Wanderer in Tagen
Der Baum im Laube

 

1

 

Will der Sonne Licht sich wieder gatten,

kaum daß sich und schnell ein halber Regen

flüchtig ausergoß, kommt ihr entgegen

Glanz und milder Schein und halber Schatten.

 

Nur im Augenblick, und wieder hatten

Lüfte Zweig um Zweig am Baum gelegen

leicht ihr Spiel und trieben eines trägen

Windes Weiser sich im Laub vonstatten.

 

Aber manchmal sieht man dann den satten

Baum – dann weilt der Lichtsaum in den schrägen

Himmeln – ernst und sich mit nichts bewegen,

bitter grünen und mit nichts ermatten.

 

Fordernd, doch daß er kein Kommen wehre,

trägt er ruhig seines Bildes Schwere.

 

 

2

 

Was mich, denk ich meines Daseins Haft,

aus dem Maß, so ich mir selber stellen

will, Versucher mich verborgner Quellen,

oft mit allen Sinnen weggerafft,

 

was ich wieder schaue, und es klafft

näher mir und ist ein Bild im hellen

Himmel wie ein Baum und von Gefällen

dunkel, was mich aus der Wurzel schafft:-

 

Sinn ist nicht wie Blut ein eigner Saft;

und die ich auszweige, dieser Zellen

kleine Lebenswirknis muß zerschellen,

und ich lebe nicht aus eigner Kraft.

 

Sinnberufer, löse diese Schwere,

daß sie unberührt dir wiederkehre!

 

(23.6.1925)