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Ion Luca Caragiale

DAT FOLK!

In unserm jahrhundert ist ein höchst interessanter staat geboren worden und gestorben, den zu übergehen einem gewissenhaften historiker nicht gestattet ist. Ich will über die Republik von Plojescht reden, einen staat der, wenn er auch nur ungefähr 15 stunden bestand, sicher eine ruhmvolle seite in der zeitgenössischen geschichte bezeichnete. Geboren aus dem volk, durch das volk und für das volk, um zwei uhr am morgen des 8. August 1870, wurde die junge republik um vier uhr nachmittags erdrosselt. Macht nichts! Die größe und bedeutung der staaten beurteilt man nicht nach ihrer ausdehnung und dauer, sondern nach der mehr oder weniger glänzenden rolle die sie im gesamtzusammenhang gespielt haben.

Mein rahmen ist zu eng als daß ich die allgemeine geschichte der fröhlichen weinrepublik darin einschließen könnte. Ich will lediglich zum verzeichnen des materials beitragen das ein künftiger historiker braucht; und ich bin berechtigt es zu tun — ich war bürger jener republik. Ich wohnte ihrem glanz und elend bei, und nicht als gaffer, sondern als amtsträger. Als das volk die polizei überfiel, sprang ich los und entwaffnete einen diensthabenden unterkommissar, indem ich seinen säbel vom nagel nahm. Ich band ihn mir um und hatte das glück, daß gerade da der Präsident der Republik an mir vorbeiging. Ich war siebzehn jahre alt; mein entschlossenes aussehen zog die blicke des Präsidenten an — er ernannte mich an stelle des büttels den ich entwaffnet hatte zum unterkommissar.

Heute, da ich hoffe, daß mein verbrechen gegen die monarchie verjährt ist, habe ich den mut es mit stolz zu gestehen. Ja, ich war eine der eifrigsten stützen der ordnung in der Plojeschtener Republik. Glorreiche stunden, ich werde euch nicht vergessen! Mein chef, der polizist, war der sympathische und tapfere Stan Popescu, einer der 1000 unter Giuseppe Garibaldi — freiwilliger in Italien, freiwilliger bei einer polnischen revolution, geschworener feind der tyrannen und leidenschaftlicher bruder des volkes. Mit einem solchen chef gehst du für eine große idee freudig ins feuer.

Schon am abend des vortags, des 7. August, hatten mehrere verschwörer, unter ihnen auch Stan Popescu, in erwartung von nachrichten (woher? weiß die geschichte noch nicht zu sagen) im salon des hotels Moldau ans ziel gespielt. Was bedeutet ans ziel? Es ist ein harmloses spiel, gar nicht schwierig — paß auf. Die spieler, gleichgültig wieviele, setzen sich an einen tisch in der ecke eines salons. Man bringt jedem ein fläschchen wein. Man beginnt zu trinken. Wenn einer seine portion auf hat, legt er die leere flasche auf den boden, neben die wand, längs des salons. Die zweite geleerte flasche legt er mit dem boden an den hals der ersten und so weiter, bis die reihe der flaschen die wand gegenüber erreicht — ans ziel. Wer zuerst ans ziel gekommen ist hat die partie gewonnen — die andern müssen ihm die getrunkenen flaschen bezahlen, in gerechtem verhältnis zu der zahl der flaschen die ihnen bis zum ziel fehlt. Selbstverständlich kommt es vor, daß, wenn die spieler einander ebenbürtig sind, man eine revanche spielt und oft endet eine partie remis. An jenem abend hatte Stan mit großem vorsprung die erste partie gewonnen.

Kurz nach ein uhr nachts, als gerade eine neue partie anfangen sollte, hört man drei langsame schläge ans fenster. Alle spieler vergessen ihren harmlosen zeitvertreib und erheben sich mit gerunzelten stirnen. Die alarmglocke hatte geschlagen. Die heilige sache des volkes rief sie aufs feld der ehre. Die zeit zu handeln war da... Alle zusammen brechen sie schweigend und entschlossen auf. Sie verlassen das hotel durch den flur und begeben sich zum markt. Trupps und gruppen kommen von allen seiten; sie vereinigen sich alle zu einem haufen; je mehr das tapfere volk vorrückt, umso mehr nimmt seine zahl zu.

Um halb drei morgens ist der telegraf in der hand der republikaner; alle leitungen sind unterbrochen und vor allem ist das haus beschlagnahmt.

Um vier öffnen sich die türen des gefängnisses an der Rudulstraße für etliche vorsorglich eingesperrte republikaner.

Um fünf unterwirft sich das linienbataillon der kaserne des Heiligen Nikolaus dem befehl des Präsidenten.

Um halb sechs wird die republikanische polizei organisiert; das volk, als bürgergarde der republik, wird mit konfiszierten säbeln der feuerwehrleute und polizisten bewaffnet, mit jagdgewehren, pistolen und knüppeln.

Um sechs, auf dem platz der Einheit, der voller leute ist — genau da wo sich heute die herrliche Freiheitsstatue erhebt (den Plojeschtener bürgern die dankbare Nation!) liest der Präsident, der auf eine bank zum hacken von würsten gestiegen ist, die feierliche gründungsurkunde der Republik.

Um sieben werden auf allen kreuzwegen fässer entspündet, zu den klängen des heroischen marsches von 48.

Um acht gehen wir, ein teil des volkes mit der polizei und eine gruppe von zigeunermusikanten, zum Lipănescu-park.

Hier, auf der wiese, beginnt ein gelage wie es in den annalen der ältesten republiken nicht erwähnt wird. Die grillroste, auf denen es brutzelt, senden wellen von heißem und fettem duft in die luft, wie antike altare auf denen man einer schutzgottheit opfer verbrennt. Die einmal geöffneten kanäle schließen sich nicht mehr. Die geleerten fässer rollen polternd weg, wie verrostete institutionen die den modernen erfordernissen nicht mehr entsprechen, und an ihre stelle schieben sich gewichtig andere, volle fässer, wie reformen die der fortschrittliche geist der zeit und die vitalen interessen der gesellschaft verlangen. Welche fröhlichkeit! Welche begeisterung! Welch ein enthusiasmusl... Ah! Es sind erhabene augenblicke, wenn ein volk von märtyrern die ketten und fesseln der tyrannei zerreißt und weit von sich wirft, weit weg von seinem recht, ohne haß, die schmähliche vergangenheit vergißt,und oft, aber ernsthaft der heiligen freiheit zutoastet und — dich küßt! Oh!

Ich war ein paar stunden im Lipănescu-park. Der sturm der begeisterung steigerte sich noch immer, als eine unerhörte ehre ihn zum höhepunkt hob. Der Präsident — er, in person! — begleitet von einem adjutanten, kam, um unsere volkstümliche vergnügung zu besuchen und einen topf mit seinem volk zu zerbrechen. Der große mann sprach ein paar worte zu uns. Er war entzückt über das tapfere betragen seiner Plojeschtener, die sich wie stets für die freiheit zu opfern wußten. Das war ein fanatismus, eine raserei! Die töpfe alle zur erde, die mützen hoch und "hurra! Es lebe die Republik!" der Präsident fuhr ab, mit sich nahm er Stan Popescu, den polizisten... Nach und nach, mit den letzten würsten, den letzten grillbraten und töpfen, schlich sich das märtyrervolk davon... Wahrscheinlich sollten die kosten des volkstümlichen frugalen mahls mit dem zukünftigen budget der Republik verrechnet werden.

Ich erinnerte mich, daß ich eltern hatte, die mich erwarteten, und begab mich eilends nach hause, mit meinem säbel über die weste gebunden. Meine selige mutter war sehr gut, aber eine altmodische frau, ein reaktionärer geist; sie war weit entfernt davon, die politische bedeutung demokratischer formen zu verstehen. Sie hatte alles erfahren was in der stadt vorgefallen war und zitterte aus sorge um mich, als sie sah, daß ich nicht zum frühstück kam. Sie machte mir eine fürchterliche szene — warum ich mich mit landstreichern gemein machte, ob ich wünschte, sie in der vorstadt lächerlich zu machen, ob ich vielleicht das ende des vaters beschleunigen wollte, der sehr krank war; schließlich befahl sie mir streng, zu hause zu bleiben. Vergeblich habe ich protestiert; vergeblich habe ich ihr gesagt, indem ich ihr die waffe zeigte, daß ich eine öffentliche funktion zu erfüllen habe; sie nahm mir den säbel und warf ihn weg, wohin? Weiß ich nicht, und schloß die schnürstiefel und den mantel in der kommode ein. Eine woche hielt sie mich so gefangen, bis die gefahr vorüber war. Umso besser! Während ich zu hause vor ärger über das schändliche los meines säbels weinte, was ereignete sich im herzen der Republik?

Um halb vier nachmittags traf in aller eile in güterwagen der eisenbahnlinie Bukarest-Plojescht, die damals noch im bau war, ein schrecklicher gast in der Republik ein. Wer wars? Es war die Reaktion. Die Reaktion mit dem entsetzlichsten und scheußlichsten was sie überhaupt hat — einem kompletten bataillon von jägern unter dem befehl des majors Gorjan. Sowie sie den fuß auf den heiligen boden gesetzt hatten, begannen sie mit der jagd nach republikanern. Die Reaktion suchte aber vor allem den Präsidenten; doch dieser war durch einen unerklärlichen zufall über die ostgrenze der Republik gegangen, den schlagbaum von Bucov, während die Reaktion über die westgrenze gekommen war, den schlagbaum von Rud. In drei stunden der verfolgung verhafteten die jäger mehr als sechshundert kinder des volkes. Das zuchthaus und vier in gefängnisse umgewandelte gasthöfe waren vollgestopft mit republikanern. Wie vernünftig war mutter! Gott gebe ihr frieden! Sie war eine frau ohne große bildung, aber welcher politische weitblick! Wenn mich die Reaktion mit dem säbel am koppel gefaßt hätte!

Die Reaktion stellte brutal den status quo wieder her. Den Präsidenten fingen spät am abend die reiter der präfektur, auf dem weg nach Buzău, jenseits von Lipia, ungefähr zwei stationen von der ostgrenze seines Staates entfernt. Als ihm die jagdreiter zuriefen: "stehnbleiben!", hatte er, der zu fuß war, den mut stehenzubleiben. Aber als sie ihn fragten: "was hast du hier gemacht?", antwortete er kurz: "ich bin spazierengegangen." und weil es unerheblich ist, wenn du spazierengehst, ob du so oder so spazierst, ließen ihn die elenden zurückspazieren. Zurück und nochmal zurück! Niemals vorwärts! Das ist die devise der Reaktion.

Aber der polizist?... Was wurde aus Stan Popescu? Er war gegangen und hatte seinen wachstuchsessel im polizeibüro in besitz genommen. Seit zwei tagen hatte er nicht geschlafen... Die partie ans ziel... Dann der marsch mit dem volk... Schließlich das fest am morgen im Lipănescu... Die begeisterung... Er fühlte sich zerschlagen und in der kanzlei war es so angenehm kühl. Ein süßer schlummer, sehr natürlich nach solch einer erregung, nach solch einem triumph, befiel mit macht seinen tapferen nacken. Der mann verschränkte die arme auf seinem schreibtisch, bettete sanft seinen kopf darauf und fiel, indem er liebevoll an die zukunft der jungen Republik dachte, in tiefen schlaf.

Ihn suchten sie zunächst nach dem Präsidenten — auf dessen spur sie schon gekommen waren und mit dessen verfolgung die reiter begonnen hatten — und auch ihn fanden sie. Der major Gorjan drang, die tür gegen die wand schlagend, mit seinen häschern in die kanzlei ein. Der polizist schnarcht mit dem kopf auf dem tisch. Der major macht vier große schritte und schlägt mit der flachen hand kräftig auf den tisch. Stan Popescu fährt mit verquollenen augen auf.

— Wer hat dich hierher gesetzt? brüllt grimmig der reaktionär.

— Dat folk! antwortet sehr heiser der republikaner.

Darauf wartete die Reaktion! Als sie vom folk hörte, wurde sie toll: sie packte sich Stan und stracks ab mit ihm ins gasthaus Zum Mönchen! So ist es mit unserer Republik ausgegangen! So hat die Reaktion die heldenhafteste seite des rumänischen liberalismus zerfetzt!

 

Übersetzt von Wilfried Käding