Mut, sagte er, und zeigte auf das land,
Die flut steigt an und trägt uns bald zum strand.
Am nachmittag erreichten sie ein land
Da schien es immer nachmittag zu sein.
Rund um die küste stockte träge luft
Seufzend wie einer dem ein traum aufsitzt.
Der volle mond hing reglos überm tal
Und wie ein rauch der sinkt, so troff der fall
Den fels hinab, als ob er fiel' und hielt' und fiel'.
Ein land der flüsse! der wie rauch der sinkt,
Ein feiner schleier der sich sachte senkt;
Der dringt durch wabernd licht und schatten vor
Und wälzt von schaum ein schläfrig laken mit.
Sie sahn den strom zur see hin schimmernd ziehn
Landaufher; weit entfernt im abendlicht
Ragten drei gipfel hoch, aus altem schnee
Drei stumme zinnen; und von schauern feucht
Aufstieg die schattige fichte aus dem unterholz.
Im roten west tief unten zauderte
Des abends zauberlicht. durch klüfte war
Das tal zu sehn weit drinnen, palmgesäumt
Die gelbe düne, und manch gewundnes tal
Und wiesen, hoch bestanden mit galgant;
Ein land wo alles stets dasselbe schien!
Und um den kiel rings mit gesichtern bleich
Dunklen gesichtern bleich vorm abendlicht
Kamen die Lotos-esser mit dem schwermut-blick.
Sie trugen zweige jenes zauberkrauts
Schwellend von blum und frucht, davon bekam
Ein jeder, aber wer davon empfing
Und kostete, dem schien weit, weit entfernt
Das klagen und getös des wogenpralls,
An fremdem strand, und wenn sein nachbar sprach
Klang seine stimme dünn, wie aus dem grab;
Und tief zu schlafen schien er, doch hellwach,
Und seinen ohren war sein schlagend herz musik.
Sie saßen nieder auf den gelben sand
Grad zwischen mond und sonne auf den strand;
Und süß zu träumen wars vom Vaterland,
Von kind und weib und sklav, doch immerfort
Höchst lästig schien die see, lästig die fahrt,
Lästig die driftenden felder öden schaums.
Da sagte wer: wir wollen nicht mehr heim;
Und alle sangen: unsre insel ist
Weit jenseits hinterm meer; wir wolln nicht mehr aufs meer.
Chorlied
I
Süße musik ist hier die weicher fällt
Als rosenblütenblätter auf das gras,
Als nacht-tau über stille wasser die
Aufschimmern aus granitener dunkler schlucht;
Musik die sanfter auf der seele liegt
Als müde lider über augen müd;
Musik die süßen schlaf aus seligen himmeln bringt.
Hier ist moos kühl und tief,
Und durch das moos der efeu kriecht,
Und schlanke blumen weinen in den fluß,
Und von der felsenkante hängt der schlafende mohn.
II
Warum sind wir von kummer stets bedrückt
Und ganz von bittrem jammer angefüllt,
Da alles andre frei von mühsal ruht?
Sonst alles ruht: warum solln wir allein
Uns plagen, einzig wir, der dinge maß,
Und klagen immerfort,
Da eine sorge uns zur nächsten stößt;
Niemals vor anker gehn
Und alle unrast fliehn,
Nicht tränken unser lid mit heilendem schlaf,
Nicht horchen was die innere stimme singt:
"'s gibt keine freud als ruh."
Warum uns plagen, wir, der schöpfung kron' und first?
III
Sieh! winde locken tief im wald
Am zweig lang streichend aus der knospe das
Gerollte blatt, das wächst und grünt
Und sorgt nicht vor, am mittag sonn-
Umflossen, und im mondschein nachts
Vom tau genährt, und gilbend fällts
Und trudelt durch die luft hinab.
Sieh! süß von sommerlicht, voll saft
Und überreif geworden fällt der apfel
In einer stillen nacht im herbst.
Die blume blüht an ihrem platz
Durch ihrer tage feste zahl,
Blüht und verwelkt, und fällt, und plagt sich nicht,
Festwurzelnd im fruchtbaren grund.
IV
Häßlich ist der tiefblaue himmel
Überm tiefblauen meer gewölbt.
Tod ist des lebens end, warum
Soll leben müh bloß sein?
Laß uns in ruh. die zeit flieht schnell dahin,
Und bald sind unsre lippen stumm.
Laß uns in ruh. was wäre das da bleibt?
Alles wird uns geraubt, verwandelt in
Stücke und brocken von vergangnem leid.
Laß uns in ruh. was bringt es uns für lust
Das böse zu bekriegen? gibt es frieden
Stets gegen stete dünung anzufahrn?
Sonst alles ruht, und reift dem grabe still
Entgegen; reift, und welkt, und stirbt:
Gib lange ruh uns, sanfte träume, oder tod.
V
Wie süß es wär den wasserfall zu hörn
Mit ewig halbgeschlossnem aug
Träumeumlullt wie im halbschlaf!
Zu träumen stets wie jenes bernsteinlicht,
Das nicht den myrrhe-strauch am berg verläßt;
Einander leise flüstern hörn,
Den Lotos essend tag für tag,
Die krausen rillen auf dem strand zu sehn
Und sanftgekrümmte bänder sahnigen gischts;
Herzen und hirne ganz zu öffnen
Dem einfluß mild gesinnter schwermut;
Sinnend und brütend in gedanken abermals
Mit den gesichtern unsrer kindheit sein,
Die ein begraster hügel deckt,
Zwei handvoll weißen staubs in einem messingkrug!
VI
Der trauten zu gedenken ist uns lieb,
Und lieb die letzten küsse unsrer fraun
Und ihre tränen: doch ist das vorbei:
Denn unsre herde sind nun sicher kalt;
Söhne beerbten uns; fremd kämen wir
Und wie gespenster störten wir ihr glück.
Oder die insel-fürsten überkühn
Verpraßten unser gut, und ihnen singt
Der barde von dem krieg um Ilion
Und unsern heldentaten als von sagen.
Herrscht wirrwarr in dem kleinen inselreich?
Laß was verlottert ist so sein.
Die Götter zu versöhnen ist schwer,
's ist schwer die ordnung wiederherzustelln.
Es gibt verwirrung schlimm wie tod,
Sorge auf sorge, leid auf leid,
Viel mühsal bis zum letzten hauch,
Pflicht schwer fürs herz von vielen kriegen müd
Und augen schwach vom ausschaun nach dem leitstern.
VII
Doch ausgestreckt auf amarant und moly,
Wie süß (wenn laue luft uns einlullt, leise)
Mit halbgeschlossnem lid
Still unter heilig dunklem himmel
Den langen klaren fluß zu sehn der langsam
Vom purpur-hügel abwärts wallt —
Der tauigen echos hall zu hören
Von höhl zu höhle durch das dichte laub —
Zu sehn wie das smaragdene wasser fällt
Durch manchen göttlichen akanthus-flor!
Das meer das weit weg glitzert nur zu hörn und sehn,
Nur es zu hörn wär süß, im schatten hingelehnt.
VIII
Der Lotos blüht am fuß des nackten fels
Der Lotos blüht an jedem wasserlauf;
Den ganzen tag weht leicht und leis der wind:
Durch jede grotte, jeden stillen pfad,
Um und um die duftenden hügel fliegt der gelbe Lotos-staub.
Wir, wir haben genug von taten, und von fahrten wir,
Rollten leewärts, rollten luvwärts, wenn die brandung siedete,
Wo der wal, sich wälzend, spuckte schaumfontänen aus dem meer.
Laßt uns schwörn und halten einen eid mit gleichem sinn,
In dem hohlen Lotosland zu leben, rückgelehnt
Auf den hügeln göttergleich, der menschen ungedenk.
Denn sie liegen nektarschlürfend und tief unter sich
In die täler blitze schleudernd, und gewölk umkräuselt leicht
Ihre goldnen häuser, die die helle welt umglänzt:
Wo sie heimlich lächeln, hinschaund über wüstes land,
Brand und hunger, pest und beben, brüllenden schlund und heißen sand,
Kampfgedröhn und feuersbrunst und schiffbruch und gebet.
Doch sie lächeln, ihnen klingt musik aus einem trüben lied
Dampfend auf, ein klaglied und von unrecht eine alte mär,
Wie ein lied das wenig sagt obwohl die worte tönen;
Sang geschundner menschen die im erdreich furchen ziehn,
Samen sän und früchte ernten in nie endender fron,
Jährlich kleine gaben sparen von weizen, wein und öl,
Bis sie sterben und im Hades drunten — manche, sagt man — qual,
Stete qual erdulden; andre weilen in Elysium,
Legen endlich sich zur ruh im bett aus asphodill.
Süßer sicherlich als fron ist schlummer, süßer land
Als arbeit auf dem hohen meer, mit ruder, welle, wind;
Oh ruhet, bruder-schiffer, laßt uns nicht mehr weiterfahrn.
Alfred Tennyson