Zweige der Jahre
Blüte

 

Wer kann es noch erschauen,

das Wort tritt in das Herz zurück,

und härter jeden Augenblick

erdürstet noch im Tauen,

 

aus knospenroter Quelle,

was gestern noch wie Tropfen war,

ein ernstes Opfer blutig gar,

wird aschenweiße Helle,

 

aus grundverborgner Kühle,

was heute erst zu Kelchen glomm,

ein milchig trüb und klarer Strom,

schwillt mahlfein aus der Mühle.

 

Es harren alle Blätter,

gefügt in ihren festen Satz,

und schilden um sich ihren Platz,

so reinen Lichtes Retter,

 

daß Finsternisse stocken

und fallen nieder übermannt;

mit Schatten willig weggewandt,

kehrt in sich, den zu locken,

 

spielt unter jedem Zweige

unsichtbar eine dunkle Last,

drängt fortgedrungen ihre Rast,

schwer hängend in die Neige,

 

kehrt tief und immer tiefer

der Wille augenstarr gereckt,

bis glutheiß sich der Sinn besteckt,

gewappnet und als rief er:

 

»Nichts mehr von dieser Speise,

mein Blut und stete Gegenwart,

in Milde so unsäglich hart

und in Verhärtung leise

 

geschildet und gedungen,

der leichten Zunge schweres Spiel,

vom Rand zur Neige starres Ziel,

ein Kelch ins Herz gedrungen,

 

muß heute oder keinen,

ja jeden so beschiednen Tag,

so oft das Herz noch schlagen mag,

sich trennen und vereinen.«

 

(24./25.5.1917)