Wanderer in Tagen
Glocke der Nächte

 

Wecke nachts mich, Mutter, daß ich

laut zu dienen

vor der Morgenhelle

zehre meine Stimme, schwelle,

schwärme mit den Bienen.

 

Du Gestorbne, schon im Korb, im

Lebensstocke

schon so Unbehauste,

warst die, die so innig brauste,

klöppellose Glocke.

 

Not und Hunger, Tod und Kummer

schlug vergebens

härter deine Harfe,

stiller brach das bitterscharfe

Brot des armen Lebens.

 

Wie die krumme harte Kruste

abgeschnitten

schwindet, ganz verzehrte

Mutter, hat dies Bild aus Erde

um das Brot gelitten.

 

Und noch spielt ein ungezielter

dunkler Hammer,

ob, der ihn ermannte,

treffe bis zum vollen Rande,

fülle seine Kammer.

 

Noch ist Tag nicht, Angst der Nacht sticht

in mein Denken,

daß ich, wie die Mäuse

Körner fressen, mich zerbeiße,

und ich kann nicht schenken.

 

Oder ich bin ganz im Wirrsinn

hingesunken,

taub in meiner Schwere,

Rufe schallen, und ich kehre

mich zum Heimweg trunken.

 

Mutter, Vater, mein gesparter

kleiner Glaube

will den Abgrund rufen,

in die unermeßnen Kufen

dunkel stürzt die Traube;

 

ob die Spanne ich erlange

bis zum Morgen,

bis der Rand der Glocke

aufgewölbt zum Himmelsstocke

meine Fracht geborgen.

 

Wird die Jagd um mich verzagen?

Lauter, lauter,

nicht das Wild vergräme,

Echo dringt durch alle Stämme,

steht im eignen Schauder.

 

Milch und Licht und rosendichte

hohe Lohen

wird der Himmel stürzen,

Hefe in den Wein, nicht kürzen

laß den Fluß, den rohen.

 

Zieh den Hebel, tritt die Kelter,

orgle; heiser

muß der Klang dich stechen;

Bienen aus dem Flugloch brechen

süß und immer leiser.

 

(vor 30.10.1919)