Walter Pater: Denys l'Auxerrois

Vorbemerkung des Übersetzers

Denys l'Auxerrois, eines der Imaginären Portraits aus dem gleichnamigen buch von Walter Pater, ist die legende von der wiederkunft des Dionysos zur zeit der gotik in der kathedralenstadt Auxerre, wiedergegeben als die deutung einer bilderfolge auf alten gobelins, die der ich-erzähler in einem pfarrhaus findet.

Pater hält sich ziemlich genau an die Dionysos-überlieferung, deren episoden, von der geburt des Dionysos durch die blitzgetroffene Semele bis zum zerrissenwerden durch die mänaden, er der atmosphäre des spätgotischen Auxerre anverwandelt und mit dessen lokalkolorit einfärbt. der bau der ersten orgel aus einer kombination aller arten von flöten ist wohl Paters eigene erfindung. die dem dionysischen innewohnende ambivalenz von rausch und besessenheit, lust und gewalt, leben und tod ist das eigentliche thema. das "goldene zeitalter", das mit dem auftauchen von Denys l'Auxerrois in Auxerre einzug hält, dauert nicht, der paradiesische zustand von harmonie, glück, frieden, überfluß wird zunehmend instabil und schlägt schließlich um in eine hölle von gier, haß und mord.

hier wie auch sonst schreibt Pater aus der distanz dessen, der durch eine unüberbrückbare kluft vom leben geschieden ist und es sucht. das pralle und schließlich blutige geschehen wird in einer kultivierten, nuancierten, überfeinerten und gedämpften sprache nicht etwa zur anschauung gebracht, geschweige denn nach- oder mitempfindbar evoziert: das brodelnde leben, die unerhörten und schlimmen ereignisse, von denen berichtet wird, sie ziehen fern vorbei, wie durch ein umgekehrtes fernglas vorgeführt, entrückt, als ein ferner mittelalterlicher mummenschanz. die geschichte bleibt blutlos trotz aller blutrünstigkeit.

dazu passt, daß Pater gleichsam in dreifacher brechung 'erzählt' : die geschichte von Denys wird als betrachtung und deutung einer bilderfolge auf alten, verblassten gobelins wiedergegeben, die wiederum auf verlorengegangene farbige kirchenfenster zurückgehen, welche durch eine vergessene lokale legende inspiriert waren. das lebendigste leben wird aus der äußersten lebensferne nur betrachtet.

was am meisten anrührt an dieser wie auch an Pater's anderen dichtungen, das ist: den mit unendlicher mühe und enormem können unternommenen versuch, dem leben durch kunst nahezukommen, das leben mittels kunst zu konservieren — scheitern zu sehen. herausgekommen sind bei diesem versuch makellose sprach-kunstwerke, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

erwähnen möchte ich noch die meisterhafte übertragung der Imaginary Portraits von Ernst Sander (Hamburg 1946), die ich erst kennenlernte, als meine fassung des Denys l'Auxerrois schon vorlag. an einigen wenigen stellen, vor allen dingen dort, wo meine übertragung zu sehr am wortlaut des originals klebte, habe ich mir im nachhinein erlaubt, bei Ernst Sanders version kleine anleihen zu machen.

 

Wilfried Käding