Edna St. Vincent Millay


DER SELBSTMORD

fluch dir, Leben, will mit dir nicht mehr!

hast mich verspottet, ausgehungert, zerschunden —

und für ein pfand das ich nicht verpfändete

hab ich deine kruste geküßt und sparsam gegessen

um wieder essen zu können, und deinem hohn begegnete ich

mit flehen, und deinen schlägen mit tränen —

ja kroch, von deiner satten peitsche, froh hinweg,

als ob verrauchter zorn ein feiertag wär!

und jetzt geh ich. nicht drohn, noch leicht gelöbnis

später freundlichkeit kann dir nun noch nützen

bei mir, die furcht und zutraun gleichermaßen flohen.

einsam kam ich, und ich geh allein,

wohin, zu wem ich gehe weiß ich nicht,

doch weiß daß du mich nicht verfolgen kannst.

 

so ich zum Leben, und schwieg; doch gingen mir

gedanken weiter durch den kopf, bis ich fortfuhr:

 

ach, doch ich geh nicht wie ich kam — nichts nehm

ich mit von aller anmut die ich einst

besaß! in deinen feuern ausgeglüht,

gebeugt von deinen händen, deinem willen gemäß

gemodelt ist dein zeichen auf mir! ich bin nicht

die ich war und werd es nie mehr sein.

asche ich von allem das ich einst versprach.

alles was sprang in mir versunken, was träumte

wachsam aus sorge — ach, schande über dich

für das was du in mir zum schlimmen wandtest:

ich lache nicht mehr, stimm kein lied mehr an!

ach, Leben, ich wäre, aufgewachsen, ein so

angenehmer hausgenosse gewesen,

hättst du mir meine kleinen freuden gelassen!

nur diese eine gunst verlangte ich von dir:

daß du mich in der sonne spielen läßt!

und die gewährtest du mir nicht, riefest beharrlich

meinen namen bis ich aufstand und kam.

und sah die sonne nicht mehr. — es wär nicht gut

zu lang bei all dem schlimmen zu verweilen,

müßt ich aufstehn morgen und erneut

verhaßtes werk beginnen, doch bin ich fertig

mit allem bis auf meine gedanken und diese eine nacht;

so daß ich in der tat schon fast, so scheint es,

frei und entfernt von dir bin — ich fühle weder hast

noch widerwillen zu scheiden; ich koste nur,

nachdenklich, einen unbekannten trank,

den ich nach einer kleinen weile trinken werde.

 

so ich zum Leben, und schwieg, und lächelte ein wenig,

ins leere schauend: dünne träume zogen

vor meinem inneren auge her bis noch einmal

ich neue worte für die alte weise fand:

 

schätze hast du, die waren niemals mein!

in manch geheimer kammer deines öden hauses

scheinen warme lichter, und wie blüten

weht gesang zu mir heraus, draußen allein!

und lang hab ich gewartet daß du mir zeigst

ob etwas davon mein ist — und jetzt geh ich!

nichts hinterlaß ich: wenn ich nichts erlange,

bekomme ich doch wieder was mir zusteht!

 

so ich zum Leben, und schwieg, und sprach nicht mehr,

und wandte mich stracks zu einer bestimmten tür

in der rückwand. schwer war sie, und niedrig

und dunkel — eine tür die niemals jemand nähme

dem ein andrer ausweg bliebe, an die keiner

je klopfte — ihr schloß, wie mir ein zufall zeigte,

war defekt; und den unnützen schlüssel

hielt, ahnungslos, das Leben; sie hatte große

grobe angeln, dick und rauh von rost,

die, wenn sie plötzlich durch die stille tönten,

ich weiß, sich schrill und schrecklich anhörn mußten —

eine türe, häßlich wie ein zwerg. — so nah

kam ich daß meine füße die kälte fühlten

des scharfen winds der durch die ritze pfiff.

lang stand ich so, bis müdigkeit mich schließlich

überkam, und alles andre wich

vor ihr; die stille nacht umwehte dicht

wie schnee mich, und ich sehnte mich nach schlaf.

 

doch plötzlich, die morgenstunde kündend

bellte kehlig im turm die glocke!

erschreckt hob ich den kopf — drückte mit einem

schrei die klinke nieder — und war draußen!

 

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ah, lang vergessner, wohlbekannter weg,

führtest zurück mich in mein altes heim,

mein Vaterhaus! nachts kam ich dort an,

und fand sie feiernd, und alles war genau

wie früher. glanz hing an den wänden,

und man sang süße lieder so wie jene

die, ein echo aus sehr ferner zeit,

ich weiß es, mich aus dem haus des Lebens riefen.

so prächtig ihr gewand: ich sah voll scham

auf das unschöne kleid in dem ich kam;

dann, meines zögerns spottend, sagte ich

zu mir: es ist mein Vaterhaus, und klopfte;

und die tür ging auf. der glänzenden menge

gesellte ich mich, zerlumpt und dunkel, wie auf wolken,

und sah nur Sein gesicht; zu Ihm kroch ich,

und "Vater!" rief ich, umschlang sein knie und weinte.

 

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ah, frohe tage folgten! ganz allein

durchwanderte ich das haus. mein eigen, mein,

mein zu berühren, mein zu schmecken und riechen,

all das was ich so lang entbehrte, so innig liebte!

keiner riß aus dem schlaf mich, verbot mir zu singen,

keiner den ganzen tag rief aus der sonne mich.

 

ich weiß nicht wann ich mich zu fragen anfing

was meines Vaters tätigkeit wohl sei,

und wohin fuhren und mit welcher botschaft

seine hochgewachsenen gütigen boten.

da einmal saß ich ohne lied

grübelnd den ganzen tag, und sah ihnen nach.

am nächsten tage rief ich sie, am dritten

bat ich sie mich mitzunehmen — keiner hörte.

dann, krank vor sehnen, brach ich schließlich auf

und ging zu meinem Vater — in das weite

zimmer in dem er seit so vielen jahren

saß, von seinen karten und globen umgeben.

Vater, sagte ich, Vater, ich kann die harfe

nicht spielen, die du mir gabst, und tag für tag

sitze ich müßig, während um mich her

deine heitren, ernsten diener kommen und gehn;

und ich bin meiner einsamen muße müde.

lieber gefahrvolle reisen übers meer

weit weg von dir, als weiter dieses leben,

den ganzen tag im sonnenschein zu sitzen,

unnütz wie unkraut — ich lieb dich mehr als sie

die dir am meisten dienen, doch ich dien zu nichts.

Vater, ich bitt um eine kleine aufgabe,

die meinen tagen würde gibt — nur dieses eine

verlang ich, gewährst du dieses eine nicht,

vergeh ich.

kind, antwortete mein Vater,

alles was dir zu wünschen einfiel hast du

von mir bekommen. ich richtete für dich

in meinem haus ein großes zimmer ein,

in dem sind aller länder herrlichkeiten,

und alles darin ist dein. liebst du gesang?

spielleute warten nur auf deinen wink.

du seufzt nach blumen? herrliche gärten stehn

dir offen. und immerdar soll dieses wort

in geltung sein: keinen genuß sollst du

entbehren den du nur nennst. doch aufgaben —

er lächelte und schüttelte den kopf,

du hattest deine aufgabe, und legtest sie beiseite.

 

Edna St. Vincent Millay