Der Vortrag mit dem Titel »Der Kampf um die Kunst«, den der Leiter der Weimarer Kunsthochschulen Prof. Dr. Paul Schultze-Naumburg auf Veranlassung des Kampfbundes für deutsche Kultur in München hielt, sollte, wie mit Nachdruck gesagt wurde, eine geistige Kampfansage sein. Der Vortrag fand in einem Hörsaal der Technischen Hochschule statt; der Saal war überfüllt und Hunderte konnten keinen Zutritt mehr finden. (Der Vortrag wird deshalb, wie mitgeteilt wurde, eine Wiederholung finden.)
Wenn dieser Vortrag gedruckt würde, dann würde er sehr wenig gedanklichen Inhalt haben. Das dürfte wohl vielen deutlich geworden sein, die sich von der parteimäßigen Atmosphäre freizuhalten gewußt haben; und vielleicht gerade auch solchen, die an sich einer Aussprache über den angehäuften künstlerischen Zündstoff durchaus nicht aus dem Wege gehen wollen, die wissen, daß eine Reaktion kommen mußte, und die selbst hoffen, daß die kommenden zehn Jahre nicht die gleichen sein sollen wie die zehn vergangenen. Aber damit war der Zusammengang mit dem Vortragenden auch für diese letzteren, geschweige für die vielen Andersgesinnten wohl auch schon zu Ende. Und wenn wir die Zustimmung für Paul Schultze-Naumburg richtig verstanden haben, so war sie heftig und einseitig, aber mit der Kürze, die das Parteiexplosive an sich hat, und ohne einen inneren geistigen Nachhall. An solchem tieferen Nachhall dürfte es aber nicht fehlen, wenn die Sache, um die es hier ging, richtig geführt würde. Aber wo war hier eine wirkliche gedankliche Führung für einen geistigen Kampf? Und auch das Religiöse, wo es angerührt wurde, hatte nur einige Effekte und dabei einige Richtigkeit, aber nichts von einem nationalen und deutschgeschichtlichen Tiefgang.
Wenn ich über den Abend referiere, so darf ich — da das Nationale und das Christliche, wie sich gerade gegenwärtig wieder zeigt, einen merkwürdigen und unvermeidlichen Gleichklang hat — erwähnen, daß ich aus der katholischen Kulturbewegung herkomme, welche nach 1900 erweckt wurde und welche das katholische Deutschland lange mit Streit und Klärung beschäftigte. Das Schlagwort war etwa: »Heraus aus dem Ghetto«; man wollte nicht mehr abseits stehen, sondern seinen eigengeprägten Anteil am gesamten deutschen Kulturleben nehmen und geben. Man wollte sein eigenes, größeres christliches Gesicht innerhalb des Deutschtums sehen. Scheint nicht das Nationale heute in der gleichen Lage? Es will die Formen seiner Eigenheit gegenüber der internationalen Uniformität sehen und will sich in wesentlicheren Formen seines Kulturausdrucks erkennen, als sie zum Teil in den letzten zehn bis zwanzig Jahren herausgestellt wurden. Will es heraus aus einem Ghetto? Gewiß scheint viel mehr ein anderer Erfolg, daß es mit der von Schultze-Naumburg vertretenen Gesinnung in ein »heimatkünstlerisches« oder sonstwie enges Ghetto hineingerät. Ich will so sagen: Das »wurzellockere Volk« wird auf diese Weise nicht wurzelfest, wie denn ja der Deutsche gerade in großen geistigen Kampfzeiten wurzelfest geworden und überhaupt kirchlich wie national entstanden ist und nicht in einer künstlichen Beengung. Hier ruft man umsonst das deutsche Mittelalter an, um für eine parteihafte Gegenwart zu zeugen. Die mittelalterliche Kunst ist auf ganz anderen Wegen entstanden.
Schultze-Naumburg hat einen Lichtbildervortrag gehalten, der bei entsprechend gewählten Proben eines in der Hauptsache nun schon eine ziemliche Spanne zurückliegenden Expressionismus schnellen Beifall finden konnte. Es war durchaus unrecht, gegenüber dieser Gruppe von heutiger Kunst, die durchaus nicht überall und jedenfalls nicht in ihrer Gesamtheit wirkliche Anerkennung gefunden hat und die man auch zum Teil nur als Stilversuche und zu allerletzt aus einer menschlich-christlichen Ganzheit verstehen kann, die Lichtbilder von Bamberger und Naumburger Skulpturen als Gegenbeispiele zu bringen. Was der Vortragende zu dieser skulpturalen Großwelt (zum Beispiel zu der Bamberger Eva) an Gedanken beibrachte, war ganz unzulänglich. Mit Worten von »Rasse« und »nordischem Heldentum« ist da nichts getan. Diese Werke entstehen reliefhaft aus dem Gewände und den Portalen der Kirchenräume und sie werden dadurch menschhaft und zu ihrer großen fraulichen und ritterlichen Heldenhaftigkeit herangeschaffen, gleich wie die Nationen aus der kirchlichen Gemeinsamkeit. Wer sie einmal angesehen hat, muß bemerkt haben, daß sie selbst in den lieblichsten Körperformen diese Entstehung wie eine leise oder scharfe »Geometrie« mit sich tragen. Hier beginnt das geistigere Geheimnis der Stilfragen, das, natürlich durch die menschliche Entwicklung entwertet, auch in den modernen Kunstformen zu finden wäre, wenn man mehr Gerechtigkeit als schnelle Wirkung suchen wollte. Mit allgemeinen Worten des unkritischen Gefühls ist es nicht zu erfassen.
Die frühere Lehrweise Schultze-Naumburgs mit Beispielen und Gegenbeispielen wurde auch in diesem Vortrag angewendet. Wir Jüngeren haben früher gerne durch sie Anregungen gewonnen. Und auch in diesem Vortrag gab sie in der kursorischen Aufzeichnung neuer Architekturen manche Anregung. Aber für die moderne Malerei haben die Beispiele ganz gefehlt; da waren nur Gegenbeispiele, und unter diesen auch tendenziös gewählte Bilder von unzweifelhaftest deutschen Künstlern. Wo blieben hier die Beispiele; hat Schultze-Naumburg keine zu geben; verdammt er unzweifelhafte Deutsche als »mongoloid« oder will er nichts als ein unbekanntes Ghetto, das man nicht zeigt? Sind Corinth, Munch, van Gogh keine deutschen oder doch germanischen Künstler? Dabei kann man an den früheren »Kunstwart« erinnern, der meines Wissens seinerzeit nichts über van Gogh gebracht hatte, bis dann der Name auftauchte in einem kleinen Titel, welcher »Vom van Gogheln« hieß. Man hat sich also nicht zur Sache bekannt, aber als diese durch ihre eigene arme künstlerische Kraft durchgedrungen war, sich gegen die gewandt, welche aus Mode oder aus wirklicher Begeisterung den Einsamen nachgeahmt haben.
Ohne Zweifel ist es richtig, daß zwischen Kunst und Volkstum eine große Kluft eingetreten ist; auch ist es durchaus richtig, daß »jede Rasse ihr eigenes Zielbild« in sich trägt; ebenso würde ich der Behauptung beistimmen, daß es falsch sei zu sagen, Kunst und Politik hätten nichts miteinander zu tun. Hier wäre viel Gemeinsames. Aber einer weiteren Gemeinsamkeit wirkt ein Materialismus entgegen, der die moderne Kunst als materialistisch beschuldigt und der doch selbst unter einer ungewissen idealistischen Verbrämung an diesem Abend außerordentlich deutlich geworden ist. Es war vielleicht zum Teil mehr Unvermögen den geistig deutschen Problemen gegenüber als Absicht. Aber hier und auf diese Weise scheint kein Weg sichtbar.
1. Februar 1931
Der Theatersaal im Hotel Union, in welchem Professor Dr. Paul Schultze-Naumburg seinen Vortrag über den »Kampf um die Kunst« auf Veranlassung des Kampfbundes für deutsche Kultur wiederholte, war drängend gefüllt; die Atmosphäre war hitziger, gespannter und versammlungsmäßiger als vor kurzem in der Technischen Hochschule; einige heftige Unterbrechungsszenen von Gegnern blieben nicht aus, die allerdings hier, wo es sich nicht um eine innere Vertiefung der deutschen Fragen und der Fragen für die künstlerische Jugend handelt, auch erfolglos sein müssen. Schultze-Naumburg wiederholte seinen ersten Vortrag mit einigen kleineren Änderungen und Umstellungen, wenn mich das Gedächtnis nicht trügt, zum Teil ziemlich wörtlich.
Wenn es deshalb auch zwecklos ist, noch viel zu unserem seinerzeitigen ersten Bericht beizufügen, da hier bei gleicher Deutschstämmigkeit doch die gleichen denkerischen Voraussetzungen fehlen, so sei doch ein Wort Schultze-Naumburgs noch nachträglich als charakterisierend herausgegriffen. Bei den Lichtbildern der beiden Bamberger Figuren »Ekklesia« und »Synagoge« sagte der Vortragende: diese Bezeichnungen, welche die Scholastik uns überliefere, bedeuten uns heute nichts. Das gleiche sagte er bei dem Lichtbild der Maria. Diese Aussage konnte bei dem ersten Vortrag als eine saloppe Bemerkung erscheinen; da sie nun mit Geflissentlichkeit wiederholt wird, charakterisiert sie ein religiöses Verhalten. Und damit charakterisiert sich aber dann auch der Wert der Worte des Vortragenden, wenn er für das religiöse Gefühl gegenüber Verunglimpfungen im modernen Kunstschaffen eintreten will. Gewiß kann der Redner im letzteren Zusammenhang sehr recht haben und die liberale oder soziale oder rein ästhetische Entwicklung, deren Qualitätsbegriff keinen weltanschaulichen oder nationalen Fond hat, muß auch für diese Erscheinungen mitverantwortlich gemacht werden. Aber trotzdem muß gesagt werden, daß das Christentum keine bloße Anständigkeitssache ist; und man kann nicht gleichzeitig als heutiger Verteidiger des bestimmten Religiösen auftreten und das christliche Vergangene für sich nichts bedeuten lassen wollen. Aber es steckt noch ein Grundmangel in dieser Art einer deutschen Kunstanschauung.
Man hat diesen Grundmangel schon bei den längeren Einleitungssätzen, mit denen Alfred Rosenberg diesen zweiten Abend eröffnet hat, begrifflich feststellen können. In Rosenberg war an sich ein kämpferischer Wille, bei dem man sehr angesprochen sein konnte, zum Beispiel wenn er sich mit Nietzsche gegen die »kalte und verächtliche (heute besser: laue) Neutralität« wandte. Auch seine Feststellung des Kulturgesetzes, daß eine künstlich logische Exaktheit und triebhafter Verfall Hand in Hand gehen, hat heute eine ganz besondere Richtigkeit. Wenn er dann aber als die Pole, innerhalb deren das künstlerische Wesen seine Korrektur und Richtung empfange, die Natur und die Vernunft bezeichnete, so ist das viel zu wenig. Gerade die deutsche Kunst ist, wie es ja auch der alte Dehio mit Verwunderung ausdrückt, nicht auf diesem kalten, künstlich von Natur in Geist vervollkommneten Wege entstanden. Sondern hier kommt jenes dritte Element einer geschichtlichen Bestimmung hinzu, welches keineswegs mit dem »Zielbild« der Rasse identisch ist, sondern wofür man viel eher von einem geheimnisvollen Inbild sprechen muß, welches gerade für den Deutschen das Schicksal und das Ziel mit einer blinden Zuversicht vorzeichnet, beglückt und beschwert. In dieses deutsche Schicksalsbild paßt aber vor allem auch der große Maler Grünewald, den doch gerade auch die gute Moderne für sich neu entdeckt hat. Ob Grünewalds furchtbares Bild des »Gekreuzigten« allerdings in die Begriffe von »Schönheit und Würde« passen würde, mit denen Schultze-Naumburgs Anschauung vorzüglich arbeitet, das wäre eine andere Frage. Vielleicht würde er, wenn er heute gemalt würde, einem Bildersturm verfallen.
Bismarck sagte einmal in einem entscheidenden Augenblick, er sei nicht dazu da, zu richten, sondern politisch zu handeln. Kunst ist in einem bestimmten Sinne höchste Politik des Geistes. Aber das Kunstrichtertum ist, wenn es nicht zuerst in Gedanken, sondern in Behauptungen und vor allem Verdammungen besteht, keine Tat für die Zukunft. Die Gegenwart ist ein aufgerissenes Problem, nicht erst seit heute; Kräfte müssen zu seiner Heilung zusammenströmen, aber nicht erst von heute ab.
7. März 1931
Unser Bericht »Schultze-Naumburgs zweiter Vortragsabend« hat Herrn Professor Dr. F. Lenz, Professor an der Universität München, Anlaß gegeben, folgenden Brief an die Redaktion zu schicken:
Herrsching, 9.3.31
Sehr geehrte Schriftleitung!
Ich sehe mich veranlaßt, Sie auf ein sinnentstellendes Mißverständnis aufmerksam zu machen, das Ihrem Berichterstatter Konrad Weiß in dem Referat über Schultze-Naumburgs zweiten Vortrag passiert ist. Dort wird es so dargestellt, als hätte Sch.-N. gesagt, die Bezeichnungen »Ekklesia« und »Synagoge« bedeuteten uns heute nichts. »Das gleiche sagte er bei dem Lichtbild der Maria«. Was ist hier »das gleiche«? Soll es etwa heißen, der Name »Maria« bedeute uns nichts? So muß der Leser es auffassen, da nachher gesagt ist, die Wiederholung charakterisiere die Bemerkung als ein religiöses (gemeint ist offenbar antireligiöses) Verhalten. Tatsächlich aber hat Schultze-Naumburg gesagt: Diese Bezeichnungen bedeuten uns im Zusammenhang mit den gezeigten Bildwerken nichts; d. h. wir wissen nicht, weshalb gerade diese Figuren als »Ekklesia«, »Synagoge«, »Maria« bezeichnet worden sind; sie haben nichts, was im Zusammenhang mit der Wesensart dieser Begriffe bezw. Personen stünde. Ich kann das mit aller Bestimmtheit sagen. Da ich nicht annehmen kann, daß es Herrn Konrad Weiß um eine tendenziöse Entstellung zu tun war, darf ich wohl erwarten, daß er die Sache richtigstellt. Es sind ja Zeugen genug da.
Hochachtungsvoll
F. Lenz
Ich werde auch Herrn Schultze-Naumburg Mitteilung davon machen.
Von dem Referenten des Abends wurde darauf mit folgendem Brief erwidert:
Herrn Prof. Dr. F. Lenz, Herrsching bei München
Sehr geehrter Herr Professor!
Ich habe mein Referat über den zweiten Vortrag von Prof. Schultze-Naumburg in der Hauptsache auf Grund meines Gedächtnisses gemacht. Auf Ihren Brief hin habe ich meine Aufschreibungen aus dem ersten Vortrag nachgesehen und die betreffende Stelle in folgender Form notiert gefunden: »Uns sagen die Namen, die uns die Scholastik hinterlassen hat, nichts.« Bei der Maria wurde eine ähnliche Wiederholung angebracht.
In meinem Referat über den ersten Abend schon habe ich, abgesehen von den wörtlichen Ausführungen Schultze-Naumburgs, besonders betont, daß ein Erklären bezw. Benützenwollen der Bamberger Figuren für ein biologisches Kunstgesetz ohne die kirchlich-architektonische, d. h. weiterhin eine aus dem tieferen geschichtlich-christlichen Formgesetz hervorgegangene Entstehung ganz unzulänglich sei. Hier ist der entscheidende Punkt, auch für die Worterklärung. Daß Schultze-Naumburg für dieses tiefere deutsche Kunstgesetz kein Gefühl hat, das entscheidet über seine Stellung bezw. Nichtstellung zum Vergangenen. Ich will hierbei kein »antireligiöses Verhalten« im persönlichen Sinne, sondern die Meinungsbildung charakterisieren, die in unserer größeren Vergangenheit keine Wurzeln hat.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Konrad Weiß
Prof. Dr. F. Lenz hat darauf neuerdings geschrieben:
Herrsching, 18.3.31
An die Schriftleitung der »Münchner Neuesten Nachrichten«
Auf meinen Brief, in dem ich Sie auf ein sehr bedauerliches Mißverständnis seitens Ihres Referenten Herrn Konrad Weiß in seinem Bericht über den zweiten Vortrag von Prof. Schultze-Naumburg aufmerksam machte, habe ich von Herrn Weiß eine durchaus ungenügende Antwort erhalten. Von einer Richtigstellung ist keine Rede. So bleibt in der Öffentlichkeit der Eindruck bestehen, daß Schultze-Naumburg wiederholt antireligiöse Äußerungen getan habe. Ich kann auf das bestimmteste versichern, daß der Bericht von Herrn Weiß die Äußerungen von Herrn Schultze-Naumburg entstellt wiedergibt; und wenn das schon in den Aufschreibungen des Herrn Weiß so steht, so sind eben bereits diese verstümmelt und entstellt. Ich habe Herrn Schultze-Naumburg den Bericht von Herrn Weiß geschickt, ohne ihm im übrigen meine Auffassung über seine Äußerungen mitzuteilen. Ich erhielt nun von Herrn Schultze-Naumburg beiliegenden Brief, in dem der Sinn seiner Worte genau so angegeben ist, wie ich sie in dem Vortrage aufgefaßt hatte. Ich würde es für das loyalste halten, wenn Sie die Worte, die ich in dem Briefe blau angestrichen habe, in Ihrem Feuilleton mitteilen würden. Dann wäre die Meinung Schultze-Naumburgs eindeutig klargestellt. Da gegenwärtig die Unterstellung antireligiöser Tendenzen ein ebenso beliebtes wie gemeinsames politisches Kampfmittel ist, dürfte auch die Schriftleitung ebenso wie Herr Weiß ein Interesse daran haben, daß auch jeder Anschein eines solchen Vorgehens vermieden werde.
Ich möchte es womöglich vermeiden, eine Richtigstellung in einer anderen Zeitung zu veröffentlichen, halte mich aber als Freund Schultze-Naumburgs für verpflichtet, die falsche Darstellung seiner Äußerungen nicht hingehen zu lassen. Falls in 8 Tagen in den M. N. N. keine Richtigstellung erfolgt, würde ich annehmen, daß an dieser Stelle nicht mehr darauf zu rechnen ist.
Hochachtungsvoll
F. Lenz
Professor an der Universität
München
Die betreffende, von Herrn Prof. Lenz in dem Briefe des Herrn Prof. Schultze-Naumburg angestrichene Stelle lautet:
»Ich bin wirklich aus allen Wolken gefallen, als ich aus den Zeitungsausschnitten lesen mußte, daß man aus meinen Worten eine antireligiöse Einstellung herauskonstruieren wollte. Ich habe nicht im entferntesten an so etwas gedacht, sondern lediglich nur darauf hinweisen wollen, daß bei der Betrachtung der Bilder die seltsamen Namen uns nichts sagen, sondern daß wir sie als eine Menschheitsdarstellung nordischer Menschenkinder künstlerisch werten müssen und nicht als Verkörperung des jüdischen Versammlungsortes. Ferner glaube ich auch nicht, daß die 3. Figur eine Maria sein soll, sicherlich ist ihr der Name erst später angeheftet worden. Ich kann nur wiederholen, daß mir ein solches Mißverstehen meiner erläuternden Randbemerkungen als reichlich an den Haaren herangezogen erscheint und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie einen Weg finden würden, daß eine Richtigstellung hierüber in die Presse kommt.«
Paul Schultze-Naumburg
Diese Sätze von Professor Dr. Schultze-Naumburg sollen für sich sprechen. Es ist nach dem Vorausgesagten nichts beizufügen. —
Was das Dazwischentreten von Herrn Professor Dr. Lenz betrifft und die Angelegentlichkeit, mit der er darauf hinwirkt, eine etwaige falsche Deutung auszuräumen, so ist die dabei treibende Gesinnung als eine in unserer heutigen Krisenzeit so loyale zu empfinden, daß ihr trotz der gleichgebliebenen Vorbehalte nun doch und gern entsprochen werden sollte. Bei meiner wörtlichen Aufschreibung dürfte übrigens, wie ich glaube, kaum ein Irrtum unterlaufen sein. Wenn im weiteren Herr Professor Lenz das Religiöse als Streitmittel im politischen Kampfe ausgeschaltet wissen will, so ist dieser Anschauung zunächst wohl sehr zuzustimmen. Es bleibt nur die Frage — und diese Frage hat sich gerade heute verstärkt erhoben — wie weit dies möglich und mit dem Instinkt für das Notwendige vereinbar ist. Die alten und die neuen Ästheten, welche einen »reineren« Kunstbegriff behaupten, werden es schon verübeln und haben es ja sattsam verübelt, wenn Andersgerichtete etwas von einem geschichtlich-national oder volkhaft bestimmten Gesetz zur Kunstinterpretation mitbringen. Erst recht hat man sich abgewöhnt, die religiöse Präformiertheit der Kunst in Geltung zu lassen. Von all dem hat der geistige und künstlerische Neutralismus die Vorteile gehabt, gegen den wohl auch der »Kampfbund« arbeiten wollte. Sollen diese Vorteile bestehen bleiben, indem man die religiösen und nationalen Streitmittel ausschaltet? Oder wird man sich angesichts dieser Entwicklung schließlich gezwungen sehen, einer Politisierung des Kulturgutes das Wort zu reden?
In dem Entwurf seines Abschiedsgesuches schreibt Bismarck (der doch für die weiterreichenden Konflikte innerhalb der Politik so lehrreich ist) nach Darlegung des Kompetenzkonfliktes, in den er durch den Kaiser gebracht war: »Eure Majestät geruhten darauf zu genehmigen, daß einstweilen ›Alles beim Alten bleibe‹. Wie ich aber die Ehre hatte auseinanderzusetzen, ist es für mich nicht möglich, die Stellung eines Ministerpräsidenten beizubehalten, nachdem Euere Majestät für dieselbe die capitis diminutio wiederholt befohlen haben.« Die Kunst, wenn man sie ihres religiösen, geschichtlichnationalen und faustisch-zeithaften Aktivpostens und damit ihres Kanzlersinnes innerhalb Religion und Menschheitssinn beraubt und sie auf neutrale, zeitlose Gesetze verweisen will (selbst wenn man diese »biologisch« nennt), erfährt ebenfalls eine capitis diminutio. Sie wird ein Ding des besseren Luxus. Hier hat also auch ein Kompetenzkonflikt für die Politik der Geister begonnen; man muß sehen, wie man ihr wieder einen Kopf zurückgewinnt.
26. März 1931