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Giacomo Leopardi: Gespräche aus den Kleinen moralischen Werken

GESPRÄCH ZWISCHEN TRISTAN UND EINEM FREUND

Freund: Ich habe Ihr buch gelesen. melancholisch, nach Ihrer gewohnheit.

Tristan: Ja, nach meiner gewohnheit.

Freund: Melancholisch, trostlos, verzweifelt; man sieht daß dieses leben Ihnen eine abscheuliche angelegenheit zu sein scheint.

Tristan: Was soll ich dazu sagen? ich hatte mir diese flause in den kopf gesetzt, daß das menschliche leben unglücklich sei.

Freund: Unglücklich ja vielleicht, aber doch am ende...

Tristan: Nein nein vielmehr äußerst glücklich, jetzt hab ich meine meinung geändert, aber als ich das buch da schrieb, hatte ich diese flause im kopf, wie ich Ihnen sage, und ich war davon so überzeugt, daß ich alles andere erwartet hätte, nur nicht, die beobachtungen die ich über jenes thema gemacht hatte in zweifel gezogen zu sehen, denn es schien mir daß die erfahrung des lesers sofort jede einzelne von ihnen bestätigen müsse. ich bildete mir ein daß es meinungsverschiedenheiten nur über nutzen oder schaden solcher beobachtungen geben könne, aber nicht über ihre wahrheit: vielmehr glaubte ich daß meine klagen, da sie ja die allgemeinen übel zum ausdruck brachten, im herz eines jeden der sie hörte wiederholt werden würden. und als ich hörte wie man nicht irgendeinen einzelnen satz, sondern das ganze abstritt, und sagte das leben sei nicht unglücklich, und daß wenn es mir so erschien, es auswirkung einer krankheit sein müßte, oder eines andern mir eigentümlichen leidens, war ich zuerst erstaunt, verblüfft, starr wie ein fels, und glaubte für einige tage, in einer andern welt zu sein; dann, wieder zu mir selbst gekommen, wurde ich ein wenig wütend, dann lachte ich, und sagte: die menschen sind im allgemeinen wie die ehemänner. die ehemänner, wenn sie ein ruhiges leben führen wollen, müssen notwendig die frauen für treu halten, jeder die seine; und so machen sie es; auch wenn die halbe welt weiß daß es in wahrheit ganz anders aussieht. wer in einem land leben will oder muß, kann nicht umhin es für eines der besten der bewohnbaren erde zu halten; und hält es dafür. die menschen überhaupt, wenn sie leben wollen, müssen das leben für schön und wertvoll halten; und halten es dafür; und sie erzürnen sich gegen den der anders denkt. deshalb glaubt das menschliche geschlecht im wesentlichen immer — nicht das wahre, sondern das was ihm angebracht ist oder zu sein scheint. das menschliche geschlecht, das soviele albernheiten geglaubt hat und glauben wird, wird niemals glauben daß es nichts weiß, noch daß es nichts ist, noch daß es nichts zu hoffen hat. kein philosoph der einen dieser drei sätze lehrte würde erfolg haben oder schule machen, besonders beim volk: weil, außer daß alle drei dem der leben will wenig gelegen kommen, die ersten beiden den stolz der menschen verletzen, und der dritte, und auch die beiden andern, mut und seelenstärke erfordern um geglaubt zu werden. und die menschen sind feige, schwach, von gemeiner und kleinlicher gemütsart; immer willig gutes zu hoffen, weil sie immer folgsam ihre meinungen vom guten ändern je nachdem wie die notwendigkeit ihr leben bestimmt; nur zu bereit vor ihrem los, wie Petrarca sagt, die waffen zu strecken, nur zu bereit, nur zu entschlossen sich über gleich welches mißgeschick zu trösten, gleich welche entschädigung für das anzunehmen was ihnen versagt ist oder was sie verloren haben, sich unter gleich welcher bedingung gleich welchem — noch so schändlichen und noch so barbarischen — schicksal anzubequemen, und wenn sie alles wünschenswerten beraubt sind, von falschen, dabei so entschiedenen und festen grundsätzen zu leben, als ob es die wahrsten und sichersten der welt wären. ich meinerseits, wie das südliche Europa über die ehemänner lacht die in ihre untreuen frauen verliebt sind, so lache ich über das menschengeschlecht das ins leben verliebt ist; und ich halte es für wenig mannhaft, sich täuschen und betrügen wollen zu lassen wie dummköpfe, und außer den übeln die man erleidet auch noch fast der hohn der natur und des geschicks zu sein. ich rede immer von den täuschungen nicht der imagination, sondern des intellekts. ob diese meine gefühle einer krankheit entspringen, weiß ich nicht: ich weiß daß ich, krank oder gesund, die feigheit der menschen mit füßen trete, daß ich jede tröstung und jede kindische täuschung ablehne, und ich habe den mut das jeder hoffnung beraubt sein zu ertragen, unerschrocken die wüste des lebens ins auge zu fassen, mir keinen teil des menschlichen unglücks zu verhehlen, und alle konsequenzen einer schmerzlichen aber wahren philosophie zu akzeptieren, welche, wenn sie zu sonst nichts nutze ist, starken menschen das wilde vergnügen verschafft jede verkleidung von der verborgenen und geheimnisvollen grausamkeit des menschlichen geschicks weggerissen zu sehen. ich sagte das zu mir, fast als ob jene schmerzliche philosophie meine erfindung wäre; ich sah sie so von allen abgelehnt, wie man neue und nie gehörte dinge ablehnt, aber dann, nachdenkend, erinnerte ich mich daß sie so neu war wie Salomo und wie Homer, und die ältesten dichter und philosophen die wir kennen; welche alle voll sind von bildern, von fabeln, von sätzen die das äußerste menschliche unglück ausdrücken; und einer sagt daß der mensch das erbärmlichste aller tiere sei; der daß es besser sei nicht geboren zu werden, und für den der geboren ist, in der wiege zu sterben; ein anderer daß jemand den die götter lieben jung stirbt; und andere immer wieder anderes in diesem sinne. und ich erinnerte mich auch daß von jenen zeiten an bis gestern oder vorgestern alle dichter und alle philosophen und die großen und kleinen schriftsteller auf die eine oder andere art die gleichen lehren wiederholt oder bestätigt hatten, so daß ich mich von neuem zu wundern begann: und so zwischen verwunderung und wut und lachen verbrachte ich lange zeit: bis ich diese materie gründlicher studierte and erkannte daß das unglück des menschen einer der hartnäckigsten irrtümer des verstandes, und daß die falschheit dieser meinung, und das glück des lebens, eine der großen entdeckungen des neunzehnten jahrhunderts war. da beruhigte ich mich, und ich gestehe daß ich unrecht hatte das zu glauben was ich glaubte.

Freund: Und haben Sie Ihre meinung geändert?

Tristan: Sicher, wollen Sie daß ich im gegensatz stehe zu den vom neunzehnten jahrhundert entdeckten wahrheiten?

Freund: Und glauben Sie alles was das jahrhundert glaubt?

Tristan: Gewiß, ist das ein wunder?

Freund: Glauben Sie also an die unendliche vervollkommnung des menschen?

Tristan: Zweifellos.

Freund: Glauben Sie daß die menschliche gattung tatsächlich jeden tag besser wird?

Tristan: Ja sicher. es ist wohl wahr daß ich manchmal denke daß die alten an körperkraft jeder vier von uns aufwogen, und der körper ist der mensch; weil (abgesehen vom übrigen) die großgesinntheit, der mut, die leidenschaften, die schaffenskraft, die genußfähigkeit, alles was das leben edel und lebendig macht, von der körperkraft abhängt, und ohne diese nicht statt hat. einer der einen schwächlichen körper hat, ist kein mann, sondern ein kind; noch schlimmer; weil es sein los ist zu stehen und die andern leben zu sehen, und höchstens zu schwätzen, aber das leben ist nicht für ihn. und deshalb war in der antike die schwächlichkeit des körpers schmachvoll, auch in den zivilisiertesten zeitaltern. aber bei uns läßt sich die erziehung schon seit sehr langer zeit nicht dazu herab an den körper zu denken, eine zu niedrige und verworfene angelegenheit: sie denkt an den geist: und gerade indem sie den geist veredeln will, ruiniert sie den körper; ohne zu bemerken, daß, indem sie diesen ruiniert, sie dadurch endlich auch den geist ruiniert. und gesetzt man könnte hierin die erziehung verbessern, so würde man doch nie, ohne den modernen zustand der gesellschaft radikal zu verändern, ein mittel finden können, das gleichermaßen geeignet wäre die andern gegebenheiten des privaten und öffentlichen lebens zu verbessern, die alle, in ihrer eigentümlichkeit, in der antike zusammenwirkten den körper zu vervollkommnen oder zu bewahren, und heute zusammenwirken ihn zu verderben. der effekt ist daß, im vergleich zu den alten, wir wenig mehr als kinder sind, und daß die alten im vergleich zu uns, wie man mehr als je sagen kann, männer waren, ich sage das von den individuen verglichen mit den individuen, wie von den massen (um diesen anmutigsten der modernen ausdrücke zu gebrauchen) verglichen mit den massen. und ich füge hinzu daß die alten unvergleichlich männlicher als wir auch in den moralischen und metaphysischen systemen waren. auf jeden fall lasse ich mich nicht von solchen kleinen einwänden kirre machen, ich glaube fest daß die menschliche gattung immer weiter fortschreiten wird.

Freund: Sie glauben auch, versteht sich, daß das wissen, oder, wie man sagt, die einsichten, immerfort wachsen.

Tristan: Ganz gewiß, obwohl ich sehe daß in dem maß wie der wille zu lernen wächst, der zu studieren abnimmt. und es setzt einen in erstaunen, die zahl der gelehrten, der wirklich gelehrten, zu zählen, die zu gleicher zeit vor hundertfünfzig Jahren, oder auch später, lebten, und zu sehen wie unermeßlich größer als die der gegenwart sie war. sagen Sie mir nicht daß es wenige gelehrte gibt weil im allgemeinen die erkenntnisse nicht mehr in einigen individuen angehäuft, sondern zwischen vielen geteilt sind; und daß die menge dieser die seltenheit jener wettmacht. die erkenntnisse sind nicht wie die reichtümer, die sich teilen und sich ansammeln, und immer dieselbe summe machen. wo alle wenig wissen weiß man auch wenig; weil ein wissen aus dem andern folgt, und sich nicht zerstreut. die oberflächliche lehre kann nicht eigentlich unter viele geteilt, aber vielen ungelehrten gemeinsam sein. der rest des wissens gehört nur den gelehrten, und ein großer teil davon nur den gelehrtesten. und, ausgenommen die glücklichen zufälle, nur wer aufs höchste gelehrt ist, und allein ausgestattet mit einem immensen kapital von erkenntnissen, ist fähig das menschliche wissen dauerhaft zu vermehren und voran zu bringen. jetzt, außer vielleicht in deutschland, wo die gelehrsamkeit noch nicht vertrieben werden konnte, scheint es Ihnen nicht, daß es jeden tag weniger möglich wird, solche aufs höchste gelehrten menschen aufsteigen zu sehen? ich stelle diese überlegungen an um zu plaudern, und ein bißchen zu philosophieren, oder vielleicht zu spitzfindeln; nicht daß ich nicht überzeugt wäre von dem was Sie sagen. vielmehr auch wenn ich die welt voll von unwissenden betrügern auf der einen seite, und eingebildeten ignoranten auf der andern sähe, würde ich nichtsdestoweniger glauben, wie ich es tue, daß das wissen und die einsichten immerfort wachsen.

Freund: Folglich glauben Sie daß dieses jahrhundert allen vergangenen überlegen ist.

Tristan: Sicher, das haben alle jahrhunderte von sich geglaubt, auch die barbarischsten; und das glaubt mein jahrhundert, und ich mit ihm. wenn Sie mich fragen würden worin es den andern jahrhunderten überlegen sei, ob in dem was den körper angeht oder in dem was den geist angeht, würde ich mich auf das berufen was ich vorhin gesagt habe.

Freund: Kurz, um alles in zwei worte zu fassen, denken Sie die natur betreffend und die geschicke der menschen und der dinge (denn wir sprechen jetzt nicht von literatur und nicht von politik) das was die zeitungen davon denken?

Tristan: Genau, ich glaube und ergreife die profunde philosophie der zeitungen, welche, indem sie jede andere literatur und jedes andere wissensgebiet, besonders schwierige und unangenehme, niedermachen, die meister und das licht des gegenwärtigen zeitalters sind, nicht wahr?

Freund: Sehr wahr. wenn das was Sie sagen im ernst und nicht im scherz gesagt ist, sind Sie einer der unsrigen geworden.

Tristan: Ja gewiß, einer der Ihrigen.

Freund: Was werden Sie also mit Ihrem buch machen? wollen Sie daß es auf unsere nachfahren kommt mit jenen gefühlen die so gegensätzlich zu den meinungen sind die Sie jetzt haben?

Tristan: Auf unsere nachfahren? ich lache, denn Sie scherzen; und wenn es möglich wäre daß Sie nicht scherzten würde ich noch mehr lachen. ich sage das jetzt nicht in hinsicht auf mich, sondern in hinsicht auf die individuen und individuellen angelegenheiten des neunzehnten jahrhunderts, verstehn Sie mich richtig: es ist nichts zu fürchten von nachkommen, welche davon so viel wissen werden wie die vorfahren davon wußten. die individuen sind vor den massen verschwunden, sagen sehr gewählt die modernen denker. das will sagen daß es unnütz ist daß das individuum irgendwelche mühen auf sich nimmt, denn, für gleich welches verdienst, bleibt ihm nicht einmal mehr jener erbärmliche preis des ruhms zu hoffen, weder im wachen noch im traum. lassen Sie die massen nur machen; was sie aber ohne individuen machen werden, da sie ja aus individuen zusammengesetzt sind, das, so wünsche und hoffe ich, werden mir die kenner von individuen und massen erklären, die heute die welt erleuchten. aber um auf das buch und die nachfahren zurückzukommen, besonders die bücher, die jetzt meistens in weniger zeit geschrieben werden als man braucht um sie zu lesen, sehen Sie wohl, so wie sie das kosten was sie wert sind, so dauern sie im verhältnis zu dem was sie kosten. ich meinerseits glaube daß das kommende jahrhundert einen wunderschönen strich durch die ungeheure bibliographie des neunzehnten jahrhunderts machen wird; oder auch sagen wird: ich habe ganze bibliotheken mit büchern, die teils zwanzig, teils dreißig jahre anstrengungen, teils auch weniger, aber alle eine riesenarbeit gekostet haben. lesen wir die zuerst, denn es ist wahrscheinlich daß sich aus ihnen größerer nutzen ziehn läßt; und wenn ich von dieser sorte nichts mehr zu lesen habe, dann werde ich hand an die improvisierten bücher legen. mein freund, dies jahrhundert ist ein jahrhundert von knaben, und die ganz wenigen männer die übrig bleiben, müssen sich vor scham verstecken gehen, wie jener der gerade ging in einem land von lahmen. und diese guten knaben wollen in allem das machen, was sonst die männer gemacht haben, und es genau nach knabenart machen, so auf einmal ohne vorbereitende anstrengungen. überdies wollen sie daß die höhe der erreichten kultur, und die beschaffenheit der gegenwart und der zukunft, sie und ihre nachfolger für dauernd freisprechen von jeder notwendigkeit zu schwitzen und sich lang zu mühen um zu einer sache fähig zu werden. mir sagte vor wenigen tagen ein freund, ein regsamer und vielbeschäftigter mann, daß auch die mittelmäßigkeit höchst selten geworden ist; fast alle sind unfähig, fast alle ungenügend für die ämter oder tätigkeiten zu denen notwendigkeit oder zufall oder wahl sie bestimmt hat. darin, scheint mir, besteht zum teil der unterschied zwischen diesem und den andern jahrhunderten. in allen anderen, wie in diesem, ist die größe höchst selten gewesen; aber in den andern hat die mittelmäßigkeit das feld behauptet, in diesem die nichtigkeit. wodurch der lärm und die verwirrung so groß sind — wenn alle alles sein wollen — daß man den wenigen großen die doch, glaube ich, da sind, keine aufmerksamkeit schenkt; denen, in der ungeheuren menge der konkurrenten, es nicht mehr möglich ist sich einen weg zu bahnen. und so, während alle die nichtswürdigen sich für berühmt halten, wird die obskurität und nichtigkeit der ergebnisse das gemeinsame schicksal der niedrigsten wie der höchsten. doch es lebe die statistik! es leben die wirtschaftswissenschaften, die gesellschafts- und politikwissenschaft, die taschenenzyklopädien, die handbücher, und alle die hübschen schöpfungen unsers jahrhunderts! und es lebe immer das neunzehnte jahrhundert! vielleicht arm an gehalt, aber überreich und verschwenderisch mit worten: was immer ein sehr gutes zeichen war, wie Sie wissen. und trösten wir uns, daß für weitere sechsundsechzig jahre dies jahrhundert das einzige sein wird das redet, und den ton angibt.

Freund: Sie sprechen, wie es scheint, ein wenig ironisch, aber Sie müßten sich wenigstens zuletzt erinnern daß dies ein jahrhundert des übergangs ist.

Tristan: Oh, was schließen Sie daraus? alle jahrhunderte, mehr oder weniger, sind solche des übergangs gewesen und werden es sein, weil die menschliche gesellschaft niemals stillsteht, und niemals ein jahrhundert sehen wird in welchem sie einen zustand erreicht hätte der dauerte. so daß jener wunderschöne satz entweder überhaupt nicht das neunzehnte jahrhundert entschuldigt, oder eine solche entschuldigung mit allen jahrhunderten gemein hat. bleibt zu fragen, wohin der weg den die gesellschaft heute einhält sie führen muß, das heißt ob der übergang der jetzt stattfindet, vom guten zum besseren oder vom schlechten zum schlechteren ist. vielleicht wollen Sie mir sagen, daß der gegenwärtige ein übergang par excellence ist, das heißt ein schneller wechsel von einem zustand der gesellschaft zu einem anderen vom vorhergehenden völlig verschiedenen. in diesem fall bitte ich um erlaubnis über den schnellen wechsel zu lachen, und antworte daß alle übergänge notwendig langsam vollzogen werden müssen; denn wenn man sie auf einmal vollzieht, kehrt man von da in kürzester zeit wieder zurück, um sie dann schritt für schritt zu wiederholen. so war es immer. der grund ist, daß die natur keine sprünge macht, und daß wenn man der natur zwang antut, keine ergebnisse erzielt werden die dauerten. oder, um mich genauer auszudrücken, solche überstürzten übergänge sind scheinbare übergänge, aber keine realen.

Freund: Ich bitte Sie, führen Sie solche reden nicht mit zu vielen, Sie würden sich viele feinde machen.

Tristan: kümmert mich wenig. von nun an werden mir weder feinde noch freunde viel schaden zufügen.

Freund: Oder, wahrscheinlicher, werden Sie verachtet werden, als wenig kundig der modernen philosophie und wenig besorgt um den fortschritt der kultur und der erkenntnis.

Tristan: Tut mir sehr leid, aber was kann man da machen? wenn sie mich verachten, werde ich mich darüber zu trösten suchen.

Freund: Aber haben Sie denn jetzt Ihre ansichten geändert oder nicht? und was soll man mit diesem buch tun?

Tristan: Das beste ist es zu verbrennen. wenn man es nicht verbrennen will, es aufzubewahren als ein buch voller dichterträume, erfindungen und melancholischer capricen, oder auch als ein ausdruck des unglücks des autors: denn im vertrauen, lieber Freund, ich halte Sie für glücklich und alle andern für glücklich; aber was mich betrifft, mit Ihrer erlaubnis und der des jahrhunderts, ich bin völlig unglücklich; und halte mich dafür; und alle zeitungen der beiden welten werden mich nicht vom gegenteil überzeugen.

Freund: Ich kenne nicht die gründe des unglücks von dem Sie reden, aber ob einer glücklich oder unglücklich ist, kann niemand als der betreffende selbst beurteilen, und dessen urteil kann nicht falsch sein.

Tristan: Vollkommen richtig. und überdies sage ich Ihnen frei heraus, daß ich mich meinem unglück nicht unterwerfe, daß ich vor meinem geschick nicht das haupt beuge, oder mit ihm kompromisse eingehe, wie es die andern tun; und ich wage den tod zu wünschen, und ihn über alles zu wünschen, mit soviel glut und mit soviel aufrichtigkeit, wie er, das glaube ich fest, auf der erde nur von ganz wenigen gewünscht wird. ich würde nicht so zu Ihnen sprechen, wenn ich nicht sicher wäre, daß, wenn die stunde gekommen ist, die wirklichkeit nicht meine worte lügen strafen wird; denn obwohl ich noch keinen ausweg aus meinem leben sehe, habe ich doch ein gefühl in mir, das mich fast sicher macht daß die stunde die ich meine nicht fern ist. ich bin zu reif für den tod, zu absurd und unglaubhaft scheint es mir, so tot wie ich geistig bin, so ausgeträumt wie in mir in jeder hinsicht der traum des lebens ist, noch vierzig oder fünfzig jahre, soviel mir die natur noch androht, dauern zu müssen. wenn ich nur daran denke, schaudere ich zusammen. aber wie es mit allen diesen übeln zu gehn pflegt, die sozusagen die einbildungskraft überrumpeln, so scheint mir dieses ein traum und eine täuschung zu sein, unmöglich wahr zu werden. vielmehr wenn jemand von einer fernen zukunft spricht wie von einer sache die mich angeht, kann ich mich nicht enthalten innerlich zu lachen: soviel zuversicht habe ich daß der weg der mir zurückzulegen bleibt nicht lang ist. und das, kann ich sagen, ist der einzige gedanke der mich aufrecht hält. bücher und studien, die ich mich oft wundere so geliebt zu haben, große pläne, und hoffnungen auf ruhm und unsterblichkeit, sind dinge für die sogar die zeit darüber zu lachen vorbei ist. über die pläne und hoffnungen dieses jahrhunderts lache ich nicht: ich wünsche ihnen von ganzem herzen jeden möglichen vollen erfolg, und ich lobe, bewundere und ehre höchlich und aufrichtig den guten willen: aber ich beneide nicht die nachkommen, und nicht die die noch lange zu leben haben. sonst habe ich die dummen und unbedarften beneidet, und jene die eine hohe meinung von sich selbst haben; und hätte gern mit einem von ihnen getauscht. heute beneide ich weder dumme noch kluge, weder große noch kleine, weder schwache noch mächtige, ich beneide die toten, und nur mit ihnen würde ich tauschen. jede angenehme einbildung, jeder gedanke an die zukunft, die ich, wie es vorkommt, in meiner einsamkeit habe, und mit denen ich mir die zeit vertreibe, beschäftigt sich mit dem tod, und mit nichts darüber hinaus. auch stören mich in diesem wunsch nicht mehr, wie früher, die erinnerung an die träume der jugend, und der gedanke vergeblich gelebt zu haben. wenn ich den tod erreiche werde ich so ruhig und so zufrieden sterben, als ob ich niemals etwas anderes auf der welt gehofft und gewünscht hätte. das ist die einzige wohltat die mich mit dem schicksal aussöhnen kann. wenn mir auf der einen seite das glück und der ruhm Caesars oder Alexanders, rein von jedem makel, angeboten würden, auf der andern, heute zu sterben, und ich wählen müßte, ich würde sagen, heute sterben, und bräuchte keine zeit mich zu entschließen.