Das Sinnreich der Erde (Erste Fassung)
Morgenchoral im Blute

 

Als wartete dein Blick die ganze Nacht,

so bin ich diesen Morgen schnell erwacht.

 

Entflüchtigt fremd, daß es noch kaum mir gleicht,

wie Schein mein Wesen fortgetragen leicht

 

fängt über meinem Haupt wie Licht sich hoch,

zu dunkler Bürde steigt des Leibes Joch,

 

versenkt zum Ohr einrauschend seine Last,

das Auge nächtlicher entbricht dem Gast:

 

Wer ist es, den des Blutes Pochen kennt,

der Augenlicht von Ohres Schlummer trennt,

 

lauscht er noch, dem ich schied, mich fragend, wo,

da er mich still verließ, ob ich ihn floh?

 

Schon schlägt das Auge ein und offnes Ohr

verhorcht sich wie an dunklen Ganges Tor,

 

ob er von innen naht, von außen tritt,

der Aug und Ohr mir mit sich teilend schnitt.

 

Aufschwillt das Herz und lebend durch ein Wort,

das ihn ergründe, gräbt es in sich fort.

 

Wars gestern oder steht mir heut bevor,

daß aus dem Angesicht ich dich verlor?

 

Gezählt mein Geist, geteilt und wie zerstückt,

gewogen auf des Körpers Waage liegt.

 

Nur Aug und Ohr zuweilen irren Gang

verwechselnd rasten sich am selben Strang.

 

Geschieht ein Wille oder endet hier,

die Zeit steht stille, Gott, wie hilfst du dir?

 

Wie Blut mein Ingrund einen Faden spinnt,

ein Blutquell, der dir hoch ins Antlitz rinnt.

 

Noch eh er gegen mich zurück sich wand,

knüpft sich das lösungslos geschlungne Band:

 

Wär ich, der ich dir bin, du Morgenlicht,

der ich dein Dunkel bin, wär ich dir nicht.

 

Das Zünglein schwankt, wie fällt der zweite Zug,

die bloße Richtung ist dir nicht genug.

 

Und lebe ich von solcher Liebe bloß,

wie Menschheit wandert aus der Nächte Schoß,

 

genug, du bist im Danke deines Knechts,

Gott schuf die Zeit, die Wiege des Geschlechts,

 

darin getragen, wie die Schale schwankt,

im Blute spiegelnd sich dein Bild umrankt.

 

Vor jedem Ding wie immer gleich am Tag

verebbend ich in deiner Fluten Schlag,

 

ich bin mit allem, was dein Auge schlug,

der Chor, der niederfallend stumm dich trug

 

gehobner Herzen, die die Nacht gleich maß;

die Augengruben zittern lidernaß,

 

aufpocht mein Herz, sein Blutkorn nicht vergißt,

daß mir dein Warten kein Geheimnis ist.

 

(30.12.1917)