Das Sinnreich der Erde (Erste Fassung)
Noch mehr

 

Ich las, daß aus dem dunklen Trieb

zum Lebenswert,

von hier, wo leibhaft noch die Seele blieb,

das Sein, in reinen Geist gekehrt,

sich hebt und schwebt, bis endlich gleich

dem Gottgefühl ein heiliges Bereich

sich rings um diese Seele wehrt und klärt.

Und so sei durch die Menschheit ein Gebot

der Stufen von Natur zu Gott.

 

Dann sah ich auf der Straße, wie ein Pferd

so für sich steht,

die Beine sonderbarlich eingedreht,

den Leib wie eine Tonne faul

darauf gelegt und sein genießend Maul

zufrieden fast, doch sinnlos arm,

so sieht es aus, und dies Geschöpf ist warm,

das nichts und selbst nicht sich besitzt,

das treu nun hin zum Herrn die Ohren spitzt.

 

Dann dachte ich – so ist der Geist nicht, daß

er seine Stufen wähle, Herr und Maß –

an eine Henne; wohl war ich verführt

von dem Gefühl, wenn man ihr Federkleid berührt

und es ist kalt, man spürt das magre Bein

darunter und wie eng erwarmt,

fast heiß im Flaum und angezehrt,

ein Leben sich um Leben wehrt,

daß es den Finger fast erbarmt.

 

Und weiter fiel mir eine Mutter ein,

sie sorgt und schafft, und was sie tut,

nichts kommt dem eignen Sein zugut;

sie weiß es, so wie es das Tier

nicht weiß, daß sie erhaltend nur,

ein blindes Werkzeug schier,

gebraucht wird auf des Herren Spur.

 

Hier wird Geschöpf sein selbst Gewicht –

Ratschluß von Anbeginn und Kreatur.

Und tiefer gründend als der Sinn

der Menschheit geht ein Blutstrom hin,

ein einmal und geschaffenes Gesicht,

die Mutter, die die Stufenfolge bricht,

sie trägt es stumm,

ein wirkliches Martyrium.

 

Dies Mehr und Nicht!

Wer trägt dies Werkzeug zum Gericht?

Wo ist dies Mehr,

wo ruht dies unfaßbare Viel und Schwer,

von dessen Last das Tier sein Dasein trägt

und ist darin ganz ziellos eingehegt,

wer hält die Gabe, die ihm wirbt,

und gibt, daß sie mit Kummer stirbt

und etwas Gutes mit verdirbt?

Wo ist die Mutter, die hier jammert nicht,

wo ist dies reine Angesicht?

 

O reiner Hauch, dein schwerer Tau

liegt über abendmüder Au,

hin rollt in Nacht so Herz und Welt,

solang die Zeit der Sonne hält,

die Stufe bricht, die Nacht wird groß,

unendlicher der dunkle Schoß,

wo ist die Flamme, der Altar,

wo brennt das Feuer Brennens bar?

 

(vor 10.1931)