Timandros: Ich will, vielmehr ich muß es Ihnen doch frei heraus sagen. Der gehalt und die absicht Ihres schreibens und Ihres redens scheinen mir sehr tadelnswert.
Eleandros: Wenn Ihnen das handeln nicht auch so scheint, beklage ich mich nicht besonders: denn die worte und die schriften bedeuten wenig.
Timandros: Im handeln finde ich nichts, weswegen man Ihnen vorwürfe machen könnte. Ich weiß, daß Sie den andern nichts gutes tun, weil Sie nicht können, und ich sehe daß Sie nichts böses tun, weil Sie nicht wollen. Aber in worten und schriften halte ich Sie für sehr tadelnswert; und ich gebe Ihnen nicht zu, daß diese dinge heute wenig bedeuteten: denn unser gegenwärtiges leben besteht, kann man sagen, aus nichts anderem. Lassen wir die worte für jetzt, und reden wir von den schriften. Ihr beständiges schmähen und verlachen der menschlichen gattung ist erstens außer mode.
Eleandros: Auch mein gehirn ist außer mode. Und es ist nicht neu, daß die kinderchen dem vater ähnlich werden.
Timandros: Es wird auch nicht neu sein, daß Ihre bücher, wie alles dem herrschenden gebrauch entgegengesetzte, keinen erfolg haben.
Eleandros: Macht nichts. Sie werden deshalb nicht auf den schwellen um brot betteln gehen.
Timandros: Vor vierzig oder fünfzig jahren pflegten die philosophen von der menschlichen gattung zu brabbeln; aber in diesem jahrhundert tun sie ganz das gegenteil.
Eleandros: Glauben Sie, daß vor vierzig oder fünfzig jahren die philosophen, als sie von den menschen brabbelten, falsches oder wahres sagten?
Timandros: Eher und öfter wahres als falsches.
Eleandros: Glauben Sie, daß in diesen vierzig oder fünfzig jahren die menschliche gattung sich in das gegenteil von dem was sie früher war verwandelt hat?
Timandros: Ich glaube nicht; aber das gehört nicht zur sache.
Eleandros: Warum nicht? Vielleicht ist sie an kraft gewachsen, oder um eine stufe gestiegen; daß die schriftsteller von heute gezwungen sind ihr zu schmeicheln, oder gehalten sie zu verehren?
Timandros: Das sind scherze in einer schwerwiegenden angelegenheit.
Eleandros: Um also wieder im ernst zu reden, ich verkenne nicht daß die menschen dieses jahrhunderts, während sie ihresgleichen nach der alten mode böses zufügen, sich doch gewandt haben gutes von ihnen zu reden, im gegensatz zum vorigen jahrhundert. Aber ich, der ich weder meinesgleichen noch meinesungleichen böses zufüge, glaube nicht verpflichtet zu sein gegen mein gewissen von den andern gutes zu reden.
Timandros: Sie sind jedoch verpflichtet wie alle andern menschen, danach zu trachten Ihrer gattung zu nutzen.
Eleandros: Wenn meine gattung danach trachtet mir das gegenteil zu tun, sehe ich nicht wie mir diese verpflichtung von der Sie reden zukommen sollte. Aber gesetzt sie käme mir zu. Was soll ich tun, wenn ich nicht kann?
Timandros: Sie können es nicht, und wenige andere könnens, mit taten. Aber mit schriften können Sie sehr wohl nützen, und müssen. Und man nutzt nicht mit büchern, die fortwährend den menschen im allgemeinen angreifen; vielmehr schadet man ganz erheblich.
Eleandros: ich stimme überein daß man nicht nutzt, und bin der ansicht daß man nicht schadet. Aber glauben Sie daß die bücher der menschlichen gattung nutzen können?
Timandros: Nicht nur ich, alle welt glaubt das.
Eleandros: Was für bücher?
Timandros: Verschiedenartige; aber besonders die über moral.
Eleandros: Das wird nicht von aller welt geglaubt; denn ich, unter anderen, glaube es nicht; wie eine frau dem Sokrates zur antwort gab. Wenn irgendein moralisches buch nützen könnte, ich denke, dann würden am meisten die dichterischen nützen: ich sage dichterische, dieses wort im weiteren sinne nehmend; das heißt bücher die die einbildungskraft wecken sollen; und ich meine nicht weniger solche in prosa als in versen. Nun schätze ich jene dichtung wenig die, gelesen und überdacht, dem leser nicht ein solch edles gefühl in der seele läßt, daß es ihn für eine halbe stunde hindert einen niedrigen gedanken zu fassen, und eine unwürdige tat zu tun. Aber wenn der leser eine stunde nach der lektüre seinem besten freund die treue bricht, verachte ich deshalb eine solche dichtung nicht: denn sonst müßte ich die schönsten, wärmsten und edelsten dichtungen der welt verachten. Und ich schließe von dieser überlegung noch die leser aus, die in großen städten wohnen: welchen, sogar im fall daß sie aufmerksam lesen, auch nicht für eine halbe stunde geholfen wird, die von irgendeiner art von dichtung weder sehr erfreut noch bewegt werden.
Timandros: Sie reden, nach Ihrer gewohnheit, boshaft, und in einer weise die zu verstehen gibt daß Sie für gewöhnlich sehr übel von den andern aufgenommen und behandelt werden: denn das ist in den meisten fällen der grund des üblen sinnes und der verachtung, die gewisse leute der eigenen gattung gegenüber zu hegen bekennen.
Eleandros: Ich sage wahrhaftig nicht daß die menschen mich sehr gut behandelt hätten und behandeln: besonders da ich, dies behauptend, als einziges beispiel dastehen würde. Sie haben mir aber auch kein großes übel zugefügt: denn da ich nichts von ihnen verlange, und nichts in konkurrenz mit ihnen, habe ich mich ihren beleidigungen nicht weiter ausgesetzt. Ich sage und versichere Ihnen, daß, so wie ich erkenne und ganz offen sehe, daß ich nicht das kleinste bißchen von dem zu tun weiß, was erforderlich ist um sich den leuten angenehm zu machen, und daß ich soviel man überhaupt sagen kann unfähig bin mit den andern umzugehn, ja zum leben selbst, aufgrund meiner natur oder aus eigener schuld, ich doch, wenn die menschen mich besser behandelten als sie es tun, sie weniger schätzen würde als ich sie schätze.
Timandros: Umso mehr sind Sie demnach zu verdammen: denn der haß und der wille, sozusagen rache an den menschen zu üben, hätte, wenn Sie von ihnen zu unrecht beleidigt worden wären, eine entschuldigung. Aber Ihr haß, nach dem was Sie sagen, hat keinen besonderen grund; wenn nicht vielleicht einen ungewöhnlichen und elenden ehrgeiz durch menschenfeindlichkeit ruhm zu erwerben, wie Timon, ein verlangen in sich verabscheuenswert, dazu speziell diesem jahrhundert, das vor allem der menschenliebe gewidmet ist, fremd.
Eleandros: Von wegen dem ehrgeiz brauche ich Ihnen nicht zu antworten; denn ich habe schon gesagt daß ich nichts von den menschen verlange: und wenn Ihnen das nicht glaubhaft scheint, obwohl es wahr ist, müssen Sie wenigstens glauben daß nicht der ehrgeiz mich bewegt dinge zu schreiben, die heute, wie sie selbst versichern, dem der sie schreibt tadel und nicht lob einbringen. Vom haß sodann gegen unsere ganze gattung bin ich so entfernt, daß ich jene die mich besonders beleidigen nicht nur nicht hassen will, sondern auch nicht kann; vielmehr bin ich überhaupt untauglich und unzugänglich für den haß. Was kein kleiner teil meiner so großen unfähigkeit ist in der welt zu verkehren. Aber ich kann mich in dieser hinsieht nicht bessern: weil ich immer denke, daß, im allgemeinen, wer immer sich einredet sich selbst, indem er wem es auch sei mißvergnügen macht oder schaden zufügt, eine annehmlichkeit oder ein vergnügen zu bereiten, geneigt ist zu beleidigen; nicht um anderen böses zu tun (denn das ist eigentlich nicht das ziel einer möglichen tat oder eines möglichen gedankens), sondern um sich selbst gutes zu tun; welches verlangen natürlich ist, und keinen haß verdient. Überdies prüfe ich bei jedem laster, jeder schuld, die ich in andern sehe, bevor ich mich darüber ereifere, erst einmal mich selbst, indem ich in mir die vorgeschichte und die umstände annehme die jenen günstig sind; und da ich mich immer befleckt von oder fähig zu den gleichen fehlern finde, habe ich nicht den mut darüber böse zu sein. Ich bewahre immer das zornig werden für jenes mal auf, da ich eine schlechtigkeit sehe die in meiner natur nicht vorkommen könnte: aber bis jetzt habe ich keine solche entdecken können. Schließlich erfüllt mir der gedanke an die eitelkeit der menschlichen dinge fortwährend derart den sinn, daß ich mich nicht entschließen kann für eines von ihnen in den kampf zu ziehen; und der zorn und der haß scheinen mir viel größere und stärkere leidenschaften zu sein als es der geringfügigkeit des lebens angemessen ist. Zwischen dem geist Timons und meinem ist, sehen Sie, folgender unterschied: Timon, der alle andern haßte und floh, liebte und koste einzig Alkibiades, als zukünftigen grund vieler übel für ihre gemeinsame heimat. Ich hätte, ohne ihn zu hassen, eher ihn als die andern geflohen, die bürger vor der gefahr gewarnt, und bestärkt ihr vorzubeugen. Einige sagen daß Timon nicht die menschen haßte, sondern die bestien in menschengestalt. Ich hasse weder die menschen noch die bestien.
Timandros: Aber Sie lieben auch niemanden.
Eleandros: Hören Sie, mein freund. Ich bin geboren zum lieben, habe geliebt, und vielleicht mit soviel gefühl wie in einer lebenden seele nur platz hat. Heute, obwohl ich mich noch nicht, wie Sie sehen, in einem natürlicherweise kalten alter befinde, auch vielleicht in keinem lauen, schäme ich mich nicht zu sagen daß ich niemanden liebe, außer mir selbst, aus naturnotwendigkeit, und so wenig wie möglich. Trotz alledem bin ich gewohnt und bereit freiwillig eher selbst zu leiden als grund des leidens bei andern zu sein. Und darüber, so wenig Sie auch mit meinen gepflogenheiten bekannt sind, können Sie mir glaube ich zeuge sein.
Timandros: Ich leugne es nicht.
Eleandros: Derart daß ich nicht aufhöre den menschen meinesteils, die rücksicht auf mich selbst hintansetzend, jenes größte, vielmehr einzige gut zu verschaffen, das ich noch für mich selbst wünsche, das ist, nicht zu leiden.
Timandros: Aber gestehen Sie in aller form, nicht einmal unsere gattung im allgemeinen zu lieben?
Eleandros: Ja, in aller form. Aber wie ich jedenfalls, wenn ich müßte, die schuldigen bestrafen lassen würde, obwohl ich sie nicht hasse; so würde ich, wenn ich könnte, meiner gattung jede noch so große wohltat bereiten, obgleich ich sie nicht liebe.
Timandros: Gut, sei es. Aber am ende, wenn es nicht erlittenes unrecht, nicht haß, nicht ehrgeiz sind, was veranlaßt Sie diese art des schreibens zu pflegen?
Eleandros: Verschiedenes. Erstens, die unduldsamkeit jeder heuchelei und verstellung gegenüber: denen ich mich manchmal beim reden beuge, in meinen schriften aber nie; denn oft rede ich aus notwendigkeit, aber ich bin nie gezwungen zu schreiben; und wenn ich zu sagen hätte was ich nicht denke, wäre es mir kein großes vergnügen mir den kopf über dem papier zu zerbrechen. Alle weisen lachen über den der jetzt lateinisch schreibt, denn niemand spricht diese sprache, und wenige verstehn sie. Ich sehe nicht, wie dieses fortwährende voraussetzen, das man beim schreiben und reden macht, gewisser menschlicher eigenschaften, die es wie jeder weiß in keinem lebenden menschen mehr gibt, und gewisser rationaler oder phantastischer wesenheiten, einst vor langer zeit angebetet, aber jetzt für vollkommen nichtig gehalten, sowohl von dem der sie nennt, als auch von dem der sie nennen hört, nicht gleichermaßen lächerlich sein soll. Daß man masken und verkleidungen benutzt um die andern zu täuschen, oder um nicht erkannt zu werden, scheint mir nicht seltsam: aber daß alle mit ein und derselben form von masken, und auf ein und dieselbe art verkleidet herumgehn, ohne einander zu täuschen, und sich untereinander bestens erkennend, halte ich für eine kinderei: nehmen sie sich die masken ab, bleiben ihnen noch die kleider; sie werden keine geringere wirkung als vorher ausüben, und es bequemer haben. Denn schließlich kann man dieses ewige, obgleich nutzlose, versteckspielen, und dieses ewige vorstellen einer von einem selbst ganz verschiedenen person, doch nicht ohne große behinderung und verdruß betreiben. Wenn die menschen aus ihrem ursprünglichen zustand der vereinzelung und wildheit nicht nach und nach, sondern auf einmal zur modernen zivilisation übergegangen wären, glauben Sie, daß sich in den sprachen die namen der vorhin erwähnten dinge fänden, geschweige denn bei den völkern der brauch sie dauernd zu wiederholen, und tausend überlegungen darüber anzustellen? In wahrheit erscheint mir dieser brauch wie eine jener antiken zeremonien oder praktiken, den gegenwärtigen sitten völlig fremd, welche trotz alledem aufrechterhalten werden, kraft der gewohnheit. Aber ich der ich mich den zeremonien nicht anpassen kann, passe mich auch jenem brauch nicht an; und ich schreibe in moderner sprache, und nicht einer aus trojanischen zeiten. Zweitens suche ich in meinen schriften nicht so sehr unsere gattung anzugreifen, als vielmehr mich über das schicksal zu beklagen. Nichts ist glaube ich offenbarer und mehr mit händen zu greifen als das notwendige unglück aller lebenden. Wenn dieses unglück nicht wahr ist, ist alles falsch, und wir können dieses und welches gespräch auch immer bleiben lassen. Wenn es wahr ist, warum soll es mir nicht einmal erlaubt sein mich offen und frei darüber zu beklagen, und zu sagen: ich leide? Aber wenn ich mich weinend beklagte (und das ist der dritte meiner beweggründe), würde ich den andern und mir selbst völlig fruchtlos keine kleine belästigung verursachen. Indem ich über unsere übel lache, finde ich etwas trost; und ich bemühe mich ihn anderen auf die gleiche weise zu verschaffen. Wenn das mir nicht gelingt, bin ich doch der festen überzeugung daß das lachen über unsere übel der einzige gewinn ist den man daraus ziehen kann, und das einzige heilmittel das sich dagegen findet. Die dichter sagen, daß die verzweiflung immer ein lächeln auf den lippen hat. Sie dürfen nicht glauben daß ich kein mitleid für das menschliche unglück empfinde. Aber da man dem mit keiner anstrengung, keiner kunst, keinem eifer, keinem bündnis abhelfen kann, halte ich es des menschen und einer großgesinnten verzweiflung für wesentlich würdiger, über die gemeinsamen übel zu lachen, als mich deswegen dem seufzen, weinen und schreien zusammen mit den andern hinzugeben, oder sie anzufeuern es gleichfalls zu tun. Zuletzt bleibt mir zu sagen, daß ich ebensosehr wie Sie, und ebensosehr wie irgendjemand, das wohl meiner gattung im ganzen wünsche; aber ich erhoffe es auf keine weise; ich weiß mich nicht an gewissen guten aussichten zu erfreuen und zu weiden, wie ich es viele philosophen in diesem jahrhundert tun sehe; und meine verzweiflung, da sie vollkommen ist, und fortdauernd, und in einem festen urteil und einer gewißheit begründet, läßt mir keinen platz für frohe träume und einbildungen über die zukunft, und keinen mut etwas zu unternehmen, um sie in die tat umsetzen zu sehen. Und Sie wissen sehr wohl daß der mensch sich nicht aufrafft das zu versuchen von dem er weiß oder glaubt daß es ihm nicht gelingen dürfte, und wenn er sich dazu aufrafft, handelt er unwillig und mit wenig anstrengung; und daß, wenn man auf eine weise verschieden von der oder entgegengesetzt zur eigenen meinung schreibt, auch wenn diese falsch wäre, man niemals etwas beachtenswertes zustande bringt.
Timandros: Aber man muß wohl sein eigenes urteil revidieren, wenn es von der wahrheit verschieden ist, wie das Ihre.
Eleandros: Ich urteile, soweit es mich betrifft, unglücklich zu sein, und darin täusche ich mich gewiß nicht. Wenn die andern es nicht sind, gratuliere ich ihnen von ganzem herzen. Ich bin auch sicher daß ich mich, bevor ich sterbe, vom unglück nicht befreien werde. Wenn die andern von sich eine andere hoffnung haben, freue ich mich darüber gleichermaßen.
Timandros: Alle sind wir unglücklich, und alle sind es gewesen: und ich glaube Sie wollen sich nicht rühmen, daß dieser Ihr ausspruch einer von den neusten ist. Aber die lage der menschheit kann man auf lange sicht besser als die jetzige gestalten, wie sie schon unsagbar viel besser ist als sie einst war. Sie geben vor sich nicht zu erinnern, oder sich nicht erinnern zu wollen, daß der mensch vervollkommnungsfähig ist.
Eleandros: Für vervollkommnungsfähig will ich ihn auf Ihr zeugnis hin halten; aber für vollkommen, und das ist das was hauptsächlich zählt, weiß ich nicht wann ich ihn zu halten haben werde noch auf wessen zeugnis hin.
Timandros: Er ist noch nicht zur vollkommenheit gelangt, weil ihm die zeit gefehlt hat; aber es besteht kein zweifel daß er dorthin gelangen wird.
Eleandros: Ich zweifle auch nicht daran. Die paar jahre die vom beginn der welt bis heute verflossen sind konnten nicht reichen; und man darf darüber nicht nach der natur, dem schicksal und den fähigkeiten des menschen urteilen: außerdem waren sie mit andern dingen beschäftigt. Aber jetzt sorgt man für nichts anderes als unsere gattung zu vervollkommnen.
Timandros: Gewiß sorgt man dafür mit höchstem eifer in der ganzen zivilisierten welt. Und wenn man die menge und wirksamkeit der mittel in betracht zieht, die eine wie die andere in wenig zeit unglaublich gewachsen, kann man glauben, daß die wirkung sich über kurz oder lang tatsächlich einstellen muß: und diese hoffnung ist von nicht geringem frommen wegen der nützlichen vorhaben und unternehmungen die sie fördert und hervorbringt. Und wenn es jemals schädlich und tadelnswert war, gegenwärtig ist es verderblich und abscheulich diese Ihre verzweiflung zu zeigen, und den menschen die notwendigkeit ihres elends, die eitelkeit des lebens, die schwäche und geringfügigkeit ihrer gattung, und die schlechtigkeit ihrer natur einzuschärfen: was keinen andern effekt haben kann als ihnen den mut zu rauben, ihnen die selbstachtung zu nehmen, die unterste grundlage eines ehrbaren, nützlichen, ruhmvollen lebens, und sie davon abzubringen für ihr eigenes wohl zu sorgen.
Eleandros: Ich möchte, daß Sie mir präzise erklären, ob Ihnen das was ich das unglück der menschen betreffend glaube und sage wahr oder falsch zu sein scheint.
Timandros: Sie greifen zu Ihrer gewohnten waffe; und wenn ich Ihnen gestehe daß das was Sie sagen wahr ist, denken Sie daß die frage damit abgetan ist. Nun antworte ich Ihnen, daß nicht jede wahrheit allen zu verkünden ist, und nicht zu jeder zeit.
Eleandros: Bitte tun Sie mir auch in einer anderen frage genüge. Diese wahrheiten die ich sage und nicht verkünde, sind es in der philosophie grundlegende oder bloß nebensächliche wahrheiten?
Timandros: Was mich betrifft, ich glaube daß sie der kern der gesamten philosophie sind.
Eleandros: Also täuschen sich jene erheblich die sagen und verkünden, daß die vollkommenheit des menschen in der kenntnis des wahren besteht, und alle seine übel von den falschen meinungen und der unkenntnis herrühren, und daß das menschengeschlecht dann endlich glücklich sein wird, wenn alle oder die meisten menschen das wahre kennen, und nur ihm gemäß ihr leben bilden und lenken werden. Und das sagen fast alle antiken und modernen philosophen. Da sehen Sie daß man nach Ihrem urteil jene wahrheiten, die der kern der gesamten philosophie sind, dem größten teil der menschen verbergen muß; und ich glaube, daß Sie leicht zustimmen würden, daß sie von allen nicht gekannt oder vergessen werden sollten: denn gewußt und im sinn behalten, können sie nichts als schaden. Was soviel bedeutet wie daß man die philosophie aus der welt ausrotten muß. Ich verkenne nicht, daß der letzte schluß den man aus der wahren und vollkommenen philosophie zieht der ist, daß philosophieren nicht nötig ist. Woraus folgt daß die philosophie erstens unnütz ist, weil man zu dem effekt nicht zu philosophieren kein philosoph zu sein braucht; zweitens höchst verderblich, weil man jenen letzten schluß nur auf eigene kosten lernt, und, einmal gelernt, nicht in die tat umsetzen kann; da es nicht vom willen der menschen abhängig ist die erkannten wahrheiten zu vergessen, und man leichter jedwede andere gewohnheit ablegt als die zu philosophieren. Kurz und gut, die philosophie beschränkt sich, während sie anfangs hofft und verspricht unsere übel zu behandeln, zuletzt darauf vergeblich zu wünschen sich selbst zu helfen. Nach alledem frage ich, warum man glauben sollte, daß das gegenwärtige zeitalter näher und geeigneter zur vollkommenheit ist als die vergangenen. Vielleicht wegen der besseren kenntnis des wahren, die wie man sieht ganz entgegengesetzt ist zum glück des menschen? Oder vielleicht weil gegenwärtig einige wenige wissen daß man nicht zu philosophieren braucht, ohne daß sie jedoch die fähigkeit hätten sich dessen zu enthalten? Aber die ersten menschen philosophierten in der tat nicht, und die wilden enthalten sich dessen mühelos. Welche anderen mittel die neu sind oder besser als die unserer vorfahren haben wir um uns der vollkommenheit zu nähern?
Timandros: Viele, und von großem nutzen: aber sie vorzustellen würde unendlich lange dauern.
Eleandros: Lassen wir sie für jetzt beiseite: und um zu meinem thema zurückzukehren, sage ich, daß, wenn ich in meinen schriften einige harte und böse wahrheiten erwähne, entweder um dem geist luft zu machen, oder um mich durch lachen darüber zu trösten, und für nichts sonst, ich es dennoch nicht unterlasse, in den gleichen büchern das studium jenes elenden und kalten wahren, dessen kenntnis entweder die quelle von gleichgültigkeit, oder von faulheit, oder niedrigkeit der gesinnung, schändlichkeit und unehrlichkeit der taten, und verderbtheit der sitten ist, zu beklagen, davon abzuraten und es zu tadeln: während ich im gegenteil jene meinungen lobe und preise, die, obschon falsch, edle, starke, großmütige, tugendhafte und dem allgemeinen oder privaten wohl nützliche taten und gedanken erzeugen; jene schönen und glücklichen einbildungen die, wenn auch eitel, dem leben wert verleihen; die natürlichen illusionen des geistes; und schließlich die antiken irrtümer, ganz verschieden von den barbarischen irrtümern, welch letztere allein, und nicht jene, mit hilfe der modernen zivilisation und philosophie hätten fallen müssen. Aber diese, meiner meinung nach, stürzten sich, indem sie das maß überschritten (wie es den menschlichen dingen eigen und unvermeidlich ist), nicht lange nachdem sie einer barbarei enthoben waren, in eine andere, nicht kleiner als die erste, obwohl sie aus dem verstand und dem wissen geboren war, und nicht dem unwissen, und doch weniger wirksam und offenbar im körper als im geist, weniger beherzt in den taten, und sozusagen verborgener und innerlicher. Jedenfalls bezweifle ich, oder neige vielmehr zu glauben, daß die antiken irrtümer, wie sehr sie zur wohlfahrt der zivilisierten völker notwendig sind, ebenso unmöglich, und jeden tag mehr, zu erneuern sind. Was die vollkommenheit des menschen betrifft, so schwöre ich Ihnen, daß, wenn sie schon erreicht wäre, ich mindestens einen band zum lob des menschengeschlechts geschrieben hätte. Aber da es mir nicht zugefallen ist sie zu sehen, und ich nicht erwarte daß es mir in meinem leben zufallen wird, bin ich entschlossen einen guten teil meines vermögens testamentarisch dazu zu bestimmen, daß man dem menschengeschlecht, wenn es vollkommen sein wird, alle jahre eine lobrede verfasst und öffentlich vorträgt; und auch daß ihm ein tempelchen nach antiker art errichtet wird, oder eine statue, oder was man für angebracht halten wird.