. Nov. [Samstag, 7. November 1914]

Den Menschen nahe kommen, wenn man die Masse
der Soldaten sieht. cfr. auch O. B. Problem. Pietà. Wenn ihr
Massen sehet, so liebet Gott. Jeder muß in die Masse {Macht} eines
Zuges eintreten, sonst wird er Gottes in der Erlösung
nicht teilhaftig.

Gestern die Beschießung von Yarmouth und das Seegefecht an
der chilenischen Küste. Daß unsereiner die Tragweite solcher
Ereignisse selbst nicht und in der öffentlichen Meinung
nicht abschätzt, obwohl er doch auch könnte. Der nicht
gesellschaftliche Mensch.

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Bis eine Sache von innen heraus gewachsen ist (z. B. Tagebuch)
als eigene Form, cfr Krieg, bis er gewachsen ist, gegenüber absichtlichem
Machen und bloß Einseitig sein wollen – oder auch bloß Enthaltung.
Jetzt beginnen die Jahrhunderte der Kämpfe um die
Liebe
, Pietà und Equilibristik. Der Osten hatte den
Glauben, der Westen bekam die Hoffnung, nun kommt
Orient und Okzident als Pietà in die Völkermitte.
Die Kämpfe der Liebe werden ärger sein als die des
Glaubens und die letzten Dinge werden ärger sein
als die ersten.

Sonntag, 8. Nov. 1914 [Sonntag, 8. November 1914]

trübe Tage. Vom Eigentum abgehoben werden.
diese ganze Woche war (bis zu dem Sonntag hin) Nebel.
Schachkräfte, cfr Schlachten mit neuer Kunst wie Schach, feinste
Grenzung und rauheste Grenzung.

polit. Krieg, Krieg innerhalb der öffentlichen Meinung.

Montag, 9. No. [Montag, 9. November 1914]

Mein ist die Rache, ich will vergelten.

Dienstag [Dienstag, 10. November 1914]

Waldkämpfe, Barrikaden, Schützengraben, Astverhaue, Drahthindernisse
Argonnen, Hütten, Bohlenweg, Patrouillenwege.

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„Überall lagen die Franzosen wie blaue und rote Tupfen und Flecken
im Unterholz, wohl 80 an der Zahl“ Art des Französischen Walds,
Niederwald mit wenigen Hohen Bäumen.

Haeckel, daß der Deutsche der im Geiste eitel dümmste Mensch der
Erde sein kann; das ist der einzige Faktor, der gegen Unbeliebtsein zuständig [VR].

Mittwoch, 11. No. 1914 [Mittwoch, 11. November 1914]

[Eingeklebter Artikel aus dem Hochland]

In unserer Zeit voll ungeheurer geschichtlicher Spannung leben Gedanken an
Symbole geschichtlicher Offenbarung wieder auf. Michelangelo hat solche Ge-
danken in einem ganzen künstlerischen Weltgebäude, das von Propheten und Sibyllen
getragen wird, in der sixtinischen Kapelle symbolisiert, an der Stätte, wo die Christen-
heit in jedem Papste neu ihre Fortsetzung erhält. Auch diese Idee der geheimnisvoll
dauernden Wiedergeburt ist ein Weihnachtsgedanke, ein vorchristlich grüblerischer, der
im Christentum durch den einfachen Glauben erlöst worden ist, wie er sich in dem
altdeutschen Weihnachtsbilde von Zeitblom ausdrückt.

Freitag, 13. Nov. [Freitag, 13. November 1914]

wer keinen Krieg erlebt hat, der hat auf der Welt nicht
gelebt als
daß das mondän gesellschaftl. zu England neigt.
Katholizismus, es wächst der Mensch mit seinen höheren Zielen. [VR]

Daß Schiedsgerichte zu wesentlich Friedensgerichte, pazi-
fistisch geworden (und gedacht) sind; sie müßten auch
Krieg beschließen (Utopie).

Samstag etc: [Samstag, 14. November 1914]

Ein Gespräch, wie das Christentum sich in die
Gesellschaft und Geschichte hineingefunden hat cfr z. B. auch Krieg cfr.
Lammasch im Hochland S. 258, Paulus und Apostelgeschichte

31

Dienstag, 17. Nov. 1914 [Dienstag, 17. November 1914]

Kalt und doch winterlich zuversichtlich

Wehendes Schneetreiben in der 8 Uhr Frühe,aber lebhafte
eilige fast fröhliche Bewegung in Straßen. Wehende Fahnen
wegen Hindenburgs gestern bekannt gegebenem Sieg über
Russen.

Das romantische Problem.

Donnerstag, 19. Nov. [Donnerstag, 19. November 1914]

Wie so Charakter in Zeit gültig sein kann, schwerstes
Problem beim höchsten Gesellschaftscharakter, bei
Papst, der mehr als Charakter haben muß, der
charakterlos nach dem Sinne der Welt gesagt, sein
muß. Päpste. Charaktere als geschichtl. Not-
wendigkeiten (Notformen) Wodurch entsteht doch
das auch übermenschlich, nicht bloß Kriegsgültige Recht
einer geschichtlichen Mission?

Freitag, 20. Nov. [Freitag, 20. November 1914]

morgens 8 Uhr durch Unterfahrt Kompagnie feldgraue
Infanterie ganz dunkel, stockend heftiger Gesang: o weh, o weh Franzosenblut.
Brüder, ich bin troffen.

Rassenfrage, natürl. Charaktertoleranz und Eroberung s. Dez.
heft. S. 362, auch ob man einen fremden Staat gelten
lassen darf, wenn man seiner ganzen germanischen Berufung gewiß ist.

32

Samstag, 21. Nov. 1914 [Samstag, 21. November 1914]

Heller scharfer Wintermorgen, graublauer, schärfer werdender Himmel, weiße
Reif- und Schneebäume, klarästig, gelbgoldener Osten scharf strah-
lend, gelbgoldene Sonnenscheibe

Bäume stehen starr steif, in unbewegter Ruhe, aber ins Gesicht
bläst ein scharfer Ostwind. Bei genauerem Schauen sieht man, daß
die näheren Bäume sich auch leicht bewegen. Immaculata Marientag

Beim Warten auf weitere gute Schlachtberichte aus Polen kann
man immer nicht glauben, daß ein wirklich erlösend
guter Bericht auch nur im amtl. alltägl. Anschlag kommen
soll, so daß er nicht lang miterlangt und doch auch nicht plötzlich,
sondern offiziell zwischen jeder wahren Form dies ist. Man
will für den Geist Plötzlichkeit und Für die Seele Vorboten
cfr. Mariens Verkündigungsengel in die Welt kommend
für den Menschen wird eine Sache durch Vorbereitung
rein; so hat sich auch Jesus seine Geburt vorbereiten
lassen.

33

Mittwoch, 25. November 1914 [Mittwoch, 25. November 1914]

Das Rückständige der französischen (kathol.) Befreiungsidee,
Nationalidee, Kampf gegen Militarismus verkappte bequeme
Friedensidee, otium cum dignitate im Hintergrund.
Verwandtschaft zur Völkererleuchtungs- und Gewinnungsidee,
formale Geisterlösungsidee und Fürsichstellung (demokratisch)
mit der Freimaurerei. Etwas ungeschichtlich Unnot-
wendiges.

Reformationsgedanke auch durch gesellschaftsinnerl. Fort-
schritt und Geschichtsinnere Not nahegelegt und darum echt
deutsch. Wie schwer es ist, sich an der leeren Rede
und Phrase und einsichtslosen Aufdringlichkeit des
gegenwärtigen Katholizismus (und bes. d. Stimmen aus M. R. [?])
nicht zu ärgern.

Ärgernis nicht nehmen, wie schwer es ist.

Donnerstag, 26. Nov. [Donnerstag, 26. November 1914]

Die Frömmigkeit des Einzelnen (Soldaten) (auch die Gefahr
des (poetisch-pietist.) Frömmelns (Knodt [?] etc. [VR]).
Die Einfachheit Christi, seine einfache

34

Wahrheit, die alles menschliche und Formulierte übersteigt, ist
eben seine Christus-Geschichtslosigkeit als innerste Daseins-
wahrheit. Er braucht keine Erhebung des Stils Umweg [?],
da der Stil vom ? Fleisch ist.

Aber etwas liebt Christus doch, das Bild, das Gleichnis, auf das
er hinweist, das zeigt seine Sohnschaft im Verhältnis
zur Anschauung.

Freitag, 27. XI. 14 [Freitag, 27. November 1914]

Christentum und Krieg. Es fördert den Kampf,
denn jeder muß sich berufen fühlen und was den einzelnen
verboten, wird durch das Christentum bis zum Kampfe
gefördert cfr. dagegen Pietismus und ebenso in Gegensatz-Monismus [VR]
diese schon von sich aus auf die innere Punktheit oder bloße
Methode auslaufenden Ismen beabsichtigen den Krieg
nicht, aber ziehen ihn immer wieder nach sich. Christen-
tum zieht ihn nicht nach sich, und hat ihn aber
direkt vor sich
.

35

Freitag, 27. XI. 14 [Freitag, 27. November 1914]

Daß das Literarische in Kunstlosungsschaffen und Leben, so weit
es im Mittelpunkt der öffentlichen Meinung ist, also das
mittlere ist, mit der wahren Zeitkampfseele und ihrer berufe-
nen Not nichts mehr recht gemein hat, sich nicht mehr recht dreinfinden
kann aus angeblich menschlicher Freiheitsweite (cfr
Eulenberg in „Kriegslese“). Das muß so sein, daß die
mittlere Kunst der seelischen Niedergangseile mehr folgt
als durch die Kampfnot in Höhe gehalten wird.

Samstag, 28. XI. 14 [Samstag, 28. November 1914]

Landschaften als Bilder in dieser Zeit, wo Geschichte
sich erfüllt. Landschaft für die Schlacht wichtig.
aber ist es möglich? auch in geschichtlicher Erfülltheit
Landschaften u geben1

(Rest November und Anfang Dez in Ulm. <3>
Spaziergang in Tälern und über Hügelforts um Ulm, viele Soldaten, Maschinengewehr schießt Gefangene
Franzosen.)

36

Dezember 1914.

Deutschtum in seiner Zukunft neu begründen Advent in der Welt
ein guter in Gesellschaft im Kampf um Gesellschaft ist wert all
diesen Kampf zu kämpfen (cfr alttestamentl. Sodom und Gomorrha)

Donnerstag, 10 Dez. [Donnerstag, 10. Dezember 1914]

Das deutsche Schicksal, Ritterlichkeit, die auch Schuld auf sich nimmt
und auch <1> nicht scheut.

In Reformation Ritterlichkeit, die sich auch für kathol. Übel
verantwortlich macht und mit Papst streitet, verloren.1

Freitag, 11. XII. 14 [Freitag, 11. Dezember 1914]

3 deutsche Kreuzer verloren ?

Klöster in Ägypten. England darf dieses alte christliche Land
nicht behalten. Daß Deutschland nicht ganz siegen
wird, daß Gott die Engländer aber durch ein Wunder
zerbricht.2

Samstag, 12. XII. 14 [Samstag, 12. Dezember 1914]

feldgraue Kompagnie untermischt mit verschiedenen
Uniformen singen unter Unterfahrt hervor: Morgenrot, durch die
Brust geschossen". die ernsten halbfesten Stimmen.

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Der alte irrsinnig gewordene Gefangene in einer Klosterküche in
Frankreich Gefangene Heimat, sagt immer: er wolle jetzt heimgehen,
ja jetzt ginge er heim.

Sonntag, Montag, 14. XII. [Sonntag, Montag, 14. Dezember 1914]

am Sonntagabend {(ob Datum stimmt?} Novembersturm, kalter Wind
Seestürme. Gewitter und Blitz und Nachtkampf, heftiges Unwetter
Kanonendonner, Dünen an Küste sprengen. (Ypern?)

Sonntag, 13. XII. [Sonntag, 13. Dezember 1914]

Die Liebe zum Kaiser, wie ein solcher Art bolziger Mann, der
sich nicht beugen und einnehmen kann, plötzlich die allg. Liebe
gewinnt und das Opfer des Lebens, vermöge eines geraden
und natürl. gemeinschaftlichen Geschichtsgangs, weil er
dem Ruf so einfach und gerüstet wie möglich folgt,
ein wieder primitiver Deutscher, ein Symbol deutschen Anfangs
in einer hohen Zeit, das anderen nicht gestattet ist, aber
aber [?] gesellschaftlich ein Kampfbegriff ihm möglich wurde,
so der einzelne aus der Menge nicht Saul und Makkabäer,
aber ähnlich.

Montag, 14. XII. 14 [Montag, 14. Dezember 1914]

Heute wieder viele Soldaten fort, durch
Bayerstraße hinaus geschmückte Bagagekolonnen und

38

Sanitätswagen, auf Bahnhof mittags Truppen zum Einladen auf
Bahnsteig, auch am Sonntag gegen 7 Uhr in Dunkelheit auf Bahnhof singend
auch Lazarettzug die Bayerstr. herein durch die Unterfahrt, während oben der
Transportzug bereit steht, der eine kommt herein, der andere geht hinaus
dann wieder ein Trupp singend unter Unterfahrt heraus.

Mittwoch, 16. XII. 14 [Mittwoch, 16. Dezember 1914]

stürmisch, windig!

Donnerstag, 17. [Donnerstag, 17. Dezember 1914]

Sakrament. Die protest. Energie wird der kathol. Glaube.

Auge um Auge, Zahn um Zahn.

Auch Staat <.> Berufenheit in der Rasse, wahre Ordnungshöhe?
Donnerstag trüb, Neigung zu Regen, großer Sieg in Polen

Freitag, 18 [Freitag, 18. Dezember 1914]

Schon schöner kalter Sonnentag, viel Reif morgens.
am Freitag kommt aus
Polen kalter schöner Ostwind.

Dienstag, 15. [Dienstag, 15. Dezember 1914]

schöner heller kalter gelber Föhnmorgen
mit grünen hellen Flächen scharfen Zweigen glasscharf.

Samstag, 19. XII [Samstag, 19. Dezember 1914]

Die Ethischen Wortführer galten früher als Förderer der Tat,
gegen Förster]
jetzt sieht man plötzlich, es ist bloß Zögerung
kein Ziel, so wird er auch nicht katholisch

39

Belehrung und Belebung gegenseitig (Humanitätsarbeit) oder unter
einer dritten Idee, das bloß nächste Menschliche (im Grund nur
Bequemlichkeit des Lebensradius mit großen Arbeitseifer, falsche Dynamik
gegenüber ––

Weihnachtsferien: Weihnachten. Berge und Hügel, hoher Himmel
und Landschaft. Landschaftsgliederung, Bauerntum. Spaziergang
Wald und Hörnle, Spaherneck, Schmiedswies, Frischerweg, Alter Schlag, Schelmen-
klinge etc. Heimatnatur. neue konservative Art

Sinnesänderung gegenüber Riehl.

Ziel (aber Sünde und Umkehrfähigkeit als geschichtl. Bruch und
durch Bruch der Planhieratik und Architektur;
Geschichte auch vor Erbsünde möglich, aber als reine
hieratische Prozedur.

Sakrament

Herz Jesu

natürliche Lage, Gebirgsausläufer, Kirchenwege. Wie
ist altes Kulturland dem Lohn oder der Strafe unterworfen?

Herdengesellschaft

40

Weihnachten, filioque [Weihnachten 1914]

Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert
Dadurch das Christus historisch wird, verschärft er alle geschichtlichen
und gesellschaftlichen Formen (Aufdeckung und Verbindung des Zwiespalts,
Friedensidee „und den Frieden auf Erden (die eines guten Willens sind.
durch diese Bedingung wird die Friedensbotschaft ein individu-
elles Evangelium und kommt in die innere Grenze)

Januaranfang 1915 [Januar 1915]

Rabenflüge über die Dorfhäuser am hellen scharfen
Morgen, über die wunde Erde und Wasserfließen
und die Saaten, die zu warm in der Witterung stehen.

Niederlage und Besiegung. Verdienste des Leidens und
reinste Zeitlichkeit x <1> Überzeitlichkeit, geschichtlich
und gesellschaftlich muß die Tätigkeit, die Ort- und Form-
schaffende, wenn auch verengernde über Leidensidee stehen
Wille zur Macht ist Staats und Volksgesetz, aber nicht Einzel-
recht.

41

Wer heute dumpf im Lande liegt
heulende Stürme, aber Bett und Zimmer unbewegt
Sturm hoch am First rüttelnd, Soldaten, johlende ? Nacht-
züge

Um die Mitte gefesselt, statt an Händen und Füßen
gekreuzigt. Gott kann die Erde nicht auflösen, er kann
sie während ihrer Geschichte nicht erlösen.
Gott du kannst mich nicht erlösen
Ich kann mich nicht erlösen
Wir beide können mich nicht erlösen,
Schicke deinen Sohn den Erlöser

[rechter Rand:] Erwachte neu aus
dem Heidentum

Schwestergefühl und Mutter

Schluß K B.

Von Gott die Gewährung von allem {In dies}
gleicherweise verlangen, das Große und Kleine, höchste
und natürlichste mit gleich gläubiger Bitte und gleich
unabgestuftem Danke verlangen und erhalten.
Schluß des Lebens Kindheit; Ende und Bekrönung
der Gesellschaft. So wird Gebet aus Geschichtskraft
wieder zur literarischen Form, heraldisch.

42

Vor Mitte Januar

ein Herrscher (Kirche?) der mit der Idee wirken will (also
ein wunderbares Geschichtsvertrauen hat, ob es belohnt wird
durch Wirklichkeit?) und ein Herrscher, der alle nächsten
Mittel und Ziele rücksichtslos nimmt, meistens der kleinere,
der dadurch Schwung und Vorwärtskommen bekommt (cfr.
Serben und Preußen) während der größere aus Alter schon
die Idee und ein selbst wieder abenteuerlich aus-
sehendes gläubiges Geschichtstunlassen bevorzugt.
die Ghibellinen auf der Höhe und am Ende der ersten
deutschen Geschichte.

Dienstag, 12. Januar 1915 [Dienstag, 12. Januar 1915]

daß gerade Belgien (Ypern), das Land des alten Bürgertums
zerstört und verwüstet wird. Geschichte wendet sich gegen
das Bürgertum, sein eigentlichstes Werk. Lage und Geographie
der Berufung.

Das Wunder der Zeitführung (<1> Österreich?) und der knappe
zugreifende Glaube an geschichtliche Führungsidee.
Glaube an das dauernde Führungswunder, an die

43

Freiheit unter dem Gesetz, daß jedes Ding zu seiner Zeit
geschieht, Japan, Rußland, alles an einem Faden hängt,
Damoklesschwert, aber doch größte Freiheit, letzte größte frei-
heit (Weltfreiheit, als plötzlichste, innerste Grenze Freiheit, die immer
ergriffen aber nur im Augenblick begriffen gegenüber Ordensfreiheit, die be-
wußt gebunden) Gefühl des unter dem Kreuz liegenden,
Gefühl des wie gefesselt unter dem Kreuz liegenden, mit ge-
waltigstem Blick (nicht Tier und höher und niederer als Pflanze), zuletzt
das ungeheuerste Spannungs- (und doch Schwebe-)Gefühl, daß die ganze Welt
an einem Faden, der gestückte [?] Raum, die Massen
der Länder (Rußland) die nur ferne dräuen gegenüber dem
Kreuzbaum und der fixen aber immer heiteren Ruhe unter
dem Kreuz.

Donnerstag, 14. I.15 [Donnerstag, 14. Januar 1915]

Nationalitätsprinzip Frankfurter Nationalversammlung ist
naturalistisch (im älteren Sinne oder auch genrehaft)
daß Österreich heute auf dem Balkan den Status quo

44

und dies Prinzip erhalten wollte, obgleich es selber ganz 19.
Jahrhundert hindurch als alleiniger Staat höheres Prinzip
des Bestandes hatte, ist charakteristisch für alte höhere
Gebilde, die oft aus Schwäche vor TraditionsBerufung bloße
Zweckgedanken benützen, sich nach unten, an das zu junge
angleichen wollen.

Erdbeben in Italien und Rom. Paulus riesenstatue stürzte
vom Lateran. Paulus Gründer der Gesellschaft und
Weltchristenheit, Risse in Peterskuppel etc. sich drehende
Säulentrommeln mit Statuen.

Freitag, 15. I. 15 [Freitag, 15. Januar 1915]

(Abbas Hilmi) Dauernde Ziele und konservativ unfrucht-
bare immer labile Kraft

als Gedanke vor dem Gekreuzigten, weltver-
lassen, Naturverlassen, so muß man die eigenste innerste
Grenze im Augenblick des Treffens suchen
und finden. So auch im gegenwärtigen Kampf
zuerst auf die unfeinen Mithilfen, Mithilfen wie

45

Nationalitätenhader, Revolution sozialer etc. Art,
Polen, Iren [?], Balten, Sozialdemokraten etc. und was
sonst noch an nachher nicht erfüllten ersten Hoffnungen,
während in Mitte an Kraft und Zeit nothaftigkeit nichts
erspart bleiben dürfte. Wie schwer doch, sich an diese
wahre innere Sachlage genug zu halten. Daß aber
alle die äußeren Hilfen nicht eintraten und nur immer
Hangen und Bangen in Kraft (auch die ganz andere des
lange in der Wage bleibenden, wägenden Weltkriegs,
ein Krieg fürs Auge, nicht für den Erzähler) das ist
Zeichen für hohe Berufung dieser unserer Zeit,
Stigma unserer Welthaftigkeit und Welthaftung

Samstag, 16. I. 15 [Samstag, 16. Januar 1915]

Wie ist heute (gegenüber der falschen bloßen Massenphi-
losophieauffassung) das spezifische Formstigma
der Geschichte
, die innere Grenze, Erfahrung und
eigentliche Weltlichkeit, Weltwesentlichkeit?
Das Dienen an höheren, höchsten Aufgaben bei scheinbar

46

ganz materialisierten Grundlagen, die gewaltigen
Abstände der mittleren Kämpfermenschheit
gegenüber der unteren und bes. der oberen Form, welcher
Art Spannung, die Dramatik unserer Weltlich-
keit cfr. wie mit Liebe zusammenhängend oder
Pietà, wenn die neue Form einer göttlichen
Eigenschaft kommt, so ist zunächst die unbewußte
oder scheinbar gegensätzliche Zeitkampfäußerungs-
form da cfr Glaube gegenüber reclusa (nicht diese Trennung)
Liebe gegenüber ? Trennung und Einheit zugleich
Hoffnung gegenüber Geschichtsabtrennung, Naturali-
sierung des Volksbegriffs

Daß das Germanentum
nicht nur mit der göttl. Eigen
schaft der Hoffnung, sondern auch jetzt
der Liebe begabt und beladen
wird

Zwiespalt aber in Geschichte langsam
entwickelnd sich geltend macht, was
dem christl. Einzelwesen schon gleich möglich.
: im Christentum lebt das Einzelwesen schon
die ganze Zeitlichkeit vor der Geschichte wie
nach der Geschichte, es ist immer übergeschichtlich.
Es hat Christus in sich, wie die Geschichte den Leib bewahrt.

47

Montag, 18. I. 15 [Montag, 18. Januar 1915]

Diese Tage wieder viele Soldatenzüge fort. Skifahrersoldaten. Daß wir diese Zeit
erleben dürfen.

Opfer, höherer Wert, Soldatentod, Vaterlandstod.
Daß Christus für das Geringere, also für die Welt sich opferte, da-
durch ist die Erlösung zu verstehen als Erlösung {Erhöhung} der ges. Form.
Der Kampf in Gesellschaft und Geschichte bleibt unter der
Erlösung zurück, aber die Teilnahme der einzelnen, an
sich christlich höheren Seele wird deshalb notwendig und
wertvoll, weil sie durch das Opfer der Liebe und der
Eigenerfüllung die Gesellschaft erhöht, dem Weltplan
dient, ein Opfer bringt und Christus gleich sich formt,
das filioque.

Dienstag, 19. I. 15 [Dienstag, 19. Januar 1915]

Spitteler. Das liberale Schweizer und sonstige Denken
muß gegen Deutschland sein. Auch ein Kongreß
(eine Versammlung der mittleren Gesellschaftsmeinung müßte
das) darum kann Deutschland auf keinen Kongreß eingehen
denn es darf nicht
durch eine mittlere
Ges.meinung verpflichtet werden.

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Mittwoch, 20. I [Mittwoch, 20. Januar 1915]

Idee heute nicht mehr gekannt. Zweckgedanke, der sich ausbildet3
England und Amerika als höchste Idee.

Donnerstag, 21. [Donnerstag, 21. Januar 1915]

Nachricht, daß Zeppeline über England waren. Dieser Tage wieder
viele Soldaten fort mit Musik am Bahnhof noch nachts 11.50
ein Zug fort (Infanterie Hofman) mit starker Musik in Bahnhofshalle.

Freitag, 22. I. 15 [Freitag, 22. Januar 1915]

Censur als doch, so gerne sie jetzt ertragen wird, ein Anfang
gesellschaftl. und geschichtl. Faulheit. Die größeren Gegen-
sätzlichkeiten werden gerade in der notwendigen An-
wendung auf die mittlere Meinung verhindert und
ausgeschieden, und kleine Streite und Eitelkeiten, persönliche
Klitterung gefördert. cfr wie verhält sie sich gegenüber Kampf und
gesellschaftl. Mitte. Kleiner Literatenstreit.

Nachwirkung der Zeppeline über England. Unterseebootsangriffe
auf Handelsschiffe. Verantwortung auf sich nehmen. Auch in
Ges. und Geschichte muß man durch Tat die Verantwortung auf sich nehmen
nicht die büßende, sondern die bindende.4

49

Samstag, 23. I. 15 [Samstag, 23. Januar 1915]

Der starke innere, erhebende Stolz auf ein mächtiges Reich
Das Glück, in dieser Zeit leben zu dürfen. Die Überzeugung,
daß Deutschland erst am Anfang seiner neuen
Weltgröße steht.

Mittwoch, 27. I. 15 [Mittwoch, 27. Januar 1915]

Das Rechnen auf die gesetzl. Schutzmittel, auf die gesellschaftl. Bestimmungen
für Staatsplatz und in Staatsverhalten, um Leben zu retten, Land-
sturmbestimmungen. Diese Art falscher Selbstsicherung. Auch
Rechnen auf Geldmittel und Unmöglichkeit des Staates, bis zum
äußersten es kommen zu lassen, so sucht man gerade mit
methodischen und Geldpreismitteln und kapitalist. Form
Leben zu retten. Kleine komische Tragödien der großen Zeit.

56. Geburtstag des Kaisers

Den besten und geschichtlich einfältig lautersten erst
dann Aufgabe unbedingt zu lösen aufgegeben5
und aufgenommen

50

wenn sie am schwersten ist: Während er vorher zu Krieg
oft günstigere Gelegenheit gehabt hätte, muß er die
schwere Zeit auf sich nehmen, wenn er es nicht will, sondern der
Wille der Geschichte mit ihm vorhat. Bewährung ist die
schwerste Aufgabelösung, nicht die (kairos) gewandteste.

Donnerstag, 28. I. 15 [Donnerstag, 28. Januar 1915]

Gebet als zeitlose Ordnung und als Willkür. Gebet
ist ungeschichtlich reiner Glaube, Geschichte ist ange-
wandter Glaube. cfr auch zu O. B.

Freitag, 29. I. 15 [Freitag, 29. Januar 1915]

Gewohnheit und das seltene Glück, die seltene Fähigkeit {seltene Momente},
die bestehenden Geschichtsformen innerst als wahr
zu erleben, z. B. Papsttum und Glaube an es, oder
auch Kaisertum, Parzenruf [?] oder auch Ordensgeschichte
Beziehungen gegenüber Ordensidee {regel} selber6

51

Samstag, 30. I. 15 [Samstag, 30. Januar 1915]

Trieb in die Zukunft zu schauen, nicht starker die Gabe
geworden der Prophezeiung, darum auch rechnerisch etwas verlängert, obgleich
technische Kraftverhältnisse und Mittel.

Gespräch7 über die Notwendigkeit der Ergreifung auch der
nächstliegenden Mittel. Nicht bloß durch Forderung
von Vollkommenheit, in der Verfolgung der nächsten Mittel
zeigt sich gerade der wieder zum Instinkt gewordene
Einordnungsstatus, die wahre Miteinheit in der großen
Hieratik8

Schneeweiße, kalte Nächte

Samstagvormittag heftiges kaltes Schneetreiben
Mittags Sonne und knirschend kalt, im Wald tief im Schnee
gestampft. Chiantiabend

52

Sonntag, 2. Vollmond des Monats [Sonntag, 31. Januar 1915]

morgens 7 Uhr Mondscheibe groß gelb im klaren
Westhimmel über Schneelandschaft Aubing.
vormittags sehr schöner schneeweiß kalter Sonnenmorgen
Pasinger Kirche, Spaziergang über Schneewiesenfeld.
Nachmittags bedeckt, kalt

Der Kampf ums Brot. das erste Rachege-
fühl für Hunger. So schrecklich kommt die Gesell-
schaft zum Kampf um den Futterplatz9
Kämpfe, Verschanzungen wie eine chinesische Mauer

53

Februar 1915

Staat und Kirche

Wie stark waren doch zu aller Überraschung die konservativen
Zusammenhangstriebe, wie stark auch die staatllichen
Bindungen in unserer Zeit. Wie ist nun der
Staat bekraftet gegenüber Kirche, aber doch alte große
Staatsidee verdunkelt oder ganz verlassen.
primitiv verpersönlicht im Kaiser - welche
Kraft liegt zu Grunde; die sittliche Idee be-
wußt, aber die – stärkere – Knappheit
{das germanische Zeiteinschnittsdunkel}, Zeitver-
trauen unbewußt, die Pietà aber wird folgen müssen.

Dienstag, 2. Februar [Dienstag, 2. Februar 1915]

Zeitungsnachricht: „Die „Humanité“ ergeht sich wieder
in Anklagen gegen zunehmende Religiosität unter den

54

an die Front abmarschierenden Soldaten, die vielfach
an den Käppis Medaillen tragen mit der In-
schrift: Herz Jesu, rette Frankreich! Dies bereite,
so erklärt das Blatt, künftige Bürgerkriege vor.“10

In den hist. pol. Blättern 155/3 ist zu lesen in einem Aufsatz
über Indien: „Der Nepalese duldet den mohammeda-
nischen Kaufmann, aber nicht den christlichen Missionär, denn so
sagt ein Gurkha-Sprichwort: „Mit dem Kaufmann
kommen die Gewürze, mit der Bibel kommt das
Bajonett.“

Donnerstag, 4. II. 15 [Donnerstag, 4. Februar 1915]

Abends Soldaten fort, am Freitag vormittags ebenfalls
mit Musik. man sieht in den Straßen immerfort blumen-
geschmückte Soldaten. Freitag trüb kühl. Donnerstag Föhn-
warm und sonnig um 11 vormittags in Nordost Verdunkelung
durch Dunst.

wie viel bare Mittelmäßigkeit in Deutschland!!

Man kann fast abgestoßen werden vom Kriegs mitdenken durch falsche
philisterhaft wichtigtuerische Arbeit der mittel<..>deutschen (Avenarius) Kulturw<..>

55

Mittwoch 3. II. [Mittwoch 3. Februar 1915]

Daß die romanischen Völker keinen eigentlichen
Platz haben im gegenwärtigen Geschichtsleben.

Das stete Fortringen und Hin und Her der Kämpfe bes. gegen Österreich
im Osten. Immer fehlt die letzte Kraft, (wie eigentlich
die oberste ideellste Kraft auch fehlt, der wahre Aus- und Ein-
blick.)

Völkerrecht: Daß der Krieg sich seine Gesetze selber
gibt.

Freitag, 5. II. 15 [Freitag, 5. Februar 1915]

„Eine größere Liebe hat niemand als wer sein Leben hingibt
für seine Freunde.“ Wahre Gesinnung des Opfers. Gesellschaftsver-
halten muß immer ein Opfer sein.

Degeneration der Menschheit, wenn das Recht zu
stark und Verlaß auf geschriebenes Recht zu alleinig
(Frankreich) {cause du droit} Diese letzten Dinge {Bindungen} bloße Gemeinschaft-
lichkeit, d. h. wenn Recht bloß auf Moral begründet, nicht
auf Instinkt (Naturrecht) und auf Dogma und höhere Berufenheit

56

Ein Zeichen für unsere Gute Sache, daß die falschen Geistes-
propheten (wie Lutoslawski, auch diese Extrem Kurios Katholischen) auf
der anderen Seite stehen. Unsere eigenen Philosophen sind bloß
ärmlich und leer, kaum eitel, oder sie wissen es wenigstens
nicht und wollen es nicht sein, aber sie sind darum
(Frischeisen-Köhler) auch nicht wahr, sondern bloß in der gesellschaftl Enge richtig.

Deutschland kann nicht groß genug werden; je größer
desto besser für den Katholizismus, und desto anstrengender
für die Kirche.

Freimaurerei, es ist keine solche Organisation
so mächtig, daß sie nicht ein noch mächtigerer histo-
rischer Geist für sich und im Gegensinne ausnützen
könnte. Bloß der Katholizismus hat die Kraft, sich
frei zu halten oder vielmehr die historischen Geister
haben nicht die Kraft, ihn festzuhalten. Je mehr die
historischen Geister sich auf die mittlere Kampf- und Gesellschafts-
linie festlegen, um so weniger können sie den

57

Katholizismus für sich arbeiten lassen. Es ist
großartiger, daß der Katholizismus heute nicht
arbeitet, als wenn er für die geschichtliche Gegenwart
beflissen wäre.

Mittwoch, 10. II. [Mittwoch, 10. Februar 1915]

Inwiefern ist die Gesellschaft wertbildend, wert-
enthaltend?, vor und nach Christus?
gegen Messer (Märzheft Hochland)
England, Stoa und Krieg.

Freitag, 12. II. 15 [Freitag, 12. Februar 1915]

Nachricht, 76000 Russen in Ostpreussen gefangen
(Zahl steigert sich in den nächsten 8 Tagen auf über 100000 [?].

Samstag, 13. II. [Samstag, 13. Februar 1915]

Schöner Sonnentag, morgens kalt, gefrorene gebaute Schnee-
landschaft, Tauschnee schöne helle Luft. Starkes Lebensgefühl
hängen am Leben. Absolutes Gottvertrauen

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Mittwoch, 17. Februar 1915 [Mittwoch, 17. Februar 1915]

Aschermittwoch. Claudel, dieser unfruchtbare Vorgänger der weiteren Religiosität

Babylonien, welche Katastrophe

Sein Lebengang einzelne Lebensform. größte Freiheit, mit
seinem Leben umzugehen.

Donnerstag, 18. II [Donnerstag, 18. Februar 1915]

Tag der Drohungsausführung gegen England

Die dauernde Lüge beim Streit. Verdecken der Schrift,
Flaggenbetrug (Kampf als Gesellschaftsmitteform und Lüge
danach als nächste Begleitung, {und Gesellschaftseigenschaft}
der Vater der Lüge von Anbe-
ginn.

Die stets größere Verantwortung, die Deutschland
auf sich nimmt. Unterseekrieg als geschichterhaltender [?VR: geschichteerlebender]
Augenblick.

Samstag, 20. II [Samstag, 20. Februar 1915]

Das sich gesellschaftlich endlich bewähren müssen.
Sonst verdient man die Erhaltung in der
Geschichte nicht.

59

Daß man sich selbst in dieser Zeit immer von den Dingen und Taten entfernt
wie erst in andern Zeiten, grünes und dürres Holz.

Montag, 21. II [Montag, 21. Februar 1915]

Musik, wieder ein Zug fort, jetzt ist um 6 Uhr abends schon nicht
mehr Nacht gegenüber den Winterabend Nachtzügen, noch hell, kurz
vor Zwielicht Abfahrt, heute Tücherschwenken. Gestalten
im Zwielichtabend werden feierlich dunkel und Gesichter hell
aussehend mit den Straßen. Hinten [VR: Kinder] Zaungäste am Bahnhof

Innere Grenze als zunächst schuldlose, gleichgültige,
aber durch Geheimnis der Erbsünde schon vorausbestimmte,
geschichtlich feste Basis des Dramas gegenüber Höhe.
Wie ist diese Basis und innere Grenze ver-
schieden von Geschichtsinnerkampfgrenze? Durch
Individuation. Durch die geschichtl. und gott-
menschl. Planhaftigkeit, während in der Kampfkraftnot-
wendigkeit zunächst nur Mittel und Unterscheidungsgrenze ist, eben
das Urteil zum Menschenschicksal, das nicht gut und nicht bös ist, nämlich
das Urteil, sondern reines Zufügen, so ist auch der Charakter11

60

Freitag, 26. II [Freitag, 26. Februar 1915]

Möglichkeit mit der Gesellschaft statt Kompromiß Mitarbeit
am ersten mittelstgesellschaftlichen Plan. Dieser ist
noch nicht weiter als nur erbsündig belastet (also dem Men-
schen direkt zugesprochen und befohlen), sonst noch un-
versehrt und unbeschwert. So kann die innerste Grenze
dem kathol. Sinn gar nicht {nie} gewonnen [VR: genommen] werden

Schneien wie Schmetterlinggeflirr in Sonne. Tage wo soviel
Schnee weg, daß Henne auf Zimmerplatz und Hof schon unter
Dachtraufen Erdigen, trockenen Weg findet.

Samstag, 27. II. [Samstag, 27. Februar 1915]

Daß Staat tatsächlich nie ein Gebilde der Macht, sondern
schließlich doch der Berufenheit ist.

der deutsche Krieg ist ein Kampf gegen die mod. Gesell-
schafts- und Geschichtsauffassung, wie schon früher immer und
muß es immer bleiben

61

Vollkommenheit und Gesellschaft

Völker, Japan, die neue Aktualität (gegenüber der Pietà)
Dauer und Wechsel, innere Kraft und lebendige Leistung

Witz und Gesellschaft? desto mehr bloß gesellschaft desto
mehr Witz. Daß man den Kriegswitz heute weniger als
sonst mag, da trotz größter am Kriege beteiligter Geschichts- und
Gesellschaftsmenge doch die Empfindung ganz individuell, weiteste
Grenzspannung (diese würde Humor verlangen).

Französ. Patriotismus und Profitlichkeitskatholizität
Friedensgebetproteste in Madeleine-Kirche, für Frieden
nach glänzendem Sieg der Franzosen.

Caspar „Moses Siegesgebet“. Warum 3 Figuren.
Drittelung der Menschheit. Form gegenüber Pietà und
got. Gewölbe (in diesem Krieg noch nicht diese vollkommene
Form.

Der Glaube, daß etwas Schweres noch begegnen müsse.
aus einem unzulängl. nicht genugtuung gebenden Reuegefühl.
Aberglaube, wie kommt er zustande.

62

Montag, 1. März 1915 [Montag, 1. März 1915]

Frühlingssturm; lang jagende Wolken, hell, fast Sonne,
aber Neigung zu Regenjagd oder Schnee. Freitag, Samstag, Sonntag
Märzenbuzzen [?], johlende Stürme, Tag und Nacht Regen und Schnee
Tod im Frühlingssturm.

Freitag, 5. März [Freitag, 5. März 1915]

Aberglaube, Voraussagen, Prophezeiungen, Zeichen und Unsicherheit.
Wie solche Dinge erst auf Zeit eintreten, also nicht
am Anfang vorhanden sind. – Aberglaube nicht
wahre Anfangsreclusa, sondern Gesellschaftssache aus
persönlicher Unerfülltheit. – Gefühl, daß manchmal
die Welt auf einen fallen will und erdrücken. Lebenslast
aber nicht bloß persönlich, sondern aus der Fülle des Möglichen.

Furcht, ob man den Atem noch immer bekommt

63

Samstag, 6. III. [Samstag, 6. März 1915]

Frage unter der Hand besprochen und allg. gewünscht, daß Belgien
als Kriegspreis behalten werde. Protestant. und soziale
Bedenken. Es muß aber möglichste Weite gewünscht werden
auch wegen der inneren Kämpfe, daß diese um so
heftiger und weiter werden Friedensidee, Friede
muß gegenüber Kampf immer möglichste Weite und alle künf-
tigen Conflikte in sich bringen wollen Ein Friede
kann nicht als dauernder Friede Selbstzweck sein,
sondern gerade gegenüber Mittelform Kampf muß er alle
hohen und niedern Conflikte schon wieder in sich tragen, um die
Gesellschaft auch in der Höhe, nicht bloß im Abwärtsgang (der
auch nicht ohne Krieg ist) fortzusetzen

Gesellig Gesellschaftlich, Drama, Ausblick

Bei der (größten) stärksten gesellschaftlichen Betätigung
gegenüber dem einzelnen, Heerespflicht und Kampf, ist das

64

Zusammenkommen von staatlich-gesellschaftlicher
Verfügungsgewalt und Gottes Oberhand am stärksten
(Erhaltung und Vernichtung am ausgeübtesten). Rein formal wird Land-
sturm (Freiwillige) dem Heere eingereiht und dann hat er sich nicht mehr in der Hand,
und so stärkeres Gottvertrauen, während doch gesellschaftl
gewaltsam stärksten Schutz [VR].

Mittwoch, 10. III. 15, 11. III. 15 [Mittwoch, 10. u. Donnerstag, 11. März 1915]

Zurückhaltung der Logen Italiens

Wenn ein Staat einmal die Wahl hat, höheres Dasein des
Staats, statt der Not und Befestigung wieder in Freiheit des
Handelns überzugehen, höherer Augenblick des Dramas,
dann erst Kunst.

Freitag, 12. III. 15 [Freitag, 12. März 1915]

Der Protestantismus hat das vor dem Katholizismus voraus,
daß er der (sittlichen) zeitlichen Gesellschaft immer näher
ist. Wer sich in die Gesellschaft hineineifert; um so mehr
doch Zeugnis der Höhe, daß das zu [für?] hohe Kathol. gültig bleibt.

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Samstag, 13. III. 15 [Samstag, 13. März 1915]

Schuld und Wirkungswille, Schuld und Geschichte, Heldenbegriff
Ob das Ziel die Schuld entschuldigt und bestimmt. Die Viel-
fältigkeit, die ins Leben kommt, kommt erst durch Gesellschaft

12 Welche Kraft haben die Jungen Snobs fern zu bleiben??
Lucifer, die Kraft der Sichzuteilung, der Gegenreclusa [?], des Verderbs?

Gegen Kunstwart Türmer etc, Burgfrieden, Begreifen und Bellfern
im Namen der Gesellschaft, diese Art Charakter.

Daß man die Russen angreifen lassen muß, um sie zu schlagen(?)
Daß der Krieg gegenüber den Napoleonkriegen nach der anfängl. <..>be-
täubten Verwirrung und Hineinfinden in neue Situation
ein Rechenexempel und Rechnen auf Neutrale (Treue etc)
aber nicht romantische Weite und überraschende Offenbarung.
Eben sich Schlagen in den eigenen Mitteln (um so ferner
und stärker aber Geist Gottes darüber schwebend wie
am Anfang über den Wassern.

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Daß der Krieg zur menschlichen Lösung höherer weltanschaulicher Kämpfe nichts
beiträgt, nur Kraft, Lockerung und Weite gibt, dann müßten
die inneren Kämpfe und Auseinandersetzungen kommen. Gott
gibt im Krieg die neuen äußeren und inneren Grenzen für die Menschheit, die
Menschen müssen sie nachher formen, sich in sie formen.

Mittwoch, 17. III. 15 [Mittwoch, 17. März 1915]

(Ende erstes Drittel des Monats Schnee) leichtbewölkt, milchiger Himmel
Nachmittags, der sich gegen Abend immer mehr aufheitert, das Märzliche
das Unbefriedigt machen, Ostern wollen (Dienstag mitternacht
Heimgang kommt auch der Märzwind um die Häusserecke [sic], der sich auf-
macht, den Menschen zu berühren). Plötzlich wieder großes Sani-
täterauto eilends durch die Straßen, von oben gesehen
das große rote Kreuz.

Donnerstag, 18. III. 15 [Donnerstag, 18. März 1915]

Englisches Spiel, körperliches und Glücksspiel hinter der Front.
Tod- und Lebensschätzung. Spiel als Gefühllosigkeit aus Wertlosig-
keit seiner Egoistigkeit (gegenüber Kapitalismus bloßer Gehirnpunkt) der
Deutsche geht wohl nicht so leicht in den Tod, der Berufene und geruhende [?]
zu Wirken

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Freitag, 19. III. 15 [Freitag, 19. März 1915]

Vorwegnahme, Wegnahme, Vorwegnahme

Gebet und Gesellschaft. Weder ist es möglich, im Innersten der
Gesellschaftsform seine eigene absolute, einheitliche Lebensform
zu finden, noch auch ist es möglich, sich im Gebet ganz hinzu-
geben, sich mit dem Gebet zu vereinigen und einzuschließen, sondern auch Beten
(und also die Gegenüberstellung) ist ein Kampf. Gebet und Geschichte

V. Gebot: Versuchung einen Menschen tot zu schlagen
VI. Sittlichkeit natürlich und geschichtlich, das natürl. übernatürlich
zerstören.

Wie die allg. Wehrpflicht und also Militarismus eben darin begründet
ist, daß das mittelste Mittel die Welt leitet und daß nun
paradox die liberale Idee, mit dem kleinsten Mittel
zu wirken, alle Menschen in die größte stoffliche Macht
beansprucht.

Gehorsam, das Wichtigste

Gehorsam ist aber gerade das Gegenteil des
kleinsten Mittels, in ihm steckt die vaterhafte
Kraftaufspeicherung der Welt.

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Montag, 22. III. 15 [Montag, 22. März 1915]

Schönes Wetter (Sonntag in Perlach)

Der katholische Gedanke verbunden mit aller Kultur und aus materi-
eller Genußfreiheit ist der höchste, aber weltzerstörerisch (Karl V.)
Er ist die höchste Eile. Die katholische Kirche kann {darf} schließlich
nicht zugleich höchste sich selber eigene Gesellschaftsform sein,
sie ist in der gleichen Spannung wie der einzelne Christenmensch
In dieser Art ist ihr Reich nicht von dieser Welt

[Eingeklebter Artikel aus dem Hochland]

Albrecht Dürer ist in diesen Tagen der Besinnung auf deutsches Wesen
und seinen Ausdruck wieder mehr als sonst ein alter deutscher Meister zur Gel-
tung gekommen, ungeachtet der Wandlung, die sich in den letzten Jahren in seiner
Schätzung zugunsten Grünewalds als des reinen deutschen Künstlers vollzogen hat.
Dürer ist eben der kulturell weitere gewesen, und wenn auch sein Versuch, die
Anschauungen der italienischen Renaissance in den deutschen Formsinn zu über-
tragen, im ganzen nur einen fraglichen Erfolg hatte und haben mußte, so hat er
eben damit einen Widerstreit im deutschen Wesen vorausgebildet, der bis heute
nicht entschieden ist, und sich eben dadurch dem nach ihm kommenden Deutschtum
innig verwandt gemacht. Grünewalds bekanntes Auferstehungsbild ist tiefer und
deutscher, aber der Auferstehende erhebt sich nicht aus der Mitte einer so nah
gesehenen zeitgegenwärtigen Menschheit, wie Dürer sie in seinen Soldaten in
starkem deutschem Gefühl und fast einem Wuste von zudringenden Gestalten und
Werkzeugen zeigt. Das aber wird die wahrhafteste Auferstehung wie der deut-
schen Kunst so des deutschen Geistes sein, daß das erlöste Wesen sich erhebt aus
dem Gefühl des ganzen Volkstums und getragen wird durch eine ganze Wahr-
heit, die bei Dürer damals schon zerbrach. Der Widerstreit ist inzwischen
vielfacher geworden und die Erlösung schwerer; aber daß sich das ganze Volk,
selbst noch schlafend im höheren Sinne oder kaum die Augen öffnend, so um seine
geschichtliche Berufung schart wie die Wächter des Grabes bei Dürer, das stärkt
die Hoffnung auf ein deutsches Ostern. K. W.

Dienstag, 23. III. 15 [Dienstag, 23. März 1915]

Daß die natürl. reclusengütenahe Menschen die Zeitlage
und Notlage nicht so ausnützen und dürfen wie entfernte wie
also Kapitalisten, daß sie auch nicht so zur Revolution
tauglich sind.

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Dienstag, 23. III. 15 [Dienstag, 23. März 1915]

Daß in diesem Krieg anders als im 70. gesellschaftl. mittel-
stufigen auch die oberste und die unterste Stufe die Zeit
bestimmt haben zum Ausbruch.

Moses darf das gelobte Land noch sehen, darf aber
nicht hineinkommen. Vermessenheit: will das
gelobte Land nicht sehen, um dem Ende nicht
sich durch Gott nahe zu bringen, diese Art Streit mit
Gott. – Schöner Morgen mit ziemlich dichten Schäfchen-
und Federwolken. Flieger. Kohlenschaufler, Gedanke, daß
Kohlen verbraucht und nach Krieg wieder ersetzt werden können, so
alles Kapitalistische, Geld Kraft aber Naturkraft. Raffael
Marx-gedanke, der Übertragungs, sich unpersönlich Verab-
strahierungs möglichkeit. Tag vorher pflügender Bauer in
Perlach: Jahreszeit

Raffael usw [?], die wahre Mittelgrenze zwischen fremdmachender Ubertragenheit
und eigenem Formsuchen
gedanke und sein Lebensinhalt gegenüber dem
städtischen bloß als Einteilungsmittel toten seiender Stundengedanken

70

Sonntag, 28. III. 15 [Sonntag, 28. März 1915]

Vor 8 Tagen sehr schöner, sonniger, etwas kühler Tag mit stark-
blauem Himmel, Gebirge sehr scharf, doch nicht nahe sichtbar,
Perlach bei Fl. Montag früh sehr schöner Ackerbauermorgen,
kalt, Reif und Straßenstaubig. München Zug gefahren Dienstag sehr schöner
früher Frühjahrsmorgen, wo man in der Stille die lautere
Stimme hört und spricht. Mittwoch recht warm, föhnig, erste
Grasblättchen, kurz und breit wie grüne ? (Sterne) Nestchen zwischen
welken Grasfransen. Donnerstag warm und zweifelhaft Föhn, später
trüb. Abends Musterungsaufforderung erhalten. Freitag bedeckt
trüb, Regenneigung. Am morgen das scharfe erste Grün
des Grases, Karfreitagsgrün (8 Tage vor Karfreitag) Farbe mehr vor-
handen als das Stoffliche vom Gras. Samstag kühl bedeckt,
Eberlbräukeller Musterung halb acht bis halb ein Uhr. Spaziergang nach Hochbrück
Mariahilfkirche, Gasteigkirchlein, schleichende Katze, Fußartillerie I
Nachmittags trüb. Fl. Einberufungsbefehl auf Montag. Sonntag schneit
alles weiß. Pinakothek mit Frl. R Montag schneit, Schneelandschaft

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Montag, 29. III. 15 [Montag, 29. März 1915]

Daß der Glaube und das Substanzielle desselben für den
Menschen ein Geheimnis ist und bleiben muß. Daß auch alles
Begreifen und durch die Geschichte sich sichtbar und greifbar
klarmachen, daß, wenn man selbst sich den Glauben beweisen
kann, man doch noch nicht den rechten Glauben hat, denn er ist
noch etwas Höheres als bloß Bewiesenes. Er ist eine reinere
natürlichere Geistigkeit, man stirbt auch dafür im
Felde, ohne weiter an Begreifenwollen zu denken.
Der Krieg und die 3 göttlichen Tugenden, sie sind
sich menschlich am nächsten, am menschlichsten
gegenüber der längeren geschichtlichen (weniger leiblich natürlichen)
Auswirkung.

Dienstag, 30. III. [Dienstag, 30. März 1915]

Mantegna „Christus am Ölberg“: wie der Raum (reclusa)
aus dem Bilde verschwindet, kommt das Räumliche (technisch)
herein. Das Stehen bleiben von Mensch, Erde, Baum, jedes

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Ding und Mensch verlassen von der reclusa und Geborgenheit
in der unerlösten Schöpfung, jetzt erlöst-werden-müssend, Leidens-
starre. Jedes ganz allein (aber Gesellschaftsform schläft in
Jüngern) die schreckliche Sichoffenbarung des Daseien-
den, da das Seiende hinausgeht.

Mittwoch [Mittwoch, 31. März 1915]

wieder Soldaten fort. mit Musik durch Bayerstraße gegen
Abend gewaltige Menschenmasse begleitend takt-
mäßig und fast ganze Straße füllend

April 1915
Gründonnerstag, 1. April [Gründonnerstag, 1. April 1915]

(Bismarck Geburts Tag)

Gestern Abend starkes Schneetreiben, dann weiß wässerige
Schneenacht, dann ganz klar und kalt. Heute morgen Himmel
dunstbedeckt und ferne und Ebene Dunstgraublau Alles
weiß und kalt, gleichmäßig mit Schnee dicht aber nicht hoch
bedeckt, nur die Wege schwärzliche Spuren reifen und geflockt
mit Schneestreifen, die Bäume alle beschneit dichter wie
Rauhfrost, nach Südwest alle Stämme weiß bedeckt

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und beschneit. Büsche einzeln stehen wie weiß gewachsen und
nur da nicht wo geschützt eine grüne magerste Grasstelle, kaum
in Farbe angerührt. Graublau neblig mit da und dort Vogel-
zwitschern in unermüdlichem Knirren und Pfeifen locken. Dann auf
einmal gelber Schein über der kalten östlichen Höhe des
Himmels. Dann plötzlich blaue durchscheinende Stellen
im dunstigen Wolkentreiben, das auch als Treiben sichtbar wird.
ein Sonnenleuchten, wieder verdeckt durchscheinend. weiße Wolken
sammeln sich vor blauer Helle heraus. Vor Mittag
noch aller Schnee weg und Frühling, aber kühl. Abend in
Luisenschule, Fl. in Uniform.

Karfreitag, 2. April [Karfreitag, 2. April 1915]

Freier Tag, vormittags zu Hause. Unwürdig aller Gnade;
solcher Natur ein unnützbar großer Reichtum an gratia
proveniens, aber nicht (nicht mehr, noch nicht?) in natürl.,
sondern in geschichtlicher Bedingnis (Erkenntnisnahme,aber nicht Willensgabe)
Vögel nisten, sehr schöner kahler, blatt und blütenloser
Vorfrühlingstag, Schwarze und braune, grün mösige und weiße Birken, Stämme
Vögel zwitschern und nisten und fliegen geworfen
durch die Luft.

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Am Karfreitag darf man nicht hämmern. Geweih, das
schief hängt, weil ein Nagel fehlt.

Lektüre: Matth. cap 7 Schluß der Bergpredigt „die breite
Straße“ x Hegels Geschichtsschema der allg. Geistesentwicklung
cap. 8: Gesellschafts(lehre)gründung und Ewige lebensform

Kapitel voll ungeheuerlich großen Inhalts.
„Hüte dich, es jemand zu sagen“: die natürliche
Gnade soll man verschweigen sie ist eigen verant-
wortliches Gut, aber die geschichtliche Anwendung in
Kirche und Staat soll man machen.

Ostersonntag 4. April 1915 [Ostersonntag 4. April 1915]

Schöner, etwas wolkiger kühler Tag, Spaziergang
Menzing und Kanal
gegen Abend schnell trüb und Regen

O Baum, der in der Sonne knospt
Mit Regen kommt der Abend an

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Ostermontag, 5. April 1915 [Ostermontag, 5. April 1915]

Sudelwetter mit Schnee, nach Perlach, nachmittag
stark bewölkt mit kühlem Wind und Sonne, Park
(an diesem Tag fiel mittags mein Bruder im Priesterwald
wie ich am Freitag darauf erfuhr)

die Woche besonders anfang nach Ostern morgens schön und Föhnig, dann
kühl und schlecht

Freitag, 9. April [Freitag, 9. April 1915]

trüb, meine Schwester telephoniert aus Ulm am
Donnerstag gegen halb zehn Uhr, daß Löw geschrieben, mein Bruder
sei gefallen von Granate getroffen gleich tot
gewesen. nachts 8 Uhr nach Ulm gefahren

Samstag, 10. IV. [Samstag, 10. April 1915]

früh nach Haus

Daß Tod keine Strafe und auch Krieg insofern keine
Ausmusterung der Schlechten, sondern daß gerade
auch gute und Beste fallen muß, damit
der Krieg selber vor Gott Verdienste sammelt
und Genugtuung gibt.

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Von Ulm weg lauter Soldaten 4. Klasse {unterwegs kalt und leicht beschneit}
Von Ellwangen Schnellzug. Gespräch über
Italiens wieder ganz zweifelhafte Haltung. Schnellzug von Crailsheim nach Hall (Stetter [?]
aus Pfahlheim). Gehen über Steinbach, sehr schlechter Weg, Anläuten um Mitteilung
an Pfarrmutter (Vetter vom Einkorn ruft aus Schwaben, was aber nicht hörte) über
Steinbruch, junger matter stiller Mensch {Friedrich} aus Hirschfelden mit Korb
am Arm läuft durch ganzen Steinbruch wortlos halb hinten mit

bis oben auch 54. Ersatzbrigade. 6. Kompagnie Kamerad. Zu Hause zuerst
in Scheuer Julius, dann Franz, dann am Stegle oben unter Tür die Mutter
dann in Stube Vater. Später kam Marie. Lauter und ganz fassungsloser
Jammer (bes. da noch auf Urlaub schon fast täglich seine Ankunft gerechnet für
Erntearbeit. den ganzen Tag dann Erinnerung bei allen zufäll. Reden stößt
auf ihn. Warten auf Post, die nichts bringt, aber aus Löwen ein Brief, daß sie
ihn eingegraben. Abends beten, Kopfweh.

Sonntag, weißer Sonntag 11. April [Sonntag, 11. April 1915]

Kirchgang. (Macken Tone [VR]). In Kirche wieder Nachdenken über die Verdienste des
Leidens
in Gedanken an Mutter und das fast unverständlich Rätsel-
hafte dieser Lebens und Leidensaufnahme wie an Weihnachten, Dulden
und Jammern. (Mater dolorosa). Der Sinn des Leidens als Opfer

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So geht der Sinn des Einzeldaseins ins Ges. Dasein über
und ist die Lebensform, wenn nicht möglich, so doch gelebt.
Hier ist dann keine verständig absichtliche Scheidung,
sondern äußerl. innerl. Wahrheit. Als Gegenmittel und Rekompen-
sation der Mittellehre, des Weltläufigen Annahme des
kleinsten Mittels (gegenüber Fatalismus) ist eine immer
maßlosere Schmerzanhäufung notwendig, „Ob ein Schmerz
gleich sei meinem Schmerze“ ist vorbildlich, muß bis
zum Ende immer mehr gesteigert werden. Lösung der
Weltaufgabe und Erhaltung. Der Ausgleich und die
entmenschlich sprechende Kraft gegen den Vater.
das ewig Mütterliche. Leiden Mutter ganz
alltäglich und ganz Geheimnis; Mensch und Tier und Luci-
fer und Christus, bl. [?] Humanismus. Das natürl.
dauernde Opfer (im Unterschied zu geschichtlich und Geschichts
gründend einmaligen und dann dauernd Opfer
Christi, das freiwillig) das aus der Erbsünde

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ob freiwillig oder unfreiwillig folgt und folgen muß.
Das stärkste Opfer ist die stärkste Eigen-
schaft in einem. So löst sich παραδὁξον
und Verschränkung.

Das stärkste Opfer und die stärkste Eigenschaft in einem.

Nachmittag kalter Wind mit etwas Sonne, mit Julius in Garten und Gängele hinaus

Montag, 12. IV. [Montag, 12. April 1915]

Vormittags Fahrt nach Ulm, über Crailsheim, Jagsttal etc.
Schwester in Ulm erwartet Kind. Starke blühende Haare. Abends München,
verwundete bayr. Soldaten erzählen ganz anders, unbeteiligter als die Württemb
Mit Dulk in Ulm

Dienstag, 13. IV. 15 [Dienstag, 13. April 1915]

Bewährung, was es heißt als Lebensform? 8 Tage später: Die Lebensform
vor dem Sündenfall. Die reine Dualität als bloße Ordnung.

Laßt die Toten ihre Toten begraben!?

Je reiner ein Prinzip ist, desto leichter ist es verletzt.
z. B. Gespräch über Demokratie <.> dies liegt schon in ihm und in
der Weltform, ist also gar nicht einführbar, weil es keine
Lebensform ohne dualität gibt
man auch keine bloß geschichtliche herstellen soll, sondern immer etwas gegenwärtig dualistisches darin lassen.

79

Nur in der Kirche ist das stets gegenwärtige zersetzliche Element
nicht notwendig, was zu b. im Staat zur Schwächung beiträgt,
z. B. eben Einführung des demokrat. Prinzips, das kann in
Kirche, z. B. eben die voraussetzungslose untraditionelle und
demokratische Berufung und Wahl und Absetzung nicht zur Stärkung bei-
tragen, weil sie eine höhere und stets gegenwärtige Tradition
in sich hat (die der Staat durch Aristokratie etc wenigstens
geschichtlich behalten und formen muß). Der Staat muß
darum immer aristokratischer sein als die Kirche.

Mittwoch, 14. IV. [Mittwoch, 14. April 1915]

Morgens schneits, von West her leichte mürbe Schneedecke,
verfranzt, zernagt und flockig mit vielen schwarzen
Flecken der warmen Erde und der Wege, durchstechend
unzählige Gräschen stacheln. Mittags geht
aller Schnee wieder weg bei leichter Wärme aber
trüb.

Donnerstag, 15. IV. [Donnerstag, 15. April 1915]

heute Sudelwetter. Verderb, aber Ahnung,
fröhlich zu sein ob Gedanken an so

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viel Einsicht und Gnade und immer noch nicht fallengelassen sein.
Morgens Karte an Löw. Fröhlich und dankbar (in welcher Stimmung) nach
dem Tode Bernharts <1> wie wenn ein Opfer zugewendet (Gedanken auch,
ob Gott im Vorschuß und man auf ein Recht pochen dürfte, weil das Gewollte
nicht erfüllt hat)?! auch Dankbarkeit und so grundloses gehobenes
Sein

Österreich hat, ob nun auch unbewußt, die stärkste und geheimste
geschichtl moralische Kraft in dieser Zeit besessen, als
Schicksals mittelpunkt darum auch auserwählt, cfr dagegen
die Art der deutschen Kraft! wieder <1> warum ist
die russische Geschlossenheit nicht wahre Kraft?

Samstag, 17. IV. [Samstag, 17. April 1915]

Daß die nat. und internat. Presse nie der Ausdruck der
eigentl. geschicht. Wirklichkeit, sondern nur der gesellschaftl. fortschrittl.
Mittelwahrheit und darum eine Täuschung nach vorne,
stets dem wahren Wesen um etliche Längen voraus ist,
während die vertretene Meinung und Menschgesellschaftsbildung
dann plötzlich zusammenbrechen und das wahre Wesen sich dahinter
liegend zeigen kann. Welcher Art Wille ist nun in diesem
Voraustreiben?
in Presse und öffentl. Meinung?

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Dieser Krieg ist wie noch nie einer ein Kampf um den
Preis der Gesellschaftung und Geschichtsform gegenüber Natur und Übernatur
auf welcher Stufe? wie zu Völkerwanderung, Mittelalter, 30jährig Krieg?

Lichtere Sicht auf das Ende des Kriegs; über Höhepunkt, so ist
nun zeitweilig das Gefühl: weg. Gefühl der Leere für nachher,
wenn die Spannung nachgelassen hätte.

Wie schwer sich Gott die Erhaltung der Menschheit macht. Auch
so Kirche gar nichts, wie man es in der menschlichen Sorge
täte, zu gute tut, z. B. in der Gemeinde auch die festhaltenden
wegnimmt {(wie meinen Bruder)} und überhaupt mehr für die Erhaltung der mittleren
abwärtsgehenden Geschichtslinie sorgt13, macht sich es ähnlich
schwer, wie er sich die Errettung, Erlösung schwer gemacht hat

Sonntag, 18. IV. [Sonntag, 18. April 1915]

zu Fuß nach Perlach, morgens bedeckt, nachmittags blau mit Wolken
und stark windig, kühl warm.

Montag, 19. IV. 15 [Montag, 19. April 1915]

Krieg, Tod, Glaube und Vertrauen auf persönl. Aufgabe
das persönl. Mehr als der Krieg. Lebensform-
selbstgestaltung durch Begrenzung, durch Nützung (Martyrer)
Sinn des Martyriums und Begriff gegenüber Soldatentod.

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Dienstag, 20. IV. 15 [Dienstag, 20. April 1915]

Seit Sonntag jetzt ein paar sonnige, aber
doch noch kühle und kahle Tage. Nun wie Winterlast in Licht übergeht
und neue Besinnung braucht, um als dauernde Last geglaubt
zu werden.

Kurznachmittag, Himmel weiß bedeckt, schieferig blaßglänzend
und schiefergrau glänzende stumpfsteile Äste der Kastanien
Himmel nach Süden rötlich gelb, lange Streifen zwischen trüber
glänzend grauschwarzblauen Wolken. Licht und Finsternis und
Zwillings Gewitterstimmung und Kastanienknospen gelbweiß hart
mit flügge werdenden braunen Außenblättern der Knospen
(eine fast unwirkliche starr glasige Spannung) alle steif unbe-
wegt wie Flämmchen stehen, dann matter <.>wind und Ahnung
von Gewitter. Rollt auch schon Donner. Durchsicht durch Äste aus
Fenster wie mit Knospen vollgeworfen, die erstarrt sind
und abgetrennt und glasig. Heller Blitz und Glast und Schimmern im Spalt
Kein Vogel drin dann wieder ganz wasser-
helle Durchsicht, Helle und Klarheit, Klarheit vor Blitz, Klar-
heit und kaum sichtbarer Regen. Totenfeier für Bruder
Grab in dieser Klarheit und Gewitter auf seinem Grab. So heiter-
ernst ist jedes Ding, sich selber ausgesetzt.

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Mittwoch, 21. IV. 15 [Mittwoch, 21. April 1915]

um 3 Uhr wieder Sonnenschein [VR] am milchigen Himmel
Gestern abend noch starker lauer Regen, wieder Aufheiterung heute. Heute
Mittag halb 2 Uhr Gewitter, stilles Grollen und lauteres Trummen,
Durnen [?]. Kastanienbäume räumlich natürlicher und geklärter,
gewachsener, Knospen vor der Entfaltung grünlicher, nur in
der natürlicheren Schwellung der Dicke nicht mehr so üppig, wenngleich
größer aber nicht mehr so unwirklich gespannt, sondern loser und natürlich freier.
Gras in dieser einen Nacht gewaltig gewachsen. Auch die
Blitze weiß, lichter, jäher visionärer Spalt, nicht sich herabzückend, sondern
ganze Spalten klaffend, nicht Linien, und Risse. Eine Seite des Himmels helle
und Regengewitterig<..>, die andere nach Westen ganz helle Zone im Regen
gegen Mitte schräg herauf langgrau mit Wolken strähnen gegen
Westen herab wie zerrissene Lücke. Die Knospenblätter die außen
braunen schon zurückliegend und brennen [VR: braun und] wie Leuchter. So
gehen vor über und verwelken oder stehen ab und werden bald
dorren, so schon blühen und Verwelken. Grünen und dorren
natürl. Grün und Alter {Bräune des Alters} an einem Gebilde auseinander.
Sieh so entsteht die Natur, indem sie das Dorren und Welken
schon im grünen mit sich bringt und die Zeit der Teilung an einer
Knospe. nicht mehr die Einheit und der eine Drang, der sie schuf
Die große Stille der Natur, Regen im Westen, aber über uns von Knospe kaum ein Tropfen.

84

Donnerstag, 22. IV. 15 [Donnerstag, 22. April 1915]

Warmer Frühregen, Bäume hoch mit dünnen Ästen und Baumzweiglein
und hell grüne zahlreiche {lose} Blattknöspchen und Kastanienbäume dick und breit.
und durchsichtig mit schrägen und wagrechten Ästen mit dicken und schon fast
blätterigen Knospen hängt alles voll leuchtender, zittriger und bleibender
und wieder fortrinnender Wasserperlen. Regen fällt emsig und leicht herab und
klopft und geht wie viele Schritte auf dem Weg und Boden. Gras schon stark
grün und büschelig, die schon lange stehenden Weiden- und Palmkätzchen
ganz aufgelöst in Blüte. ganzen Tag vor- und nachmittag gleicherweise dieser stille Regen,
nur allmählich kälter, Knospen der Kastanien haben schon abstehende
Kelchblätter und möchten sich bei jedem Sonnenblick ausfalten. Doch stilles
Warten und Aufschauen, Augenlos heiter zuversichtlich (So habe ich auch die
Augen stets nach oben wieder verschlossen. Auch doch zuversichtlich stehn) und weite
gefaßte Scheine in der grauen Luft. Tag kühl und matt aufmerksam.
und schweigetriefend. Stets wieder die Spannung und das Schweigen, das
Schlafen schwer (in <1> nicht süß betäubt am Morgen) und voll und Fron des
Kriegs. Daß das sich nicht ändert als gewohnt. Wo birgt sich die letzte
Kraft die uns erhält. Man greift sie nicht. Man ist so wehrlos
vor sich und allem und so vor der Geschäftigkeit. – In der Kühle
möchten die Knospen, die noch nicht aufgedreht und sich überantwortet,
klein und mager werden und ihren Platz wieder in sich hinein verlassen [?].
und werden gerade so in Dehnung und Engung und sich in sich finden irdischer
und örtlicher.

85

Taktischer Kampf statt x strategischer Operationen

Wilson will für Amerika den Ruhm und Ruf erwerben, eine „Nation
mit Selbstbeherrschung“ zu sein!

Freitag [Freitag, 23. April 1915]

Trüber, bedeckter, regnerischer, kühler grauer Tag.

Samstag, 24. IV. 15 [Samstag, 24. April 1915]

grau und nebelig geschlossen.

Morgens wieder das Gefühl oder doch die Ahnung des Gefühls der inneren Fröhlichkeit
Geborgenheit, nicht in stiller Ecke oder Flucht, sondern recht mitten in der
weiten Welt und großen Zeit, im weiten freien alleinfrei und heiter und
nicht mehr verstoßen und Dankbarkeit. Fast ohne Grund und Wissen.
Die abgefallene Schwere und Bedrängung geebnet.

Ein Bataillon gedienter feldgrauer Landsturm mit zahlreicher
Menschenbegleitung und Frauen und Kindern mit Musik durch Bayerstraße
zum Bahnhof. Sieg bei Ypern, Yserkanal gestern und heute Nachricht
Nachts noch Osterbeicht St. Bonifaz.

Sonntag, 25. IV. 15 [Sonntag, 25. April 1915]

Osterkommunion {St. Bonifaz während Soldatengottesdienst} nachmittag Perlach, nachmittag schöner Tag. etwas kühl und wolkig, vormittags bedeckt.
Erfolgreiche Kämpfe bei Ypern und Cambrai. Viele ereilt [VR] der Frühlingstod.

Montag, 26. IV. 15 nachmittags [Montag, 26. April 1915]

lüftig, der Wind spielt an den Knospen und Blättchen.
Kastanienknospen (die während der 2-3 Tage Kühl stecken blieben),
kurz bevor sie sich entfalten, gefaltet, schlank werdend

86

wie zum Gebet und fast andächtig (Sehnsucht) Drang, Dehnung, Mutterleib
{andächtig wie Jungfrauen und Junge Frauen, dann geboren und entknospet wie stroppelige Jungen} [VR]
und Reinheit <1> Knospen in der Wärme wieder dicker schwellend, dann schlanker
auf einmal, bis man nach einiger Zeit wieder schaut, 1 oder 2 Blätter
ganz ungeschickt aus ihrem Korb grund heraus und nach unten schlackend [?VR]
wie wenn ein Vögelchen [VR] aus dem Neste fiele. dann schließlich alle
die matt und taub nach unten hängend, so erst reifer geworden sich
kräftigen, in Mitte grün und dicht die Kerze. Die Bäume alle werden
blätteriger dichter und doch lichter, weil örtlicher und natürlicher in Licht und
Raum, Verörtlichung, nicht mehr so viel eingeschlossene Gebilde
viele nicht ? <1> geben in reclusen Kraft.

morgens schöner Sonnenmorgen Kastanienschein über
den Dächern [strichzeichnung] Esse, Sonnenfeuer oder in freiem Grasraum
{auf freiem Plan}
Knospe wie Finger geschlossen bei Klee säen

Kosmopolitismus, Anknüpfungen

[rechter Rand:] Daß der Unnationale nationaler
sein kann als der nationale, cfr
gegen Joh. Müller, Diederichs, Spitteler
frei deutsche Jugend.

vormittags, mittags: leichte Sonne, die fast kaum an den Boden
reicht, Wolkenbänke zwei von West nach Ost und gegen
Nordost stark gebogen am Horizont wie eine gebogene Brücke schwer
Wald steht in naher Ferne leicht und getrennt {auch noch vor dem natürlichen Wetterbänke} einstäubenden
Blättchen und sprossenden Zweigchen, ausschlagende Knospen
überall das Lichte14, das in der Nähe grünes Läubchen ist. Kastanien
zuerst wie Reiben, jetzt gesträubt und gezaust.

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Dienstag, 27. IV. 15 [Dienstag, 27. April 1915]

Frühlingsschönheit und Lebensfortsetzung (Bernhards Tod). Das Böse
in der Welt, es ist oft so zu greifen, daß man den Glauben an das Böse
Prinzip versteht, das so in Natur und Knospe wie in Geschichte das Kreisen, die
Trennung herbeiführt, nur ist aber in Geschichte gerade eine andersartige, innergeistige
nicht der Natur verschriebene Tradition, sozusagen ein unverletzlicher Korpus,
eine untrennbare Substanz und Angehörigkeit.

Das Leiden: das nun unaufhörliche Arbeiten müssen, wie es scheint ohne Ziel und
Zweck, daheim, bloß zur Fristung der Zeit und des Lebens. Die Zeit
fristen!
gegenüber der Lebensform.

Kuppel, Kampf zwischen Natur und {x} Geschichte

Untätigkeit und trotz Sehnsucht gestillte, entrückte
Augenblicke und Unverlangen in der Natur. Dagegen
in Geschichte gleich Not des Zusammenhangs, des Punktes
auch Geschichte in anderer Art genußvoller als Natur
die Art der Arbeitsnot in Natur, Paradiesfluchbegriff.

Dienstag, Mittwoch 28. IV.15 [Dienstag, Mittwoch 28. April 1915]

gestern und heut die ersten
eigentlich, nicht bloß durch Föhn verursachten Frühlingstage
zwar windig, Ostwind und etwas trocken, aber ein Sprießen überall
in den Knospen, dehnen und langwerden, die Knospen Gliedchen
lösen sich, die Blättchen stäuben allenthalben. Nun hängen schon

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fast alle Blätter der Kastanien herab und die Kerze in Mitte wie süße Er-
schlaffung und Neigung und einzelne Knospen kommen noch nach, das
kleine gelbe Läubchen an allen Bäumen kommt und wallt und zittert
wie Rauch und Schatten vor den Wänden hin, ist wie aufgelöste, stoff-
lose, reine Bewegung im Winde und ist ein gelber Rauch im Walde und
Paradies und grüngelbe Kuppeln und Dächer wölben sich am Wald in
Winkeln herauf zwischen den dunklen Tannen, auf einem ganz niederen
Erdhügel ist das Gras schon büschelig – wie ist es nur so schnell und
groß gewachsen, ist ein Raumzelt für Vögel, ein unbedeutender, schöner
kleiner Raum.

Sieg der Türken auf Gallipoli

Abends in Bahnhof, Gedanke an Zurückkunft aus dem Felde: Wie wäre
dem Bernhard doch fast das Herz gebrochen, wenn er wieder überm Örtchen
hereinmarschiert wäre. Mutter Los: Leiden zieht Leiden an.
Nachts der Kastanienbaum im Licht: Baum der Zerstörung. helle klare Vollmondnacht.

15Dieser Tage Ende April Umkehr auf den Weg in die Geschichte und
Verständnis für „Geheiliget werde dein Name“ und für die Notwendig-
keit der Geschichtsfortsetzung im Gegensatz zur anderen (cfr bei
Schiller aber noch nicht im christl. Sinne) Not (Notdurft) der im Gegensatz
und Kampf zu Natur stehenden Lebensform. Kampf in Geschichte
ein anderer als Kampf gegen Natur!!

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Donnerstag, 29. IV. 15 [Donnerstag, 29. April 1915]

Leiden zieht Leiden an. Der natürl. reine Mensch ist dem Leiden
überliefert (Mutterschaft), der geschichtliche Mensch ist nicht der Leidende
sondern in jeglicher Art des Daseins der Fortsetzende. Auch Christus
mußte die ganze Natürlichkeit des Daseins erfahren (die
Natur eben dadurch durch ihn auch erlöst worden) daß er
ganz dem Leiden überliefert wurde (Ölbergzeit). Kein Mensch
kann so leiden, wie Christus, wie kein Mensch so im Gegensatz
zur Natur steht wie Christus, also auch den ganzen Weg zur Natur
herab nicht so durchmessen kann, weil jeder Mensch ein geschichtlich
eingeordnetes und in geistiger Not gegenüber Natur fühloseres [sic] Wesen ist.
weil eben die geschichtliche Lebensform vor der äußersten
Not der Naturform bewahrt, Christus aber beide Extreme diesseits
und jenseits der Geschichte zu bewähren hatte.

Der innere Gemeinsamkeitsgegensatz zwischen Natur und Gebet (Mutter)
der direkte und fruchtbarste Gegensatz zur Natur ist das Gebet und hier
Leiden als Opfer, während in mehr geschichtl. bewußter Daseinsform das Opfer des
Menschen (Mannes) nicht hingegeben, sondern wieder verständig fruchtbar
also seine Verdienste des Opfers wieder für sich aufgezehrt werden. Christus
ist so in der geistigen Lebensform Mann und Weib zugleich.

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Freitag, 30. IV. 15 [Freitag, 30. April 1915]

Daß man heute nicht sich von der Güte des Rechts beschützt, sondern nur
von der Fähigkeit der Aneignung beschwichtigt (selbst scheinbar frei und
eitel und selbstsicher gemacht) gesichert fühlt. Daß man im Rechte seines
öffentlichen Daseins nicht die Spur von höherem Rechtscheine [?] spürt, sondern
nur eine mögliche fortschrittliche Aneignung, ein Hineinwachsen ins
Recht, wodurch es aber seinen höheren Sinn verloren hat. Die
Masse und Kraft des Rechts gelangt in der Geschichte zur Verteilung.
Aus dem Recht werden Rechte und dann Gesetzlichkeiten, das
sind nur gleichgeordnete Dinge, durch bloß staatlich verbindl
Verwaltung geteilt, keine höhere Ordnung. x Inwiefern dieser Gedan-
kengang revolutionär; wie kann er noch revolutionärer gesteigert
werden (etwa in Marxscher Art der Übertragung, wie aber durch die
Eigenschaft, cfr Regelsubstanz, innere Führung als Weltplan festgehalten
und fruchtbar gemacht?) – Die einzelgeschichtl. Tatsache oder auch
der bloß tatsächlich äußerlich erkannte Weg der Geschichte hat demnach
keine Wahrheit, wenn man so das Problem aufwerfen und dann
die beiden Abzweigungen nach oben und unten aufzeigen kann,
vorlegend, welchen der Betrachter wählen wollen, sondern erst das
aus der Natur und ihre Erlösung kommende Individuum gibt ihm die
Wahrheit, aber nicht frei, sondern es {und Erfahrung} erkennt die Trennung und sieht16

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Immer noch schöner Tag diese ganze Woche. Kastanien; das Wachsen und lang
werden der Stiele und Abstand nehmen und die Reste in der Mitte und das
Hängen und untätig und uncharakteristisch sein der Blätter, wie Jugend und
natürl. Mensch die Abstände und die Zeit und Fristen vollziehen sich in
der Geschichte und er wird an seine Örter geschoben und hängt nur in
den Armen der Zeit und Gottes und der Menschheit untätig und wie
ohnmächtig. So behängt sich der Baum des Lebens und der Menschheit
und bekommt so menschliches Aussehen, aber seine Kraft bleibt
im verborgenen Aste belaubt vor traumblauem [VR] Himmel,
die eigentüml stumpfe Pyramidenform zahllose Keile
nach oben, die Farbe schon mehr grün und fast rotbraun in Kelch
Glanz vor der Bläue. Diese erste braune Jugend der Vergänglichkeit
(ein und [?VR] abwärtige Kelchblätter glänzend {und schimmert und <3>} vor dem ewigen Blau)

Nachmittags spaziergang Steinkirchen, Planegg, Trockenheit, Hitze und
noch nicht starker, magerer aber in den Blättern schöner Frühling, Enzianbläue.
gelbe Bäume am Waldrand schon in rötlichen Schein übergehend
Abends Schwüle, Unruhe (im) {des} Blut{es}, Schlaffheit. Ungefaßtheit. Daß das
Gutsein {der gewahrte Stand} nicht mehr reizt, sobald es etwas die Spannung verliert; daß
man leicht nicht mehr das Gute schätzt, sobald man es als etwas
immer noch auch außerhalb abgesondertes weitererkennt, nicht bloß etwas
Bezogenes und Gespanntes. – Vollmond rötlich im Osten nach
Süden in Abendnacht eben übergehend in 2. Phase und seine

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Schwere und Leuchte schwankt über und schwehlt [? VR schwebt] nach
der linken sinkenden Seite (abnehmend). Das Unheim-
liche des abnehmenden Mondes, der die Schatten hinter den
Bächen und Zäunen hervorruft und lebendig macht, den Mörder
ruft und den Geist entzündet. In diesen Nächten lacht es in
den Lüften und aus den Gründen, wenn man nicht horcht und
seine Gedanken {Sinne} sucht. [„Haut um Haut“ Hiob.

Es ist eine Zeit,daß bald niemand mehr „alt und lebenssatt
sterben“ mag wie Hiob. Aber doch nur in plötzlicher Belastung [?]

Samstag, 1. Mai. [Samstag, 1. Mai 1915]

35 Jahre alt. Schwüler Tag, kurz nach Mittag kurzes {leichtes} Gewitter aus
Süd (und Ost). vorher die Luft staubiger Schein und starr. {ganz} leichter Regen
und Hängen der Kastanienblätter, dann wieder sonnig mit Wolkenstreifen und Decken [?VR]
Unruhe, Ungefaßtheit und auf der Grenze, aus der 1. geschichtl. Lebensform
herauszufallen. In der 1. Lebensform ist die Würde, in 2. das stete
Hintersichstehen.

Sonntag, 2 Mai [Sonntag, 2. Mai 1915]

Flask. geburtstag, gute Cigarren, Perlach

Montag 3. Mai 1915 [Montag 3. Mai 1915]

Mittags Anschlag und Gerücht eines großen Sieges
in Galizien gegen die Russen. Erst spät durch Tagesbericht
bestätigt.

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Dienstag, 4. V. [Dienstag, 4. Mai 1915]

Frühhell. Kontrollversammlung am Vormittag. Sieg in Galizien
zugleich auch ungeheuerl. phantastische Erfolgs- + Beute Gerüchte
Wie aufgeregt die Phantasie allg. arbeitet. Ich habe
jedoch davon, außer aufmerksam werdend auf Straßen-
eifer, nichts verspürt. Extrablatt am Staketenzaun bei
Tietz gegenüber abends, daß falsche Gerüchte. Abends in Basler Hof. Gespräch
mit Caspar über Natur und geschichtl. Mensch, die 3 Bitten und Charakter-
arten; er auch in Mühltal gewesen und findet, daß viele Natur
außer der Gotik bis heute von niemand gemalt werden
kann, z. B. wie die Fische in Bassins im Wasser regungslos
stehen. Vollkommene Ungewißheit und Ratlosigkeit, was
eigentl. Bestimmung sei bei der Einsicht in die unrechte
Mitarbeit am gegenwärt. kathol. Programm oder Gesch. machen
! Gesprächsbemerkung: „Den Sinn nicht einsehen“
über Lebens- und Berufungsende und fallen im Krieg. Allmacht
Gottes und den Sinn nicht einsehen; daß Gott

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nichts Unsinniges täte. Über Ergebenheit zu großer Art, falsches
Leiden und Angst. Wer darf von Gott frank hoffen, daß er
das Unsinnige nicht tut und wer hat die Hoffnung verscherzt?
Die merkwürdige Lust, daß es nicht aufhören möge mit
Leiden und Prüfungen. Ob man aus dieser Weltprüfungs Zeit das
Leben hinausbringt! Die merkwürdige Lust, daß es nicht aufhören möge mit Leiden
und Prüfungen.

Mittwoch, 5. V. 15 [Mittwoch, 5. Mai 1915]

Diese helltrüben Tage der Zwielichtsonne
der Vormittage und Mittage

Daß dann erst der wahre Glaube und die Bewährung
sich zeigt, wenn (nicht bloß die natürl. Lebensform, sondern auch)
die geschichtl. Lebensform nicht in der Art sich weitervollzieht,
wie man sie erkannt zu haben glaubt, da doch Erkenntnis
sich auf geschichtl. Lebensform stützt, dann aber mehr
als Thomasglauben bewähren muß. Das Opfer des
eigenen Lebens
, die gewaltige (heldische) Freiheit, die in
der absoluten Bereitschaft liegt (das man selber

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ins Feuer läuft) Gott versuchen im höchsten Sinne, das ist
die höchste natürl. und geschichtl. vereinte Lebensform17, sie
kennt keine menschheitl. geschichtl. Bindung mehr,
das wahre Erlebnis gegenüber dem natürlichen.

Bitte um das Feuer, Gewisse Gefrorenheit des Geistes

Kann dir nicht dein Glaube genug sein? ist er
nicht selber Tat und Form genug, was braucht es die

das protest. erste [VR] Problem „Glaube allein“ zu Dismas

geschichtliche Erfüllung
und Einsicht in Deinen Sinn, auch Job wollte
sein Glaube nicht genug sein. Wie er materiell,
so willst du in der Erfüllung deiner Einsicht
belohnt sein. Siehst du nicht diese Gebundenheit
an die Fläche, die keine wunderbare Freiheit hat.

Genuß dieser Einsicht und Fortschritte zu machen, Vermessenheit sich
zu freuen, je ärger der Weltkampf wird, weil man das
alles Ausbeuten kann zu Erfahrnissen x

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Einfältig. Gespräch!
Luzifer, die 3 Versuchungen; daß der Heilige [VR] und Mensch
die luciferischen als göttl. Versuchungen an-
nehmen darf und sich opfern, und dabei
gerade auf Erhaltung rechnen, sich von der Zinne stürzen
ins Feuer gehn. Gott aber der durch Christus
es dem Satan gegenüber abgelehnt
hat, denn er der die wahre Mitte von
natürl. und geschichtl. Lebensform innehatte, konnte
nach keiner Seite Beispiel geben, die Grenze zu
überschreiten, und also auch nicht gegen Natur und Geschichte leben

Es ist Christus der
wahrste, die menschliche
Lebensform lebende
Mensch gewesen
Kein Mensch kann so
wahrer Mensch sein
wie Christus es war.