nach_oben
Giacomo Leopardi: Gespräche aus den Kleinen moralischen Werken

DIALOG ZWISCHEN FRIEDRICH RUYSCH UND SEINEN MUMIEN

Chor von toten im arbeitszimmer von Friedrich Ruysch:

Einzig ewiger auf der welt, zu welchem

alles geschaffne eingeht,

in dir, tod, fand zur ruhe

unsere nackte natur;

freudig nicht, sicher nur

vorm alten schmerz. Tiefe nacht

verdunkelt im verworrnen

hirn die schweren gedanken;

zur hoffnung, zum verlangen

fühlt der dürre geist den atem sich mangeln:

so ist von kummer und von furcht erlöst er,

und die zeiten leer und lang

verbringt er ohne verdruß.

Wir haben gelebt: und wieviel verworrnes

erinnern an angstvollen

trug, und an verschwitzten traum dem säugling durch

seine seele irrt, soviel

erinnerung verbleibt an

unser leben: doch von furcht entfernt ist das

gedenken. Was waren wir?

Was war jener dünne fleck

der leben hieß mit namen?

Wundervoll, geheimnisvoll

ist heut das leben unserm denken, und so

wie dem denken lebender

der unbekannte tod zu sein scheint. Wie vorm

tod ein lebendiger fliehen mag, so flieht

vor der flamme des lebens

unsere nackte natur;

freudig nicht, sicher nur;

doch es verweigert das geschick

den sterblichen wie den toten das glück

 

Ruysch vor seinem arbeitszimmer, durch die ritzen der tür lugend: Verdammt! Wer hat diesen toten musik beigebracht, daß sie um mitternacht wie hähne krähen? Wahrhaftig mir bricht der kalte schweiß aus, und beinahe bin ich toter als sie. Ich dachte nicht daß, weil ich sie vor der verwesung bewahrt habe, sie mir wieder auferstehn würden. Soweit ists: trotz aller philosophie zittere ich vom kopf bis zu den füßen. Übel gehs jenem teufel der mich dazu brachte mir diese leute ins haus zu stellen. Ich weiß nicht was ich machen soll. Wenn ich sie hier eingeschlossen lasse, wer weiß ob sie nicht die tür aufbrechen, oder durch das Schlüsselloch entwischen, und zu mir ans bett kommen? Um hilfe rufen aus angst vor toten steht mir nicht wohl an. Ach was, fassen wir mut, und versuchen wir ein wenig ihnen angst zu machen.

Eintretend: kinderchen, was für ein spiel spielen wir? Erinnert ihr euch nicht daß ihr tot seid? Was ist das für ein radau? Bildet ihr euch vielleicht etwas auf den besuch des zaren ein, und denkt nicht mehr den gesetzen von früher unterworfen zu sein? Ich glaube daß ihr die absicht hattet einen spaß zu machen, und nichts im ernst. Wenn ihr wiederauferstanden seid, freue ich mich mit euch; aber ich habe nicht so viel, daß ich die lebenden unterhalten könnte wie die toten; und deshalb verlaßt mein haus. Wenn es wahr ist was man von den vampiren sagt, und ihr seid welche, sucht euch anderes blut zu trinken; denn ich bin nicht aufgelegt mir das meine aussaugen zu lassen, wie freigebig ich auch mit jenem künstlichen gewesen bin, das ich euch in die venen gefüllt habe. Kurz und gut, wenn ihr fortfahren wolltet ruhig und still zu sein, wie ihr bis jetzt gewesen seid, werden wir in gutem einvernehmen bleiben, und in meinem haus wird euch nichts fehlen; wenn nicht, seid gewärtig daß ich den türbalken nehme und euch alle umbringe.

Ein toter: Nicht wütend werden; denn ich verspreche dir daß wir alle tot bleiben werden wie wir sind, ohne daß du uns umbringst.

Ruysch: Also, was ist das für ein einfall der euch da gekommen ist zu singen?

Toter: Grad eben genau um mitternacht hat sich zum erstenmal jenes große mathematische jahr vollendet, von dem die alten soviel schreiben; und das ist gleichermaßen das erste mal daß die toten sprechen. Und nicht nur wir, sondern auf jedem friedhof, in jedem grab, unten auf dem grund des meeres, unterm schnee oder sand, unterm offenen himmel, und an welchem ort immer sie sich befinden, haben alle toten, um mitternacht, wie wir jenes liedchen gesungen das du gehört hast.

Ruysch: Und wie lange wird das singen oder sprechen dauern?

Toter: Zu singen haben sie schon aufgehört. Die fähigkeit zu sprechen haben sie für eine viertelstunde. Dann verfallen sie in schweigen, solange bis sich von neuem das gleiche jahr vollendet.

Ruysch: Wenn das wahr ist, glaube ich nicht daß ihr mir noch einmal den schlaf rauben werdet. Sprecht nur frei miteinander; denn ich werde mich hier beiseite stellen, und euch gern zuhören, aus neugier, ohne euch zu stören.

Toter: Wir können nicht anders sprechen, als in antwort auf eine lebende person. Wer nicht den lebenden etwas zu erwidern hat, wenn er sein lied beendet hat, verstummt er.

Ruysch: Das ist mir wahrlich leid: denn ich glaube daß es sehr ergötzlich wäre zu hören was ihr euch sagen würdet, wenn ihr miteinander sprechen könntet.

Toter: Auch wenn wir könnten, würdest du nichts hören; weil wir uns nichts zu sagen haben.

Ruysch: Tausend fragen an euch kommen mir in den sinn. Aber weil die zeit kurz ist, und keinen platz zum wählen läßt, gebt mir knapp zu verstehen, welche gefühle des körpers und der seele ihr beim eintreten des todes erfahren habt.

Toter: Vom eigentlichen eintreten des todes habe ich nichts gemerkt.

Die andern toten: Auch wir nicht.

Ruysch: Wie habt ihr nichts davon gemerkt?

Toter: Wie du zum beispiel nie etwas vom augenblick merkst da du zu schlafen beginnst, so viel aufmerksamkeit du darauf verwenden wolltest.

Ruysch: Aber das einschlafen ist etwas natürliches.

Toter: Und das sterben scheint dir nicht natürlich? Zeig mir einen menschen, oder ein tier, oder eine pflanze, die nicht stürben.

Ruysch: Ich wundere mich nicht mehr daß ihr singt und sprecht, wenn ihr vom sterben nichts gemerkt habt.

So fuhr er, nicht des schlages schwere not
bemerkend, fort zu kämpfen, und war tot.

sagt ein italienischer dichter. Ich dachte mir daß über diese angelegenheit des todes euresgleichen etwas mehr als die lebenden wüßten. Aber nun im ernst, fühltet ihr keinen schmerz im eintritt des todes?

Toter: Was soll das für ein schmerz sein, von dem der der ihn spürt nichts merkt?

Ruysch: Jedenfalls sind alle überzeugt daß das gefühl des todes äußerst schmerzhaft sei.

Toter: Als ob der tod ein gefühl wäre, und nicht vielmehr das gegenteil.

Ruysch: Und ebenso jene die in bezug auf die natur der seele sich der ansicht der Epikuräer anschließen, wie auch jene die es mit der gewöhnlichen meinung halten, alle, oder der größte teil, stimmen sie überein in dem was ich sage, das heißt im glauben daß der tod von natur aus, und ohne irgendeinen vergleich, ein überaus lebhafter schmerz sei.

Toter: Nun gut, du magst uns einen nach dem andern befragen: wenn der mensch nicht die fähigkeit hat den moment wahrzunehmen in dem die vitalen funktionen, in größerem oder geringerem maß, bloß unterbrochen werden, entweder durch schlaf oder bewußtlosigkeit oder durch schlaganfall oder welche ursache auch immer, wie soll er denjenigen wahrnehmen in dem die besagten funktionen überhaupt aufhören, und nicht für einen kurzen zeitraum, sondern für dauernd? Außerdem, wie kann es sein daß ein lebhaftes gefühl im tode statt habe? vielmehr, daß der tod selbst und an sich ein lebhaftes gefühl sei? Wenn die fähigkeit zu fühlen nicht nur geschwächt und aussetzend ist, sondern auf ein solches minimum reduziert, daß sie versagt und zu nichts wird, glaubt ihr daß dann jemand eines starken gefühls fähig sei? Vielmehr, eben dies verlöschen der fähigkeit zu fühlen, glaubt ihr daß es ein ausnehmend heftiges gefühl sein soll? Seht doch nur wie auch jene die an einer schlimmen und schmerzhaften krankheit sterben sich beim herannahen des todes, mehr oder weniger kurz vor dem verhauchen, beruhigen und sich derart zurücklehnen, daß man erkennen kann daß ihr leben, auf ein kleines reduziert, nicht mehr für den schmerz ausreicht, so daß dieser eher als jenes aufhört. Soviel wirst du von uns jedem ausrichten der denkt beim eintritt des todes vor schmerz sterben zu müssen.

Ruysch: Den Epikuräern werden vielleicht diese gründe genügen können. Aber nicht jenen die anders über die beschaffenheit der seele urteilen; wie ich es in der vergangenheit getan habe, und von jetzt an erst recht tun werde, nachdem ich die toten sprechen und singen gehört habe. Denn da sie glauben daß das sterben in einer trennung der seele vom körper bestehe, werden sie nicht begreifen wie diese beiden, verbunden und fast miteinander verschmolzen, derart, daß die eine und der andere eine einzige person bilden, sich ohne eine ungeheure gewalt und eine unsägliche anstrengung trennen können sollen.

Toter: Sag mir: ist der geist vielleicht mit irgendeinem nerv am körper befestigt, oder mit einem muskel oder einem häutchen, das man notwendigerweise zerreißen müßte wenn der geist entflieht? Oder ist er vielleicht ein glied des körpers, derart daß er gewaltsam auszureißen oder abzuschneiden wäre? Siehst du nicht daß die seele nur dann den körper verläßt, wenn sie gehindert wird in ihm zu bleiben, und keinen platz mehr darin hat; nicht etwa durch irgendeine kraft die sie herausrisse und entwurzelte? Sag mir noch eins: fühlt sie sich vielleicht beim eintreten angenagelt oder kräftig festgeschnürt werden, oder wie du sagst, verschmelzen? Warum also sollte sie sich beim hinausgehn abgetrennt werden fühlen, oder sagen wir eine heftige empfindung verspüren? Halte es für bestimmt, daß der eintritt und der austritt der seele gleichermaßen ruhig, leicht und glatt ablaufen.

Ruysch: Was also ist der tod, wenn er kein schmerz ist?

Toter: Viel eher eine lust als etwas anderes. Wisse daß das sterben, wie das einschlafen, nicht in einem einzigen augenblick geschieht, sondern in stufen. Wahr ist daß diese stufen mehr oder weniger sind, und größere oder kleinere, je nach der verschiedenheit der todesursachen und -arten. Im letzten solcher augenblicke verursacht der tod weder einen schmerz noch eine lust, wie auch der schlaf nicht. In den andern vorhergehenden kann er keinen schmerz erzeugen weil der schmerz etwas lebhaftes ist, und die sinne des menschen in jener zeit, das heißt wenn der tod begonnen hat, liegen im sterben, was soviel bedeutet wie daß sie äußerst geschwächt in ihren kräften sind. Er kann wohl die ursache von lust sein: denn die lust ist nicht immer etwas lebhaftes; vielmehr besteht vielleicht der größere teil der menschlichen wonnen in einer art mattigkeit. Derart daß die sinne des menschen auch nahe beim verlöschen der lust fähig sind, in anbetracht dessen daß in den meisten fällen die mattigkeit selbst lustvoll ist, besonders wenn sie euch vom leiden befreit; denn du weißt wohl daß das aufhören jeder art von schmerz oder mühsal in sich selbst lust ist. So daß die mattigkeit des todes umso angenehmer sein muß als sie den menschen von größerem leiden befreit. Was mich betrifft, obwohl ich in der stunde des todes dem was ich fühlte keine große aufmerksamkeit schenkte, weil es mir von den ärzten untersagt war das gehirn zu ermüden, erinnere ich mich doch daß das gefühl was ich spürte nicht sehr verschieden von der wonne war die den menschen von der mattigkeit des schlafs verursacht wird, dann wenn sie grade beim einschlafen sind.

Die andern toten: Auch uns scheint es daß wir uns ebenso erinnern.

Ruysch: Es sei wie ihr sagt: wenngleich alle jene mit denen ich gelegenheit hatte über diese sache zu reden ganz anders urteilten: aber, soweit ich mich erinnere, führten sie nicht ihre eigene erfahrung an. Nun sagt mir: im zeitpunkt des todes, während ihr jene süßigkeit spürtet, glaubtet ihr da zu sterben, und daß jene wonne eine höflichkeit des todes wäre; oder aber vermutetet ihr etwas anderes?

Toter: Bis ich tot war, war ich niemals überzeugt daß ich jener gefahr nicht entrinnen würde; und wenigstens bis zum letzten augenblick da ich die fähigkeit zu denken hatte, hoffte ich daß mir noch ein oder zwei stunden zu leben blieben: wie es glaube ich vielen passiert wenn sie sterben.

Die andern toten: Uns passierte das gleiche.

Ruysch: So sagt Cicero daß niemand so hinfällig ist, daß er nicht hoffte noch mindestens ein jahr zu leben. Aber wie merktet ihr zuletzt, daß der geist den körper verlassen hatte? Sagt: wie erkanntet ihr daß ihr tot wart? Sie antworten nicht. Kinderchen, versteht ihr mich nicht? Die viertelstunde wird vorbei sein. Betasten wir sie ein wenig. Sie sind wieder ordentlich tot: es besteht keine gefahr daß sie mir nochmal angst machen: gehn wir zurück ins bett.