Konrad Weiß: Kleine Prosa
Inhaltsübersicht
Nachtgespräch zu dreien über das Geheimnis der Kuppel und die Trägheit
Versuch einer Theodizee der Lyrik
Monolog des Zuschauers vor den Marionetten
Ins Netz gestellt am 15. November 2022
Grundlage für diese digitale Ausgabe war die 1990 von Friedhelm Kemp zusammengestellte Auswahl Die eherne Schlange und andere kleine Prosa. Aus Urheberrechtsgründen werden die Anmerkungen Kemps hier nicht wiedergegeben.
Praesepe: Wie nahe heute der Abendstern gleich hinter dem runden Bug der Mondsichel steht, wie ein Tropfen, der aus der Schale gefallen ist und allein nun leuchtet wie die ganze volle Schale. O der Bug schwillt und die Sichel wird schmal und der Tropfen fällt und er ist wie ein Pfeil, vom Bogen fliehend, geschossen nach Westen. Aber man sieht die Sehne nicht und der Raum schweigt. Der Pfeil kehrt zurück und der Tropfen bleibt stehen. Und die Spanne vom Tropfen zur Schale ist wieder wie die Nähe zweier Augen.
Harmen: Die Natur bewegt sich aus Ruhe, aber der Mensch verzehrt sich in der Bewegung. In der nächsten Nacht hat der Stern eine andere Entfernung, doch im gleichen Raum. Der Raum des Menschen aber ist in der Zeit vergangen. Jede Nacht führt uns nach Osten zum Aufgang und jede Nacht hat uns nach Westen gebracht zum Untergang. Jede Stunde ist ein Tropfen, der aus der Schale verloren geht, und jeder Tag wie ein Pfeil in die Dunkelheit geschossen; die Nacht verschlingt ihn. Die Ferne nach dem Aufgang verliert sich aus dem Auge und die Nähe zu dem Untergang wächst erschreckend heran.
Melchior: Der junge Sinn sieht das Bild; der erfahrende Geist blickt in sich selber. Beide sehen mit zwei Augen, der eine in die Schöpfung, der andere in die Schöpfung und in seine Erschaffung. Der Greis sieht nur mehr mit einem Auge. Der Jüngling sieht am Morgen seinen Schatten vor sich fallen und sich zunicken. Das Bild kommt ihm entgegen. Am Mittag steht er schattenlos, er selber und sieht nicht, wo seine Füße auftreten. Wenn dann sein Schatten in den Abend fällt, kann er sein Bild nicht mehr einholen. Um Hauptlänge steht es gegen ihn auf und aus dem Umkreis fällt es von ihm ab. Als sein Vorläufer geht es in die Dunkelheit ein und er folgt nachgezogen einer blinden Spur, der seinen Schatten nicht in sich gesammelt hat. In der Nacht sind tausend Augen aufgetan und sie sind wie ein Auge, das ihn erwartet. Der Tropfen hängt am Rande der Schale und der Pfeil kehrt zum Bogen zurück. Zum Tage sprach der Herr »er werde«. Aber die Nacht war. Die Zeit muß zurückkehren, woher sie kam, und die Augen, die die Dinge zweifach sehen, müssen einfach werden. Der Rand der Schale ist stets tiefer als der Tropfen und die Kraft der Sehne ist am Fuße des Pfeiles. Das Auge aus der Urtiefe wartet auf das Auge, das im Kreise der Zeit umschweift, und die Urkraft saugt ihre Auswürflinge wieder ein. Kein Geschöpf versäumt seine Bahn und kein Geschaffener fällt gegen die Natur zum Schöpfer zurück. Alles Geschehen ist Wiederkunft und jedes Geschöpf hat seine Entfernung in sich selber. Das Sternengefilde der Nacht ist wie die Einsamkeit einer Seele, die still in allen ihren Weiten brennt und ihre Weite ist wie die Nähe zweier Augen und ihr Blick ist wie der verglimmende eines Greises, dessen Auge der Tag nicht mehr kennt. Seinen Schatten sieht er als sein innerliches Bild und seine Schwere ist an den Anfang zurückgekehrt.
Harmen: Wer nur im Bilde lebt, lebt nicht. Wer nur das Ziel kennt und den Anfang nennt und den Gang nicht spürt, der ist nie gegangen. Das innerste Bewußtsein des Menschen ist, daß er seine Entfernung weiß und das Wegmaß fürchtet, wo die Ferne sich in Nähe verwandelt. Qual der Freiheit, umzukehren, da man vorwärts schreitet. Wer den Augenblick nicht spürt, wo der Wurf aufhört und der Fall anfing, der ist nie Mensch geworden. Wer seine Schwere nicht ausgräbt, ist immer ein Totengräber Gottes geblieben, und wer nicht Särge einsenkt seines Tuns als drohende Meilenhügel hinter seinem Rücken, der hat seinen Gott nicht auferstehen lassen. Da geht der Mond und ist diese Nacht eine Sichel, eine Scheibe in einer anderen Nacht und wieder eine Sichel, stets die Spitzen sich zugekehrt zum Ringe, und flieht seine Mitte, durchschneidet zweimal sein Herz in der Zeit seines Umlaufs und bleibt unversehrt. Der Mensch versehrt sich, daß er seine Mitte erkennt; sein Herz ist in einem Ringe, dessen Ränder er flieht, und eh er die rechte Mitte weiß, ist er am Rande. Was er allein suchen muß, flieht ihn, und was er findet, gehört allen. Das Zeichen ist für alle und das Bildmaß ist jedem gegeben. Aber wer erfaßt den Sinn, warum er abseits stehen und das Zeichen lesen muß, und wagt noch den Spiegel zu halten, und wer erträgt die Kuppel, die nicht auf seinen Schultern ruht? Die Wahrheit ist ein Spiegel, aber den keiner hält, und die Kuppel ein Haus, das niemand gehört. Nichts scheidet den Tag vom Tage so rein wie sie. Aber wer grenzt die Nacht von der Nacht und baut die Kuppel ohne Schatten?
Melchior: Ich hebe meine Hände auf und schreibe das Zeichen, ich breite meine Arme aus und umfasse die Kuppel, ich hole die Ruhe der Nacht in meinen Atem ein und rufe das Wort »Lob«. Offen steht die Kuppel, abgehoben vom Rufe, schattenlos in der Nacht, ohne Maß von mir, unendlich über meinem Nacken. Ruf in die Nacht, wir holen den Atem, unser Mund fragt immerzu. Glocke der Stille, mit Gewalt schlägt der Klöppel, doch den Ton hast du.
Praesepe: Stille. Die Stille klingt, der Atem lauscht und alles Wesen ist hergeneigt. Die Kuppel wölbt sich und Süße quillt nach. Die Schatten pulsen, die Sterne funkeln und der Hauch verzittert. Ausgeatmet ist die Natur, eingesogen das Licht und die Kuppel schwebt in der Mitte. Scheitel von Scheitel fern, Stirn vom Rande berührt, Furcht in Segen gebannt [Transskription Roßkopf: gebaut]. Allmacht rundet sich her. Ausgestoßen im Laut und lautlos gefangen: Lob. Das Ohr der Nacht wiederholt den Ruf allmächtig und der Bohrwurm schweigt.
Harmen: Der Sinn bedeckt sich. Feuchte Kühle fällt und die ruhende Hand wird fremd. Der Lichtkreis wankt, die Brust erfüllt sich jäh. Sind wir noch [Transskription Roßkopf: nicht] nah beisammen? Die Seele weicht aus sich und fühlt nach Grenzen. Nacht nüchtert aus. Die Schatten traufen in den Nebel und ein weißes Meer schwillt auf. Die Kronen der Bäume schwimmen fort und die das Auge festhält, kommen näher. Sie tauchen unter, doch wo ist ihr Schaft? Ihr Fühler der Natur nach eurer Mutter! Die Flur wird Ebbe und der Grund gibt nach. Die Hügel sinken ein und dunkel steht ihr Bug. Der nahe Ort wird fremd. Arche, wo ist dein Ziel und wo der Hügel, der dich trägt? Die Erde quillt und drohend schwankt der Boden. Der Quell entspringt. Herz, heb dich auf! Der Sinn hat keine Grenzen. Näher, der Nacht zum Trotz, die jedes Wesens Schärfe wegnimmt, näher! Wer wirft den Anker aus und ruft: hier ist der Ort; und wer den Zeiger stellt, hat schon das Licht verraten. Das Zeichen schreibt er hin und bannt die Seele; die Hand, wer sie erhebt, er schlägt den Vater. Die Kuppel saugt den Odem aus von seinen Söhnen. Er hat die Zeit versteint, der Fluß verstummt. Es bleibt kein Erbe mehr. Er kennt sein Dasein nicht, der Rufer aller. Natur vergißt ihn. O Angst der Nähe, o Lob der Ferne! Doch wer entfernt sich zu den Sternen und läßt sein menschlich Teil zurück? Der Mensch ist ganz im Argen. Wer bannt die Zeit und ist nicht selbst im Banne? Und Nacht bedrängt ihn immer. Ich bin mir nah und fremd und nie inmitten, je näher desto fremder. Wer kann im bloßen Widerhalle leben, nicht fremd und nicht allein? Wär er doch mehr allein und nicht so fremd und nicht so abgetrennt und mehr verlassen! Wär er doch mehr lebendig! Weiß er denn seine Tiefe nicht und seine Brunnen? In Wärme wallt er auf und sinkt in Kälte nieder. Und das ist all sein Können, das ganze Werk. Im Weine perlt die Blume aus der Hefe. Der Geist schwebt aus der Erde. Doch ihn verläßt die Hefe nicht. Die Neige ist das erste und das letzte. O wär sie ganz zu kosten bis ans Ende! O wär der letzte Tropfen schon getrunken! Doch er fließt stets zurück. Und stets ruft ihn die Mutter. Mutter! Wer kann den Ruf erlösen? Wer darf dies Wort verdanken? Ich bin nicht würdig, Herr! Der Schoß ruht unergründlich. Bin ich denn mein? Blickt wer aus jener Tiefe? Die Seele schrickt im Grund. Der Quell hebt seinen Spiegel und erbebt. Der Becher zittert, wie ein Herz ertrinkt. Aus Neige Fülle. Die dunkle Nacht fällt nieder. Die Kuppel leert sich aus und sieh: hier ist ein Abgrund. Und Bitternis im Grund.
Der lange Weg war mit ihnen daher gekommen und ging eilends weiter, als er ihre Schritte nicht mehr tragen mußte. Ihre kleine Karawane lagerte auf dem freien Felde, denn es war Abend und der böse Feind gaukelte in den alten Bäumen am Waldrand. Er konnte aber den Wald nicht verlassen, so lange Christopher die grüne Schale in seiner Hand aufrecht trug. In der Schale lag das rote Blut, das er am Kreuze aufgefangen hatte. Er selber lag rücklings in seiner ganzen Erdenlänge auf dem Boden, sein Arm ragte an der Seite seines Herzens vom Ellbogen gerade aufwärts und seine Hand trug die Schale, daß sie über dem Boden stand wie auf einer Säule. Sein Blick fiel auf die Säule und er sah, daß zwischen der Schale und der Erde nichts Leibliches mehr war. Täglich war sie ihm fremder geworden, die seine Hand gewesen war, als er am Freitag der Schmerzen das Blut auffing, das vom Kreuzesbalken herabtropfte. Als die Erde bebte, die Felsen barsten und die Häuser der Stadt aus dem Lot wichen, da nahm er die Schale, die er erbeutet hatte – denn er war bis dahin Soldat gewesen – und fing das Blut auf. Sein Herz hatte schon lange gebebt in seiner Unwürdigkeit und jetzt am stärksten und da hob er den Arm auf, daß etwas an ihm wäre, das nie mehr erbeben sollte, sondern als ein Schwur bestehen bliebe. Seither trug er die Schale. Er war der Knecht seines Herrn geworden und nahm den Weg in die Heimat. Täglich schwankte in der Schale das Blut des Herrn weniger, je mehr das Blut des Knechts aus seinem Arme wich. So oft der böse Feind seinen Sprung machte vom Morgen bis zum Abend und neben dem Lager in den Wald plumpste, erschrak Christopher weniger. Immer ruhiger stand die Schale neben ihm auf dem Säulenstumpf und sein Blick öffnete sich, wenn er den astigen Knauf sah, in den sich der Puls seines Herzens verwandelte. Das war der Kelch, den Prosper begleitete mit seiner Frau Maria, die auf dem Eselchen saß. Und das waren die Gefährten der Reise, die mit dem langen Wege daher gekommen waren.
»Unser Feldzeichen ist dürr geworden«, wollte Christopher sagen, »eines Morgens, wenn wir aufbrechen und ich meinen Rücken aufrichte, wird es wohl stehen bleiben.« Und er dachte, wie die lange Gestalt seines Körpers in einer trockenen Form zwischen dem Nachttau liegen bliebe und daneben der Arm aufrage mit der Schale, vertrocknet und verlassen wie ein Vogelnest auf einem toten Aste, während er selber fortginge. Und das Blut, das unveränderliche, in sich lebendige, das keinen Rand ansetzte, würde nach ihm blicken. »Dann müssen wir hier bleiben und unser Weg ist zu Ende«, wollte er sagen, aber die Worte blieben ihm in der Brust liegen wie Steine. Sein Blick fiel nieder und er sah zwischen den beiden Gefährten durch auf das Eselchen. Es hatte ein Büschel Halme abgerupft und klopfte mit seinen staubigen Hufen die magere Grasnarbe des Herbstes.
Maria, die müde saß, sah die Steine in seiner Brust und nickte ihm zu. »Schau, Prosper, wie müde er ist«, sagt sie, »seine Beine reichen vor Müdigkeit bis nach Jerusalem.«
»Ja«, sagte Prosper, und fiel auf die Knie, »seit wir des Weges sind, hat er keine Nacht anders gelegen. Seine Beine zeigen nach Sonnenaufgang und seinen Kopf hat er nach Sonnenuntergang gelegt, nach seiner Heimat zu. Keinen Morgen haben wir die Richtung unserer Schritte zu suchen brauchen; wenn die Sonne aufging und neue Schattenzeiger nach Abend legte, waren wir schon auf dem rechten Weg.«
Und Maria sagte: »Alle Blumen haben uns entgegengeblickt, weil wir mit der Sonne kamen. Und meinem Eselchen haben sie um die Hufe gestrichen und jeder Huf hat ein Körblein hinterlassen, das mit Blumenköpfen bestickt und von Blumenstengeln umflochten war.«
Als der Teufel von den Hufen und den Blumen reden hörte, erschrak er so heftig, daß ein großer Blätterfall von der alten Buche herabschauerte. Es fiel ihm ein, daß er mit seinen Klauen eine Menge Blumenköpfe abgerissen hatte, und die hatte er wie einen Strauß neben dem Lager liegen lassen, das er jeden Morgen aufsuchte, wenn es verlassen war, um zu sehen, ob er es nicht hinterher zerstören könne. Aber jeden Morgen fand er es in gleicher Form zurückgelassen, wie den Grundriß einer Kirche, die nach Abend gerichtet war, Christopher in der Mitte, am weitesten der Sonne nachgerückt, zur Rechten Prosper, zur Linken Maria und zu den Füßen das Eselchen. Jeden Morgen hatte er diesen Grundriß gleichgezeichnet gefunden; nur der Ellbogen zur Linken Christophers hatte seinen Eindruck immer schärfer und fleischloser abgegrenzt, so daß der Teufel immer jäher zurückweichen mußte. Und gerade vor der Schale auf ihrem Säulenarme hatte er seine Blumenköpfe liegen lassen. Jeden Morgen hatte er dem Kelche des Blutes einen Strauß gebracht und nun waren die Grundrisse der Kirche von Jerusalem bis an diesen Ort auf dem Erdboden eingezeichnet und bei jedem Grundriß lag sein Strauß wie ein farbiges Siegel. Als die letzten Blätter von der Buche auf den Boden rieselten, befiel ihn ein großer Gram.
Es war still, als Prosper wieder das Wort nahm, und Christopher hörte die Stille ebenso laut wie die Worte. Prosper sagte: »Es geht nun einen anderen Gang als früher. Die Weltordnung hat sich verkehrt und unsere Schwere ist nach Abend gelegt. Wo das Blut entsprang, kann es nicht rasten und eine Gnade treibt die andere fort. Den Teufel plagt die Neugier immer ärger, er leidet Hunger, und statt Aas zu sammeln, kommt er nachgesetzt im Walde und schaut heraus, wo Gott im Streite liegt. Das wundert ihn, daß Gott sich selbst ein Kreuz ist, und wer ihm dienen will, ihn jetzt dazu verläßt und heimgeht. Das neue Leben ärgert ihn. Er sieht den Menschen auf die Erde viel mehr hingespannt als früher und seine Seite bloß, und kann nicht darnach treten; denn da steht jetzt der Kelch. Die Zeit steht in der Waage. Wenn einstens überall die Kirchen Christi stehen und nach Aufgang weisen und die Ferne die Wege hin zur Nähe vervielfacht hat, dann sieht er keine Grenzen Gottes mehr; dann hat er keinen Platz mehr vom Morgen bis zum Abend, wo er Sprünge machen kann, und muß auf seinem eigenen Kopfe springen.«
Christopher fühlte die Steine in seiner Brust kollern und mußte beinahe lachen; indem drückten sie aber seine Schultern noch fester auf die Erde. Er beugte seinen Kopf in den Nacken und seine Augen begegneten den ersten Sternen. Sie zwinkerten vertraulicher und nicht so feierlich wie in all den Nächten, da er ihnen das Blut Christi entgegengehalten hatte, und sein Herz zuckte zusammen, weil er beinahe gelacht hatte. Die Augen schlugen ihm über und durchfurchten das Abendrot, bis seine Blicke in den letzten Wolkenbrand gerieten, der hinter seinem Haupte niederbrannte. Da blieben sie an zwei Planwagen haften, die ganz hinten vor der Röte mit einem Troß von Pferden und Knechten dunkel herwärts zogen. Die Heimat wallte ihm ins Blut und sein Lager wurde hart.
Maria sagte: »Dann mag er sich an seinen Hörnern aufhängen. Dann kann er niemanden mehr quälen, außer wer sich selber quält und sein Blut unstet kreisen läßt. Die ganze Christenheit wird in Scharen vom Untergang heraufkommen und wird so fröhlich sein wie die Blumen, wann sie in die Morgensonne schauen. Dann hat der böse Feind das Nachsehen und die vielen Wallfahrtswege verbrennen ihm die Hufe.«
Sie dachte, wie er hinter den Pilgern drein von einem Fuße auf den andern hüpfen müsse, und wie ihm seine Nase hinderlich wäre, die Fußstapfen alle zu sehen, in die er nicht treten durfte, und sie fing an, leise zu lachen. Da knackte es heftig in der Waldung, und ein einzelner Wipfel fuhr aus der Reihe und schüttelte sich und erzitterte lange, bis er wieder an seinem Platze stand.
Christopher wandte seine Augen nach dem zitternden Baum; da fielen grüne Flecken auf den Wipfelsaum herunter und blieben zwischen den Gipfelzacken schweben, und vor dem dunklen Waldrande fuhren schwarz und klein die Planwagen hin, und der Troß und die Knechte drohten gegen ihn und taten seinen Augen wehe. Er schlug sie wieder auf nach dem Horizonte. Nun standen die Wagen näher und die Blahen waren hell vor dem verdunkelten Himmel und die Deichseln standen leer am anderen Ende. Die Heimat schlief ein und das Firmament tat sich über ihm auf.
»Heute nacht wird es Sterne schneien«, sagte Maria. »Mein Eselchen trollt noch immer hin und her und hat die Wärme der Müdigkeit lieber als die Kühle der Ruhe.«
Prosper sagte: »Das grüne Holz kann ausweichen und zittern, das dürre Holz bricht und splittert. Aber wenn es gerade Saftadern gezogen hat, gibt es einen hellen, schönen Klang. Ein solches Holz meidet er und nimmt es nicht zum Fußschemel; denn der reine Klang wirft ihn weit fort in die Luft.«
»Das arme Blut Christi friert«, sagte Christopher. Es war aber, weil er in dem Arm keine Wärme mehr hatte. Weiß leuchtete die Schale und der Hauch des Mitleids zog wie Opferrauch darüber hin. Vom Rande der Schale fielen Ringe herab und umspannten jenen Klang, den Christus anschlug, als er ausrief: »Es ist vollbracht!«
Die Nacht rief den Tag ab und Prosper nahm das Wort. Er stand auf und seine Stimme erhöhte sich. Da hielt auch der böse Feind den Atem an und sog den Widerhall nicht ein, so daß er unter dem Firmament fortscholl:
»Die dunklen Tore sind aufgetan, ihr kalter Atem hat über das Land geweht.
Die Stille fällt ein und die Haare des Hauptes werden gezählt.
Wenn der Weg auswiche wie ein Mensch, so könnte er nie zur Ruhe kommen.
Der Mensch hat einen Weg und ein Maß; so wird die Angst von ihm genommen.
Mahlzeit aber gönnt er sich am Wege und läßt so die Speise verderben.
So zehrt sein Maß sich auf und muß er an Wegzehrung sterben.«
Prosper ging im Kreise um die Gefährten und blickte unverwandt nach der erhobenen Schale. Dann kniete er nieder und sprach:
»Viele Monde sind in die Schale gefallen in vielen Nächten.
Diese Nacht liegt der Mond tot auf dem Grunde und mehr als lebendig. –
Rot ist die Scheibe, die Hostie blutet, der Leib des Herrn schwimmt im Blute.
Rot wie am Karfreitag die Sonne, der Mond wie am Karfreitag die Sonne.
Dies ist das Opfer des Leibs und des Blutes.
Wir essen die Speise, wir tragen den Weg das Blut.«
Prosper legte sich an seinen Platz zur Rechten und schloß seine Worte:
»Wir haben das Brot des Lebens in unserem Munde bis hierher getragen.
Vom Hunger ertötet, vom Lechzen erstorben.
Nun weicht die Verwesung, das Manna ist süß.«
Das Firmament stand hoch und unnahbar. Maria hob die Hände, um die dunkelblaue Decke des Himmels über das Lager zu breiten, und das Eselchen kam herbei, um den Eingang der Kirche zu schließen. Aber die Hände blieben inmitten des Werkes erhoben. Der Feind griff in seine Harfe und die Saite schwirrte. Maria sah, wie das Eselchen stockte, und ein Pfeil blinkte in seiner Flanke. Es hob den Fuß, wie seine Ältermutter, als sie am Palmsonntag unter dem Leib des Herrn auf das Gewand trat, das die Leute auf die Straße gebreitet hatten. Dann fiel es um.
»Graule, Graule«, sagte Maria und sah seine bestaubten Hufe, die es zum Himmel zeigte, »nun ist dir der Weg zu lang geworden und das Gras der Heimat hat dir die Hufe nicht mehr blank putzen können.« Maria stand auf. Da traf auch sie der Pfeil und sie ward hingelegt zur Scholle. Und Christopher traf der Pfeil und er rückte nur wenig zur Seite, und die Säule seines Armes stand allein im Felde und auf ihr die Schale. Und er ward zur Scholle. So drang die Pflugschar ein und furchte die Schollen, die der Pflug ablöst vom Wege. Und Gott zeigte dem Teufel das Erdreich, wie es sein wurde und wie es fruchtbar wurde und wie die Ackerfurche eindrang, die angesetzt war in Jerusalem. Der Feind griff in die Harfe, die Saite schwirrte und ein Pfeil traf die Schale. Der Arm stand unbewegt, aber die Schale sprang auf wie die Narbe der Seitenwunde. Und das Blut wurde zum zweiten Male vergossen. Da nahm Prosper das rote Tonkrüglein, das vor seiner Brust hing, und fing das Blut auf. Er stand auf und schritt nach dem Walde, um dem Feinde zu trotzen und das Blut zu trinken.
Gott liebt den Menschen nicht zum Wohle seines Leibes. Er verrät ihn, wie er seinen eigenen Sohn veraten hat, zu seiner größeren Ehre und zur Rettung der Menschheit. So wenig hat der Teufel Macht, die Stunde des Menschen zu bestimmen, daß Gott seine liebste Kreatur ausschicken muß, um die Zeit der Schuld abzuschneiden von der Gnade der Erlösung.
Die Heiden und Troßknechte ließen einen bösen Keiler los, um Prosper im Walde zu hetzen. Es war aber der böse Feind selber, der sich erbot, dem Blute Christi den Rang abzulaufen. Er lief steil im Kreise um die Bäume und stieß mit gesenkten Hauern hinter die Stämme. Aber Prosper stand gefaßt und zog die Beine zurück und der Feind konnte ihn nicht erraten. Da sah Gott, daß das Land noch zu jung war und nicht reif für die Ausgleichung der Schuld, und beschloß, Prosper das Verdienst allein zu lassen. Er schickte seine Kreatur, und während der Wald vom Rasseln des Keilers und dem Rascheln des Laubes widerhallte, sprang das Reh ins Feld und bekam den Wohlgeruch des Blutes in seine Nüstern. Es fand den Säulenarm stehen und leckte die Rinnsale. Da verkehrte sich seine Natur, es folgte dem übernatürlichen Wohlgeruch des Blutes, ging in den Wald zurück und verriet Prosper. Prosper aber setzte das rote Tonkrüglein an den Mund und trank das Blut. Da traf ihn der Pfeil in die Brust und das Blut wurde zum dritten Male vergossen.
Das Land empfing den Samen des Christentums und barg ihn in seinem Schoße, bis seine Zeit gekommen war. Der Arm Gottes hält den Arm des Menschen. Das Kreuz hat keine Eile aufgerichtet zu werden, denn wo es aufgerichtet wird, vervielfacht es die Schuld.
Jener Arm, gehärtet in der Entsagung des Blutes, wuchs auf in unverweslichem Holze und stand, ein hohes Kreuz in weitem Felde. Der Gekreuzigte aber hat keine Wangen, weil das Reh die Rinnsale geleckt hat. Der Regen stürzt in zwei Strömen von den Augen herab und die Sonne wendet sich ab von zwei tiefen Gruben der Kümmernis. Das Leben nach dem Tode ist ohne Erbarmen der Natur. Die verwesende Zeit umgibt das unendliche Wesen. Herr, tue uns nicht nach unserer Erkenntnis.
Der Schacht, den Willegis in sein Herz hinabgrub, wurde immer tiefer, je höher er aus dem Schachte der Erde heraufsteigen wollte. Je mehr das obere Licht sich auftat, desto schwärzer wurde ihm die innere Dunkelheit. So schwebte er zwischen Frost und Wärme und ward geblendet von Licht und Finsternis. Da entschied er sich, allem Werke zu entsagen und Gott und die eigene Seele auszuhungern. Er hieß die Zeit stillestehen und streifte die Erde von seinen Füßen. Er suchte die Nachbarschaft der Vögel und saß kniend in seinem Neste.
Aber er konnte sich nicht fliehen und nicht finden. Unverwandt kniete er nach Aufgang, aber seine Sinne gaben sich nicht gefangen. Der Sturm rüttelte sein Nest wie ein Sieb, aber er rüttelte die Seele nicht aus dem Leibe. Die Erde, die er verlassen, hing ihm täglich schwerer an und die Wohltat des Schreitens, die er seinen Füßen genommen, verwandelte sich in bleibende Unstete. Er entzog seinem Körper die Speise, aber was er vom Leib fiel, das nährte die Brut der inneren Stimmen.
So saß Willegis seit dem Ende des Winters in den Knien und wartete auf Gott. Er tauchte aus dem Versteck seines Nestes empor, aber Gott suchte ihn nicht. Die Stille der Zeit war wie eine Mauer und er stellte sich auf die Zinnen, aber Gott wollte ihn nicht sehen und wollte das Ziel nicht treffen. Die Vögel gewohnten ihn. Sie schmetterten ihre Stimmen in die Stille und die Mauern Jerichos stürzten zusammen. Er tauchte empor und sie belagerten ihn, aber er konnte ihnen nicht zürnen.
Alle Stunden richtete er sich auf und lauschte in die Tiefe seines Herzens, ob es noch nicht empfangen habe, ob der Quell noch nicht entsprungen wäre und das lebendige Wasser in der Urne noch nicht schwanke. Dann, wenn die Quelle leer blieb und keine Perlen in der Urne aufstiegen, noch vor dem Stundenschlag nahm er die beiden Klapperhölzchen, das einzige Gerät, das er auf den Baum gebracht hatte, streckte die Hand über den Rand des Nestes und klapperte den Vögeln, daß sie ringsum aus den Baumkronen aufflogen und dem Felde zustrebten, wo sie sich aufschwingend anderswo niederließen. So kam er der Zeit zuvor, die er stillestehen geheißen, und so schickte er Gott seine Boten.
Morgen fielen die Pfingstzungen herab. Die wetterstarren Haare auf seinem gebückten Scheitel zwirbelten plötzlich in einem leisen Winde, und als Willegis die Stirn von den Knüppeln aufhob, die um sein hölzernes Nest auf der alten Buche herumliefen, und seinen Kopf über den Gipfeln emporreckte, so daß ihm die Sonne ins Gesicht fiel, sah er die bleichen Flämmchen in der blauen Luft verschwinden. Die Erde sank in ihm hinab und sein Gram entwich in die dunklen Gründe. Aber der Hauch verfing sich und die Blätter tändelten. Die Ebene des Waldes schwieg über den Gipfeln und die Kapelle zeigte nach oben. Willegis prüfte den Schmerz in seinem Nacken. Sein Haupt blieb unberührt, seine Brust gähnte und er fror im Lichte. Er erkannte den Verrat der Natur und besann sich, um seine Last wieder heraufzuholen. Da flog ein Rabe mit einem Flügelschlage hoch und ließ sich an einem ferneren Orte einfallen, so daß sein Gefieder schwarz aufglänzte über dem Walde und wieder versank. Der Hauch verschied. Der Bogen des Himmels spannte sich. Der Horizont hob sich aus seinem Rande, die Erde wich aus ihren Fugen und fiel hinab. Willegis sah das Giebeltürmchen der Kapelle, das vor ihm in der Sonne stand, wie es aufloderte, und als die Enden des blauen Himmelszeltes sich lösten und ins Leere schlugen, wankte es und versank im Glaste. Die Flamme wuchs, die Lohe war über ihm und Gott war in der Lohe. Nun war die Zeit zu Ende. Er fühlte das Mal auf seiner Stirne aufglühen, das der Knüppel eingedrückt hatte, und wie sein Herz entbrannte. Sein Antlitz streckte sich in die Schärfe des Beiles und seine Augen erloschen im Feuer.
Da mußte er niesen, daß ein Schüttern in die Äste fuhr und den Stamm hinablief, ein Schall vom Boden aufsprang und zwischen den Bäumen fortrauschte, ein Widerhall an die Mauern der Kapelle schlug und dröhnende Schritte die Stille jäh unterbrachen. Erschrocken blickte Willegis in den dumpfen Aufruhr hinab und horchte auf die fremden Schritte. Aber niemand war da und stand und ging im Schatten unter den Bäumen. Der Schall schlief ein um den dunklen Schacht, den Willegis an der Buche gegraben hatte unter seinem Neste.
Da rugte die Uhr und die Glocke tat zwei geschwinde Schläge. Die Vögel stiegen auf vom Firste, schwangen sich in einem weiten Bogen über die Bäume und ließen sich auf dem hohen Kreuz im freien Felde nieder. Willegis starrte ihnen nach, wie sie ihm entwichen und in zwei dichten Reihen auf den Kreuzarmen niedersaßen. Das waren seine Boten, die er vor jedem Stundenschlag mit seinen zwei Klapperhölzchen aufscheuchte und zu dem Kreuze hinüberschickte, damit der Gekreuzigte von ihm höre, so oft die Stunde voll wäre, bis er endlich sein Haupt erheben und ihm zunicken würde. Diese Stunde hörte er nicht von ihm, denn die Boten waren ohne seinen Auftrag. Sie überboten ihre Stimmen noch heller als sonst und das Haupt des Gekreuzigten hing lauschend in ihrer Mitte. Aber er wagte sich nicht mehr bemerkbar zu machen.
Ein Herr hatte zwei Knechte; deren Namen waren Hauenbaum und Schabenast. Beide verstanden ihre Arbeit und waren gute Diener. Als sie schon lange gedient hatten, trat der Herr einmal früher als sonst an ihr Bett, weckte sie und sagte:
Holt den Baum, in dem ich wohne,
ohne Mark und ohne Krone.
Sonst sagte er diesmal nichts und damit schickte er sie fort. Sie machten sich ohne Versäumen auf den Weg und trugen ihre Werkzeuge mit sich, der eine seine Axt und der andere sein Schabeisen. Als sie bei dem gewohnten Walde waren, blieben beide stehen und Schabenast tat diesmal eine aus ihrer Regel fallende Frage, wobei er jedoch seinen Gesellen nicht ansah, sondern die Gräser und die wenigen Blumen in den Blick nahm, die an diesem Orte ihr Dasein hatten. Der Knecht fragte aber: Wie war der Auftrag, den der Herr uns heute gegeben hat? Ja, sagte Hauenbaum, er hat uns geweckt und dann hat er gesagt:
Holt den Baum, in dem ich wohne,
ohne Mark und ohne Krone.
Das waren die Worte, die ich gehört habe, und damit hat er uns fortgeschickt. Dann wollen wir in Gottes Namen anfangen, sagte Schabenast, das nächste kommt von selbst. Ja, sagte Hauenbaum, der Anfang ist gewiß; und damit holte er aus und begann eine mächtige Buche zu fällen, die ihre Laubkrone über ein großes Stück Erde fortgeschickt hatte. Er setzte eine Kerbe gegen die andere und hieb den Stamm dicht über der Wurzel ab. Als die Buche gefallen war, nahm Schabenast sein Eisen und schabte die Knorren, die den Sitz der abgehauenen Äste anzeigten, bis der Stamm geglättet war, und dann schabte er auch die Rinde, daß das Holz wie ein Gebein zum Vorschein kam. Das Fleisch der Rinde, die abfiel, konnte nicht mit dieser sicheren Nacktheit des Holzes und mit seinem Glanze wetteifern, dessen gleicher Schein zwischen den aufrechten Stämmen hineinlief und sich doch fast wie auf einem dunklen Wasser über dem Grün des Grundes erhöhte. Das ist die Arbeit an der Krone und an dem Mantel dazu, sagte Schabenast, und nun kommt das andere. Ja, sagte Hauenbaum, nun wollen wir das Mark des Baumes nehmen. Ebenso sagte auch Schabenast und dabei umging er die Länge des an sein blindes Ende zielenden Stammes, dann stieg er über ihn hinweg und zuletzt blieb er an der Seite stehen. Und das gleiche tat nach ihm der Knecht Hauenbaum; er umging die Länge des Stammes, stieg über seine helle und starre Flanke und zuletzt blieb er bei dem schweren Fußende stehen, dessen Wurzeln gleich einer anderen Krone in der Erde geblieben waren.
Die Meinung, die man bei einem Tun hat, ist so, wie wenn man sich auf einem Wege befindet und die Gegend nicht kennt. Man macht eine Pause und die Gedanken kommen her, ohne eine Regel wissen zu lassen, nach der sie einen Weg haben gleich dem, auf welchem die Sinne mit einer getreuen Bedürftigkeit sich vorwärts helfen. Ein äußerstes Bedürfnis bleibt immer unerfaßbar und mit ihm verliert man auch den Blick in die sichere Nähe. Man sieht die Dinge auf den Umwegen und obgleich dies zu einem schmerzlichen Bewußtsein werden kann und in den Pausen in uns wach wird, hofft man doch selber fast, auch auf einem Umwege zu sein und das Ziel nicht zu erreichen oder es in einer anderen Gestalt aufzufinden. In der Regel der Gedanken, die sich mit den Dingen nicht treffen, öffnet es sich und das ist wie eine Lücke, durch die unsere Wünsche einen Einzug haben und zu den Dingen treten, um mit ihnen eine Hilfe für uns zu beginnen. Wir geben uns in die Bewegung, um die Ziele abzuschrecken, und suchen in dem Einzelnen Bewehrung, um das Entfernte durch eine stete Wirklichkeit zu verstellen. In ein solches Geschehen sind wir gefesselt wie durch Ketten.
Auch empfindet man in der Arbeit eine fortwährende Abtrennung. Es ist etwas Verborgenes in der Natur, und mit jedem Stück, das ihr genommen wird, nimmt diese Verborgenheit eine treibende Kraft an. Sie treibt zur Verschwendung; aber die Werke verstärken in uns einen Einhalt. Wir stehen in der Regel eines Tuns, und wenn wir nun die Lücken wieder schließen wollen, in denen wir uns mit den Dingen befunden haben, und die Gedanken wieder an uns heranrühren, eilen wir, um die Umwege zu beschleunigen. Man will einen geheimen Schlummer zu einem schnellen Ende führen.
Die Vögel sangen und die beiden Knechte wurden ihrer stummen Sinne bewußt. Da kam ein Köhler vorbei, stellte sich herzu und stieß mit dem Fuße an den Stamm. Dem wollte ich das Mark nehmen und eine schöne Glut daraus machen, sagte er. Das ist es, sagte Schabenast, und, wir wollen dazu helfen, sagte Hauenbaum. Der Stamm wurde gescheitet, in den Meiler gebaut, und als der Brand geschehen war, lag ein Haufe Kohlen vor ihren Augen mit einem lockenden Reichtum. Aber, sagte Schabenast, hat der Herr uns deshalb früher geweckt als sonst und seine Worte gespart, als er uns diesmal in den Wald schickte? Ja, sagte Hauenbaum, und hast du deshalb den Baum aus seiner Rinde geschält, bis ein leuchtendes Gebein auf der Erde lag? Das Weitere verschwiegen sie, und sie verschwiegen auch, wie sie durch ihr Handeln und durch ihr Eingehen auf den Vorschlag des Köhlers ihre gefesselten Herzen hatten befreien wollen; und als sie jetzt den Ort des Köhlers verließen, geschah es mit eiligen Schritten, um wieder an ihre Aufgabe zu kommen und eine neue Wendung zu erfahren. Aber eine bestimmte Traurigkeit hatte ihre Seelen erfaßt.
Der Wald aber hatte sein Aussehen nicht verändert und der Odem, in dem das Dunkel mit der Hellung im Ausgleich gegattet ist, floß zwischen den Stämmen. Da ist eine Eiche, die uns taugen wird, sagte Hauenbaum, und, in ihre schartige Krone wollen wir uns einnisten, sagte Schabenast. Hauenbaum setzte Kerbe gegen Kerbe und als nach der gerechten Zeit der Stamm an der Erde lag und die Äste geschlagen waren, da begann Schabenast und verwandte wieder seine beste Mühe darauf, das Holz zu glätten und über seiner Faser auszurichten, bis der gefällte Stamm bald mit aller Auszeichnung zwischen den aufrechten Bäumen lag und trotzte mit dem Schimmer eines festen Hauses. Nun kommt der andere Teil, sagte Schabenast, indem er am Fuße des Stammes stillhielt, und Hauenbaum stand an der Seite und sagte: Nun wollen wir ihm sein Mark nehmen. Die Vögel sangen und die Regel des Stammes hatte etwas Klingendes in ihrem Anblick.
Der Anblick des Geschaffenen hat etwas Klingendes, das uns das Gefühl unserer Gegenwart nimmt, und wir lernen die Macht, eine Folge von Klängen aufzuwecken, in deren Banne wir uns mit einer steigenden Hingabe verlieren. Wir vergessen, daß wir wohnen, und das Werkzeug wird uns wichtiger als das Erschaffen. Ja, alles wird laut und wir heben die Bedingung auf, in der es von seiner Wurzel festgehalten ist. Aber plötzlich bricht die Kette ab oder es ist nur so, als ob wir unsere eigene Stimme hören. Sie kommt aus ihrer Kammer und bedeutet, daß wir den nächsten Ort noch nicht erreicht haben. Die Erde ist weit, aber jedes Ding ist wie ohne Zusammenhang und hat das Merkmal einer unverzichtbaren Bestimmung; sein Dasein ist wie in einer Kammer geordnet und es gibt da keine Veränderung. Wir fließen nur dazwischen wie die Zeit in ihren Ufern.
Auch schafft die Arbeit eine fortwährende Gegenwart oder ein offenes Gewärtigsein. Es ist etwas Verborgenes in der Natur, das auf seine Erweckung wartet, und es will, daß ihm sein Kern genommen werde. Die Schöpfung wartet auf eine Geschaffenheit. Wir sind von diesem unverstandenen Sinne wie von einer Klarheit getrieben und harren darin aus nach einem bloßen Widerhalle, bis wir gewillt sind, den zurückkehrenden Stachel in uns selbst zu nehmen, um den lebendigen Hingang zu erfahren. Aber das Versetzen der Dinge zielt an kein Ende. Das Auge wird gefesselt von einem stummen Geiste und es ersieht alles, was es geschaffen hat, mit einer immer stärkeren Begrenzung.
Die Knechte standen und sahen die Unbeweglichkeit des Stammes, die mächtiger war als alle Dienste, die sie verrichten konnten, und sie erinnerten sich der Traurigkeit, mit der sie von ihrer letzten Arbeit fortgegangen waren. Da kam ein Brunnenmacher vorüber, stieß den Stamm mit dem Fuße an und sagte: Dem wollte ich sein Mark nehmen und eine schöne Wasserkunst dafür einsetzen. Das ist es, sagte Schabenast, und, wir wollen dazu helfen, sagte Hauenbaum. Der Stamm wurde an seinen Ort gebracht, der Bohrer tat seine Schuldigkeit, und als der Brunnen aufrecht stand und seine Ausrüstung empfangen hatte, ging der Takt seines Schwengels zwischen der Erde und der Sonne und das Wasser floß in die bereitgelegte Rinne. Aber, sagte Schabenast, was werden wir dem Herrn mitbringen, dem wir so viele Jahre gedient haben? Ja, sagte Hauenbaum, und warum war der Stamm mächtiger als alle unsere Dienstschaft, als wir ihn ansahen, und sie verschwiegen das weitere, als sie den Brunnenmacher verließen. Sie verschwiegen aber auch, daß ihre Umwege sie mit dem Stachel einer besonderen Fröhlichkeit berührten, und während sie sich wieder an die Arbeit schickten, um den Dienst des Herrn zu vollenden, empfanden sie, daß die Traurigkeit in ihren Herzen nicht ohne eine Hoffnung war.
Hauenbaum wählte nun eine Tanne, deren Zweige ein geradsinniges Wesen haben; er setzte Kerbe gegen Kerbe, und als sie an der Erde lag, glättete Schabenast ihren sparsamen Leib mit seinem Schabeisen. Sie arbeiteten, wie sie es gewohnt waren und harrten auf keine Fügung. Das Tun ging seinen Weg und die Gedanken gingen den ihrigen. Das Wasser ist in der Erde zu Hause und die Sonne bewegt das Licht in den Lüften. Die Vögel fliegen aus den Zweigen, wo sie ihren Aufenthalt haben, und die Erde wohnt unter den Wurzeln. Die Pflanzen erhalten ihr Maß durch das Wasser, und die Glut, die alles umschafft, verändert die Namen in der Schöpfung. Nichts ist gewisser als das Vergebliche, aber noch gewisser ist der beharrliche Lauf, der zu einem Wesen gehört. Er hat die Kraft, das Ohnmächtige an seine Bestimmung zu bringen.
Als die Knechte wieder bei ihrem halben Werke standen, während die Trauer in ihren Herzen mit dem Schimmer der Fröhlichkeit rang und von diesem bedrängt wurde und der Gedanke nicht ausgesprochen sein wollte, der den Sinn ihres Tuns zum Abschluß brachte, kam ein Handwerksbursche auf dem Wege vorüber. Sie sahen sein Gesicht, so weit es auf ihrer Seite war, und seinen Gang, der sich einer abgewandten Eile befleißigte. Als er jedoch vor dem nächsten Baum war, der ihn ihrem Nachschauen entzogen hätte, blickte er schnell zurück und sagte, und das war wie im Einverständnis mit ihnen und um noch das letzte Wort zu haben: das Kind sieht es von innen. Da erwachten die Herzen der Knechte in der Wiege ihrer Gedanken und sie wurden über alles fröhlich, daß der Weg und der Sinn des Weges gefunden und ausgesprochen war. In dieser Fröhlichkeit opferten sie den Stamm und besorgten den Sarg, den sie auf ihren Schultern trugen und schaukeln ließen, als müßten sie ein Kind in seiner Wiege auf die Reise tragen.
Als sie nach der umgeflossenen Zeit auf ihrem Heimwege ankamen, sahen sie die Gestalten vor der Türe des Hauses ihres Herrn und bemerkten auch, daß deren Erwartung zwischen ihrer eigenen Ankunft und dem Zusehen nach dem geteilt war, was im Innern des Hauses geschah. Sie traten durch die Türe und stellten den Sarg, den sie gebracht hatten, an die vorbereitete Stelle, wo er in seiner stattlichen Länge neben dem Bette stand, in dem sie ihren Herrn anblickten. Dieser öffnete seine Augen, und als er ihre Mienen sah, die offen waren von der Fröhlichkeit, die sie gehabt hatten, verschloß er die Quelle der Sinne wieder und verdeckte damit den Ausgang des heiteren Schimmers, der langsam über sein Gesicht lief und der dem gleich war, mit dem die Traurigkeit in ihren Herzen gerungen hatte; denn er wußte nun, daß sie fleißig gewesen waren und die Weisheit ihres Dienstes gelernt hatten. Die beiden Knechte aber erwiesen ihm den letzten Dienst und schlossen sich dem Zug der Freunde an, die auf den Ausgang des Herrn gewartet hatten.
Der erste Knabe: Einmal wollte die Sonne nicht aufgehen. Zu uns sind die Leute herausgekommen, weil wir im äußersten Hause gewohnt haben. Es war noch ganz dunkel und hat überall gerufen. Da habe ich das große Küchenmesser geholt und bin in den Wald gegangen, wo man den Himmel zwischen den Bäumen sieht. Da habe ich mit dem Messer den Himmel aufgeschnitten, und die Sonne ist größer als ich herausgekommen. Auf dem Heimweg haben mich alle Leute angesehen und haben gesagt: Der hat den Himmel aufgeschnitten und die Sonne herausgelassen.
Das war aber ein Aufschneider.
Der zweite Knabe: Ich bin auf dem Dachgiebel geritten. Die Straße war schon ganz nahe. Da ist hinter mir im Garten die Sonne aufgegangen. Ich bin aber festgesessen und habe mich nicht umgeschaut. Aber ein Vogel ist mir zum Ohr hineingeflogen und hat aus meiner Nase gezwitschert. Da habe ich niesen müssen und bin gerade hinabgefallen. Dabei ist mir der Vogel aus der Nase geflogen, aber aus der Dachrinne ist neben mir die Sonne herausgekommen und mit den Strahlen auf dem Stein gestanden. Es war sehr warm.
Das war die Geschichte des Giebelreiters.
Der dritte Knabe: Ich bin morgens zwischen den Bäumen am Bach auf dem Gras gegangen und habe immer in das Wasser geschaut. Da ist mir ein Auge in den Bach gefallen. Das hat gleich ein Fisch ins Maul genommen und ist damit fortgeschwommen. Ich bin neben ihm hergelaufen bis zum Nebel hinaus und habe dabei so lachen müssen, daß mir das andere Auge ein Glöckchen geworden ist. Das habe ich dem Fisch umgehängt. Da waren es auf einmal zwei Fische, die sind zwischen den Bäumen herumgeflogen, und überall hat es geklingelt.
Diese Geschichte vom Glöckchenfisch ist noch am wahrscheinlichsten.
Das erste Mädchen erzählt: Mir hat geträumt, ich habe in der Küche Streichhölzer angezündet. Zuletzt war es eine ganze Schachtel voll, weil keines gebrannt hat. Nur das letzte hat einen glühenden Kopf bekommen und ist mir aus der Hand gesprungen. Es ist zur Tür hinausgegangen und hat auf dem Gang geschrien. Dann bin ich ihm die Treppe hinab nachgelaufen. Da ist es beim Haustor über die Staffel gefallen und hat zwei Füße gehabt. Alle Streichhölzer sind auf einmal Engel gewesen und am Dach hinaufgeflogen und das letzte hat zu mir gesagt: Das nächste Mal darfst du auch mit.
Diese Geschichte von einem Glutkopf ist nichts Besonderes, aber das nächste Mal wird es etwas.
Das grössere Mädchen: Ich habe eine Geschichte gelesen, da bin ich eine Maus geworden und in die Küche gegangen. Im Kamin sind die Würste gehängt und dazwischen hat ein Sonnenstrahl hindurchgeschienen. Es war eine feine Ritze. Die hat zu mir gesagt: Wenn du mir ein Auge gibst, mache ich dir eine Leiter. Da habe ich ihr ein Auge gegeben. Darauf hat der Sonnenstrahl gesagt: Morgen kommst du herauf. Am Morgen habe ich wieder eine Geschichte gelesen und bin wieder eine Maus geworden und in die Küche gegangen. Da war die Ritze so groß wie ein Auge und hat gesagt: Wenn du mir noch ein Auge gibst, mache ich dir eine Leiter; morgen darfst du herauf. Da habe ich ihr wieder ein Auge gegeben. Am anderen Morgen habe ich keine Geschichte gelesen, ich bin gleich in die Küche gegangen, aber da habe ich nichts mehr gesehen und habe die Leiter nicht gefunden.
Das ist eine dunkle Geschichte, aber wer sie nochmal liest, findet vielleicht die Leiter; sie ist doch jedenfalls darin! Aber was tut eine Maus mit einer Leiter?
Das letzte Mädchen: Meine Geschichte ist länger, als man erzählen kann. Ich bin auf einer langen Straße gegangen, da ist eine kleine Wasserkugel vor mir hergerollt. Ich habe sie mit dem Fuße weggestoßen, und dabei ist sie immer größer geworden. Dann war ich auf einmal selber die Kugel und bin schneller fortgerollt, als ich blicken konnte, bis ich einen Brunnen gesehen habe. Da bin ich hinabgefallen an einem Mann vorbei, der im Brunnen stand und ein Wasserrad drehte. An seinem Bart bin ich hinabgefallen. Zuerst bin ich ins Nebenzimmer gekommen, aber überall ging es mit mir um wie ein Garn, das ineinandergeschlungen wird, bis mich der alte Mann auf sein Rad geflochten hat. Da bin ich ganz zu Wasser geworden und bin wieder den Brunnen hinaufgelaufen. Dann bin ich nach Hause gegangen.
Das war vielleicht eine erste Träne, und bis man diese wieder kennt, kann allerhand geschehen. Auch dauerten alle Geschichten länger, als man erzählen kann; das ist eben die Wasserkugel.
Der Sinn des menschlichen Weges geht durch die Wüste der Verhärtung. Die Erkenntnis will ein Zeichen. Es ist die Frucht, die sich fleischlos selber brechen will. Um sich zu gebären, zerstört sie den Schoß des Lebens.
Auf dem Gang, den die Menschheit geht aus der Verschlossenheit in die Bestockung, aus der Eigenschaft in die Entbindung, aus der Form in die Zahl, sind wir immer Nachgeborene, immer eingefügt nur an einem Punkte des Weges. Wir können nie beginnen. Das Wasser der Taufe in unsere christliche Empfängnis kann nicht wiederholt werden. Es verdoppelt die Geburt des Menschen, indem es ihn aus der menschlichen Einseeligkeit in die göttliche Schöpfungslosigkeit vertieft. Nun ist er der doppelt verschlossene Brunnen. Er wird zum Brunnen im Meere.
Dieses Aktes der Barmherzigkeit sind wir nicht mächtig. Das ist die Erkenntnis wie Last des Meeres, daß wir den Spiegel unseres Bildes tragen, ohne ihn zu sehen. An dieser Schwere speist sich die Zeit und erfüllt uns mit dem Rest, um den wir dienen müssen. Die feste Erde bringt immer Verschlossenheit und die Erkenntnis wird beladen mit der Krümmung der Schlange. Der Stamm, der aufgerichtet ist, trägt dieses erste Zeichen; daß wir ihm das Kreuz der Zeit überlegen, daraus entsteht die Höhe unseres Wachstums und das Maß der ewigen Widerlast, dessen wir uns bemächtigen können. Je mehr dieses Maß in der Zeit verkürzt wird und zu Boden sinkt, desto höher muß der Kämpfer in der einzelnen Seele getragen werden. Damit die Kraft des Maßes gegenüber der Zeit erhalten bleibe und Himmel und Erde sich nicht berühren als durch den geschaffenen Menschen. Nun ist dieser gekreuzt mit seinem eigenen Zeichen gelegt über das des Menschlichen.
Um den Ort der Zeit einzuholen, eilt die Erkenntnis voraus. Sie bekämpft die wirkliche Erde und den Punkt, der mit ihr trägt. Sie verliert das Gewicht und die Vermittlung der vorgezeichneten Last. Dann bleibt der Stamm der Erkenntnis unfruchtbar stehen. Der Sinn des Weges kehrt immer mehr in sich selbst zurück, haltlos haftend in einer Bewegung zwischen Höhe und Tiefe. Er verliert das wahre Zeichen und Maß der Beladung und was er erfahren kann, ist nur noch das Gewicht der Erde. Die Frucht aber bleibt auf den Stamm geprägt und gesiegelt, die tote Menschheit, der lebendige Mensch. Wenn die Frucht der Menschheit nun in der Seele dieses Menschen lebendig wird, in der Ohnmacht des eigenen Bildes und im Willen, diese Ohnmacht aus dem Bilde in das reine Mark und die Geschaffenheit der Seele zu nehmen, verwandelt sich der Stamm in den Baum des Lebens. Das verschlossene Mark treibt in Blüte, die Frucht wird empfangen. So wie sie wächst, wird die Hoffnung der tragenden Arme stärker und die Frucht wird immer fremder dem Stamme. Dann ist der Wuchs ohne Zahl außer in den eingesenkten Kernen; in einer Zahl, die nicht unseres Willens ist. Die Gewaltlosigkeit des verborgenen Willens, das Fleisch der immerwährenden Speisung hütet in sich die Empfängnis und das Geheimnis der Zeugung. Wo die Frucht fällt, ist unser Tun begonnen und vollendet. Der Weg, dessen wir nicht mächtig, geht weiter. Der unendliche Augenblick unserer Seele an diesem Orte ist nun in das Siegel Gottes eingeschlossen, in das Siegel des Baumes und Weges. Das ist unsere höchste Bestimmung, ein Zeugnis zu sein, unsere letzte Eigenschaft und unendliche Zahl, das ausgegrabene Pfund zu werden, das einzugraben sich der faule Knecht der Welt immer mehr zur letzten Arbeit setzt.
Aber die Erkenntnis will ein Zeichen für alle, ein Zeichen der Menschheit, nicht ein Zeugnis des Menschen. Sie zerstört den Schoß der einmaligen Begnadung um die Freiheit einer allweiligen Ordnung. Um die Zahl gleicher Seelen verdirbt sie das Mark der unendlichen Geburt und Seelenfolge. Aus dem Mangel ihres Bildes macht sie den Kreis ihrer Schöpfung, aus der Falte ihrer Krümmung den eitlen Fächer – die zerknitterte Heraldik des stets Ungeborenen. Jener Kreis wächst umso endloser, je mehr das wahre Bild des Menschen darin verkümmert. Daher der Gram der Demut, die ihr eigenes Bild verliert, daher die Gewalttat der Sittlichkeit, die in keiner Grenze befangen und wiedergeboren ist, deren Form nichts ist als sie selber. Sie zertritt ihren Schoß.
Die Grenze aber ist aufgerichtet in der ehernen Schlange, ein Zeichen der Menschheit, die auf dem Wege ist, ohne ihn zu beginnen, die Form und das Zeugnis des Menschen, der vom Wege tritt, ohne ihn zu vollenden. Die tote Krümmung wird in jeder Seele lebendig. Je lebendiger desto mehr muß er auf dem Zeichen ausgestreckt werden, das ihn selber kreuzt. Die Sohnschaft beginnt mit der Unterwerfung.
Ich will nicht davon reden, daß seit der »Fülle der Zeit« die Kirche aufgerichtet ist, die einzige, die die Kreuzung des Menschen enthält und, Ausspannung gegen die Erkenntnis, ein Zeichen und Zeugnis zugleich, der Kreis der Menschheit und die Vierung des Menschen, Stamm und Bau, Tod und Leben, Kreuz und Siegel.
Aber von der Vierung rede ich, von dem unsichtbaren Kreuze der Menschheit. Wenn die Einzelseele ihre Mitte betritt, schlägt ihr der Atem Gottes aus den Flanken der Zeit entgegen, raubend das Gesicht und ihren Inngrund aus den Angeln hebend, bis der Gang der Gewesenheit zum Augenblick der Entbindung erstarrt, in dem das Wort zum stummen Lichte entbricht. So tragen wir heute die Balken unserer Zeitgenossenschaft, wir stocken im Worte, aber das stumme Licht hält uns untilgbar gefangen. Die echolose Mutter, das Weib der Schöpfung, lebt früher als der Sohn und das Wort im Fleische. In die Finsternis des ersten Brunnens kam das Licht des zweiten Brunnens, das Licht der bräutlichen Magd. Die Schlange stellt ihr nach und sie zertritt den Kopf der Schlange. Der Sinn der Geschichte ist Geduld und das Gesicht kennt eine größere Zuversicht als die Demut der Vernichtung. Je mehr wir schauen, desto mehr müssen wir dienen; je mehr wir dienen, desto mehr erkennen wir. Je mehr wir erkennen, desto fremder wird der Weg, desto größer die Zuversicht und diese Erkenntnis wird zur Eigenschaft. So bleiben wir im Hauch des Ebenbildes und im Schoße, den wir nicht erkennen.
Das wachsende Grundverderben der Zeit ist, den Menschen gleich der Menschheit setzen zu wollen. Diese Gleichung, der Grundirrtum einer Sittlichkeit, die durch ihren eigenen Begriff leben will und in ihren haltlosen Ring zurückkehrt, da sie den Weg und Gang der Kreuzung und Kreuzigung der Gottnatur durch die Menschheit nicht kennt, hat nirgends eine Fülle der Zeit und keinen einmal irdisch gewordenen Kern. Sie ist so tot, daß selbst kein Ding mehr seines beseelten Wuchses darin teilhaftig wird. In diesem zersetzten Atem der Selbstsucht, in dem eitlen Paradieswinde eines neuen goldenen Zeitalters, findet der Baum des Lebens nicht sein Gedeihen. Das erste Recht jedes Dinges ist vor dem Besitz. Sonst kann sich seine Reinheit nicht entfalten. Die erste Pflicht des Menschen war, sich in der Enthaltung von den Dingen zu erkennen. Darin ruhte die Gleichung der menschlichen Reinheit. Sie war im Auge. Dieser göttliche Kern des Auges, der in der messenden Verteilung verloren wurde, mußte in einer irdischen Verheißung und Erfüllung ersetzt, in innerlicher Ohnmacht der neuen Anteilnahme erschaut werden. Das geschah im Worte. Bis dahin und seitdem hat die Menschheit einen Weg. Kein Mensch ist dem anderen gleich, aber in der Erfüllung des Weges erkennen sie sich. Dieser Weg ist für die Erkenntnis ein Zeichen, die eherne Schlange. Sie bewahrt vor dem Tode, aber die Seele wird hier nicht bloß im Blick genährt. Das Brot des Lebens aus der Verwandlung des Fleisches ist aus der Macht des bloßen starren Glaubens genommen.
Sinn und Brot zu brechen ist das neue Testament der geistigen Armut, die Ungleichheit zu bekennen, um das Leben der Erde und die Kraft der Welt aus sich zu speisen. In dieser Kraft die Dinge neu zu schaffen, daß wir wieder auf einer schönen Erde stehen, die uns nicht gehört, daß wir die Gebärerin neu erkennen.
Der Weg vom Bild zum Wort dauert eine endliche Weltzeit. In ihrer Mitte geschah eine unendliche Erfüllung, ein reines Vollbracht. Die Erkenntnis unseres Abstandes von diesem Worte der reinen Vollbringung gibt unserem Bilde die erste Form. Wie in der Fülle der Zeit ist doch in dieser Erkenntnis des Abstandes, in diesem Maße der Spanne und Entfernung nichts als Mangel. Daß wir diese Ermangelung, diese Abbildung mit dem reinen Worte teilen, im reinen Worte mitteilen wollen, schneidet uns in der Erkenntnis entzwei, trennt die Seelen, aber fügt uns in der Erfahrung zusammen, kreuzt uns mit der Menschheit und macht uns zu Zeitgenossen. In der Erkenntnis haben die Seelen nichts gemeinsam als ihr Getrenntsein. Kann in diesem Kommunismus Leben beginnen? In der Erfahrung haben die Seelen alles gemeinsam, was sie dem Bilde zufügen. Je größer das Opfer und die Gestaltung des Mangels, desto größer die Kommunion. Reinster Dienst ist reinste Schauung. Wir bilden den Leib der Geschichte. Die Spanne vom Bild zum Wort geht auf in der Vierung der Seele. Aber das Letzte ist dem Menschen nicht gegeben. Die eherne Schlange ist mächtiger und wir können das Ende der Menschheit nicht erdienen.
Die Erkenntnis will ein Zeichen, denn es peinigen uns die Schlangen der Trennung. Daß wir die Schau nicht einholen, rettet uns vor dem toten Bilde, vor dem Ausgleich des Bildes mit dem Worte. Denn das Gehen um unsere Eigenschaft ist gegen die ausgetragene Form des Wortes. Wie fast tot ist dieses hier gesprochene Wort, mein Wort, das sich in der Geschichte unserer Zeit wie in einer Wüste zu leben vermißt und nicht im Hauche schwebt des Gartens, der vom Paradiese in jeder Blume nachweht. Wer nicht die Pracht der Geschichte erdienen kann, der muß leben wie die Pflanze und die Lilie auf dem Felde. Immer müßte der Mensch lobsingen, der den Leib der Geschichte nicht tragen kann und das Wort nicht im Fleische hat, um des Bildes willen, um seine Blüte zu vermehren. Reinste Schau ist reinster Dienst. Wir bilden das Herz der Schöpfung. Der Lebensweg vom Wort zum Bild geht auf in der reinen Geschaffenheit: Es geschehe. Dies ist die letzte Form. Aber das Letzte ist dem Menschen nicht gegeben. Das Brot des Wortes muß die Menschheit speisen und es weckt den Hunger und der Mangel nimmt zu mit der Speise. Weil wir immer zuerst erkennen, bevor wir tun, und die Worte nicht brechen wie das Brot und das Bild nicht begrenzen.
Der Schwache redet von den letzten Dingen, um sich in den nächsten nicht empfangen zu müssen. Sein starrer Blick nimmt dem Worte die liebe Wirklichkeit, Dornen und Disteln und Rosen aus dem Schoße der Erde, so krümmt sich der ohnmächtige Sinn und entblättert sich wie Worte im Wind. Die Erde aber steht immer dichter und gräbt uns in die endlose Entbildung.
Lucifer, dessen Spiegel dem Urbilde neidet, verhärtet die Zeit. Der reine Hervorgang Gottes in die Sohnschaft ward in der Freiheit und Härte des Widerparts gespalten in unser Wort und Bild. Es aß der Mensch von der Frucht des Gerichtes ohne die Willigkeit des Wortes. Die Liebe wurde verkehrt und die Empfängnis beladen. Neid und Schmerz, Zeit und Geburt, Erkenntnis und Ohnmacht beginnen eine Spur von Einmaligkeiten, Vater und Mutter beginnen ein unlösbares Erbe. Ausgestoßen von den Dingen, die besitzlos und unantastbar dauern, verdirbt das Wort und verwirrt sich zur Zahl, die sich nicht mitteilen kann und verworfen ist. Die Kinder, nicht mehr im Winde der reinen Anschauung empfangen, müssen sterben. Zwischen Bild und Wort die Spanne der Zeit und die Feindschaft des Neides wächst, des Neides, der sich nicht mitteilen kann, der Schlange, ohne das Kreuz der Mittlerschaft, der verdorbene Blick, der die Natur geschwächt hat und dem Sinn des Lebens nachstellt. Alles ruft sein Gegenteil. Was ich erkenne, wird zur starren Form. Aber die Wirklichkeit fällt den Menschen immer heftiger an. Nur die Spur des Weges bleibt, als Zeugnis einer unzerstörbaren Treue und als Widerbild eines unaustilgbaren Mangels. Hier geschah die reine Antwort: Es geschehe, das Wort aus der ungeschwächten Jungfrau. Das Wirklichste ist das Unbegreiflichste. Aber die Gnade ist im Herzen der Treue beschlossen, wo das Bild im Wasser der Hoffnung ausfließt. Das Wort beginnt zu leben.
Die Treue bildet aus der Willigkeit zum Mangel die Spur des Wortes. Diese Eigenschaft geht über die Erkenntnis und schlingt den Menschen an das Kreuz der Zeit. Die Gleichung in der äußeren Grenze fällt, wer hat, dem wird gegeben, und wir berühren in der inneren Grenze nicht uns, sondern Gott und seine Mittlerschaft. Unsere Form macht den Leib der Kirche lebendig und die Mutter wurzelt in der Erde durch die Söhne. Alles ruft sein Gegenteil und der Mangel ruft die Fülle. Von der altchristlichen Agape bis zum katholischen Reich der zwei Schwerter kann der Gegensatz in der äußeren Grenze und vor der Abgleichung der Erkenntnis dieses Reiches nicht größer sein, das nicht von dieser Welt ist. Aber beide sind nur getrennt wie die Wurzel von den Zweigen. Der Kopf der Schlange ist zertreten und das Mark in der Mutterschaft fruchtbar geworden. Aus dem Kämpfer und Martyr, in die Erde gegraben, aus den Katakomben steigt der Baum des Lebens in das Maßwerk alles Dinglichen und Menschlichen; ein Maßwerk ganz entgegen dem Klassischen, das sich an einer äußeren Grenze des Menschen gegen die Geschichte halten will, während das Neue sich an seiner inneren Grenze und Ebenbildung durch die Geschichte verzehrt; sie wächst gegen seinen eigenen Wert und die Dauer eines bloß erkannten Wortes, aber an seinem Wege, in den Trümmern und Resten der Kampfgesichte wird die Natur erlöst und die Schöpfung lebendig. Aus den Einzelseelen trägt der Dienst und Pfeiler den Kämpfer über die gezählte Gemeinde in den Raum der Zeit und in die Form der ganzen tragenden Menschheit. Um die Krypta der bewahrten Treue, um Mark und örtliche Zelle und Einzelseele baut sich die Form und Pracht der Geschichte. Der Mangel entlud sich und stieg in die Vierung. Wer kennt die Verlassenheit des Wortes, welche über es mächtig wird, das Gethsemane der Zeit? Wenn es an sich selbst verzagt und umschlägt in den starren Glauben? Es ist das Schicksal des deutschen Volkes und nirgends auf Erden wurde etwas Hoffnungsloseres vollzogen als in jener Zeit, da die Rechtfertigung aus dem Glauben allein das Werk zudecken sollte, so daß es seine innere Grenze im Mark der Geschichte nicht mehr erfaßte. Hier wurde der Baum der Geschichte und des Lebens von dem Baum der Erkenntnis geschieden. Das Gesetz baut nicht mehr an einem Plane des Volkes, es sucht nur Zahlen zu ordnen, die kernlos die Gleichheit ihrer Ungleichheit tragen. Zwischen Bild und Wort ist nur noch die Spanne der einzelnen Seele, das Wenige, das auch noch genommen wird.
Auch in der Kirche ist der bloße Blick des starren Glaubens stärker geworden als das Wasser der Hoffnung und das in die Geschichte fließende Wort. Ist in ihr vielleicht schon die Mehrzahl, die nicht mehr haben will, damit ihr nicht mehr gegeben werde, die den Blick vom Worte trennt und die Geschichte von der Seele; die die Hoffnung aufgibt, um bloß das Gesetz zu glauben, nur die religiöse Form will, aber nicht mehr mit und durch die tragende Stetigkeit der Kulturform. Aber die Starrheit ruft ihr Gegenteil und aus der Erkenntnis bricht die unbegreifliche Erde. Die Bewegung wächst gegen das reine Wort: Es geschehe. So lange, bis der letzte Mensch seinen Kern gesucht hat im Strahle aus dem reinen Angesicht und die Erde verschwindend hebt ihn empor vor das Auge der Weisheit, das den Kern erkennt, sinkend, so oft er sich erkennt. Und es ruht auf der Erde mit dem ersten Wohlgefallen.
Dies ist das Zeichen, daß es nicht im Blick ruhen bleibt, sondern sichtbar wird am Wege. Das Brot muß von unserm Fleiße gebrochen werden.
In einem ist der Kern mächtiger als die Erde. Alles zerbricht und wird neu in der Barmherzigkeit.
Aus dem Auge kommt zu dem Geiste das Wesende; das Wesende wird durch Abgeschnittenheit wesentlich; Vermehrung liegt wie der Glanz eines Taues auf diesem Opfer.
Alles treibt durch eine Verschränkung und wie über der Natur in ihr Gegenteil; Schwere der Erfüllung, worin das Gesehene ist; es ist wie ein Angebot, um mehr zu sein im Gesichte; und wie das Geschriebene wächst, indem es eine Gewesenheit entwendet und es steht an der Grenze des Gewesenen wie ein entwendeter Spiegel. Sein Sinn ist wie eine entwendete Erinnerung aus der Geschaffenheit.
Stufen eines Berges durch Wasser – noch kommt er näher wie niemals begangen; und bis der Geist seinen Anteil hat, ist dieser verloren im Gesichte. Die Dinge aber stehen an der Grenze.
Wie denn die Geschichte ihre Ankunft wird durch Wegnahme und so die Schwäche ihre Stärke und die Armut ihre Erfüllung, so baut das Verschließende durch Ausschluß und das Mittel, immer aktiver in seiner Schwäche und grundlos, hat alle Gründe. Es kommt in seiner Stärke und es ist seine Verschränkung mit der Kontemplation, vorüberfließend wie ein ewiges Wasser auf der langsamen Beendung. Und es ist immer ein neuer Spiegel. Der Spiegel – er ergreift sich in seiner Trennung — fordert ein Ende.
Die Erfüllung aber liegt über ihrer unerfüllbaren inneren Grenze. Ihre Zeichen, wie eine Armut vom Geiste ergriffen, und wenn nun der fließende Beginn der Geschichte stetig wird wie ein Gesicht von innen, sind sie die Ränder. An den Zeichen ist das Wesende wie sein notwendiger Abfall; wie ein Gesicht abfällt von seiner Erblindung; es kehrt in sich, wie ein Geist abfällt mit den Dingen; sie bestehen und sind in der Hälftung des Abfalls beständiger.
Die Armut wird wie ein innerlicher Blick erhalten. Man entwendet ihn nach zwei Seiten; es ist aus dem »Mein« und es ist das Gleichnis und die Erinnerung, beides unverbleiblich vor dem ewigen Auge.
Noch treibt das Wasser von der Schöpfung in das Geschöpfte. Eine unruhige Gestalt, leibsam über dem Grunde, bewegt übergreifend wie ohne Bild mit den ungerührten Bäumen und wie ein Osterwasser hell mit seinem spiegellosen Herzen. Wie ist es in beiden möglich, das Wesende ohne »Sein« und es ist eine vorweggenommene Ruhe. Maße sind es gegen dem Lichte und im Hinausblick über das Lager der Erde wie die Maße einer endlichen Erblindung; die Zeichen ihrer Sichtbarkeit wachsen als unser gleicher Anteil an allem Gesichte. Das Erblindete wird Anteil und die Sichtbarkeit wächst an ihrer Grenze und wie durch die Macht ihrer erreichten Erblindung.
Wesender durch das Wesentliche, wie an einer blutigen Faser das Wasser, ist das Auge wie entzwei geschnitten. Im Geiste bricht das Gehälftete sterblich und es ist mehr als ein Wissen.
Der spiegelnde Sinn aber will nicht bewegt sein und er hat keine Bewegung zu einem erschöpfbaren Dinge; aber weil er gebunden ist in seinem Abbild wie durch Übergriff, weiß er wie Gottes Wissen von keiner anderen Vollendung.
Die Zeichen wachsen und ihr gleicher Anteil wird nicht geringer. Es ist eine Proportion und weil die Geschichte des Sehens von innen beginnt, ein Wissen an einem Abgrund. Und der Anteil kann nicht größer werden als in dem Maße, in dem er abgeschnitten wird. Der Tau fällt darüber und in dem gleichen Maße wird die Kreatur beteiligt.
Der Anteil, nicht geringer als durch sein Geringstes, ist alles und für die Zahlen Gottes eine namenlose Bewegung. Das Bild der Kunst aber ist gehälftet und ein wesendes Wort zehrt unaufhörlich von der Wesenheit der Hälftung. Der Sinn der Armut ist wie eine unerschöpfliche Erschöpfung.
Wie viel ist das mehr als alle Vollendung im Geiste.
Die Kontemplation ruht nicht, bis sie den Gegenstand ihrer Erblindung gefunden hat. So in sich vermehrt wie durch Entwendung, wie durch den Grund des Sehens, abgeschnitten von seiner Tiefe, – eine Tiefe wie ein Weniger durch ein Mehr in sich selbst zurückgewendet –, ist die Kraft des Geistes eine blinde Stellung, wie durch Drohung das Kapitell den Raum bestimmt und wie ohne Verortung auf dem Grunde.
So das Mutterschaftliche aus der Geistschaft entwendet — was ist nun außen? – als Maria den Sohn fand, noch Kind war er, im Tempel und nun ein Riegel seine Frage, nahm sie die Faser davon in sich, das Wesende vom Wesentlichen, wie blind, und sie wurde selber ein Gleichnis nach dem Geschehen; sie trat in ihre Schritte zurück und wie eine Frage, die nicht mehr weiter Antwort findet, nur die blutige Faser ist wie in ihr Gleichnis geborgen.
Aus dem Gesichte, wie gehälftet, und ausgleichend immer das Gleiche als eine langsame Schwere findet die Erblindung den Schritt der Verortung.
Es ist die Schwere der Erfüllung, worin das Gesehene ist wie ein Angebot, um mehr zu sein.
Es ist eine Angulation und weil die Geschichte des Sehens wie das Verlassen einer Blindheit ist, um sie immer noch zu mehren in ihr Unwissen vom vermehrten Grunde. Das sind keine Schritte eines Gehenden, sondern ein Wanken wird aufgehalten über seinem Schritte; ein Übergreifen über dem Strauchelnden, und beides berührt sich im Sinne wie an einer Kante. Die Stirne ist Abweisung und fordert, womit sie die Brust wie eine Kühnheit öffnet und die Pracht wie Abtötung durch eine Gewandung. Wie sind die ersten Dinge prächtig ohne Vollkommenheit.
Vollgekommen ist ihr Maß ohne Ziel durch Herkunft, ohne Ziel auf eine Idee und ohne diese menschliche Richtung, und dieser zuvorgegebner; und was man tut, ist Antwort; was geschieht, ein Sekundäres, welches das Primäre anfüllt mit dem Schmuck einer ausgereiften Blüte. Ihre Reife ist ohne Mittel und grundlos vor ihrem Grunde, ohne ein anderes Mittel als den Schnitt der Trennung, welcher den Inhalt der christlichen Geschichte bildet, und vor dem Wissen wie schon eine Ernte. Die Ernte verschiebt sich über dem Grunde wie ein Vorgewähltes. Das Fleisch der Kreatur ist in seiner Auferstehung, teilhaft durch Gewähltheit in seinem Gleichnis mit der Ernte und die Ernte ist schneller vor dem Gebeine. Das Gerüst aber trägt wie ein Zeichen, ohne zu wissen.
Antwort wird getan nur wie Pracht reiner Getragenheit. Und ist es Glaube, was durch Pflanze und Tier geteilt wird wie ein Gesicht?
Aber die Armut, immer schärfer abgeschnitten von ihrer Fülle, umgreift das Kommende wie ein Ganzes; sie ist wie ein Horchen und in der Pracht der Stille ist ihre Schwäche wie der wandernde Mangel einer vor ihr hergerufenen Stärke. Sie umgründet das Feld des Bildes und so weit sie ausgeschlossen ist, mißt sie mit dem Hunger von ausgesetzten Bildern die Maße der Entfernung. Sie bringt Hauch in die Blüte, den Hunger wie einen Einhauch in die äußerste Entblütheit. Aber die Bilder sind wie durch einen Schnitt erhalten vor dem Ziele. Die Kontemplation ist das wahrhaft Aktive. Wie in scharfen Maßen findet ihre Wegnahme die Gegenkraft zu sich selber. Es geschieht wie ein Schnitt zu ihrer Verdoppelung. Der Schnitt ist die Angulation eines Zeitmaßes und er nimmt die Proportion an sich.
Zwischen Kapitell und Kämpfer hat sich in der christlichen Zeit die körperliche Erblindung wie im Schnitt verdoppelt. Erblindung wächst es unter jedem Schnitte wie Felder und die Kreatur wird aus dem Felde zeitlich. Der Raum und sein Körper ist wie aus einem Klange entwendet; Raum und Körper zugleich, in den Widerhall gerufen durch Entwendung. Dazwischen wächst der Körper wie ein Gegensinn.
Der Aufenthalt des Sehens, in sich selbst gebrochen und umgeschlungen in seine Gegensicht, wird gesichert in seine Teile und die Pracht der geschichtlich schreitenden Verortung, durch Wegnahme aus einer künftigen Drohung wie ein ewiger Augenblick lebendig, wird gegen dem bloßen Raum an sich selbst zum Bilde. Die Blindheit und die Kreatur sind eines und das Wort geht auf der Spur der Erblindung. Im Schnitt gegen die Zeit steht nun jeder Körper wie ein Wort an sich, Erblickung ist der Sinn des Steines, wie von einer Hälftung gegen die Kreatur der Erde, noch reift unverlangt daran für das Wesentliche einer Erfüllung ein Mehr der Dinge. Alles, infolge der Wegnahme eines Ortes, wird seine eigene Einkunft und umso mehr darin Ort und ist teilhaft und gleich mit allem Geschöpften und wirklich außer dem Bewußtsein. Die Gründung einer Hierarchie liegt im Unterschied und der Unterschied ist nicht anders als der Grund im Wirklichen. Seine Ordnung und sein Grad ist nichts als wesentlich gesichtet; das Mutterschaftliche vom Geistschaftlichen durchschnitten, wird gegen den Raum wie eine ewige Ankunft fruchtbar. Auch: wie um einer Schrift auszuweichen, muß man sie durch die Mutter finden.
Die Erkenntnis wird fortgegeben aus dem Auge und was geschaffen wird, ist eine fortgegebene Erkenntnis an eine körperhafte Erblindung. Was entgegenkommt, ist Pracht für die Armut, eine Pracht, die ausweicht wie eine Schräge. Ihr steinerner Schoß wird fortgegeben ohne Geborgenheit für die Erkenntnis.
Das Gefühl der Kreatur wuchs in diesem wie Tau und als das unerfüllbare Maß einer anderen Zeit. Dieser Sinn der Form hat eine stumme Zunahme und ist durch Verschränkung gegen sich gerichtet, eine dunkle Gewalt über dem Begriffe und gegen den Sinn der lautgemachten Perspektive. Er ist über dem Klange wie eine gleiche Fremdheit aus der einen Natur, womit sie nirgends erkennt. Die Erkentnnis ist tätiger als das Wissen und diese Erkenntnis ist mehr als der große Stolz der Beschwichtigung. Eine Verschränkung wartet wie eine ewige Stirne, schweigend über ihrer irdischen Gesichtung wie über einem Worte. Der Gehende geht wie erhoben unter einem Gewichte. Das Wissen an einem Abgrunde ist wie Erhebung.
Es ist jener Mensch ohne Wanken; alles Bezirkte steht um ihn wie unsichtbare Freiheit; ihre Erschütterung kommt gegen ihn her und er ist durch nichts erschüttert als in sich selber.
So ist der Übergang von der Freiheit in die Gestalt wie ein Außer-sich. Hierin ist die Gestalt unruhig, und sie hat eine größere Ruhe. Ihr Zeichen, von ihrem Geiste durch seine Armut begriffen, ist gefesselt wie in einer Hälftung. Es ist die Hälftung mit allem Wesenden. Die Angulation ist wie eine Schrift, mit nichts erfüllbar als durch Außer-sich. Es ist der Teil der Reinheit und sein Wesen vor dem Geiste ist wie an ihm ein Schmerz, und was daran überwältigt, ist mehr als das Ganze. Angehälftet findet die Armut der Kreatur wie durch Erblindung, durch eine stehende Schrift vor dem Geiste, – hinterschnitten ist ihre Einkunft von einem zweiten Sehen —, die Zeichen der Heimat.
Das zweite Sehen, das Sekundäre ist sowohl näher als ferner, hinten wie vorne ohne Umblick, eine Furcht ohne Stille, aber gestillter als alles vom Geiste. Und eine Pracht kommt in ihn wie durch das Wesentliche, durch Abgeschnittenheit besiegelt und vernichtend noch gleichsam seinen Ingrund, indem es noch weiter in Ermangelung tritt, und fordert den Grund des Sinnes. Es geschieht gegen den Sinn zu seiner sterblicheren Erfüllung. So ist das Wachstum wie Umkehr und wie durch eine Umkehr von dem Begriffe. Es vermehrt sich in der Verschränkung und die Bewußtheit davon, hinausgegossen wie Tau zu ihrer Vermehrung, ist mehr als ihr Inhalt. Der Geist, wie übertroffen von seinem ersten Gesichte, wird wie ohne Ursprung reine Nahrung. Auch die Farbe ist wie eine Hälftung vor dem Lichte.
Es ist das Schwere und heute unser ganzes Ringen, die Hälftung wieder sichtbar zu machen. Sie erbaut einen inneren Grund durch Wegnahme und seine Durchschnittenheit, weil sie als das Ganze erbaut wird, wie Schlucken an einer Fülle, ja wie durch ein Messer in seiner mündig sprechenden Kehle – es spricht wie eine Schwelle mehr als die Zunge – entsteht doch nicht durch Abtrennung, sondern sie herrscht über das unbeherrschbare Ganze.
Die Hälfte ist mehr als das Ganze, das zweite Sein liegt auf dem weggenommenen Grunde des ersten; die Geborgenheit ist so offen wie ohne Ursache.
Die Natur ist wieder im Zeichen und der Tau der Geschichte. Ihr immer Gegebenes, in keiner inneren Grenze empfangen, wandert im Wachstum eines Sinnes, auf dem Abgeschnittenen, auf der Hälfte und auf der Geschichte. Erinnerung und Gleichnis, die sich nicht empfangen, je mehr in ihrem Wissen getrennt wie von einem beiderseits mächtigen Spiegel, empfangen sich wie Pracht in der kreatürlichen Armut. Wie das Sehen des Geistes im Gleichnis zunimmt, wandert ihm nach die Weisheit, indem sie die Zeichen behaltend die Erinnerung aufhebt; bis sich durch die Wegnahme des Alters die Schwester in der Schwester erkennt. Doch dazwischen ist unsere Gegenwart wie eine ungeschaffene Erde.
Das Gleichnis – und so ist die Sprache des Nichtwissens gleich mit der wirklicheren Geschichte — braucht statt eines Gedankens viele Worte. Es ist ihm wie eine darüber wehende, geliebte Unwissenheit, mit der es ahnt, und es sieht in den Worten die Dinge der Gedanken; die gleichen Worte bleiben ihm wie eine Spannung, eine Geometrie und eine Angulation um eine Ursache. Der Sinn der Worte ist wie eine Angulation, wie ein Aufschub und zusammen gegen eine Wegnahme, wie eine Hilfe durch das Unbedingte, welche notwendig ist, weil auch die Dinge in der Hälftung sind. Zusammen gegen eine Wegnahme bilden sie ihre Gleichheit und es ist wie die Gesichtung einer Stufe. Es ist wie eine Dankbarkeit, die Schwere und das Leuchten der Schritte, bis die Blüte offenbar wird. Die Blüte ist statt der Wurzel und es ist alles wie im oberen Spiegel.
Aber das kreatürlichere Wort, wenn es nun eintritt, tritt ein wie eine Ursache; die Folge wird ihre Ursache, und es ist darum wie eine freudige Schwäche. Die Dankbarkeit hat diese Schwäche, mit der sie opfert, das Geringere wie ein Verfallenes aus dem Schmuck und so ist es geborgen. Ausgetauscht mit den Gedanken der Dinge wird das Wort wirklich und ist dann wie abgeschnitten von dem Geiste. Es ist wie ein Stück Sinnloses, das Wesentliche wie ein Sinnloses, und das Gleichnis wird durch das Kreatürliche wie durch eine innere Berührung sterblich. So hat Maria das Wort empfangen.
Denn das Wort zielt einzeln auf eine nächste Stelle; es will sterben, und durch die Spannung lebt es wie ohne Erinnerung sterblicher. Das Gleichnis liebt diese Spannung wie seine ihm bleibende Armut – sie hat keinen Besitz als dieses augenblickliche Leben – und dieses wie eine Geliebte. Es ist wie ein Opfer gegen die Erinnerung. Maria ist für den Schmerz und der Tau im Opfer der Dinge. Ihr Name, wie die geopferte Natur, die kein Wissen hat als in der Empfangenschaft, ist die Sophia des Gleichnisses. Aus ihrem sterblichen Element bildet sich die Generation der Geschichte.
Enteignung in die Fülle ist lange nicht mehr im kreatürlich wollenden Geiste. Jahrhunderte hat die Geschichte der Menschheit daran gearbeitet, die Pracht der kreatürlichen Erblindung zu vertilgen. Das Menschliche wurde, je mehr es eine schmuckhafte Zielbewegung in sich nahm, eine tote Lästigkeit gegen die Dinge und an dem Körper der Dinge. Das Plus der Kreatur, das jedem Wesen der Kunst durch Holz und Stein und Farbe anhing, das Mehr eine Taues [sic!] in der berührten Erde, der Überfall des Zeichens aus dem Lichte in seiner erschütternden Pracht, gemessen nun nach einem Scheine und ausgeteilt in einer sparsamen Trockenheit, trifft nicht mehr in die erkühnte Blindheit des einzelnen Herzens. Es ist die Lehre für die bewußte Gemeinsamkeit, für die Erziehung des Menschengeschlechtes, die den Herzen die Pracht der himmlischen entgegneten Stimmung nimmt. »Achaz sprach: Ich will kein Zeichen.«
Durch die Menschwerdung wurde das Vorbild zum Innbild, die Idee aus dem kosmischen Bild der Menschheit in das Wort der Einzelnatur gelegt.
Unser heute rastlos zunehmender Wille, einen Zustand zu erschaffen, der bildhaft ein fertiges Wesen der Menschheit und einen dauernden Frieden in sich schließe, ist mit der schweren Paradoxie beladen, daß nicht die Menschheit das Ziel der Menschwerdung ist. Das geschnitzte Bild, das der Geist mit sich trägt, um es einst anzubeten, ist ein Raub aus der immer gegenwärtigen Zelle des wachen und guten Willens, aus der Krippe der selbstlosen jungfräulichen Hoffnung, aus dem Schoß der gläubigen Geschichte.
Über dem Hirtenzelte öffnete das Gloria der Engel den Himmel, Bild der ewigen Anschauung um das fleischgewordene Wort Gottes, und hält die Waage zwischen Zeit und Ewigkeit, Wort und Bild in der Schwebe. Die Hirten und die Könige, Natur und Geschichte sind die Krippe und der Weg.
Im reinen Bild gibt es keine Zukunft, im reinen Wort keine Vergangenheit. Die ewige Begegnung von Bild und Wort gibt den Beginn des göttlichen Geschöpfes.
Der Geist hat keine Form des Bildes in sich; denn sie lebt durch das Wort. Das Bild der Menschheit kann nur durch das Wort des Menschen erfüllt werden. Die Idee hat Ort bekommen im Blut der reinen Willigkeit.
Das Wort ist in der »Fülle der Zeit« zum Kern des Bildes geworden. Die geistig umschlossene Natur wächst nun von innen nach außen. Der verschlossene Klang der Klassik, aus den Schatten des steinernen Schicksals brechend, löst sich auf wie in Erde und Wasser, Flächen und Menschen, Grenzen der Begegnung, Steigerung durch Verneinung, Menschen, Pflanzen, Tiere durch Entknotung im Stoffe, Verzicht im Geiste. Alles entsteht durch den Willen zu keiner Fertigkeit als zum bloßen Wege. Nicht Kubik und Kuppel faßt mehr die Menschheit zusammen; es liegt nun in ihr eine innerliche Angel. Das Blut wird fließender als der Geist der Menschheit.
Alles Erkennen ist Werk des guten Willens; alles Tun ein Verstummen in seinem eigenen Bilde.
Es mußte ein unendliches Verstummen sein, daß alle Dinglichkeit der Erde darin eintreten konnte. Dieses Geheimnis der alten Bilder wird ein Geschenk der Könige, in der neidlosen Herrlichkeit des Schmuckes deutlich.
Das Empyreum des Weltumgriffs wurde verwandelt zum Empyreum des Weltinhalts. Seine irdisch bildhafte Zweiteilung und Furchung bis in das Regulare und Säkulare der Herzen wurde zum Schicksal des deutschen Menschen. Auch das königliche Bild der mittelalterlichen Menschheit konnte nicht in sich Gegenwart werden. Der Geist kämpft gegen das Wort. Der Mensch sucht die sittliche Rettung im rechtfertigenden Glauben allein.
Der Logos des Bildes spricht durch die geschöpflichen Dinge; aber der reine pastorale Anbeginn, den heute so viele suchen, ist nicht mehr gegeben; das Wort vermag nichts ohne das Bild. Der Mensch steht der Menschheit gegenüber wie das Wort dem Bilde. Im Bilde empfängt er das Maß der Vergangenheit, im Worte sucht er die Erfüllung. Die Begegnung mit der Zeit und die reine Gegenwart in der Kreatur kann nicht aus der Geschichte neutralisiert werden. Das Geschöpf lebt in einer geschichtlichen Spanne. Grünewald vereinigt und lebt, Dürer trennt und formt; Rembrandt schloß seinen innersten Kern in das Wort der Schrift ein; sein Wille lebt fast nur noch wesenhaft. So wird der Mensch aus dem Bild der Geschichte in letzter Größe geschieden.
Aber die Menschheit muß das Gesetz ihres Bildes fortbauen. Wenn das Wesen des Menschen im Mark verstummt, wird das Bild der Menschheit laut. Michelangelo schon hebt auf den Säulen des Fleisches die Kuppel höher, Glocke der Einsamkeit, die über allen schlägt. Unter dem unergründlichen Himmel wird aber die Erde irdischer, das Bild zum Bild, das Wort zum Wort, Kunst nicht mehr ein Werk des Werdens, sondern des Könnens. Denn das Gesetz versteint wieder gegen das Fleisch. Der Schatten Gottes im Golde, das Ornament der Dualität, der Einschnitt des Logos, der Raum der Zeit, die Fläche der Anschauung, das Gloria des einen und eigenen Wesens in allen Dingen geht verloren. Die Begegnung von Bild und Wort, die Gemeinschaft hört auf; die Typik verwandelt alles Wesen in Zahl. Der Kreis der Selbstgewißheit des Menschen wird immer enger.
Die Gottesdarstellung in der Kunst ist die Frage, wie viel geschaffene Dinge in der Selbstgewißheit des Menschen Raum haben, ohne in ihrem eigenen Wesen verstummen zu müssen. Was einst ein seliges Verstummen der Inbrunst in allem war, wird heute zu einem unseligen Schweigen.
Im Innern der lauten Zeit herrscht heute eine grenzenlose Verstummtheit. Wir wollen die Begegnung zwischen Mensch und Menschheit in der reinen Funktion des Geistes vollziehen. Die Funktion als Ziel, der Weg der Paradoxie endet in der Revolution einer endlosen Wiederkehr.
Wenn im Mangel dieser Zeit die Dinge wieder laut werden, die Schlucht Gottes widerhallt von dem Wort des guten Willens zu sich selber, das Bild der Menschheit verstummt im kummerlosen Werke der Hoffnung, dann führt die Brücke wieder vom Bild zum Wort, von Mensch zu Mensch. Die Hoffnung ist am stärksten wider Hoffnung. Inzwischen braust der Choral der Zukunft im Blute der Gegenwart.
Mit dem Worte wie im Willen des Hauches mit einem Widerstand lebt der Mensch. Ein bewegter Sinn, durch die losere Sprache gleichsam hinfragend, wird durch die Ahnung des bestimmten Klanges wie aus Ferne und Nähe eines Wortwesens frei und gefangen. Ein Widerstand ist um diese Ahnung wie in einem Echo und dieser Widerstand baut auch ein Echo der Überwindung in worthafter Wiederkehr. Dies ist wie ein Glück durch Mangel, indem man das Wort nicht selbst erreicht, sondern nur einen wiederkehrenden Anklang. So wird der Sinn der Dichtung bewegt und gefunden wie in einem Bau und Anstoße. Man hört eine Nähe und eine Entfernung und ist dazwischen, mit einem Mangel wie mit einem befreiten Sinne. Der Raum der Worte kommt bauend. Dieser Bau ist dem einzelnen Menschenworte in der Zeit zuvor gegeben und immer verschieden und mißt ihm eine dichterische Reichweite zu.
In Anhalt und Echo, in welchen sich der Bau zugleich bleibend verwandelt, geht das Wort der Dichtung einen geschichtlichen Gang. Wir hören ihn mit dem Ohre, in dem Echo der Worte mit ihrem Widerstand und in dem Anstoß, der uns aus der Schöpfung wegleitet und zur Geschichte wird. Die Dichtung ist ein Bau gegen die Schöpfung, ein Sagen, um mit starken Worten zu schweigen.
Dieses geschichtliche Wesen des Sagens im Sinnenraum wird uns am Klang und Hall des fremden Wortes deutlicher als an dem zeithaften eigenen Wortbilde, in das wir in unserer Gegenwart selber gebunden sind.
Was zwischen Sehen und Hören nicht aufgeht, das ist unser Dasein auf der Erde. Wir suchen es im Sinne durch Worte und Bilder. Wie aber unsere Erde dazwischen steht und also am Sinne hängt und offenbar wird gleich einem dunklen Kerne in einer ewigen Geschichte — also zwischen Bild und Wort steht die Zeit unseres Daseins auf der Erde –, und wie nun dieses Dasein einem Mangel gleich wird an seinem Sinne, durch den wir in die Zeit herausgebrochen sind, — und wie viel wir herausgebrochen sind, so viel beschwert uns und bedeutet uns dieser Mangel an einer harrenden und zwischen Bild und Wort verglichenen, ewigen Gleiche – also sind wir in einer bewegten Maßgabe zwischen Bild und Wort für unsere Zeit auf der Erde. Bild der gespiegelten Schöpfung, durch unser Wort in Bewegung, das ist unser Dasein im Sinne und die Erde ist dadurch wie unter einem Wasser. Zwischen Gesicht und Ohr fließt wie zwischen Himmel und Erde aus ewiger Zeit ein Wasser.
Unser Sinn also teilt uns mit unserem Grunde; und die Teile sind in uns wie Worte von einer Bewegung. Die Bewegung muß zuvorkommen, je stärker sie selber im Teile ist, und die Teilung lebt durch alle Worte. Unser Dasein lebt, weil es geteilt ist, und in der Teilung ist eine Macht gegen uns wie ein Drittes. Wir suchen in allem ein Drittes. So lebt es zwischen uns in den Abständen von Bild und Wort, in denen wir leben. Was aber ist es, welches lebt? Und indem es lebt und unserem Dasein von beiden Teilen zu leben gibt, das Wort zu seinem Bilde, bezeichnet es die Maße einer Geschichte. Wir tragen also, geteilt zwischen Bild und Wort, die Maße einer Geschichte über unserm Mangel und Grunde.
Dichtung ist das Suchen nach dem »Worte« eines eigenen Lebens. Dieses eigene Leben aber geschieht im Maße eines Dritten. Das Wort ist im Schoße, in der Zelle, im Mangel eines Dritten. Und nun entstehen die Worte im Mangelempfinden, wie zugeteilte Inhalte und Bilder aus der von einem großen Bilde verlassenen Seele.
Zuvorgegeben als eine Verlassenheit, die wie ein Horchen ist, bis die Bilder der Erde herumstehen, das ist ein Inbegriff der Geschichte; und so schlummert wortlos der Grund des Bildes unter allen Menschen. Wenn nun die Dichtung ein Horchen wird und ein Suchen zu dem Mangel und Grunde, kommt sie auf einen Weg des Sinnes durch andere Worte wie durch Bildstücke, welche in den Worten sind, und gerät dahin gleich einem von Wasser fließenden Gewebe in den Teilen des Sinnes, welcher in die Zeit verteilt ist und über dem Grunde fließt; und also ist sie in der starken und fließenden Maßgabe zwischen Bild und Wort in der Geschichte. Um so mehr vernimmt der Sinn der Dichtung eine Bewegung durch andre wie durch Zeiten, je weiter er vom eigenen Grunde Entfernung empfindet. In der Geschichte ist das ganze Maß für die Dichtung. Alles ist ein Maß des Bildverwandelns oder des Wechselns durch alle Orte um das eine »Wort«. Alle Menschen sind auf ihren Wegen, wenn der Weg einer Seele zum »Worte« begonnen wird.
Das Wort wird nicht aus sich genommen, sondern aus dem unbetretbaren Grunde, welcher in seinen Maßen erfahren wird wie von einem Zudrang, wie von einer Zu- und Zeitteilung, von dem Wortmangel aller gewesenen Bilder. Darum deckt sich auch das Wort nicht mit einem geschichtslosen, gleichen und bloß ihm eigenen Begriffe; das Wort ist nicht identisch. Es hat ein Mehr und ein Weniger an sich, worin es in Bewegung bleibt und den Grund erleidet. Das Wort besteht in einer Proportion, in einem fließenden Verhältnis zum eigenen Sagen. Diese Proportion, gerichtet und gehalten durch ihre Zeit, welche bald ist gleich einer eigenen Flut und bald auch ein geahnter und williger Spiegel über dem bleibenden Grunde – es leuchtet vom Dritten aus ihm über vor dem ewigen Gesichte – diese Proportion des Wortes zu sich selbst ist also auch gleich einem Gehör der Zeiten. Die Zeiten sind wie Rückungen eines Ohres, in dem wir mithören. Wir hören mit, wie wir mitgehört werden, weil wir nicht in der Mitte sind und der Geist uns nicht behaupten darf, sondern mitgerückt werden wie das wandelnde Echo von einem Mangel und Raume. Das erste Wort liegt gefangen und die Geschichte bildet sein Echo, seine Kammer und Klammer.
Dichtung ist also jenes Wort, um welches eine Seele nicht in ihre Mitte treten kann. Und im gleichen, in seinem Mangel wie in einem fast glücklichen und so doch hungrigen Echo lebend, kann das Wort auch nicht auf seinen Grund geraten. Darum ist auch der letzte Sinn eines Dramas der Tod. Er bedeutet die äußerste Ermangelung in einem Worte. Alles wittert darum in der Seele nach und es wird die Furcht der Welt, wenn das Echo in den Bildern nicht mehr wandelt und das Wort durch sich selber auf den Grund gebrochen ist.
Der Grund des Sinnes ist zugleich Ort und Bedingung, ebenso eine terra wie eine causa. Denn wie die Seele ihren Grund nicht erringen kann und darüber brütet in der Zeit, so geschieht ihr – und dies ist wie ein schweres Glück aller dauernden Geschichte – diese Maßgabe durch das Dritte, daß sie einen Ort hat durch die Entfernung von sich selber. Dichtung ist im letzten das Geschenk einer sonderbaren Barmherzigkeit.
Begreifbar aber ist Dichtung außerhalb der einzelnen Seele als die allseitige Geschichte des mangelnden Wortes vor einem reinen Bilde. So wird das »Wort« empfindbar und in Graden ermeßbar als eine Geschichte der Entfernung oder ihres Seins im Dritten. Die Inhalte entstehen aus den Sinnspiegeln der Entfernung. Und hierdurch, nämlich wenn Inhalte nach ihrem Mangel zum Worte begriffen werden und also Zeitformen sind, erreicht man eine Erkenntnis von den Formen wie ein gültiges Wissen. Es wird nicht gültig von geformten Begriffen, sondern aus einer Erfahrung und in deren Graden. Die Grade, weil sie in der Geschichte um das unerreichbare Wort stehen und davon wie Gesichter und Zeugnisse werden, sind vor den Begriffen. Sie geben die heftigen Bilder ihrer Orte vor der unbetretenen Mitte des Wortes. Es ist wie eine Wahl, daß, was die Seele selber sagen soll, sie nun wie ein größeres Schweigen in den Außenständen des Daseins und wie eine andere Geschichte verteilt sieht. Und aus dieser Wahl bauen sich Spuren wie aus dem Plane eines Schweigens in einem unsagbaren Andrang mit einer notwendigen Erkenntnis. Also begegnen sich Ort und Ursache und erweisen eine gemeinsame Größe in gewesenen Spuren und ermessen daraus die Notwendigkeit einer Richtung. Es ist gleichsam die Richtung eines Gesichtes als eines größten Hungers. Und alles fließt zusammen in die eine Bedingung des Wortes. Trieb und Forttrieb ist im selben Grunde.
Dichtung denkt nicht, sie findet sich in einem Sinne. Getrieben und gespiegelt geht sie die Spuren, in denen sie einen Weg findet zwischen Bild und Wort, einen Weg, als ob er von einem Sinne geplant sei. Der Plan aber ist ein Mangel, ein Hunger, eine Teilung, ein Raum zwischen den Bildern, von denen, indem der Sinn hindurchgeht, die Worte sprechen. In seinen Spuren ist der Weg also fordernd, aber in seiner Mitte blind. Die Blindheit muß sein wie ein Opfer. Sie kann nicht gedacht werden, aber sie bedeutet die Richtung und die Wahrheit des innersten Wortes.
Das Bild indes ist nicht zu verstehen, als ob ein Stück Natur verglichen werde mit einem Geiste. Das Spiel der Bilder ist nicht frei. Es ist am wenigsten frei für ein bloßes Gleichnis der Natur zum Geiste. Es macht in Hunger und Mangel eine Planfolge deutlich, in der sich nichts wiederholt, sondern alles Wiederholte noch mehr dem »Inbilde« mangelt. Warum also Bild? Und warum mag man statt des Wortes »Inbild« sagen? Bloß das geschichtliche Wort, gleichsam gegen den Geist und im Sinne des Mangels empfangen, wird in Wirklichkeit eine bildhafte Zeit. Die Naturbilder können dem Geiste keine Fruchtbarkeit leihen; vielmehr sie müssen erst den gleichen Weg der Verwandlung im Innern des Mangels gehen, damit sie dicht werden und blinder und jenes erfahren, was in der Anschauung Trieb und Spur und Richtung ist. Denn die Natur steht selber mit dem Sinne in den Spuren der Zeit. Die Natur muß warten auf das jungfräuliche Inbild.
Bild also, weil in dem Maße eines Geschehens in der Zeit, in einem Mehr, das dinglich ist, das Wort empfangen wird; und darum also ist es bildhaft. Auch der Geist muß diese Wege der Sinnhaftigkeit gehen. Das Inbild als das innerste in der Zeit empfangene Wort ruht und wird sichtbar im Sinne und aus dem Dritten und vom Geiste nicht erreicht. Der Geist erreicht den Hunger des Planes nicht. Dieser aber wird wie ein Gesicht, er liest die Bildordnung der Zeit und das Dritte.
In der Geschichte werden die Dinge der Erde und die Worte zu ihnen gewählt, gesichtet und erzählt wie mit einem Datum. Sie leben nicht aus ihrem Begriffe, sondern aus dem Datum. Der Teil eines Sinnes kommt ihnen zu, in welchem sie den eigenen Teil empfangen. Das innerste Wort ist selbst ein Datum. Dieses ist, eingesetzt in einen Bau, ein Maß des Mangels und der Größe geworden um seine Eingesetztheit. Die Geschichte des Wortes ist nicht im Freien, sondern im Gebauten. Die christliche Form vor allem ist in dieser Weise zuerst eine gesichtete, und das Wort schlägt sich in ihr an wie Bilder zu einem Inbilde. Also wird ein Teil des Sinnes für das Wort empfangen aus einem Datum, in einem Abstand, gleich einem Baugesicht; und daran wird dann das Wort seines eigenen Teiles teilhaft.
Daraus wird nun möglich, daß das Wort in seinem eigenen Teile um so mehr Wort werden kann. Nämlich da es gesichtet ist in einem Datum und also über dem Begriffe und also beschlossen, so kann es um so mehr mit dem, was ihm selber angehört, nun gleichsam unter dem Begriffe sein und ein bloßer Mund und wie sinnlos sein und singen und ist doch nun offen wie ein neuer Grund der Erde mit lauter worthaft seligen Farben.
Vor den Marionetten sitzend kommt der Zuschauer in eine merkwürdige Gefangenschaft der Besinnung. Es ist, als ob ihn zwischen Bild und Wort, zwischen Sichtbarkeit und Verlautung etwas Drittes, Flüsterndes anspräche, das ihn selber in den Zustand eines stillen Monologes versetzt. Dieser Monolog wird wie eine Abwesenheit vor dem Geschehen, in der er um jene Gesetze des Menschlichen ringt, die hier vom Menschlichen befreit als reiner Zustand im Spielwerk walten. Die Welt der Puppen übernimmt gewissermaßen eine Regie für den lebenden Menschen, eine Soufflierung kommt daraus her und der Zuschauer wird für sich selber zum stillen Sprecher. In der Lücke, die das mechanisierte Spiel zur völligeren Freiheit überspringt, findet seine gefangene Nachdenklichkeit ihren Platz.
Die Kunst der Spielfiguren hat andere Gesetze als die große Bühne oder vielmehr: die Gesetze der Puppen werden durch große Gegensätze, ja sonderbar wie durch Vergröberung verfeinert. Die figürliche Grazie kommt nicht aus den handelnden Gestalten, sondern hängt an einem Gebote von außen, wie an einem Schicksal. Dadurch hat sie keine Innerlichkeit des Wesens, sondern bekommt eine neue sonderbare Innerlichkeit des bloßen Geschehens. Leichtigkeit, da alles wie zum Fluge aufgehoben werden kann, und Schwere, da doch alles mit seiner ganzen geringen Kreatur seinem Schwerpunkt nachhängt, bekommen einen sinnlos heiteren Wechsel. Aber zuletzt siegt immer doch die Schwere, worin alles Spielende nach seiner Ruhe trachtet; und dieser Anblick hat dann etwas heiter Rührendes. Auf diese Weise hat überhaupt die Sichtbarkeit hier ihre rührenden Akzente, durch die sie mit den sonderbaren beweglichen Takten sichtbarer ist als bei den menschlichen Schauspielern. Bild und Wort ist im Puppenspiel viel mehr getrennt und die figürlichen Wesen bewegen sich in diesen zwei Schicksalen als reine Teilnehmer ohne Willen. Es gestaltet sich die ganze Enteignung vom Persönlichen und sie gleicht damit dem reinen Glauben an die Bestimmung, wie er triumphreicher noch als hier im Märchen waltet. Aber im figürlichen Spiele tritt die Sichtbarkeit hinzu wie durch ein Uhrwerk, durch ein technisches Vergnügen, eine Parodie, die das Leben gerade durch den Mangel des Lebens steigert. Sind wir nicht mitten in diesem erlösenden Zwiespalt aller Kunst? Und also kehren wir wie auf Krücken in das Paradies der Schöpfung und des Kindes zurück.
Zwischen den kleinen Akten und den Pausen in der Puppendramatik findet ein eigentümliches Verhältnis statt. Keine Katharsis wirkt in die Pausen nach, nichts von der zuletzt doch egoistischen Ethik eines in Schicksalen demonstrierten Humanismus. Da ist im Spiele nur die reine Anschauung. Das Herz des Kindes geht selber wie ein pochendes Uhrwerk mit; es fühlt sich unter dem Diktat der Figuren mitgetrieben, ein wachsendes Gewicht beschleunigt den Trieb der Dinge, alles wächst durch das Auge auf die Besinnung und die Worte sind dazu wie ein weites Echo. Auch die Retardierung der Dialoge und die Renitenz einer Kasperfigur – der Widerpart der Freiheit in der Summe der Geschehnisse – ist nur wie ein Aufenthalt im großen Triebe, und zuletzt ist doch die Musik das eigentliche Element aus dem Bilde. Aber auch wie die Puppen in ihrer Bestimmung fühlt sich das Kind im Zuschauen gesichert. Die Leidenschaften haben keine Kraft des bösen menschlichen Mittels; denn es ist in ihnen nichts von kümmerlicher Furcht, von Willen oder Macht der Abneigung. Ja die Ehrfurcht selber ist geringer als der Glaube an die Richtigkeit der Bestimmung. Es bleibt nichts im Verborgenen und doch ist in allem eine große Geborgenheit.
Kaum ist der erste Fuß der Marionette mit jenem eigentümlichen Suchen nach einer Spur oder Schwere auf die kleine Bühne getreten, so ist das Kind dabei, und wenn die Pause kommt, entfällt wieder das Gewicht, wovon das kindliche Herz beschleunigt wird, und mit einem Nachatmen entzieht es sich dem Gewesenen zum Gegenwärtigen. Auch der Erwachsene fühlt mit dem Kinde; aber bei ihm ist es noch etwas anderes.
Große Menschen haben sich vor die kleinen Spielfiguren ihrer Ebenbilder gesetzt. Man genießt mit den Kindern und man ist erheiterter in den Pausen durch den Gegensatz gegen die kleine Welt der Illusion. Aber wer sich in Nachgedanken begibt, wird immer mehr von Gesetzen umsponnen. Da ist das Gesetz der Proportion, das Gesetz der Kleinheit selber, das von der wachsenden Konsequenz der Schöpfung nicht berührt, seine Geborgenheit eben durch die Kleinheit wie durch ein Symbol an sich trägt. Ja die große Schöpfung kann Verletzung, Verderben, Tod in der Kleinheit leichter ertragen, sie schafft sich dieses Sinnbild zum befreienden Anblick und irgendwie kommt hier der Sinn des Krüppelhaften, der zur gotischen Freiheit gehört, immerfort zu seiner Wirkung. Man sitzt mit diesem Gedanken gefangen und die Besinnung wird, mit dem heiteren Herzen im Spiele, zu einer Schwere des Hirnes. Man bedenkt diesen eigenen Zwiespalt, die Leichtigkeit des Erlebens und die Schwere der Ersinnung, man ist davon geteilt und man fühlt sich schließlich mit Erheiterung selber als eine Art Marionette, wie sie dort im Spiele mit der Schwere der Köpfe ihr kleines Dasein beschauen.
Dann kommt man an das Gesetz des Anblicks selber. Von der Höhe, wo sie gelenkt werden, durch die Figuren geht zu den Zuschauern ein rechter Winkel. So ist man mitten in die Vollendung des Bildes gezogen, ein Teil und eine Vorderwand der Bühne, wo sie sich sinngemäß abschließt; und jene Frage der Theaterkunst, wie sich wieder ein wirklicher Kontakt von dem übermäßig konkretisierten Bühnenbild zum Zuschauerraum erreichen lasse, bleibt hier in den Ursprüngen gelöst. Eine gelenkte Welt bietet sich von der Seite, eine Gebrochenheit im Menschlichen, eine Triangulation wirkt allein durch Anwesenheit, nichts versteift sich im Charakter und es ist in allem eine große Entgliederung. Dies, wobei jedes Glied und Körperchen seine eigenen Gesetze hat, worin man das Ursprüngliche von der großen Simultaneität besitzt, die im ganzen neuen Kunstwesen als neue Idee wieder versucht wird, diese Entgliederung, frei gebunden und kostümlich geschmückt, gibt etwas Episches und wahrhaft Festliches. Daß sich das Rokoko besonders eignet, ist nur eine gute Pointe dieser Tatsache. Im edel Menschlichen ist der Humor eine gewisse Störung; aber im Epischen und Festlichen kann er jederzeit mit einem notwendigen Gegensatzrechte eintreten. Bei den kleinen Marionetten ist der Humor irgendwie ganz im Brennpunkt des Göttlichen.
Die Würde und der Humor haben Prothesen. Bei der großen Aktion hat der Kaiser sein Szepter, auf der großen Bühne gebraucht der Staatsmann einen Stock oder der Volkstribun einen Bleistift, oder der Herrscher stützt sich auf einen Diener. Die Prothesen der Würde sind mannigfaltig. Der große Humor des Lebens ist ohne Abzeichen und körperliche Waffe. Aber auf der Marionettenbühne hat auch der Humor seine Prothesen. Das ist nichts anderes als die Köpfe, die großen Hände und die Ungeschicktheit der Beine; der ganze entgliederte Mensch ist nichts als diese Bewegungen, ja der ganze Mensch ist nichts als eine Prothese des Humors. Und diese Prothesen werden von außen gelenkt! Kann das Schicksal ironischer mit seinen Geschöpfen sein als im Spiele? Selbst die Drastik muß beitragen zur Verinnerung, und es kann zuletzt keine freiere, menschenlosere Katharsis geben als eben diese. Natürlich: das große Drama wird groß durch den Einsatz menschlicher Bemühung. Aber bei den Marionetten darf man an die künstlerische Freiheit erinnern, die es gibt, wenn der Mensch seine Mühen nicht wichtig nimmt. Das ist ein großes Evangelium im Kleinen.
Und indem man sagen wollte, daß da keine Ehrfurcht herrsche oder daß gegen diese das Dingliche zuvorkomme, indem der monologische Sinn des Beschauers selbst dies zu sich sagte, gerät nicht, wie jene Figuren ihre gegliederte Bestimmung aus allen Gliedern fortgeben, er selber, eben dieser Sinn nun in die Gefangenschaft einer ihn weiter übergreifenden Besinnung, eines fremderen Sinnes, dessen Unsichtbarkeit — das Verschlossenste über das Offenste — über seinen eigenen gebaut wird? Dort im Bilde enteignet sich das Schwebende zu Ort und Entortung und hier im Nachsinne, wo der Mensch im Zwiespalte seiner Vorhandenheit seine Schwere empfindet, erhebt sich der fremdere Sinn dagegen und ist wie eine Musik. Man hört sie nicht; es ist nur die Ahnung, daß das Letzte einer wieder entgliederten Welt, wenn sie ihre Schwere zu Ort gebracht hat und nur noch ihrer Bestimmung dient, wie eine reine und unbeendbare Musik ist. Wie alles bildhaft Sichtbare zuletzt eine Schrift wird, die Geometrie der Angulation aller zeitlichen Gebrochenheit – und es ist, als ob es von allem Anfang schon so gewesen sei –, so kommt auch alles Gesprochene in den Schoß eines Unausgesprochenen zurück, eines Unaussprechbaren, das eben darin alle Töne hat. Das Beendete und das Unbeendliche blickt in sich, und wie es gegeneinander blickt, ist es wie der gepaarte Anblick des Gottsinnes für alles Wesen. Es blickt gleichsam ohne Erkenntnis ineinander und um so mehr trägt alles alle Erkanntheit. Dazwischen aber bleibt doch der gewachsene Mensch und für ihn ist es zwischen Bild und Wort durch seine Beharrung wie eine Ehre. Und kommt nicht vielleicht die ewige Gegenwart wie zur Beendung alles Anfänglichen immerfort zusammen durch das zu lauter Musik gewordene Gegenwort. Nichts jedoch verwandelt sich im waltenden Hingange zurück, wenn das Instrument nun liegen bleibt; und wenn das Spiel wieder neu beginnt, hat schon jede Wiederholung wieder ihre Zukunft. Das Geschehende, indem es nur geschieht, um sich wesentlicher zu vollbringen, hat es nicht, ohne sich anders zu verändern, alle Hoffnung? Wenn es nur im Anblicke bleibt durch den lenkenden Willen, ist das Äußerste wie das Innerste. Die Angulation der Schwere wird übersprungen und der Zuschauer, erst noch in den Monolog getrieben und dann durch Schauen verstummend — vor den Marionetten geschieht dies mehr als vor jeder anderen Proportion der Geschichte –, ist plötzlich mit allen Kindern in einer heiteren Überzahl. Hier ist etwas von dem Strahle reiner Mittelung, um den das ganze Menschenwesen seine Besinnung hat.
Nur noch der innere Ton müßte wachsen und nur die unhörbare letzte Musik müßte zunehmen, so wäre der neue Adam geschaffen, bestehend wie Fleisch und Blut und wie durch die Kraft, welche das Wort und die Musik mit einander austauschen. Es wäre ein Leib wie Adams und wie der Geschichte, der sich selbst in nichts beehren kann; aber so wird er ein reiner Träger der Ehre. Nur daß uns dieses ganze Schicksal nicht gegeben ist; nur einmal war es durch das göttliche Wort in die Geschichte gegeben. Und so ist die letzte Musik für uns nicht hörbar; aber sie bewegt alle Zeit nach sich hin. Wir aber bleiben leben in den kleinen Episoden der Bilder, wo sich unsere Schwere mit dem Dinglichen — es wird hier zu dem losen und heiteren Spiele unserer Lasten — zur Entscheidung bringt. Je mehr wir daran den schweren Sinn verlieren, die Widerkraft und die Wiederkunft und weshalb wir müssen, um so mehr gestaltet es sich wie eine Ehrfurcht und diese ist mit uns in den erhobenen wie in abgelegten Dingen. Wir wachsen in die Bewegung wie in eine vorausgenommene Ruhe und wir haben damit, worum aller Bildwille streitet, die Ahnung einer auch bildhaft sichtbaren Gegebenheit. Wie kann sich nur das Wort so weit verlieren, daß es nicht mehr Wort ist, und daß doch die aufgehobene Schöpfung in ihm ihre sichtbare Ruhe hat? Die Anschauung gibt sich hinaus und kehrt zu sich wieder wie um die Zeichen einer ewig von ihr vorausgenommenen menschlichen Kreuzung.
Und doch wieder der Monolog; jeder einzelne besteht wie die gewesene Freude der vergangenen Dinge in seiner Verstummung. Dann doch – wozu sind diese Figuren da, diese kleinen Widerspenstigen gegen das Wort, gegen den sinnenden und singenden Sinn, daß er sich mit ihnen teilt, in das Unerwartete, in das Witzige, ja in das Verderbliche, wenn es all den menschlichen Vorsinn hätte – aber eben diese Angulation wird im kleinen Bilde herausgebrochen —, und daß er sich dann doch ordnend durch den Humor des Schicksals in die ewige Geteiltheit selber besiegt. Diese weiteste Gebrochenheit besteht im fast sinnlos heiteren Wechsel gegen alle Größe. Diese kleinen Sperrungen, diese kleinen dinglichen Körper bestehen und sie werden geschmückt und sie sind der ganze Anhalt des menschlichen Epimetheus. Die Erkenntnis, welche rechtend hinzutritt, findet nur noch ein kleines Accidens, eine Sichtbarkeit nur wie eine in ihre Ursache gestellte und hineingefällte Auflehnung, zwischen den zwei Rechten aber, dem bestimmenden und dem bestimmten, die ewige Spanne. Auf diese Weise bekommt alle Verstummung ein Angesicht; sie ist das bleibende Zeugnis oder das Rätsel einer gewesenen Freude. Die Stummheit der Puppe, wenn man sie einzeln betrachtet, wird heute im Geheimnis der Maske immer wieder gesucht. Man kann leichter den ersten Sinn ergründen als den letzten.
Die Marionette gehört wohl wie die Schrift, ähnlich aus Gegensatz, als eine im weitesten vermittelte und eben dadurch unmittelbarste Fraktur der geschichtlichen Zeugnisse in die große Geschichte der Kunst. Wie lange braucht es, bis der einfache Mensch, der nichts als Volk heißt oder noch geringer ist, zu sich selber kommen darf, daß er ein Träger wird. Wird er nicht sofort zuviel? Und nur der Humor ist es, der die kleine eitle Absicht zu der schweren Größe heiter ergänzt. Wenn wir einmal einsähen, wie viel das Volkstümliche, wenn es sich selber pflegen will, der fordernden Größe des ganzen Daseins Abbruch tut! Hier hat auch die Marionette ihr wirkendes Gesetz, worin sich ihre Absicht richtet und der Weg geöffnet bleibt, der vom volkstümlich gewordenen Reste der Komik bis zu der ganzen Heiterkeit des großen Mangels im großen Spiele möglich ist. Als Letztes erscheint nicht einmal mehr eine Szene, sondern nur ein sichtbarer Anhalt für ein Gedenken, das Tragen einer reinen Anschauung. Es wäre wieder die Schrift für das Auge, deren gestörte Melodie aber das ganze Leben ausmacht.
Wie kam es, daß diese beiden Sonntagmorgen so zusammengingen; eigentlich und zuerst eine lange Nacht, noch lange, obgleich schon nahe vor dem Morgen, denn es ist Winter, und die den Lichterglanz nicht aufnehmen kann? Erst im Übergang, wenn sie ihren Hunger verschlingt und es taghell wird, nimmt sie auch das künstliche Licht verschluckend zu sich. Doch wenn jetzt noch ihre Lichter sind wie leuchtende Körner für das zählende Auge, allein und überall in das Dunkel gebettet, davon ist sie fröhlich und die Augen sind sicher im Schatten. Sie sind bloß und lose und von vorne herum strahlt angestreift das Sichtbare.
Dann aber das Zweite und Ähnliche, wirklicher und weniger am herbstlichen Sonntag im Vormittag, wenn die gleichen Meßlichter brennen, zwar jetzt nicht so viele und die nun blasser sind als das gefällte Korn; wie kommt zuerst das fröhliche Wissen in die Nacht und ist nur angestreift; ähnlich und angestreift, aber nun wie wachsend noch im Wachsenden wie in einem Vergessen auch an diesem hellen Bestande des Tages. Und ein Kind, nur um etwas zu tun, nimmt seine Mütze und will sich bedecken. Durch ein Tun – was ist das für ein dunkler Knoten — will man sich abheben, die Aufmerksamkeit, die man heimlich fortgibt, kommt her, schon ist man gefangen in einer eigenen Bewegung, und was selber noch mehr will, man fällt in die Aufmerksamkeit der andern.
Um selber zu sein, will man zuvorkommen; oder ist hier noch etwas anderes und dieses verschwiegen? Denn auch im Handeln ist schließlich aller Bereich verschwiegen durch eine Bewegung. Und damit bildet sich der Gegenstand. Bloß sehen will der Mensch, aber schon ist der Blick auch in ihm — das ist das Dunkle — und ohne Sehen will man nun etwas und mehr tun. Es greift wie ein Ungezähltes nach innen und die Nacht bildet daraus das Herz des Tages. Sie bildet immer weiter an diesem Herzen.
Gelobt sei es — aber, Kind, das verstehst du nicht — und doch bist du darüber immerfort das Wiedergeborene. Gelobt sei das Bewegte, aber an welcher Grenze wird es zu sich kommen? So wage du alles; und nun mag die Mutter helfen.
Es läßt uns doch keine Ruhe.
In der ersten Weihnachtsmesse klingt es und es ist von einer sonderbaren Unruhe, eigentlich je stiller desto unruhiger, wenn man das nach dem Gehöre versteht. Man versteht es im Fallen des harten Schnees, worüber man horchen kann, das Allverweilen am Gegenstand; es ist in den knisternden Kerzen, aber weiter als diese und wo schon kein Horcher mehr ist; und was immer zuerst in den strahlenden Lichtglanz aufbrechen will, es öffnet über den dunkellichtigen Herzen das kalte Wachs des Mundes, dieses wird flüssig und ist nach oben gerichtet – die kleine Decke gegen ihre große Spannung – oder ist mehr hier das andere, welches einwärts geht; und es gleicht nur der Musik allein ohne die menschlichen Stimmen. Doch auch die Stimmen wollen sich vereinigen, nicht nur die eine, sondern die vielen und es ist ein schwerer und langsamer Jubel, wie die gekrümmten Dochte in ihren kleinen wächsernen Kelchschalen. Es bettet sich aus durch Hingabe.
Bei uns ist auch die erste Weihnachtsmesse in der Frühe, nicht in der Mitternacht, wo der Lärm und die Geschenke im Wachsen kaum abgebrochen nun sich noch einmal zusammenklingend verstärken, vollendeter in ihrem Gloria vor dem kommenden Schlafe. Sondern bei uns sind diese kleinen Lebensbäume abgebrochen und wieder hergestellt, im Marke sitzt noch der Schlaf des Vergessens, zusammen vielleicht mit der stillen Kälte, die aufrecht hält, als ob man in einer anderen Bestimmung sei. Die Bewegung wird da schwerer und kommt aus einem anderen Bezirke, und während das Kind in der Mitternacht den Reichtum mit allem, was es sieht, vermehrt – es ist wie eine rosenrote Schwimmerin in der Lust der Lüfte und eine rote Rose schwimmt noch ferner mit –, hier ist es bis zum Gegenstücke anders; unablässig pickt ein Auge an dem Goldkorn der Kerzen und das Kind des dunkleren Morgens wird sich selber fremder in seinem eigenen Befunde. Es sieht und unverständig sieht es noch weiter, daß es anders und nicht aufgeht wie die Kerzen, und es wird unbiegsam durch ein wenig Bewegung. Ist nicht sein Gloria eine ungezählte und offene Hülle, daß man es nicht ersingen kann, und sind wir nicht überhaupt dann und alle so und es ist unser Letztes vor dem Reichtum, vor diesem Antlitz sichtbar wie die angestreiften Dinge? Bloß und lose wie Kinderaugen aber bleibt die Nacht zurück, die uns ausgeboren hat.
Nun war es aber gar nicht Weihnachten, sondern der Herbst hatte diesen hellen Sonntagvormittag gebracht, an welchem die Unruhe in aller Weite sterbend wie eine Verlautbarung und Übereinkunft offenkundig wird und sich in der Kirche versammelt. Die Kerzen haben hiebei nichts zu tun als zu brennen. Die geheimnisvolle Nacht ist im Ärmel des Tages, sie ist darin geborgen, der Tag aber ist wie eine schaubare und geschickte Hand, welche die Gaben seiner ganzen Nacht vor einem Munde hält, unverspeislich und wie selber durch einen bloßen und stillen Atem mit allen Geschenken in die Zeit gehalten, hoch und nah über dem Munde. Ein holdes Mädchen schläft so mit seiner Braue sprechend. Da ist nicht Antwort, mehr noch kommt von oben zu dem lauschenden Munde und wider alles hebt sich umgezeichnet seine ruhige Stirne. Noch immer geht dieses Letzte – eine weiße und schwere Offenheit – in die Herrschaft des Tages.
Jetzt waren also die Leute in der Kirche, in dem Augenblick, wo auch die Säumigsten gekommen sind, es war zwischen dem Gesang Stille und ein Knabe, der noch nicht zur Schule ging, saß höher als die Beter auf der letzten Bank hinten am hohen Mittelgange. Frei und aufrecht hatte er seinen Kopf noch über den Stehenden, die weiter rückwärts sich anhäuften. Seine Mutter, die mit ihrer Neigung über das Armbrett auf der Fußbank nach innen kniete, hatte ihn neben sich gesetzt, rechts nicht auf eine Sitzbank vorwärts oder rückwärts, wo der Abschluß war in dieser Reihe mit einer stehenden Lehne und ihren hölzernen Felderteilen, sondern neben ihr Gesicht und ihre Wange auf das schmale Brett, wo man die Hände oder die Ellbogen aufstützt. Die Bänke von einem alten und unbequemen Stil waren hoch bis in die Rücken der Besucher und der Knabe hatte neben sich eine goldene Kugel, die sich nach vorne wiederholte mit allen den goldenen Kugeln zu den beiden Seiten des Hauptganges und ebenso an den Außenreihen bis zu dem Raume des Weihrauchs und des vielen Goldes.
Die Kugeln waren etwas abgeplattet und glichen goldenen Köpfen, welchen man keinen Namen gibt. Mit den Lichtern in dieser schreinhaften Offenheit unter dem zeigenden Schimmer des Tages, wovon das Licht nun im Weißen selber ermattet und wie das Geräusch ein Anzeiger von wachsender Stille ist, war das heute wie Weihnachten in jener ruhevollen Nacht, aber der Schatten fehlte und die sichtbare Größe, gemeinsam mit den angestreiften Dingen, gibt uns gewissere Rechte des Herzens. Sie mittelt uns in eine andere Besinnung. Eben darum vergißt man sich auch schon weiter und der Knabe hob ein wenig sein Ärmchen, es kam aus dem Ärmel, rechts von der goldenen Kugel nach vorwärts, und hatte dabei in der Hand sein wollenes Käppchen, noch das gleiche, welches ihm das Christkind im Winter gebracht hatte. Man sah, daß in der Mitte eine farbige Dolde daran war wie ein Pinselchen.
Das war nun seine kleine Bewegung und wollte jetzt auch nicht mehr werden. Der Knabe sah auf die blaue Dolde und wartete. Mancher ist ein Wartender im gleichen Verhalte, der das Sehen wie eine Blendung benutzt, um bloß bei dem einen zu sein. Jedes Ding hat eine scheinbare Ruhe. Aber das Sehen hat einen Lauf und ein Tempo, und ist es nur erst Erinnerung, wiedergeboren so durch die Stille, vergißt man sich und wie eine Wahl kommt es besser oder schlimmer, aber doch nur wie die neuen Kinder neu in die Zeit. Das ist eine Sache, die man begreifen kann, man kommt darin vorwärts und alles hängt daran. Es ist das Geschenk, worin man sich vergißt, im lichthaften Wechsel durch froh gestellte Grenzen und beschaffen sogar, daß man nie das im Auge hat, was man im Auge hat. Einwärts wird hier gemessen wie auswärts und das Maß davon geht wie eine Schrift um die Dinge. Oder hängt schon nichts mehr an diesem, nichts mehr von allem und nur innerhalb bleibt eine Lücke, wo wir selber sind? Was ist mit uns dazwischen durch ein Fremdes? Und gerade dieses, horch, wie jetzt noch ein froher Schmerz, will immer mehr werden. Nun geht die Schrift um uns selber. Denn das Geschenk will offen sein, das uns umändert, und es führt immer nach außen. Das Begreifen ist dagegen bloß ein Einhalt. Aber dann geht es schon nicht mehr um das Geschenk und gerade die Stille vermehrt es. Gerade die Bewegung, womit sie uns empfängt, sucht darin Vergessen und warum durch eine schwere Stille? Aber in diesem Unbeteiligten wartet unser Anteil. Wie ist doch jene Schläferin sicher unter dem hohen und vollkommenen Worte, die mit ihrem offenen Munde wartet. Uns aber bildet unter der Stirne ein Schatten. Müssen wir dann auch diese Stille vermehren, wo nichts und dies alles ist; und es gebiert sich eine unaufhaltbare Bewegung. Nun müßte ein Wort einsetzen und davon sprechen und alle würden es singen. Aber siehe mit dem starren Auge das hüpfende Flämmchen, dem es auf einmal einfällt über seiner kleinen Spannung, und alsbald antwortet eine andere Kerze. Jedoch die goldenen Köpfe stehen gleich und schon lange. Was zehrt uns aus dem Bilde und wird vom Gehör her empfangen, wie etwas Dunkles, das einwärts fließt und hier hat es eine unbegriffene Stätte. Hier ist es emsig und bildet sich ferner, aber erliegend in uns wie die Flamme in ihrem Hüpfen. Bei dem Dornbusch war eine Warnung, als er brannte, und ein kleines Wort würde helfen unter diesem Schimmer des Herbstes, der alles wahllos offenhält wie nur die Erinnerung. Oder auch Schritte würden helfen wie die jener Wohnungsuchenden, als Bethlehem erfüllt wurde für die Nacht. Unser Fenster und unser Tor ginge auf oder zu und so würde auch mit uns das Sein zum Umbild mächtig. Oder wenn jetzt nur in der Kirche ein kleines Mädchen ginge! Aber es ist Stille und da ist jetzt ein Docht, der nicht brennt, und er ist gekrümmt von der Erinnerung.
An seiner Mütze, von der wir sprachen, hing für den Knaben nicht viel, zunächst nichts Bekanntes und nichts Unbekanntes. Und doch als sie jetzt für ihn ins Mittel kam, hob er das Ärmchen noch ein wenig weiter und saß vor den schimmernden Kerzen, als ob sie nahe vor ihm stünden auf ihren gestreckten Leuchtern. Vor so viel Reiz — wie kam er her zu dem kleinen Besitze, der mit ihm aufrecht saß, eine Regung zu einer Bereitschaft – aber was kam auch alsbald dazwischen wie Erinnerung, wie ein flackerndes Tuch, wie eine Fahne von Schneegestöber, die über ihm hing in der Winternacht, als er mit seiner Mutter aus dem dunklen Wege gekommen und in dem Lichtschein vor dem Hochhaus der steinernen Kirche war. Der Schnee wehte über seine hinaufblickenden Augen wie Farben vom Regenbogen. Er hatte damals nach seiner Mütze gegriffen, die sein Geschenk war, und außer der Wolle bekam er in die Hand die Schneesterne. In allem geht das Nehmen durch ein Geben – so wird es anfangs empfunden mit seinem Bestande –, aber nach allen Dingen greift es auch von zwei Seiten. Ähnlich blieb auch hier die frohe Teilung halb empfunden in der Kälte, aber was wurde es wenn nicht ein wenig Feuchtigkeit und so hatte er der Mutter seine Hand zurückgegeben. Jedoch wie ein Griff sich vom anderen ablöst und ein Bild eingelassen wird in das andere, sah er jetzt im Gedächtnis einen weiteren und wirklichen Regenbogen und in der Erinnerung sogleich einen zweiten Knaben; in seinem übermütigen Sinne war es von ihm weg wie eine Teilung. Das wurde, was wie alles Menschliche eine künstliche Dazwischenkunft oder sohin geneigt ist, seine nächste Bewegung, in der es uns einhält, und es wird unsere weitere Zehrung. Es ist nämlich die Aufhebung des ersten Staunens und was sich dann bildet wie durch eine Vereinbarung und unter das Gemüt geht, geschieht doch gegen das Menschliche. Es ist dagegen gerichtet – gegen ein solches allein, das uns nur gegenbindet, noch weiß man nicht für welches Dritte – und so auch durch jenen zweiten Knaben, der im Vorbeispringen nach seiner Mütze gegriffen hatte. Noch war der erste Schritt nicht zum Ernste.
Hier beginnt aber der Anlaß zu einer offenen und stillen Abwesenheit; nämlich zu jener Abwesenheit, die, wenn sie mit der eigenen Besinnung zu sich selber kommt, uns von unserer unbegriffenen Mitte abscheidet, der Einhalt wie zu einer Abneigung, das Künstliche gestellt zum Natürlichen in einem gleichen Raume, und worin es schon wie ein Hadern ist. Und da war auch schon das Hündlein Gram. Das Eigensein wird aber sichtbar wie ein Recht, welches man in der Natur nicht kennt. Nämlich am Abend damals im frühen Sommer nach einem unausgebrochenen Gewitter, als die Sonne hinter den durch die Luft nachblitzenden Tropfen zum Abgang neigte, und als der Knabe unter seiner Mütze nach dem Wetter schauend den aufgestiegenen Regenbogen sah, zu welchem ein zweiter Regenbogen herwärts den Himmel dahinter noch tiefer und dunkler öffnete, und während alles um ihn befreit und lieblich dem entgangenen Zwange nachtropfend vor dem doppelt farbigen Tore der jenseitig dunkelmächtigen Welt stand – dort war im Ahnbaren die Wahl, über der unterdrückten Erde ihre aufgesogene Fülle, und hier aber am Orte doch im ersten Staunen bei aller Freiheit keine –, kam der andere Knabe mit seinem ausgelassenen Sprunge. Daraus wurde nun eine Verfolgung, welche geschah vor dem Regenbogen in seiner farbigsten Blüte; sie ging mit dem Bewußtsein der Bewegung – Bewegung steigert sich allein und hier noch mehr zum unbestrittenen Rechte – durch die Tore der Trennung vom Hellen und Dunkeln, und erst als ein weißes Hündchen bellend aus der Hütte nach seiner Seite sprang, so daß der verfolgende Knabe ausbiegen mußte und abstand, kam er ohne Wahl in die Haft der Besinnung. Und diese war dunkel. Sie bildet den anhebenden Bestand des eigenen Menschen. Noch mehr: es ist da eine Schrift, die gefüllt wird, und es wurde eine kleine dunkle Gestalt, die, geworden durch Innewerdung und eine Trennung auf der gleichen Erde mit den Bäumen und vor dem Hause, entstand wie ohne Recht in ihrer Absonderung. Das Angesicht der Erde wird aber deutlicher unter dem Himmel. Während das Hündlein, sich trennend von seiner aufgenommenen Pflicht, wedelnd nach seiner Hütte ging, kam der Knabe in seine Besinnung und war in diese Besinnung wie hineingeschrieben. Da kam ihm ein ganzes Feld in die Augen.
Ohne Willen hob der Knabe das Ärmchen noch höher. Gott schaut ohne Erkenntlichkeit zu, ohne Sichtbarkeit des Gebers oder eines Nehmenden über dem bloßen blühenden Bogen. Was vor ihm dazwischen kommt, in die Lücke zu unserem kleinen Menschen, ein fremdes Geschehen, nicht mehr Einwilligung und ohne Abweisung – wird es weiter gebildet durch den Verratenen und ist es doch der stetige Gewinn seines persönlichen Bestandes – es geht über die einfache Rechnung hinaus. Zum Natürlichen, daß wir staunen, gehört das Menschliche, daß wir uns entzweien — alles allein und bloß Menschliche ist künstlich; es hat seine abgeschnittene Bezeichnung durch ein bloßes Deuten, wie auch ein Pfeiler das Zeichen ist der aufgehobenen Nacht; aber dadurch wird sie noch höher — und das Ganze bleibt über der Natur wie eine Inschrift, hingedrängt auf einen Ton durch eine Stummheit. Nun kannst du mehr werden, indem du weniger wirst, aber es geht immer nach diesen beiden Seiten. Selber die Dinge haben an solchen nachdunkelnden Abenden mehr um sich als ihren Schatten. Etwas wartet hier und macht sich gegen das Dunkel beharrlich und dabei ist ein harter Glanz über dem Felde. Es geht, wie man sagt, um die Schönheit und bald wird sie wieder deutlich sein, die gebietende Schwimmerin in der Lust der Lüfte, aber durch das Wasser ist ein Glanz dagegen gestiegen. Zwischen beiden Teilen wird es also werden. Vielmehr was sich vertauscht hat wie das Göttliche unter die Menschen, das Ausgehobene, das man nicht fassen kann, und das Eingekommene, das uns umändert, Glanz und Nacht in unserem gleichen Behälter, jedes will mehr als das andere und eben durch dieses. Jedoch eine offene und umgezeichnete Stirn liegt zwischen Tag und Nacht und ist nicht im Argen, sie wartet und ihr Mund ist offen, der nicht sprechen kann. Im Zeichen der Nacht hat die Jungfrau ihr Kind geboren. Das ist nun unser Trinken am Bilde, der Brunnen, der uns aufhebt, und die Anschauung, die uns verliert, weil sie wie ein Echo schwindet und wird Erinnerung. Das Alterlose fällt durch Dunkel in Erinnerung. Was ist das hier für eine Lust, wenn nun das durchsichtige Wasser eben durch seine Gründung nicht weicht, und was einem Raume gleicht, wird eine Spanne, noch ist der Einblick wie eine abwehrende Schrift und die Nacht ist ganz erfüllt von Offenheit. Es ist an allem mehr daran, als man glaubt.
Aber man muß dazu tun, was ohnehin geschieht. Im großen ist das der Pol Gottes durch sich selber, im kleinen aber ein schreckliches Geheimnis. Weil sich nämlich das Eigene aufzehrt, um vom Gegenteile erschaffen zu werden, dadurch wird die Form vom Menschen unberührt. Aber muß nicht die reine Stirn von diesem Abfall bluten, sobald die Nacht entwichen ist? Und so ist jede Zukunft mehr als Sonne.
Ich zum Beispiel – um von der Lähmung zu reden gegen die Bewegbarkeit oder von jener Beständigkeit, welche gegen den ungesättigten Lichtglanz erhungert deutlich wird, ihre täglich gezeitigte Zunahme unter der Beschwichtigung der Ferne und jetzt einen festen Bestand gegen das aufgegangene Licht, — ich bin vielleicht in dem Falle, daß mir das Wort genommen wird; so vielmehr, daß es – und es eile kein Herz gegen die Prophezeiung, wenn sie mit ihrer hungrigen Zunahme im Maß des Gleichnisses ihren Inbegriff einfordert; uns hält in der Gegenbindung das bewegte Herz – so vielmehr, daß, wie das Wort noch zunimmt, seine Ausflucht geringer umgegeben – Zunahme einer Stille durch den Satz ihres Gegenteils oder wenn nun das Gleichnis seine Gestalt durch Hunger in sich hat, — wie eine Mauer entsteht; daß, wie das Wort selbst nur ein Mittel ist, um noch mehr zu verlieren, seine wahre Einkunft den Bestand im Inneren ausschließt – verstehst du das menschliche Singen gegen alles? Ich, der ich etwa einmal gesagt habe, daß das Bürgerliche mit vielen Worten des Umstandes zu seinem Nichtse kommend für sich betulich werde, wenn mir nun das Wort gekündigt wird, daß ich nur deuten kann — die weitere Bewegung ist noch im Hauche — bin ich dann gleich dem Kinde? Es sieht nur sich und auch sich nicht in dem festen Bestande. Weil die Liebe immer etwas Verlierendes hat, behält sie ihren Inbegriff eben dadurch nicht im Auge; bis sich das glücklich Verlorene verhärtet und man sieht nur noch den Ausschluß. So der Verstummte, der alles Feste sieht und er ist dagegen die Welle eines getrockneten Wassers. Das Haus baut man durch den Wechsel von außen und innen und die einzige Hoffnung ist der Fels der Brust. Aber in welche Gegenbewegung kommt das bloße Geschöpf? Zuerst ist es eine kleine Sache, es will nur Aufmerksamkeit, gleichsam den Raum eines Abstandes, wodurch der Atem schwer wird. Und dann kommt er nicht mehr zum Worte. Horchend auf das Wort, wo es anstößt – die Wahl der Dinge, die ihren Wähler mitnimmt, – wird auch das Echo verloren und nun ist alles aus dem Blick entstanden, nicht mehr zu einem Inbegriff. Das Geschöpf ist erkannt durch die Verortung.
Kind, das verstehst du nicht; während das Auge sein Fäustchen betrachtet, nicht die Verknotung für die Gestalt und ihre Abtrennung selber durch das Gleichnis in ihrem Kern einer Einsamkeit, geschlossen in den Widerschein und ohne Entschluß; und nicht diese Gestaltung der Meßdinge, die Trennung von Wasser und Wein für das Geschöpf, und hier diesen stummen Stein der Stimme. Aber der Stehende im Fleische, ohne Gleichung und gehalten auch ohne Bewegung aus dem Geniste der Gliedmaßen, der offen geworden durch die fröhliche Nacht des Kindes, aber weil das Echo verloren ist und die Sichtbarkeit seine eigentliche Blendung, um so mehr ansteht für das eingekommene Dritte. Aber fern und schwer ist die Lautlosigkeit der Erkenntnis. Der ist die offene und angestreifte Erde, verschränkt mit allem, daß nicht die Entsprechung den Raum schließt oder öffnet, nichts vorgebend und in die Forderung rückend, sondern bloßgegeben, gerade hier aber das Wagnis der Freiheit, das Ergreifen der Gegebenheit selber und ihre maßlose Besinnung ist wie eine Vertilgung.